Mein Vater schläft...

Hier können Sie sich über Belastungen durch eigene oder fremde schwere Erkrankungen, aber auch den Umgang mit Tod und Trauer austauschen.
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Christine_Walter
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Mein Vater schläft...

Beitrag Do., 29.11.2012, 20:32

... seit zwei Monaten. Nach langer, schwerer Krankheit. Habe ihn den ganzen Sommer lang im Krankenhaus besucht, jeden Tag. Gebangt und gehofft, geweint und gebetet. Dann ist er eingeschlafen. Wir waren alle dabei. Und ich hatte irgendwie doch das Gefühl, dass er mich lieb hat und ich ihm gut tue. Den letzten Kuss habe ich ihm gegeben. Als jedoch nach seinem Tod das Testament gefunden wurde, war mir klar, dass wir Kinder für ihn ein Lebtag nichts waren als Colaautomaten (steck nen Euro rein, willste auch unbedingt nen Euro wieder rauskriegen; tritt kräftig dagegen, kommt vielleicht eine Gratisflasche nach). Meine Thera sagt, er hat sich an uns Kindern versündigt. Und dass ein Mensch trotzdem lieben kann. Und mich sicher geliebt hat. Die Erinenrung und die Flashs kommen jeden Abend zu mir. Mein Vater an der Beatmung. Mein Vater auf der Bettkante sitzend, gestützt von großen Schaumstoffblöcken. Mein Vater, der mir die Hand drückt. Der sich den Schlauch rausreissen will, ich will ihn daran hindern, er schlägt nach mir und trifft mich an der Brust. Tat körperlich nicht weh, aber seelisch... Ich liege auf dem Boden und er tritt nach mir. Er kann nicht mehr sprechen; sein letztes Wort mit dem Sprechröhrchen war "Ja". Dann mussten sie es entfernen; er wäre sonst erstickt. Die Monitore, die weniger Werte anzeigen. Mein Vater in seiner Levi´s 501 und den Adidas neben seinen Teenager-Kindern in zerfetzten Schuhen und viel zu kleinen Hosen. Mein Vater im Sarg und das Lied, das auf der Beerdigung gespielt wurde. Mein Zuhause, das vermutlich untern Hammer kommt. Ich komm nicht mehr klar

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Rezna
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Beitrag Do., 29.11.2012, 20:36

Ach, das sind schlimme Zeiten. Ich kenne das. Ich kann das mitfühlen. Mein Vater ging vor drei Jahren. Die Situation war anders, aber auch verkorkst. Aber heute frag ich mich, ob die Lebenden nicht das größere Problem sind.

Es geht vorbei. Sag ich mir. Irgendwann.
»Nimm niemals Böswilligkeit an, wenn Dummheit hinreichend ist.« [Hanlon's Razor]
»Wir sind lieber die Bösen als die Dummen.« [Richard David Precht]

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Christine_Walter
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Beitrag Do., 29.11.2012, 20:43

Ich hoffe es so. Aber solange ich GEfahr laufe, den Ort meiner Kindheit zu verlieren - mich im Stall nicht mehr zu Hause fühle - ich eine fremde Scholle pflege -, solange wird es NIE vorbei sein.

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