Ich lese sonst bewusst keine Fachliteratur, aber dieses Buch war sehr hilfreich.
Wenn Patienten keine Nähe zulasen
Strategien für eine bindungsbasierte Traumatherapie
Robert T. Muller
Auszüge der Einleitung
Ich will nicht heucheln, ich will nicht Teil der gigantischen gesellschaftlichen Verschwörung sein, die Witwen dazu bringt, im Bus zu erzählen, dass "seine Zeit gekommen war", oder Eltern, die ein Kind zu Grabe getragen haben, sagen lässt . "Wir sind so glücklich über jeden Tag, den wir mit ihr verleben durften." Ich verweigere mich der Verschwörung, die uns zu Heuchlern macht, zu Lügnern, die nicht zugeben, dass Leben und Tod, dieses zweischneidige Breitschwert, sie verzweifeln lassen. (Scott Peck, All American Boy)
Dieses Buch hebt mit einigen wenigen einfachen Fragen an. Wie kann man Patienten, die so tun, als sei alles in Ordnung, und jeden Widerhall ihrer grausamen Vergangenheit verleugnen und kleinreden, für die psychotherapeutische Arbeit gewinnen ?
Wie hilft man einem verletzlichen Menschen, der sich und anderen seine Verletzlichkeit nicht eingestehen kann ?
Wie arbeitet man mit Traumaüberlebenden, die sich keineswegs sicher sind, ob sie überhaupt Hilfe wollen ?
Der Kliniker, der eine therapeutische Verbindung herstellen möchte und einen solchen Patienten für die Mitarbeit zu engagieren versucht, weiß, das die Behandlung sich schwierig gestalten wird. Es mag ihm sogar verlockend erscheinen, traumatisierte Patienten als "behandlungsresistent" abzuschreiben oder sie an andere Stellen zu überweisen.
Vielleicht ist auch dies ein Grund, weshalb die Entwicklung spezifischer Interventionsstrategien für diese klinische Population nur langsame Fortschritte macht. Über die frustrierenden Aspekte der Arbeit mit solchen Patienten wurde zwar viel geschrieben, doch es gibt kaum Literatur, die als konkrete Behandlungsanleitung dienen könnte.
(...)
Von anderen Veröffentlichungen über die Traumabehandlung unterscheidet sich dieses Buch dadurch, dass es zeigt, wie man Menschen helfen kann, die sich selbst und andere davon zu überzeugen versuchen, dass sie nicht hilfsbedürftig sind. Charakteristisch für die vermeidende Bindung ist das Bagatellisieren schmerzvoller Bindungserfahrungen. Wenn der vermeidende Patient über ein traumatisches interfamliäres Ereignis spricht, ist er bestrebt, die Bedeutung des Geschehens und die negativen Folgen, die es für ihn hatte, kleinzureden. Er schildert qualvolle Erfahrungen emotional distanziert und intellektualisierend, rationalisiert traumatische Erlebnisse oder konzentriert sich auf harmloseres Material, um nicht darüber sprechen zu müssen.
Weil vermeidende Patienten überzeugt sind, dass auf keine Menschenseele Verlass ist, kultivieren sie ihre Selbstgenügsamkeit und halten sich für unabhängig, stark und normal. Hand in Hand geht die Tendenz, Nähe und Intimität zu scheuen und zu entwerten.
Da vermeidende Patienten Hilfsangebote eher ablehnen, legt der hier erläuterte Therapieansatz besonderen Wert darauf, sie für eine kooperative, verantwortliche Mitarbeit zu gewinnen. Es ist wichtig Anhaltspunkte zu finden und Kontakt herzustellen.