Gewalt und Vergebung

Körperliche und seelische Gewalt ebenso wie die verschiedenen Formen von Gewalt (wie etwa der Gewalt gegen sich selbst (SvV) oder Missbrauchserfahrungen) sind in diesem Forumsbereich das Thema.
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shouqici
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Gewalt und Vergebung

Beitrag Di., 31.01.2012, 17:56

Vor einiger Zeit bin ich auf das netzwerkB von Betroffenen sexualisierter Gewalt gestoßen - die haben erst vor Kurzem eine Beschwerde beim EUGH eingebracht gegen die Entscheidung des Bundestags, die Verjährungsfrist für Missbrauch nicht abzuschaffen - eine Sache die ich durchaus nachvollziehen kann und auch unterstützt habe.
Vor ein paar Tagen ist mir nun dieses Positionspapier Mythos der Vergebung zugesandt worden - und da habe ich gewisse Zweifel an dem, was mir die Grundaussage zu sein scheint, nämlich dass Vergebung grundsätzlich zum Schaden des Betroffenen und zum Nutzen des Täters wäre. Natürlich kann niemand von mir Vergebung einfordern, wenn ich davon betroffen bin - aber es macht doch auch wenig Sinn, die aus grundsätzlichen Erwägungen abzulehnen? Mir scheinen die drei zentralen Aussagen

a) Vergebung bedeutet Wiederholung des Traumas, weil der Täter kein schlechtes Gewissen haben, das Opfer aber schweigen muss,

b) Vergebung unterstützt unterdrückende Machtverhältnisse,

c) Vergebung vermehrt Wut, Hass und Rache

einfach überzogen. Bin ich da blauäugig, oder verstehen wir unter 'Vergebung' einfach Verschiedenes

() shouqici
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bedarf es einer nicht geringen Portion von Härte.


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candle.
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Beitrag Di., 31.01.2012, 18:07

Hallo shouqici!

Sicher ein interessantes Thema was mich auch mal beschäftigt hat, doch es ging da wohl eher nicht um Vergebung, das klingt mir zu hochgestochen irgendwie.

Diesem Blatt kann ich jetzt auch nicht folgen, dass Vergebung wiederum Schweigen bedeutet. Das sehe ich nicht so. Auch mit dem Machtgefälle, dass dadurch bestehen bleibt, scheint mir einfach nicht schlüssig.

Ich denke Vergebung kann eine Maßnahme sein, aber ich denke man darf das auch nicht tun und andere Wege finden.

Wer dann noch Täterkontakt pflegt, wird so auch nicht aus dem Dilemma herauskommen.

Viele Grüße!
candle
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mitsuko
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Beitrag Di., 31.01.2012, 18:36

Ich denke, es gibt Dinge, die braucht und kann man nicht vergeben. Tut man es doch, tut man sich Gewalt an. Ich gehe mit den Aussagen in dem link weitestgehend konform.
Ich glaube, dass es sehr oft tatsächlich so ist, dass durch Vergeben, Vergessen und Verzeihen Strukturen, die Gewalt ermöglichten, aufrecht erhalten und Täter geschützt werden. Das funktioniert so gut, insbesondere innerhalb von Familien, weil dadurch nicht nur der Täter geschützt wird, sondern das Opfer auch in gewisser Weise sein positives Bild des Täters und seiner Familie aufrecht erhalten kann, was häufig leichter fällt als der Wahrheit ins Gesicht zu sehen. Außerdem mag man sich als Vergebender als aktiv und stark empfinden, was meiner Meinung nach allerdings oft ein Trugschluss ist, dann wenn man nur aktiv an einer gewissen Verharmlosung der selbst erlittenen Gewalt teilhat.
Es gibt vielleicht auch das Vergeben als Abschluss eines Prozesses hin zur Selbstfindung. Alles was jedoch darauf hinaus läuft, dass am Ende Opfer, Täter und Angehörige "friedlich" beisammen sitzen und die Taten von früher abgehakt und nicht mehr angesprochen werden, macht mich persönlich skeptisch. Sowas geht m.E. langfristig gesehen immer auf Kosten des Opfers, das sich dadurch verbiegt in ein -Hey, war doch alles halb so wild. Das Wohl des Täters geht da erneut über das des Opfers. Ich glaube, dass jemand, der auf diese Weise vergibt noch immer die Augen verschließt.

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carö
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Beitrag Di., 31.01.2012, 19:23

ich habe auch so meine schwierigkeiten mit dem begriff der vergebung oder des verzeihens. habe einfach das gefühl, dass es nicht in meiner macht liegt, zu vergeben. die begriffe sind mir auch zu religös besetzt und ich bin nicht religiös bzw. ich komme aus einem "religiösen" elternhaus und lehne das für mich ab. habe immer das gefühl, dass vergebung etwas wäre, was nur ein göttliches wesen leisten könnte und da es das nicht gibt für mich, halte ich vergebung für eine illusion.
ich meine jetzt nicht sowas, wie nicht nachtragend sein oder sich wieder versöhnen können nach einem streit. ich finde auch eine versöhnliche haltung wichtig für das zusammenleben und für das eigene wohlbefinden.

ich denke da auch immer wieder mal drüber nach... ich KANN meinen eltern nicht vergeben, habe auch noch nie so gefühlt. dennoch gibt es wieder eine annäherung mit meiner mutter und auch mit meinem vater hat sich vor seinem tod für mich ruhe und - ja im grunde mitgefühl eingestellt. das ist aber nicht vergebung und vergessen ohnehin nicht.
es freut mich, wenn es positive momente gibt und ich empfinde keinen hass mehr. das hat aber nichts mit vergebung zu tun, es ist etwas, was MIR guttut und mir vermutlich deswegen gelingt, weil ich mich nicht mehr so verstrickt und an die alten geschichten gebunden fühle. ich denke manchmal, dass - wenn - sie selbst sich vielleicht ihre schuld vergeben kann, ich kann das nicht... aber nicht weil ich rachegefühle habe oder dgl. sondern weil es nunmal ihre eigene verantwortung betrifft und die kann ich mir, selbst wenn ich wollte, nicht aneignen ...

weiss nicht, vielleicht etwas unsortiert...
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fragen
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Beitrag Mi., 01.02.2012, 16:43

Ich denke, dass solche Straftaten sehrwohl verjähren sollten. Hat einfach damit zu tun, dass alles zeitlich begrenzt ist und außerdem wie willst du 20 Jahre danach noch eine Gewaltat nachweisen. Das wäre schon für die Polizei richtige schwerarbeit, ist also unrealistisch. Ein Erwachsener sollte außerdem dazu in der Lage sein sich zu äußern auch wenn es schwer fällt.

Ich glaube auch, dass Täter schuldgefühle haben wenn sie sowas tun. Vor allem im sexuellen Bereich sind es ja oft einfach nur die Triebe.

Ist es oft nicht mehr Wert, wenn der Täter straffrei bleibt und er stattdessen mit dem Opfer unter Aufsicht spricht und sagt was er getan hat? (solange er die Einsicht hat etwas falsches getan zu haben).

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carö
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Beitrag Mi., 01.02.2012, 18:05

bloss weil etwas nicht/schwer nachweisbar ist, soll es nicht mehr strafbar sein ?
ich bin sehr wohl dafür, die verjährungsfrist bei solchen straftaten, sprich sexuellen missbrauch, aufzuheben oder sehr nach oben auszuweiten.

selbst wenn es nicht mehr beweisbar wäre, finde ich es ein wichtiges gesellschaftliches signal, das die schwere einer solchen tat würdigt.

und entschuldigung: nur ??? triebe ?

wir sind keine tiere.
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shouqici
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Beitrag Mi., 01.02.2012, 18:13

Also das scheinen mir etwas unrealistische Annahmen. Nicht dass es unmöglich wäre - man hört von solchen Fällen - aber in keinem Fall in den ich Einblick hatte, entwickelte der Täter ein nennenswertes Schuldgefühl.
Dass ein Erwachsener dazu in der Lage sein sollte sich zu äußern, ist leicht dahingesagt - tatsächlich ist es einfach nicht so. Viele haben das jahrzehntelang ausgeblendet/verdrängt und stoßen dann irgendwann per Zufall drauf, oder weil sie wegen eines anderen Problems eine Therapie machen. Und etwas nicht zu verfolgen, weil es evtl. schwer nachzuweisen ist, ist auch nicht gerade überzeugend...

@ Vergebung: Meine Wortwahl wär's auch nicht, aber der Artikel heißt eben so

P.S. Meine Frau kann (und will) ihrem Vater auch nicht 'vergeben'' - aber das ist m.E. kein Argument, die Idee als solche als 'falsch' anzusehen.

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Beitrag Mi., 01.02.2012, 18:21

ich glaube, wenn es so was wie Vergebung gibt, die also alle Schichten des Bewusstseins durchdringt, auch die hintersten Winkel ... dann muss das auf alle Fälle von einem selbst ausgehen, weil man so weit ist, dass man nicht länger hassen möchte.

Aufoktroyieren kann man das auf keinen Fall, und gerade bei Missbrauch von Kindern sind die Verjährungsfristen einfach zu kurz.

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fragen
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Beitrag Mi., 01.02.2012, 18:46

Verjährungsfristen verlängern ist verständlich. Da stimme ich auch zu. Aufheben sollte man sowas aber nicht.

Was bringt der ganze Hass. Wem nützt der?

Nur wenn man vergeben kann wird man selbst zufrieden.

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stern
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Beitrag Mi., 01.02.2012, 18:58

shouqici hat geschrieben:Positionspapier Mythos der Vergebung
Ich finde allein die Bezeichnung "Positionspapier" befremdlich... so als gäbe es eine Postition, wie mit Vergebung, Verzeihung umgegangen werden sollte.. was allgemein gut sein soll. Auch diese Papier spricht vom Opfer (und meint damit alle bzw. ein Kollektiv, wenn es heißt "das Opfer"?).

Wesentlicher ist IMO den Weg zu finden, der individuell stimmig ist. Und das kann Vergeben/Verziehen sein... oder nicht Vergeben/Verziehen. Der Wille des Betroffenen ist IMO also zu respektieren... ohne eine Richtline vorzugeben (welche auch immer), was allgemein "gut" sein soll. Zwischen was jemand anderes für jemand als "gut" erachtet und individuell als "gut" empfunden wird, kann nämlich ein Unterschied liegen.

Insofern ja:
einfach überzogen. Bin ich da blauäugig, oder verstehen wir unter 'Vergebung' einfach Verschiedenes
es ist mir zu sehr in eine best. Richtung lenkend, die für alle bzw. eine Kollektiv passend sein soll.
Liebe Grüße
stern 🌈💫
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umso mehr Fliegen sitzen drauf
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shouqici
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Beitrag Mi., 01.02.2012, 19:01

fragen hat geschrieben:Was bringt der ganze Hass. Wem nützt der?

Nur wenn man vergeben kann wird man selbst zufrieden.
Auch falls das stimmen sollte - sind denn Alle zu Zufriedenheit fähig

Ist 'nicht vergeben können/wollen' immer gleichzusetzen mit Hass
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Passat
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Beitrag Mi., 01.02.2012, 19:05

Ich habe mal eine Zeitlang mit Straftätern zusammengearbeitet. Nicht wenige von ihnen bereuten zutiefst ihre Taten. Ihre Reue und ihr Gewissen ließen sie kaum ruhig schlafen (weil sie noch nicht verziehen wurden, die Taten?).

"Vergebung" - ob nun religiös geprägt oder nicht - meint wohl einfach verzeihen. Warum sollte ein Opfer dem Täter nicht irgendwann verzeihen, wenn er aufrichtig bereut? Etwa aus Prinzip nicht? Ein Bereuen müßte natürlich dem Verzeihen vorausgehen. Dann könnte es sicherlich heilsam für beide Seiten sein.
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münchnerkindl
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Beitrag Mi., 01.02.2012, 19:12

shouqici hat geschrieben:
a) Vergebung bedeutet Wiederholung des Traumas, weil der Täter kein schlechtes Gewissen haben, das Opfer aber schweigen muss,

b) Vergebung unterstützt unterdrückende Machtverhältnisse,

c) Vergebung vermehrt Wut, Hass und Rache

einfach überzogen. Bin ich da blauäugig, oder verstehen wir unter 'Vergebung' einfach Verschiedenes

i
Stimmen alle nicht.

Vergebung geschieht ja trotz dem was geschehen ist. Sie macht nichts ungeschehen und sie ist auch kein nachträgliches gutheissen einer Tat oder ein nachträgliches Einverständnis mit dem Missbrauch.

Der Täter muss auch nach wie vor ein schlechtes Gewissen haben, weil die Vergebung betrifft ja nur die psychische Verfassung des Opfers, nciht die des Täters. Und das Opfer muss auch nicht schweigen nur weil es vergibt. Es gibt zB Holocaust Überlebende die in der Lage waren den Peinigern zu vergeben und trotzdem aktiv berichten über das was geschehen ist.

Ne, mit Vergebung steigt ein Opfer endgültig aus seiner Opferrolle aus, weil für Vergebung nötig ist wirklich emotionalen Abstand zu Tat und Täter zu gewinnen.

Wieso Vergebung Hass und Wut steigern soll erschliesst sich für mich überhaupt nicht.

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Passat
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Beitrag Mi., 01.02.2012, 19:17

münchnerkindl hat geschrieben:Ne, mit Vergebung steigt ein Opfer endgültig aus seiner Opferrolle aus, weil für Vergebung nötig ist wirklich emotionalen Abstand zu Tat und Täter zu gewinnen.
Wer vergeben hat, der hat aber doch auch inzwischen wieder ein "gesünderes" Verhältnis zu dem Täter und der von ihm ausgegangenen Tat. Das Opfer muß nicht für immer Opfer bleiben. Um so besser, wenn ein Mensch aus dieser Rolle wieder rauskommt - auch und vor allem, weil er vergeben kann.
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carö
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Beitrag Mi., 01.02.2012, 19:23

ja guter einwand passat. ich bin da noch nicht so ganz klar .. ich sehe es zumindest nicht als prinzipienfrage an, eine schwere tat grundsätzlich nicht verzeihen zu können.

vielleicht ist es tatsächlich so, dass es dieses echte bereuen geben muss und vermutlich auch auf seiten des betroffenen eine gewisse auflösung der emotionalen verstrickung, verletzung oder inneren distanzierung, um etwas verzeihen zu können, was einfach oft nicht mehr wiedergut zu machen ist, was spuren im leben hinterlassen hat, das leben nachhaltig und mit vielen schmerzen geprägt hat ..
ich habe ein echtes bereuen nicht erlebt, nur mal in ansätzen aber schnell wieder zurückgenommen - und ich erwarte es auch nicht.
aber es mag sein, dass genau DAS mir es auch nicht möglich macht mir vorzustellen, zu vergeben.. ich meine speziell meine eltern. bei anderen menschen habe ich da weniger probleme.. das sind dann aber auch weniger gravierende dinge, um die es geht idR.
ich empfinde die vergebung als ausserhalb meiner selbst stehend diesbezüglich... aber danke für deinen einwand, ich glaube darüber muss ich nochmal nachdenken...

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