Ich bin so schrecklich aggressiv

Körperliche und seelische Gewalt ebenso wie die verschiedenen Formen von Gewalt (wie etwa der Gewalt gegen sich selbst (SvV) oder Missbrauchserfahrungen) sind in diesem Forumsbereich das Thema.
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Pepper
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Ich bin so schrecklich aggressiv

Beitrag Mo., 05.09.2011, 12:31

Hallo,

nachdem es heute Morgen einen Vorfall gab, der mir noch immer ziemlich in den Knochen sitzt, muss ich mich einfach mal austauschen. Kurze Vorgeschichte von mir: Meine Mutter ist Alkoholikerin mit Neigung zu Jähzorn und Aggressivität sowie manisch-depressiv und hat mich von klein auf als psychische Krücke benutzt. Ich selbst war essgestört (Binge Eating) und habe ebenfalls die Tendenz zu Depressionen. Mangelndes Selbstvertrauen, viele Selbstzweifel und daraus resultierend wohl auch starker Hang zu Aggressionen (wenn ich mich übergangen oder nicht ernstgenommen fühle, aber auch bei Depri-Schüben allgemein). Dazu kommt eine Empfindlichkeit bei Lautstärke, die ebenfalls für Aggressivität bei mir sorgt.
Auch meine Oma mütterlicherseits ist eine hoch aggressive Frau, die ihre 4 Kinder regelmäßig schwer verdroschen hat. Psychische Hintergründe kenne ich leider nicht.
Ich kenne das Problem schon länger, war 3 Jahre lang in therapeutischer Behandlung etc., doch geholfen hat es in der Hinsicht nicht. Ich habe eine 3jährige Tochter, die nun in die Trotzphase kommt und bei ihrem Tobsuchtsanfällen kreischt wie verrückt. Diese Lautstärke in Kombination mit ihrem Verhalten sorgt dafür, dass ich regelmäßig rotsehe. Ich habe Angst, dass ich sie irgendwann mal verprügele. Sie greift mich auch körperlich an. Heute morgen z. B. hat sie mir mehrfach mit den Fingernägeln das Gesicht zerkratzt, woraufhin ich ihr was auf die Finger gegeben habe und einen Klapps auf den Mund wegen der Kreischerei. Es tat sicher nicht weh. Sie hat mich nur erschrocken angesehen.
Ganz weit hinten in meinem Kopf höre ich in diesen Situationen immer eine Stimme, die sagt, ich soll aus dem Zimmer gehen und runter kommen. Ich soll mich emotional ausklinken, doch ich kann nicht. Ich bin wie eine Lokomotive in voller Fahrt. Jeder sagt mir immer nur, ich soll ruhig bleiben. Aber das hilft mir nicht, sondern sorgt für nur noch mehr Wut meinerseits.
Ich habe immer das Gefühl, ich darf nicht verlieren (wie früher bei Auseinandersetzungen mit meiner Mutter.) Und in Bezug auf meine Tochter geht es meist um Dinge, die keine Alternative haben. Z. B. heute Morgen wollte sie partout ihren Rock nicht anziehen. Aber das Thema haben wir schon seit Wochen und es ist egal, was ich ihr anziehen will, sie meckert immer rum. Eine Hose rauszuholen wäre also sinnlos gewesen. Und ich bin dieses Thema auch einfach leid.
Auch mein Lebensgefährte leidet darunter, weil ich immer so viel rumschreie und tobe und mit den Türen knalle. Es ist, als wäre ich dann ein ganz anderer Mensch und ich kann mich selbst nicht mehr erkennen. Hinterher schäme ich mich in Grund und Boden.

Ich habe nun schon geforscht, ob ich vielleicht eine Art Hörfehler habe, dass ich so explodiere bei Lautstärke, bin aber nur auf einen Zusammenhang mit einer Schilddrüsenstörung gestoßen, die bei mir nicht vorliegt.
Aber ich bin ja generell schnell wütend. Kann das einfach genetisch vererbt sein, da sich dieses Bild ja über mehrere Generationen abzeichnet?

Ich weiß einfach nicht mehr, was ich noch machen soll, da ich in diesen Momenten völlig neben mir und in keiner Weise mehr rational bin. Ich explodiere, bevor ich überhaupt wahrnehme, dass ich mich ärgere. Ich kann mich daher nicht mal aus der Situation zurückziehen, bevor es zum Äußersten kommt. Es geht nur noch darum, den Anderen „in die Knie“ zu zwingen und zum Aufgeben zu bringen. Ich habe es wohl auch nie anders gelernt, weil meine Mutter mich und alle anderen auch einfach nur immer angebrüllt hat, wenn man ihr nicht ihren Willen ließ und machte was sie wollte.
Selbst einlenkende Worte von anderen empfinde ich dann nur noch als Affront gegen mich.
Das belastet mich total, weil ich eben auch Angst habe, dass ich doch mal richtig zuschlage. Bisher konnte ich mich abreagieren, indem ich mit der Faust auf den Tisch oder den Fußboden schlug oder meine Tochter an den Schultern packte. Aber das ist schon viel zu viel. Ich will nicht, dass sie mich als eine solche Furie erlebt. Es macht mich so traurig.

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Waldschratin
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Beitrag Mo., 05.09.2011, 14:35

Hallo Pepper,
(passender Nic ),erstmal willkommen hier im Forum!

Zwecks deiner Überempfindlichkeit für Lärm : warst du schon mal bei nem HNO-Arzt?Wenn nicht,dann geh mal hin und schilder ihm das Problem.

In Manchem,was du schilderst,erkenn ich mich selber wieder : lärmempfindlich bin ich auch und ja : mich macht das auch aggressiv bis zum Anschlag!
Ich hab ne Nachbarin unter mir wohnen,die ist auch für "normale Lärmempfinder" schon ne Zumutung,bei der muß ich regelmäßig dafür sorgen,daß ich die nicht mal "handfest" aufsuche.

Aber das geht natürlich gaaaar nicht und ist auch nicht in meinem Sinne.
Und so ist es ja bei dir und deiner Tochter (aber auch deinem restlichen Umfeld) auch.

Was hast du denn in deinen Therapien in Bezug auf den Umgang mit Aggressivität gelernt?
Denn egal,ob genetisch oder "mental" vererbt : es liegt jetzt an dir und in deiner Verantwortung,diese "Vererbung" durchbrochen zu bekommen.
Was sonst aus deinem Kind wird,dürfte dir klar sein...

Aus meiner Erfahrung mit mir selber kann ich dir das empfehlen:
In erster Linie Achtsamkeit lernen und üben.Denn dann kriegst du deine Emotionen besser mit und merkst immer frühzeitiger,wann du "hochfährst" und kannst rechtzeitig gegensteuern.

Dann hat Sport/Bewegung/Auspowern immer nen guten Effekt bei mir gehabt.Das könntest du z.B. auch spielerisch mit deiner Kleinen zum Teil umsetzen,dann macht ihr gleich noch was gemeinsam.

Aus den "Nervsituationen" gehen ist auch gut - aber frühzeitig!Und dann häng dir ruhig in ne stille Ecke einen Boxsack,nur für dich allein,und den verdresch dann mit aller Aggression und Wut,nimm dir danach Zeit,dich wieder zu "sortieren",bevor du wieder zu anderen gehst.

Was ich auch "empfehlen" kann: Rituale,also ganz bestimmte Zeiten (müssen nicht lang sein),die dir allein gehören und wo du Richtung Entspannung was machst.Ob das nun Traumreisen sind oder Jacobsen,autogenes Training oder Feldenkrais oder Meditation etc.,ist ganz egal.

Wenn dich grade was "aufwallen" läßt,kann ich Atemübungen empfehlen.Z.B. auch mit Imaginationen verbunden : Ich atme Gelassenheit ein (z.B. durch mein Herz hindurch/durch meinen Bauch hindurch) und atme Aggression wieder aus.Alles schön achtsam.

Braucht alles ein bissl Übung,aber wird mit der Zeit.

Und natürlich darfst du eins nicht vergessen:
Rechne mit deiner Mutter ab! Setz dich mit diesem "Gewinnen" auseinander.Dazu brauchst du sie gar nicht weiter "in natura",das geht in deiner Phantasie auch.

Ich arbeite gerne mit Imaginationen und hab das auch schon gemacht: solche "Übermächtigen" in meinem Leben in der Phantasie (meist verbal) "zerlegt" und schön in diesem Gefühl "gebadet" : Ha,du kannst mir GAR nix mehr!Jetzt nicht mehr!

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Pepper
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Beitrag Mo., 05.09.2011, 15:12

Hallo,
ja, deswegen habe ich den Namen auch gewählt. Danke für Deine Antwort.

Tja, wenn ich die Aggressivität bei meiner Therapeutin angesprochen habe, meinte sie nur, ich wäre halt so temperamentvoll. Aber das bin ich gar nicht (eher das ganze Gegenteil; durch- und zerdenke viel zu viel). Und dieser glühende Hass, den ich empfinde, hat nichts mit Temperament zu tun. Darauf meinte sie, ich soll durchatmen, aus dem Raum gehen etc. Aber so richtig will es nicht klappen, weil ich, wie gesagt, in einem Moment noch ruhig bin und im nächsten völlig ausflippe. Dann ist schon alles zu spät. Aber ich will es natürlich trotzdem immer wieder probieren. Vielleicht setzt sich meine Stimme der Vernunft aus meinem Hinterkopf doch irgendwann durch ...

Nein, beim HNO war ich noch nicht. Aber das wäre vielleicht mal eine Idee.

Ich mache viel für mich allein. Zu viel eigentlich, weil ich gar keine Freunde habe. (Nur eine Freundin, die aber am anderen Ende Deutschlands wohnt.)

Ja, das mit dem Abrechnen mit meiner Mutter leuchtet mir ein. Wir haben keinen Kontakt mehr, womit es mir wesentlich besser geht. Ich habe schon mehrere Briefe geschrieben (ohne sie abzuschicken) und imaginäre Gespräche geführt usw., aber es lässt mich einfach nicht los. Manchmal träume ich sogar von Auseinandersetzungen mit ihr, die in Prügeleien ausarten, weil sie einfach nicht nachgeben will. Ich habe das Gefühl, ich würde erst Frieden finden, wenn sie endlich aufgibt. Keine Ahnung, was oder wie. Sie soll einfach endlich aufhören.


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Beitrag Mo., 05.09.2011, 15:27

Keine Ahnung, was oder wie. Sie soll einfach endlich aufhören.
So sehr ich dir das wünschen würde,daß sie das täte : was,wenn nicht?
Dann bleibst du dein Leben lang "Sklavin" deiner Mutter,sie behält die Macht über dich...DU bleibst damit die Unterlegene.

Da würd sich bei mir schon allein der Trotz melden.
Jetzt GRADE nicht!

Das mit dem Runterfahren und der Achtsamkeit,das lernt sich nicht so schnell,da mußt du ne Weile dran rumüben.Ist wie ne neue Sprache lernen.

Mit dem "alleine machen" meinte ich nicht,daß du für dich bleiben sollst,dir Freiraum schaffen oder so.
Sondern mehr so "Schatzkästchen"-Zeiten übern Tag verteilt nur für dich,wo du mit deinem "Schatz" alleine bist.Also z.B. ne Traumreise machst oder eben Tagträume,wo es dir gutgeht dabei und grade das passiert,was du dir im Moment am meisten wünschst.
Da reichen 10 min,das muß nicht lang sein.
Dafür aber "fest reservierte" Zeiten.
Bei mir ist das z.B. abends vor dem Zubettgehen - oder auch,weil ich schlecht schlafe,dann eben beim "Warten auf den Schlaf".

Die Achtsamkeit zu lernen find ich am wichtigsten,weil du dich dann immer besser frühzeitiger abgefangen bekommst.
Und da mußt du gar nicht anfangen mit Achtsamkeit auf Gefühle oder so.Sondern nimm mal bestimmte tägliche Tätigkeiten her.
Z.B. Blumen gießen/versorgen.Oder falls ihr Tiere habt.
Selbst Geschirrspülen taugt dafür.

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Beitrag Mo., 05.09.2011, 19:19

Ja, das ist eine gute Idee. Ich bin mit meinen Gedanken eigentlich immer irgendwo, nur nicht bei dem was ich tue. Vielleicht wirkt sowas wirklich unterstützend.

Auf jeden Fall habe ich mir nun fest vorgenommen, mir die Ohren zuzuhalten und aus dem Zimmer zu gehen, sobald meine Tochter mich anbrüllt. Ich habe mich beim Nachhausekommen noch geschämt wegen meines Verhaltens. Bin gleich in Tränen ausgebrochen. Wir haben darüber gesprochen und uns wieder vertragen. Trotzdem habe ich schon ein wenig Angst vor morgen, denn wir sind beide rechte Morgenmuffel. Da kommt es zu 99 % zu unseren Auseinandersetzungen.

Tja, das Nachgeben gegenüber meiner Mutter ist sehr schwer für mich, weil sie mich eben immer konsequent unterdrückt hat. Das sitzt so tief und das Gewinnen ist dadurch so essentiell für mich wie die Luft zum Atmen, denn ich habe noch heute das Gefühl, mich freikämpfen und behaupten zu müssen. Da hilft mir kein Trotz. Vielleicht muss ich nur noch einfach ein paar Jahre warten, bis ich das verdaut habe. Altersgesetztheit und so.


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Beitrag Mo., 05.09.2011, 19:47

Vielleicht muss ich nur noch einfach ein paar Jahre warten, bis ich das verdaut habe. Altersgesetztheit und so.
Oooooh jeee....
Ich glaub,da wartest du laaaaange laaaange - und nix tut sich.
Ne Freundin von mir ist jetzt Mitte 60 und fängt grad an,ihre Mutterproblematik mal zu bearbeiten.Sie ist immer noch recht "folgsam",ganz unbewußt,aber dafür nachhaltig.Und sie "bockt" auch immer noch gegen ihre Mutter,obwohl die längst gestorben ist.Und blockiert sich dadurch ganz schön selber...

Also warte lieber nicht zuuuu lange... Bild

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Beitrag Di., 06.09.2011, 13:52

Tja, nur so richtig kann ich es irgendwie nicht loslassen. Hab es ja schon auf verschiedene Weise mehrfach probiert.

Der heutige Morgen lief übrigens wesentlich besser mit meinem Kind. Wie zu erwarten fing sie wieder mit ihrem derzeitigen Lieblingsthema "Ich will das nicht anziehen" an. Ich war vorher schon ziemlich angespannt, weil ich das befürchtet hatte und hatte schon den gesamten Dialog, den wir eigentlich fast täglich führen, im Kopf durchgeleiert. Aber ich hab es geschafft, es weit von mir zu schieben und ganz ruhig zu bleiben.
Trotzdem grault es mir schon vor morgen. Da wir das Spielchen ja schon seit Wochen treiben, hängt es mir ja mittlerweile schon total zum Hals raus. Und es kommt garantiert der Tag, an dem ich keine Nerven habe um mein geplantes Verhalten (Ohren zuhalten und rausgehen) durchzuführen.


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Beitrag Di., 06.09.2011, 16:05

Und wie wär`s mit nem "Abkommen"?
Sie sucht sich ihre Klamotten selber raus - und du hast "Veto"-Recht,wenns zu krass wird.

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Beitrag Di., 06.09.2011, 16:20

Ja, das haben wir heute gemacht, wobei es erst mal schwierig war, da sie erst mal zu allem "nein" gesagt hat (also Hose, Kleid oder Rock). Es geht ihr vermutlich gar nicht um die Klamotten, sondern darum, anti-alles zu sein. Aber das ist wohl so in dem Alter.

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Beitrag Di., 06.09.2011, 16:23

Ich will ich gleich mal noch mein zweites "Steckenpferd" ansprechen hier. Es geht allgemein darum, dass ich mich immer unter Kontrolle halten will (Zusammenhang zu meiner Aggression: Ich denke, ich sollte nicht wütend werden.) und in diesem Zusammenhang einen gewissen Perfektionszwang habe.
Ich kann mich gar nicht daran erinnern, wie es anfing. Ich weiß nur, dass ich schon als kleines Kind immer der Meinung war, ich müsse stark sein und dürfe andere nicht mit meinen schwächlichen Bedürfnissen belasten. Nicht weinen, keine Bitten äußern, keine Ansprüche stellen etc.
Meine frühere Therapeutin meinte mal, sie sieht die Ursache dafür in dem frühen Tod meiner ersten Schwester (sie war 11 Monate alt und ich noch nicht ganz 4). Ich kann das nicht recht glauben, denn ich kann mich gar nicht daran erinnern. Nur 2 kurze "Bilder" sind bei mir abgespeichert, die aber harmlos sind. Einmal der Krankenwagen vor der Haustür und einmal wie ich in der Küche am Tisch stehe und mit bunten Plastikbechern einen Turm baue. Ich realisierte, dass meine Mutter sehr aufgeregt war und ich hatte das Gefühl, es wäre besser, sie jetzt in Ruhe zu lassen. Jedoch war das nicht so einschneidend, dass es sich als Basis meines Lebens hätte festsetzen können in diesem Moment.
Ich grüble schon viele Jahre darüber nach, ob das wirklich die Ursache dessen sein könnte, aber ich empfinde es eigentlich nicht so. Da gibt es eher was anderes, an das ich mich erst recht nicht erinnere, weil ich ein Baby war. Aber als mein Vater das erzählte, war ich zutiefst verletzt. Ich habe wohl mal eine Nacht lang durchgebrüllt als Baby. Und weil meine Eltern nicht mehr wussten, was sie noch mit mir anstellen sollten, haben sie mich in die dunkle Küche gestellt mit meinem Stubenwagen und mich dort die ganze Nacht schreien lassen. Mein Vater fügt der Erzählung, die er jedes Mal aufs Neue ausgesprochen witzig findet, dann immer die Bemerkung hinzu, dass ich danach nie wieder solches Theater gemacht habe.
Na ja, wie gesagt, als ich das zum ersten Mal hörte, war ich stocksauer und sehr verzweifelt und traurig und habe nur gesagt: "Da habe ich ja gleich gelernt, dass ich von Euch nichts zu erwarten habe." Ich habe auch schon mehrmals weinen müssen, wenn ich daran gedacht habe.
Ihr könnt natürlich nicht in meinen Kopf oder meine Vergangenheit schauen, aber da mich diese Erzählung so dermaßen aufgewühlt hat und gleich die Gefühle so präsent waren, ist es doch wohl schon naheliegend, dass das die "Ursache des Übels" ist, oder?

Jedenfalls kam dann im Laufe der Jahre noch vieles dazu, was mein Verhalten verstärkt hat bzw. für mich die einzige Möglichkeit zu sein schien, durchzukommen. Es ging dann soweit, dass ich gar nicht mehr fühlen wollte, höchstens positiv, nicht mehr weinen konnte/wollte und das Gefühl hatte, die ganze Welt will mich fertigmachen. Dazu hatte ich ständig das Bestreben nach einem perfekten Bild von mir (äußerlich und innerlich), das wohl zu 99 % auf dem basierte, was andere von mir wollten. Also wie ich aussehen soll, wie ich mich verhalten soll, was ich tun soll. Natürlich ist es einfach nicht möglich, perfekt zu sein oder sich völlig gegen die eigene Natur zu verhalten (z. B. lebhaft und kontaktfreudig sein, wenn man eher schüchtern ist). Das machte mich noch zusätzlich fertig und ich wurde letztendlich depressiv und essgestört.
Nach und nach merkte ich zum Glück, dass das so nicht funktioniert und arbeitete daran. Doch, um es kurz zu machen, noch heute bin ich ziemlich verstockt. Ich kann nicht auf andere zugehen, habe immer Angst, abgelehnt zu werden (weitere einschneidende Erfahrung: ich wurde in der Schule stark gemobbt), habe keine Freunde und kann mich einfach nicht öffnen. Stattdessen setze ich die "Clown-Maske" oder die "Erwachsen-und-ernst-Maske" auf, je nach dem, was ich glaube, das mich bei meinem Gegenüber sympathischer macht. Immer befürchte ich, meine Persönlichkeit könnte auf andere abstoßend wirken, so dass ich innerlich immer total verkrampft bin und mich keinesfalls öffnen will. Aber ich habe auch Angst vor Verletzungen. Das geht soweit, dass ich auch nicht gern mit meinem Partner schlafe, weil ich mich dafür körperlich und seelisch öffnen muss. Wenn andere sagen, es macht ihnen Spaß, kann ich nur sagen: Für mich ist das purer Stress.
Ich habe durchaus regelmäßig körperliche Bedürfnisse, aber dann schaffe ich lieber allein Abhilfe. Da ist dann keiner, dem ich mich offenbaren muss.
Und ich gebe zu, dass ich mir nicht mal sicher bin, ob ich wirklich will, dass sich das ändert. Es ist doch so sicher hier in meiner Rüstung. Keiner kann mir was anhaben auf diese Weise. Aber es ist auch sehr einsam.
Schreibt mir doch einfach mal Eure Gedanken dazu. Danke.

.

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Nozi
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Beitrag Di., 06.09.2011, 22:12

mein erster gedanke zu deiner geschichte: du MUSST dran arbeiten und das aufarbeiten, für dein kind!
mutter-tochter-beziehungen sind schon ohne soviele baustellen oft seeehr komisch und deine tochter braucht unbedingt eine psychisch stabile mutter. jetzt und später!
ich glaub, meine mutter beherbergt ähnliche dunkle geheimnisse in sich und ich würd was drum geben, wenn sie jemals zu sich selbst gefunden hätte ... hätte MIR viel erspart!
alles gute!
lg
nozi


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Beitrag Mi., 07.09.2011, 04:57

Ja, das haben wir heute gemacht, wobei es erst mal schwierig war, da sie erst mal zu allem "nein" gesagt hat (also Hose, Kleid oder Rock). Es geht ihr vermutlich gar nicht um die Klamotten, sondern darum, anti-alles zu sein. Aber das ist wohl so in dem Alter.
Klar,die testet ihre Grenzen aus - und find ich auch normal in ihrem Alter.
Wenn sie "gegen alles" ist klamottentechnisch,würd ich ganz ruhig sagen "Gut,läufste heut halt nackig rum - aber raus darfst du dann eben nicht so" (siehe Veto-Recht )

Ansonsten seh ichs so wie Nozi:
Je eher du das aufarbeitest,was dich selber angeht und deine Vergangenheit,desto besser für dich selber und deine Kleine/deine Familie.

Wobei ich es eher nachrangig finde,welche Erlebnisse zum inneren Chaos geführt haben.
Ich finds wichtiger,bei den entstandenen Gefühlen anzusetzen,die einem dann das Leben schwermachen.
Die kann man dann schon mit der Zeit an bestimmten Erlebnissen festmachen,aber zu den seelischen Verletzungen führt ja meist eher so ein Zusammenspiel von "greifbaren" Erlebnissen und "unterschwelligen" Botschaften der Überforderung/Ablehnung an einen etc.

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Nozi
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Beitrag Mi., 07.09.2011, 08:29

und wegen deinem "bockigen" mädl: eine freundin von mir hatte ähnliche troubles mit ihrem sohn, die haben damals eine art belohnungsheft mit bunten stickern für jedes mal brav sein und machen, was die mama sagt, eingeführt. und zb bei 5 pickerln gab´s dann etwas, was er sehr gerne mochte, eine überraschung oder ein kleines geschenk. ich weiß nicht, ob deine das schon versteht, man kann das ja sehr individuell gestalten, jedenfalls ist positive verstärkung und lernen durch erfolg immer besser als rumschreien und verbieten !
lg
nozi

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Beitrag Mi., 07.09.2011, 10:54

@Nozi:
Ja, da hast Du wohl recht. Belohnung ist sicher eine bessere Idee als Bestrafung.
Ich hatte ihr das auch schon angedroht, sie nackt in den Kindergarten zu bringen oder hab sie im T-Shirt und Strumpfhose in den Hausflur gestellt und gesagt, dass sie jetzt so fahren muss. Natürlich gab es da auch großes Geschrei, denn das wollte sie auch nicht.

Zum anderen Thema: Ich bin heute schon wesentlich stabiler als früher. Da war ich schon fast manisch-depressiv und bin bei jeder Kleinigkeit ausgeflippt oder mir war alles egal. Heute bin ich sehr viel entspannter und ausgeglichener, aber noch immer nicht so sehr, wie ein Kind es bräuchte. Ich merke meiner Tochter öfter an, dass sie völlig überrascht ist von meinen Reaktionen. Und ich sehe mir dann selbst quasi zu und frage mich immerzu, warum ich mich so verhalte. Aber ich kann mir auch nicht auf die Zunge beißen in diesen Momenten, weil ich sonst platze. Ich frage mich: Ist das jetzt wirklich so schlimm und ist es entscheidend? Die vernünftige Antwort lautet in der Regel "Nein", aber irgendwas in mir schreit ganz laut: "Doch!" Und das setzt sich dann zu 98 % durch. Mich nervt diese Pingeligkeit und dieses Perfektionsstreben selbst auch, aber da komme ich irgendwie einfach nicht aus meiner Haut.

@Waldschratin:
Ich muss sagen, dass es mir oft geholfen hat, die Ursache für die Dinge zu finden. In dem Moment, wo ich es verstanden habe, hat sich der Knoten gelöst und die Sache war erledigt. Ich hatte damals eine tiefenpsychologisch fundierte Therapie gemacht, was mir auch ziemlich gut geholfen hat. Aber irgendwann kam ich an den Punkt, wo ich einfach nicht mehr tiefer wühlen konnte, weil meine Erinnerung es nicht mehr hergab. Wahrscheinlich hast Du recht damit. Ich sollte wohl lieber im Hier und Jetzt an den aktuellen Punkten ansetzen und vielleicht nochmal so eine Art Verhaltenstherapie anstreben. Denn allein komme ich da nicht wirklich voran, obwohl die Einsichten und Erkenntnisse ja da sind bei mir.

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Galinka
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Beitrag Mi., 07.09.2011, 11:25

Tut mir leid aber ich halte deine Therapeutin für ungeeignet....
Du wärst halt einfach temperamentvoll?!?!

Das liegt doch eindeutig in deiner Kindheit und Waldschratin sagt das ganz richtig, das muss aufgelöst werden. Such dir da bitte einen anderen Therapeuten.
Das du dich in einem solchen Moment gar nicht wiedererkennst deutet ja allein schon auf einen regressiven Moment hin, du wirst getriggert und es fängt ein Programm zu laufen an. Dafür hast du dich ganz toll unter Kontrolle aber es geht ja nicht nur darum sondern das du gar nicht mehr so aus der Haut fährst.

Ich würde ganz schnell den Therapeuten wechseln!

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