Narben erklären

Körperliche und seelische Gewalt ebenso wie die verschiedenen Formen von Gewalt (wie etwa der Gewalt gegen sich selbst (SvV) oder Missbrauchserfahrungen) sind in diesem Forumsbereich das Thema.
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Ysp.
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Beitrag So., 16.07.2017, 00:52

Liebe Alyssa,

genau das, was Du in so kurzen Worten so treffend beschreibst:
Bei mir scheints immer so zu sein, dass ich kein SVV betreibe (oder nur äusserst gering) wenn ich komplett und durchgängig auf Drogen bin. Wenn ich frei von Drogen bin, fängt die SVV-Sch****e wieder an.
kenne ich nur zu gut von mir selbst (bzw. habe es in meinen Beitragen auch versucht anklingen zu lassen).
Es kommt mir manchmal so vor, als ob ich ohne irgendein SV-Verhalten niemals glücklich werden könnte. Dies ist natürlich überspitzt formuliert (und „nüchtern“ betrachtet absoluter Bullsh*t), aber in den kurzen Phasen meines adulten Lebens, wo ich wirklich frei von jeglichem SSV war und dies eigentlich hätte genießen sollen, tat sich in meinem Unterbewusstsein irgendwie immer eine Art "schwarzes Loch" auf, das dieses Glück einzusaugen/zu vernichten schien. Zeitgleich offerierte mir mein Unterbewusstsein es doch nur noch einmal mit diesem oder jenem SSV zu versuchen. Diese vergifteten Lockrufe wurden immer lauter, je länger ich komplett wiederstand...
(Es ist wie das sprichwörtliche Teufelchen auf Deiner Schulter, das dem Engelchen erst eins "überzieht" und Dich dann überzeugt...). Bis jetzt bin ich diesen Lockrufen immer erlegen - lange Zeit sogar ohne es anfangs überhaupt wahrzunehmen.
In den letzten Jahren kamen neben "herkömmlichem" SVV und Substanzmissbrauch auch noch andere riskante Lebensweisen hinzu (die ich hier aber nicht bereit bin näher zu erläutern). Irgendwann saß ich dann an einem Sonntagmorgen zuhause und habe zum ersten Mal komplett bewusst angefangen mir vor Augen zu halten, dass diese Dinge mein Leben langfristig zerstören werden (auch wenn ich diesen Wechsel Substanzmissbrauch - SVV schon wesentlich eher erkannt habe und natürlich auch die negativen Konsequenzen etc.). Vielleicht, ist in jenem Moment aber zum ersten Mal der Leidensdruck so groß geworden, dass ich seitdem immer wieder zum Nachdenken gezwungen zu schein bin. Dies ist auch der Grund, warum ich mich nun aktiv an dieses Forum gewandt habe und nicht wie zuvor alle (wenigen) Hilfsangebote kleingeredet und abgelehnt habe...

Zusätzliches Mitteilungsbedürfnis meinerseits:
Zudem fing die eigentliche SVV auch bei mir schon im frühen Jugendalter an - ich würde 13 Jahre festlegen. Aber ich kann mich an 2-3 Situationen erinnern, in denen ich bereits zuvor massives Verhalten an den Tag legte.
Erwähnenswert ist dabei wohl der Vorfall, bei dem ich mich mit 8 oder 9 Jahren versuchte hatte, im Urlaub, nach einem Streit mit den Eltern, mich selbst mit dem Luftpumpenschlauch zu erwürgen (was natürlich nicht klappte...). Auch wenn es lange her ist, werde ich immer wieder daran erinnert, da ich es in keinster Weise ertragen kann (teilweise panisch/aggressiv werde), wenn mich irgendjemand vorne an meinem Hals berührt (auch wenn ich einige Zeit brauchte, um den Zusammenhang herzustellen). Selbst nach 13 Jahren Beziehung zu meinem Partner (dem ich irgendwann davon erzählte) ist dies, vor allem in unerwarteten Situationen, immer noch ein fast vollständiges No-Go. Gleichzeitig habe ich bei Gothic-Outfits (inzwischen fast nur noch auf Festivals begrenzt) ein riesigen Faible für Halsbänder (sogar 6-7 cm breit und aus Stahl). Aber das ist vielleicht ja Selbstschutz... kann ja dann niemand anderes mehr direkt anfassen.
Wie gesagt, ich nutzte diesen Austausch um mir selbst noch bewusster zu werden, denn an einer Therapie wird wohl kein Weg vorbeiführen (die Hoffnung auf Selbstheilung fange ich gerade mit Ü30 an zu beerdigen). Auch werde ich dann meine Vermutung ansprechen, dass es Dysthymie sein könnte. Da mein Verhalten (nach meiner "kompetenten Selbstanalyse") zu allen "gängigen" psychischen Leiden zwar Parallelen aufweist, aber niemals so stark/extrem war...

Danke fürs Durchlesen und beste Grüße,
Ysp.
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Ysp.
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Beitrag So., 16.07.2017, 01:14

Lieber Chakotay,

tut mir leid, dass ich nicht explizit auf Deinen Beitrag eingehe. Meine Altersangabe ist auch korrekt, daher bin ich noch ein bisschen "zu jung" um Deine spezifischen Fragen beantworten zu können - bzw. habe immer noch die Hoffnung, dann frei von jeglichem SVV zu sein ::? Evtl. helfen Dir ja trotzdem auch meine Beiträge über Gefühle/Kämpfe/schleichende Rückschläge.

Und nun eine, entschuldige bitte, totale Off-topic Frage:
Bezieht sich Dein User-Name "Chakotay" auf Star Trek Voyager? Falls ja: :thumbsup: :-D

Beste Grüße,
Ysp.
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Widow
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Beitrag So., 16.07.2017, 02:43

Chakotay hat geschrieben: Mi., 12.07.2017, 07:10 ... nur kurz:
Gerade lange diesen Faden gelesen. Mich in vielen Beschreibungen wiedererkannt und habe gerade das Gefühl, damit nicht völlig alleine zu sein. Und - falls eure Altersangaben stimmen - zu lesen, dass es auch jenseits der Lebensmitte zu SVV kommen kann, denn das ist ein zusätzlicher Punkt, für den ich mich in diesem Zusammenhang unendlich schäme..

Danke euch.
Warum schämen wir uns so unendlich dafür (Du, Chakotay, bist über 50, ich werde in ein paar Wochen 50)?
Weil diese Gesellschaft Selbstverletzung für ein infantiles, bestenfalls adoleszentes Verhalten "erklärt" hat. Und damit ist das für diese Gesellschaft auch im Kasten. Allenfalls, wer älter sei und "Borderline" habe, darf in diesem Kasten noch Unterschlupf finden.

Ich habe mir zum ersten Mal in meinen Oberschenkel geschnitten, nachdem mein Mann {und ich, denn wer sich in so einer Situation zufällig liebt, ist dann ein Paar} eine Krebsdiagose, die OP und (einer massiven Komplikation namens Sepsis geschuldet) vier weitere OPs über sich ergehen lassen musste/n und das alles irgendwie überlebt hat/haben und wieder zu Hause war/en in all diesem Irgendwie ... Da habe ich mir irgendwann auf dem Clo hockend den Oberschenkel aufgeschnitten. Ich war knapp 43.
Das Schneiden ging weiter, all die Krebsmonate hindurch. Und viele Jahre nach dem Tod auch.
Vor einem guten halben Jahr hat sich all das für mich in einer ganz anderen Form nochmal wiederholt: Wieder: Todeskrankheit. Wieder warten auf OP. Wieder ... - Und gleichzeitig war alles vollkommen anders.
Ich lag im Januar bekleidet in meiner warmwassserbefüllten Badewanne (in der liege ich eigentlich nie, weil ich Baden nicht mag) und suchte mit einem Cutter beidseits nach meiner Aorta radialis. - Das war Schwachsinn (hätt ich mal ein Anatomiebuch konsultiert!), und die Narben sind schrecklich.
Ich war da 49.

Ich erinnere mich an viele Situationen, in denen viele Narben auf mir durch mein Schneiden entstanden sind. Wenn ich anfange, mich für meine Narben zu schämen (was ich tu), dann denke ich an diese Situationen und frage mich, wie irgendeiner von denen, die vielleicht verständnislos auf meine Narben starren, in so einer Situation reagiert hätte oder reagieren würde.

Herzliche Grüße
Widow

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Ysp.
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Beitrag So., 16.07.2017, 03:43

Hallo Widow,

ich habe zwar Deine anderen Beiträge in diesem Forum nicht gelesen... ... aber über diesen Beitrag kann ich nur sagen, dass er so ehrlich ist, dass ich wirklich kurz innehalten und Schlucken mußte. Respekt dafür!

Ich selbst muss gestehen, dass mir eigentliches SVV beim "Niedergang" (bei gleichzeitiger Pilon-tibial-Fraktur meinerseits mit einhergehender physicsher Eingeschränktheit) und letztendlichem Tod meines Vaters (2013) nie wirklich "gereizt" hatte. Es gab zwar 4-5 Situationen (sich selbst schlagen oder den Kopf gegen die Wand donnern), aber insgesamt habe ich mich in dieser Situation für Substanzmissbrauch und Alkohol entschieden (alleine schon um Alpträume zu bekämpfen)...
Jedenfalls kann ich dennoch in gewisser Weise nachvollziehen, warum Du dieses Verhalten gewählt hast. Sei es um Druck abzubauen, Schmerz rauszulassen, sich selbst mal wieder zu spüren (da man sein Leben komplett seinem Partner widmet), Frustration & Wut abzubauen, absolute Hilflosigkeit zu kanalisieren oder auch um seiner eigenen Sprachlosigkeit ein Ventil zu geben.
Ich hoffe auch, dass Du Dich seit Januar auch wieder etwas "gefangen" hast und wieder einen Strohhalm ergreifen konntest, der Dir auch wieder die lebenswerten & positiven Seiten Deines Lebens aufzeigen konnte & kann.

Trotzdem stimme ich mir Deinen beiden Aussagen nur teilweise überein:
Widow
Weil diese Gesellschaft Selbstverletzung für ein infantiles, bestenfalls adoleszentes Verhalten "erklärt" hat. Und damit ist das für diese Gesellschaft auch im Kasten. Allenfalls, wer älter sei und "Borderline" habe, darf in diesem Kasten noch Unterschlupf finden.
Wenn ich anfange, mich für meine Narben zu schämen (was ich tu), dann denke ich an diese Situationen und frage mich, wie irgendeiner von denen, die vielleicht verständnislos auf meine Narben starren, in so einer Situation reagiert hätte oder reagieren würde.
Leider kann ich (und evtl. auch viele andere) nicht einen so "verständnis-erzeugenden" Grund nennen. Eigentlich kann ich z.B. überhaupt keinen erklärenden Grund nennen, der dies Verhalten ursprünglich hervorrief (natürlich war es dann später eine Ursache-Wirkungs-Spirale).
Und natürlich sollte die "Gesellschaft" nicht so engstirnig sein. Trotzdem verhält sich leider ein gewisser Teil genauso - welcher auch jedes andere psychische Leiden" nur als Charakterschwäche" ansieht.
Aber ich sehe es auch nicht als meine Aufgabe an (weil es mich einfach zerstören würde) auch dem aufgeschlossenen Gesellschaftsteil über mein Leiden aufzuklären. Erstens sehe ich momentan (wie gesagt) meine SVV als meine "Privatsache" an, aber auch wenn ich dies überwinden würde, würden mich die ständigen Erklärungen höchstwahrscheinlich einfach nur ermüden. Denn Leute die es verstehen möchten, werden auch immer sehr viele Fragen stellen (ich bin da eigentlich genauso)...

Aber vielleicht sind da ja andere Betroffene ja schon weiter... Und ich wünsche Dir auch viel Stärke, Widow, falls Du diesen Weg gerade gehst - denn ich möchte in keinster Weise abstreiten, dass dieser offene/ehrliche Umgang mit SVV zu einem vermehrten Verständnis führt!
Von daher versteh‘ mich bitte nicht falsch, ich habe nur meine eigene, ehrliche (und wohl eher destruktive) Meinung zu diesem Thema mitgeteilt.

Beste Grüße,
Ysp.
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Chakotay
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Beitrag So., 16.07.2017, 06:25

Danke für die vielen Beiträge zum Thema Schämen.
Muss mich derzeit zusammenhalten und sortieren, melde mich ausführlich in den nächsten Tagen.
Aber das Danke wollte ich doch gerne schon mal loswerden.
Wenn ich mich niederwerfen würde,weinen u.erzählen,was wüßtest Du v. mir mehr als v. der Hölle,wenn jmd erzählt,sie ist fürchterlich.Darum sollten wir voreinander so ehrfürchtig,nachdenklich,liebend stehn wie vor dem Eingang zur Hölle.(Kafka,gekürzt)


Widow
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Beitrag Mo., 17.07.2017, 00:22

Liebe Ysp,

hm, ich sehe keine allzu großen Differenzen in unseren postings, sorry.
Ysp. hat geschrieben: So., 16.07.2017, 03:43 aber insgesamt habe ich mich in dieser Situation für Substanzmissbrauch und Alkohol entschieden (alleine schon um Alpträume zu bekämpfen)...
Substanzmissbrauch und Alkohol(missbrauch; "Alkohol" ist ja auch eine Droge/'Substanz' und, im Übermaß konsumiert, missbräuchlich angewendet) sind für mein Empfinden auch Arten von SVV.
Ysp. hat geschrieben: So., 16.07.2017, 03:43 Jedenfalls kann ich dennoch in gewisser Weise nachvollziehen, warum Du dieses Verhalten gewählt hast. Sei es um Druck abzubauen, Schmerz rauszulassen, sich selbst mal wieder zu spüren (da man sein Leben komplett seinem Partner widmet), Frustration & Wut abzubauen, absolute Hilflosigkeit zu kanalisieren oder auch um seiner eigenen Sprachlosigkeit ein Ventil zu geben.
Soweit ich weiß, ist irgendetwas davon (oder auch mehreres zusammengenommen) doch für jeden Menschen, der sich nicht anders zu helfen weiß als durch SVV, gültig - egal, ob man einen Krebs durchleben muss oder eine Depression oder Flashbacks oder, oder, oder (und es gibt ja leider viele Situationen, in denen Menschen sich nicht anders zu helfen wissen).

Du hast also die "Gründe" für dieses selbstschädigende Verhalten meiner Ansicht nach in diesem Satz weitgehend benannt. - Warum sagst Du, dass Du für Dich keinen "Grund" dafür angeben kannst?
(Übrigens gibt es ganz viele Menschen, die den Tod des Partners keineswegs für einen von Dir so genannten "verständnis-erzeugenden Grund" für SVV halten, sondern die so ein Tun nach einem Todesfall überhaupt nicht verstehen.)
Wir sind doch hier bei uns, die wir selbstverletztendes Verhalten begangen haben und/oder begehen. - Findest Du für Dich keinen der von Dir dafür benannten Gründe akzeptabel bzw. zutreffend?
Das täte mir sehr leid. Aber dann lass uns hier gemeinsam weitersuchen ...

Ich selbst bin übrigens noch nie von jemandem auf meine Narben angesprochen worden. (Doch ich habe schon oft befürchtet und fürchte weiterhin, irgendwann darauf angesprochen zu werden.)
Offenbar aber sehen viele Menschen nur das, was sie sehen wollen. Und viele von denen, die mehr sehen, trauen sich nicht, über ihre Wahrnehmung (und die daraus resultierenden Fragen) zu sprechen. (Ich würde es wohl auch nur unter bestimmten Umständen tun.)
Gleichwohl habe ich schon 'stumme' Blicke erlebt. - Und dieses Erleben macht mich immer ratlos und konfrontiert mich stets mit meiner Scham.

Was ich durch mein SVV gelernt habe: Das lässt kein menschlicher Körper freiwillig mit sich machen - dazu bedarf es eines menschlichen Geistes in äußerster Not.
Und: Es ist gut, dass der menschliche Geist kreativ ist und Wege findet. (Auch aus der Malträtierung des Körpers wieder heraus.)

Einen herzlichen Gruß
Widow

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Montag
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Beitrag Mo., 17.07.2017, 14:57

Hallo miteinander,

sorry, dass ich jetzt ohne Bezug zu nehmen auf die letzten Posts dazwischenwirble.

Hab mich ja jetzt für ein Ehrenamt in einem Altenheim beworben. Wie erklär ich da meine Narben, wenn ich drauf angesprochen werde? Wenn ich eine Bewohnerin tatsächlich zugeteilt bekomme, die Besuche von mir wünscht. Was mach ich, wenn sie mich auf die Narben anspricht?

Da zu sagen, ich will nicht drüber reden, kommt mir halt für die Situation sehr unpassend vor.
Herzliche Grüße Montag


Ich will! Ich kann! Ich schaff das!


Fighter1993
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Beiträge: 433

Beitrag Mo., 17.07.2017, 17:45

Hallo,
ich lese seit einiger Zeit "heimlich" als Gast mit, war früher hier auch schonmal registriert und habe mich nun neu angemeldet, da auch ich meine Erfahrungen mit SVV und Narben habe.
Das erste Mal geritzt habe ich im Herbst letzten Jahres, da war ich 23. Eigentlich hatte ich zu dem Zeitpunkt die schwierigsten Zeiten schon hinter mir, habe mich tapfer durch meine Vergangenheit gekämpft und war schon auf dem Weg, mir mein Leben zurückzuerobern (wie es meine Therapeutin so schön sagte). Eigentlich.
Auslöser bei mir waren ganz einfache Kontaktabbrüche mit "Freunden", Situationen in denen ich mich über mich selbst geärgert habe, dass ich diesen Menschen vertraut habe, dass sie so nah an mich ran konnten und ich mich mal wieder total getäuscht hatte. Also griff ich zur Klinge. Insgesagt 3 Mal, im November, Anfang Dezember und dann im Januar diesen Jahres nochmal. Das erste Mal waren es nur oberflächliche Kratzer, nix tragisches. Aber das war mir nicht genug. Also wurden die Schnitte tiefer, aber niemals so, dass sie vom Arzt versorgt werden mussten. Die frischen Wunden habe ich versucht nicht so offensichtlich zu zeigen, habe sie abgedeckt mit Pflaster oder Verband, da gabs einzelne Nachfragen was passiert ist, ich konnte es aber mit "Will ich nicht drüber reden" abwimmeln, konnte ja auch keiner mehr was zu sagen, weil man die Wunden ja nie gesehen hat. Als ich dann aber ohne Pflaster war, habe ich immer darauf geachtet langärmlig zu tragen, war ja auch kein Problem übern Winter. Allerdings habe ich die Angewohnheit, mir hin und wieder die Ärmel einfach hochzuschieben, weil ich langarm eigentlich gar nicht so sehr mag... tja und da sah es dann eine Arbeitskollegin. Meine Kollegen wussten eigentlich alle, dass ich in Therapie bin und so. Naja, diese Kollegin hats dann eben gesehen, guckte mich nur an und fragte was das ist. Aber es war eine Frage, auf die sie keine Antwort erwartete, weil sie genau wusste was es war. Wir haben dann gesprochen, es war ok und wurde nicht wieder angesprochen oder so. Dasselbe hatte ich im Fitnessstudio. Da fiel das Verstecken noch schwerer. Aber auch da hat einzig meine Trainerin was gesagt und mir deutlich gemacht, dass sie es nicht gut findet, aber keine große Szene draus gemacht hat.
Ansonsten wurde ich bisher nie direkt auf die Narben, die am linken Unterarm/Handgelenk sind angesprochen, eher beiläufig erwähnt. Für mich sind sie absolut "normal" geworden und alltäglich und vielleicht spiegel ich dies auch nach außen. Eine Freundin erzählte mir letztens nachdem ich von mir aus auf meine Narben zu sprechen kam, dass sie die sehr wohl wahrgenommen hat und sich auch denken konnte, wieso und woher sie kommen. Das war dann auch gut. Also ich habe so gesehen eher positive Erfahrungen mit den Reaktionen darauf gemacht - und ich bin tagtäglich im Kontakt mit Kindern und der Eltern, da hat bisher keine was gesagt oder geguckt oder sonst irgendwas.

Auch auf die Gefahr hin, dass der Beitrag jetzt etwas länger wird, schreibe ich dennoch weiter. Meine Anlässe waren wie oben geschrieben jedes Mal die Wut auf mich selbst und auch der innere Schmerz der Enttäuschung. Da ich den aber schon gar nicht mehr fühlen konnte, musste etwas her, womit ich ihn "sichtbar" machen konnte. Das war dann eben das Ritzen.
Ich bin wahrlich nicht stolz auf das was ich getan habe, aber ich schäme mich auch nicht dafür. Ich habs gemacht, da stehe ich dazu. Und vielleicht werde ich es irgendwann wieder machen, da stecke ich derzeit nicht drin. Aber aktuell bin ich an einem Punkt, an dem ich klar sagen kann, ich brauchs nicht (mehr). Ich schätze auch, dass ich zur Zeit auf Nachfragen ehrlich antworten würde, ich würde sagen, dass ich einfach etwas brauchte, um meinen inneren Schmerz für mich sichtbar und fühlbar zu machen.
Vielleicht hört es sich seltsam an, aber irgendwie "mag" ich mene Narben. Als ich mein Tattoo für den rechten Arm geplant habe, wurde mir von einigen geraten es doch über die Narben zu stechen (Motiv: eine Welle mit dem Wort free). Aber ich wollte nicht. Ich wollte meine Narben behalten. Sie sind ein Teil von mir, genauso wie der Missbrauch ein Teil von mir ist. Genauso wie viele andere positive wie negative Erfahrungen Teile von mir sind. Das bin ich, das macht mich aus.

Und ich hoffe, dass ihr euch, eure Narben und die dazugehörige Geschichte auch gut in euer Leben integrieren könnt, egal auf welche Art und Weise.
LG Fighter
Kämpferin Glückskind Wunderfinder

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Ysp.
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Beitrag Do., 26.10.2017, 11:47

Hallo zusammen,

ich hatte mich ja seit etwa 3 Monaten nicht mehr gemeldet, da ich dachte, dass ich die Überhand im Kampf (oder wenigstens einigen Schlachten) gegen mein inneres, "selbstzerstörerisches Ich" gewinne.
Nun möchte ich Euch jedoch einfach von einem SVV Vorfall (nach den 2-3 Jahren Abstinenz) berichten. Ich hoffe, dass es wirklich nur ein Vorfall ist und kein Rückfall.
Ich möchte auch kein Mitleid oder so. Ich habe nur irgendwie das Gefühl, dass es mir hilft es hier niederzuschreiben und evtl. können andere ja auch hilfreiche "Lehren" draus ziehen.

Nachdem in diesem Sommer mein selbstzerstörerisches Verhalten so dermaßen eskaliert ist (ohne äußere Konsequenzen) und ich merkte, dass ich schleunigst den Absprung schaffen sollte (weshalb ich mich auch in diesem Forum angemeldet habe), wurde im August eigentlich alles besser.
Ich habe meinen (knapp 4 Wochen) Sommerurlaub, inkl. Tiere, wie immer bei meinem Freund in Norddeutschland (auf dem Dorf) verbracht und war tatsächlich in der Lage meinen überbordenden Substanzkonsum ohne Komplikationen (psychisch/physisch) komplett einzustellen - bis letztes Wochenende. Auch habe ich mich von sonstigem destruktiven (selbstschädigen) Verhalten befreit. Einzig das Bier am Abend und die Zigaretten habe ich beibehalten. Ich muss sagen, dass ich mich wirklich gut fühlte - körperlich und seelisch - und diesen Zustand auch genossen habe.
Nach meinem Urlaub hat sich natürlich (wie schon seit mehreren Jahren) unsere Fernbeziehung fortgesetzt. Normalerweise verfiel ich dann immer in ein kleines Tief, wegen der distanziellen Trennung. Aber dieses Jahr, war ich so positiv gestellt, dass ich auch darüber ohne "Schäden" hinwegkam.

Aber... in diesem Zeitraum haben sich die Lebensumstände meines Partners geändert. Nachdem er sein über den zweiten Bildungsweg (Berufserfahrung und nicht Abitur) Ingenieursstudium beendet hatte war er über 1,5 Jahre auf Jobsuche (am Anfang kam es ihm ganz gelegen, da er sich wegen seinen Panikattacken behandeln lassen hat). Dann wurde er zwar zu dutzenden Bewerbungsgesprächen eingeladen und war sehr oft der glänzende Zweite (was überhaupt nichts bringt, wenn es nur eine Job zu vergeben gibt) aber fand wie gesagt keine Anstellung.
Meine (sich eingebürgerte Rolle) war es also in den letzten Jahren, in während seines Studiums mental und auch durch kleine finanzielle Zuwendungen zu unterstützen (welches ich beides von ihm nur äußerst spärlich bekam, als er gut verdiente und ich studierte - und welches ihm inzwischen selbst bewusst wurde und leid tut), sowie ihm bei seinen Panikattacken und Hypochondrie zur Seite zu stehen. Ich muss dazu sagen, dass ich zu nichts gezwungen wurde, oder eine mentale Abhängigkeit herrscht - er hat auch sehr viele gute Seiten.
Jedenfalls habe ich ihm seinen Lebenslauf geschrieben (oder zu 90% überarbeitet) als er einen Platz für seine Abschlussarbeit und dann >1,5 Jahren lang eine Stelle suchte. Zudem stand ich ihm immer zur Seite und habe ihn aufgebaut bei all den Absagen, im Gegensatz fühlte er sich natürlich (unbewusst) mir gegenüber schuldig. Kurz gesagt, diese Situation hat ein enormes Ungleichgewicht in unserer Partnerschaft hervorgerufen, in dem ich in den letzten Jahren zum dominanten/tonangebenden Part wurde.
Dann bekam er, noch während meines Sommerurlaubs, in einer Woche gleich 3 Angebote (genau das was ich prognostiziert habe), inzwischen sind es sogar 6, und er konnte sich das Beste aussuchen (bzw. könnte immer noch). Ich habe mich tierisch für ihn gefreut und freue mich immer noch.
Jedoch führte das (bzw. seine Arbeitsaufnahme) zu einer (von uns beiden höchstwahrscheinlich unbemerkten) Neujustierung unserer Beziehung.

Und da liegt die Crux: seitdem er seine Panikattacken weitgehend im Griff hat, einen guten Job gefunden hat und wieder finanziell unabhängig ist, ist sein Selbstbewusstsein/Selbstwertgefühl wieder massive gestiegen/zurück. (Insgesamt freue ich mich ja auch total und ich gönne es ihm, weil es mich auch belastet hat ihn so defensiv zu sehen).
Leider ist er daraufhin sofort in seine alten (und schon überwundenen geglaubten) Verhaltensmuster gefallen: "ich komme gerade von der Arbeit, ich bin müde, deine Probleme/Erlebnisse überfordern mich - laber nicht so viel, ich hab den Kopf vom Job voll". Für eine Fernbeziehung in der man unter der Woche (oder 2 Wochen) täglich nur ca. 1 Stunde kumulierten Kontakt hat, ist das natürlich blöd. Ich muss sagen, dass ich dieses Telefonieren auch manchmal verfluche (zudem weil ich auch noch meine alleinlebende Ü 70 Mutter anrufe, die dann einen 30 minütigen Monolog hält). Es ist halt etwas anders wenn man seine Partner den ganzen Abend über sieht und über den ganzen Abend kommuniziert, oder wenn man alles geballt in ein Telefonat packt.
Jedenfalls fiel mir diesmal relativ schnell auf, dass er wieder in diese alte Muster verfällt (seine Probleme sind wichtig, ich laber oder unterbreche ihn nur). Nach 2 Wochen "Schonfrist" habe ich dies auch direkt angesprochen. Ich erwarte auch keine/n Dankbarkeit/Kniefall für mein vorheriges Tun, aber eine gewisse Wertschätzung - immerhin habe ich ja auch in der gesamten Zeit zuvor gearbeitet: Damals hatte er kein Problem mich um 23:30 anzurufen um noch mit mir etwas zu besprechen, nun musste ich mir anhören das 21:30 super spät ist, er keine Zeit mehr hätte, da er ja morgen arbeiten muss (ich musste und muss immer noch eher aufstehen als er).
Das Ende vom Lied waren 3 aufeinanderfolgende, heftig, telefonische Auseinandersetzungen. Zwar haben wir uns immer wieder jeweils kurz danach versöhnt und dann auch ruhig unsere Standpunkte dargelegt und diskutiert (dies scheint mir eine elementare Voraussetzung für eine Fernbeziehung zu sein) und auch Kompromisse gefunden/gegenseitige Einsicht & Verständnis erlangt. Und seit diesen Eskalationen Mitte September läuft es auch wieder gut...

...aber irgendetwas hat mich innerlich bei diesen Auseinandersetzungen aus der Bahn geworfen, obwohl doch sich doch gerade alles so positiv entwickelt hatte und dies definitiv nicht unser erster (oder heftigster) Streit war. Jedenfalls spürte ich auf einmal wieder einen Drang nach SSV und nach dem 3. Streit, obwohl wir uns auch schon wieder versöhnt hatten übermannte mich 2 Tage später der Drang:
Ein 1 cm langer Rasierklingenschitt, (dämlicherweise) auf der linken Oberarm-Innenseite, genau parallel, oberhalb zu 3 weiteren 1 cm langen (also kurzen aber tiefen) Schnitten von 2010.
Das einzig positiv, was ich diesem Vorfall abgewinnen kann, ist, dass meine Theorie stimmt, dass man nach längerer SVV-Abstinenz, wohl wirklich eine gewisse natürliche, körperliche Hemmschwelle ausbildet. Ich war nicht in der Lage so tief zu schneiden, wie ich es eigentlich wollte und habe auch nicht vollkommen diesen handlungstypischen "Trance"-Zustand erreicht.
Die Reue war natürlich am nächsten Tag auch sofort da + die Dämlichkeit diese Stelle und Verletzungsart gewählt zu haben.

Danach habe ich keine weitere, direkte körperliches SSV ausgeübt, außer dem Substanzmissbrauch letztes Wochenende, der aber auch bewusst/geplant geschah.

Jedenfalls hat diese gesamte Aktion mal wieder meine Verdacht bestärkt, dass mein inneres, "selbstzerstörerisches Ich" immer dazwischen funkt, sobald ich mich von (den meisten) selbstschädigenden Verhaltensweisen zu befreien versuche.
Positiv ist vielleicht, dass ich diesmal dies sehr früh gemerkt habe und auch selbstreflektiere/analysiere. Wie heißt es so schön "Einsicht ist der erste Schritt zur Besserung" ::?
Ich bin mir nicht sicher (und will auch nicht zu viel in mein Verhalten hineininterpretieren), aber während ich diesen romanartigen Text schreibe, ist mir glaube ich sogar klar geworden, warum ich diese Stelle gewählt habe (wo ich doch sonst wesentlich verdecktere Stellen bevorzugt hatte). Die 3 anderen Narben aus 2010 entstanden, als ich für meinen neuen Job in eine fremde Stadt gezogen bin, und mich mein Freund damals ziemlich emotional hängen ließ. Evtl. habe ich das Gefühl von damals auf die damals gewählte Körperregion nun übertragen ??? Fakt ist jedoch, dass es passiert ist.

Meine letzte Anmerkung: nein, wir brauchen keine Paartherapie, mein Partner kommt in diesem Post zwar ziemlich schlecht weg (weil es ja auch um Probleme geht), aber insgesamt ist er eine liebenswürdige, hilfsbereite, offene und kommunikativ Persönlichkeit mit einem großen Familiensinn (denn ich z.B. überhaupt nicht habe/hatte und von ihm erst gelernt habe/noch lerne) und Gerechtigkeitsbedürfnis.
Auch empfinde ich persönlich unsere Streitkultur als "gesund": intensiv, laut, aufbrausend, emotional mit anschließender, beidseitiger Versöhnung (ganz anders als mein Ex, der hat nie offensiv gestritten, sonders alles still aufgenommen/akzeptiert/geschwiegen/war ausweichend, was mich noch mehr zur Weißglut trieb). Und letztlich bin ich ja auch nicht der einfachste Charakter (sonst würde ich mich hier ja auch nicht rumtreiben), mit einigen großen Macken.

Danke fürs zuhören/durchlesen – es tut gut dies mitzuteilen.
Ich wünsche Euch allen weiterhin viel Kraft und hoffe, dass ich diese auch schnell wieder finde, so dass es bei einem Vorfall bleibt :)

Beste Grüße,
Ysp.
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Beitrag Do., 02.11.2017, 21:26

Hallo zusammen,

kurzes Update:
Habe meinen Partner inzwischen auch von dem Vorfall erzählt, inkl. der Umstände. Habe dabei aber wieder mal festgestellt, wie gut man doch darin sein kann (frische) Narben zu verstecken, wenn man sie nicht zeigen möchte.
Substanzmissbrauch habe ich auch momentan wieder eingestellt (auch weil mein Job dies vorraussetzte)...
Geht mir momentan ganz gut - hoffe, dass ich dies weiterhin so positiv leben kann.

Beste Grüße,
Ysp.
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