Hallo zusammen,
ich hatte mich ja seit etwa 3 Monaten nicht mehr gemeldet, da ich dachte, dass ich die Überhand im Kampf (oder wenigstens einigen Schlachten) gegen mein inneres, "selbstzerstörerisches Ich" gewinne.
Nun möchte ich Euch jedoch einfach von einem SVV Vorfall (nach den 2-3 Jahren Abstinenz) berichten. Ich hoffe, dass es wirklich nur ein Vorfall ist und kein Rückfall.
Ich möchte auch kein Mitleid oder so. Ich habe nur irgendwie das Gefühl, dass es mir hilft es hier niederzuschreiben und evtl. können andere ja auch hilfreiche "Lehren" draus ziehen.
Nachdem in diesem Sommer mein selbstzerstörerisches Verhalten so dermaßen eskaliert ist (ohne äußere Konsequenzen) und ich merkte, dass ich schleunigst den Absprung schaffen sollte (weshalb ich mich auch in diesem Forum angemeldet habe), wurde im August eigentlich alles besser.
Ich habe meinen (knapp 4 Wochen) Sommerurlaub, inkl. Tiere, wie immer bei meinem Freund in Norddeutschland (auf dem Dorf) verbracht und war tatsächlich in der Lage meinen überbordenden Substanzkonsum ohne Komplikationen (psychisch/physisch) komplett einzustellen - bis letztes Wochenende. Auch habe ich mich von sonstigem destruktiven (selbstschädigen) Verhalten befreit. Einzig das Bier am Abend und die Zigaretten habe ich beibehalten. Ich muss sagen, dass ich mich wirklich gut fühlte - körperlich und seelisch - und diesen Zustand auch genossen habe.
Nach meinem Urlaub hat sich natürlich (wie schon seit mehreren Jahren) unsere Fernbeziehung fortgesetzt. Normalerweise verfiel ich dann immer in ein kleines Tief, wegen der distanziellen Trennung. Aber dieses Jahr, war ich so positiv gestellt, dass ich auch darüber ohne "Schäden" hinwegkam.
Aber... in diesem Zeitraum haben sich die Lebensumstände meines Partners geändert. Nachdem er sein über den zweiten Bildungsweg (Berufserfahrung und nicht Abitur) Ingenieursstudium beendet hatte war er über 1,5 Jahre auf Jobsuche (am Anfang kam es ihm ganz gelegen, da er sich wegen seinen Panikattacken behandeln lassen hat). Dann wurde er zwar zu dutzenden Bewerbungsgesprächen eingeladen und war sehr oft der glänzende Zweite (was überhaupt nichts bringt, wenn es nur eine Job zu vergeben gibt) aber fand wie gesagt keine Anstellung.
Meine (sich eingebürgerte Rolle) war es also in den letzten Jahren, in während seines Studiums mental und auch durch kleine finanzielle Zuwendungen zu unterstützen (welches ich beides von ihm nur äußerst spärlich bekam, als er gut verdiente und ich studierte - und welches ihm inzwischen selbst bewusst wurde und leid tut), sowie ihm bei seinen Panikattacken und Hypochondrie zur Seite zu stehen. Ich muss dazu sagen, dass ich zu nichts gezwungen wurde, oder eine mentale Abhängigkeit herrscht - er hat auch sehr viele gute Seiten.
Jedenfalls habe ich ihm seinen Lebenslauf geschrieben (oder zu 90% überarbeitet) als er einen Platz für seine Abschlussarbeit und dann >1,5 Jahren lang eine Stelle suchte. Zudem stand ich ihm immer zur Seite und habe ihn aufgebaut bei all den Absagen, im Gegensatz fühlte er sich natürlich (unbewusst) mir gegenüber schuldig. Kurz gesagt, diese Situation hat ein enormes Ungleichgewicht in unserer Partnerschaft hervorgerufen, in dem ich in den letzten Jahren zum dominanten/tonangebenden Part wurde.
Dann bekam er, noch während meines Sommerurlaubs, in einer Woche gleich 3 Angebote (genau das was ich prognostiziert habe), inzwischen sind es sogar 6, und er konnte sich das Beste aussuchen (bzw. könnte immer noch). Ich habe mich tierisch für ihn gefreut und freue mich immer noch.
Jedoch führte das (bzw. seine Arbeitsaufnahme) zu einer (von uns beiden höchstwahrscheinlich unbemerkten) Neujustierung unserer Beziehung.
Und da liegt die Crux: seitdem er seine Panikattacken weitgehend im Griff hat, einen guten Job gefunden hat und wieder finanziell unabhängig ist, ist sein Selbstbewusstsein/Selbstwertgefühl wieder massive gestiegen/zurück. (Insgesamt freue ich mich ja auch total und ich gönne es ihm, weil es mich auch belastet hat ihn so defensiv zu sehen).
Leider ist er daraufhin sofort in seine alten (und schon überwundenen geglaubten) Verhaltensmuster gefallen: "ich komme gerade von der Arbeit, ich bin müde, deine Probleme/Erlebnisse überfordern mich - laber nicht so viel, ich hab den Kopf vom Job voll". Für eine Fernbeziehung in der man unter der Woche (oder 2 Wochen) täglich nur ca. 1 Stunde kumulierten Kontakt hat, ist das natürlich blöd. Ich muss sagen, dass ich dieses Telefonieren auch manchmal verfluche (zudem weil ich auch noch meine alleinlebende Ü 70 Mutter anrufe, die dann einen 30 minütigen Monolog hält). Es ist halt etwas anders wenn man seine Partner den ganzen Abend über sieht und über den ganzen Abend kommuniziert, oder wenn man alles geballt in ein Telefonat packt.
Jedenfalls fiel mir diesmal relativ schnell auf, dass er wieder in diese alte Muster verfällt (seine Probleme sind wichtig, ich laber oder unterbreche ihn nur). Nach 2 Wochen "Schonfrist" habe ich dies auch direkt angesprochen. Ich erwarte auch keine/n Dankbarkeit/Kniefall für mein vorheriges Tun, aber eine gewisse Wertschätzung - immerhin habe ich ja auch in der gesamten Zeit zuvor gearbeitet: Damals hatte er kein Problem mich um 23:30 anzurufen um noch mit mir etwas zu besprechen, nun musste ich mir anhören das 21:30 super spät ist, er keine Zeit mehr hätte, da er ja morgen arbeiten muss (ich musste und muss immer noch eher aufstehen als er).
Das Ende vom Lied waren 3 aufeinanderfolgende, heftig, telefonische Auseinandersetzungen. Zwar haben wir uns immer wieder jeweils kurz danach versöhnt und dann auch ruhig unsere Standpunkte dargelegt und diskutiert (dies scheint mir eine elementare Voraussetzung für eine Fernbeziehung zu sein) und auch Kompromisse gefunden/gegenseitige Einsicht & Verständnis erlangt. Und seit diesen Eskalationen Mitte September läuft es auch wieder gut...
...aber irgendetwas hat mich innerlich bei diesen Auseinandersetzungen aus der Bahn geworfen, obwohl doch sich doch gerade alles so positiv entwickelt hatte und dies definitiv nicht unser erster (oder heftigster) Streit war. Jedenfalls spürte ich auf einmal wieder einen Drang nach SSV und nach dem 3. Streit, obwohl wir uns auch schon wieder versöhnt hatten übermannte mich 2 Tage später der Drang:
Ein 1 cm langer Rasierklingenschitt, (dämlicherweise) auf der linken Oberarm-Innenseite, genau parallel, oberhalb zu 3 weiteren 1 cm langen (also kurzen aber tiefen) Schnitten von 2010.
Das einzig positiv, was ich diesem Vorfall abgewinnen kann, ist, dass meine Theorie stimmt, dass man nach längerer SVV-Abstinenz, wohl wirklich eine gewisse natürliche, körperliche Hemmschwelle ausbildet. Ich war nicht in der Lage so tief zu schneiden, wie ich es eigentlich wollte und habe auch nicht vollkommen diesen handlungstypischen "Trance"-Zustand erreicht.
Die Reue war natürlich am nächsten Tag auch sofort da + die Dämlichkeit diese Stelle und Verletzungsart gewählt zu haben.
Danach habe ich keine weitere, direkte körperliches SSV ausgeübt, außer dem Substanzmissbrauch letztes Wochenende, der aber auch bewusst/geplant geschah.
Jedenfalls hat diese gesamte Aktion mal wieder meine Verdacht bestärkt, dass mein inneres, "selbstzerstörerisches Ich" immer dazwischen funkt, sobald ich mich von (den meisten) selbstschädigenden Verhaltensweisen zu befreien versuche.
Positiv ist vielleicht, dass ich diesmal dies sehr früh gemerkt habe und auch selbstreflektiere/analysiere. Wie heißt es so schön "Einsicht ist der erste Schritt zur Besserung"
Ich bin mir nicht sicher (und will auch nicht zu viel in mein Verhalten hineininterpretieren), aber während ich diesen romanartigen Text schreibe, ist mir glaube ich sogar klar geworden, warum ich diese Stelle gewählt habe (wo ich doch sonst wesentlich verdecktere Stellen bevorzugt hatte). Die 3 anderen Narben aus 2010 entstanden, als ich für meinen neuen Job in eine fremde Stadt gezogen bin, und mich mein Freund damals ziemlich emotional hängen ließ. Evtl. habe ich das Gefühl von damals auf die damals gewählte Körperregion nun übertragen ??? Fakt ist jedoch, dass es passiert ist.
Meine letzte Anmerkung: nein, wir brauchen keine Paartherapie, mein Partner kommt in diesem Post zwar ziemlich schlecht weg (weil es ja auch um Probleme geht), aber insgesamt ist er eine liebenswürdige, hilfsbereite, offene und kommunikativ Persönlichkeit mit einem großen Familiensinn (denn ich z.B. überhaupt nicht habe/hatte und von ihm erst gelernt habe/noch lerne) und Gerechtigkeitsbedürfnis.
Auch empfinde ich persönlich unsere Streitkultur als "gesund": intensiv, laut, aufbrausend, emotional mit anschließender, beidseitiger Versöhnung (ganz anders als mein Ex, der hat nie offensiv gestritten, sonders alles still aufgenommen/akzeptiert/geschwiegen/war ausweichend, was mich noch mehr zur Weißglut trieb). Und letztlich bin ich ja auch nicht der einfachste Charakter (sonst würde ich mich hier ja auch nicht rumtreiben), mit einigen großen Macken.
Danke fürs zuhören/durchlesen – es tut gut dies mitzuteilen.
Ich wünsche Euch allen weiterhin viel Kraft und hoffe, dass ich diese auch schnell wieder finde, so dass es bei einem Vorfall bleibt
Beste Grüße,
Ysp.
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There's a hole in our soul that we fill with dope. And we're feelin' fine.
- Marilyn Manson -