RoboCat hat geschrieben: ↑Do., 27.04.2017, 16:00
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2017! Und noch immer schauen Menschen bei "so was" weg. Man könnte meinen, wir leben in Teilbereichen der Gesellschaft noch immer in der Steinzeit.
Was mich beschäftigt: Wie fühlen sich die Wegseher? Gibt es ein Empfinden von eigener Schuld? VOn Verantwortung? Von Ekel? Irgendwas?
Was mit bitterer Ironie geschrieben ist - das ist leider bittere Wahrheit: wir leben in Teilbereichen wirklich noch in der Steinzeit - in vorzivilisatorischen Verhältnissen, die von archaischen Mechanismen geprägt sind. Der hier maßgebliche, geradezu barbarische Atavismus ist das "Tabu", auf das man nicht genug hinweisen kann im Zusammenhang mit sexueller Gewalt.
Jeder, der das Tabu berührt, wird selbst tabu - zum Aussätzigen, Unberührbaren, Paria. Wegen der Tabuisierung sexueller Gewalt werden auch ihre Opfer tabuisiert - leiden unter völlig irrationalen, grundlosen Schuldgefühlen. Man kennt es von den vergewaltigten Frauen nur zu genüge - weil sie ihre Schuldgefühle, im Gegensatz zu Kindern, artikulieren können. Dem entspricht spiegelbildlich die Schuldprojektion durch die Täter, die ebenfalls unter der Wirkung des Tabus stehen.
Tabu wird man aber auch, wenn man über ein Tabu spricht, um so mehr, wenn man über einen Tabubruch spricht. Denn einen Bruch des Tabus darf es ja nach den archaisch-unerbittlichen Regeln des Tabus garnicht geben - deswegen zwingt das Tabu zur Verleugnung des Tabubruchs.
Und weil das Tabu der infantilen Sexualität, des Kindesmißbrauchs noch viel härter ist, als das allgemeine Tabu der Sexualität und der sexuellen Gewalt, ist auch das Tabu um so grausamer. Deswegen nimmt man sich den Opfern nur in "stiefmütterlicher" Weise an, "die Gesellschaft" und die Intelllektuellen, die sich rührend wie rasend den vergewaltigten Frauen in Indien und den diskriminierten Homosexuellen in Tschetschenien (wo liegt das überhaupt ?) annehmen, weil das so tröstlich weit weg ist, wollen nichts von uns wissen. Ein Land der K.i.n.d.e.r.f.i.c.k.e.r verliert halt die Legitimation zum Oberlehrer-spielen, und deswegen darf es bei uns keine sexuelle Gewalt gegen Kinder geben, ebensowenig, wie es Homosexualität im Iran geben darf - erinnert Ihr Euch an diese Lachnummer des damaligen iranischen Präsidenten ? Ich glaube heute, daß er nicht einmal gelogen hatte - er glaubte es wirklich und glaubt es wohl auch noch heute, daß es "soetwas" im Iran nicht gibt, genausowenig wie es sexuelle Gewalt gegen Kinder in der entwickelten demokratischen Gesellschaft gibt.
5-10% aller Kinder in Deutschland werden sexuell mißbraucht. Das ist eine fürchterliche Zahl, die sämtliche anderen Fälle sexueller Gewalt in den Staub von Bagatellen zusammensinken lässt, und der entwickelten demokratischen Gesellschaft, die sich unentwegt als Oberlehrer und Vorbild der ganzen Welt aufspielt, unbarmherzig den Spiegel vorhält: sie ist krank und verdorben bis ins Mark.
Und auch deswegen darf über diese Zahl und über uns Opfer nicht gesprochen werden, kann es keine Lobby für uns geben. Für uns wird sich niemals eine Alice Schwarzer als Racheengel aufspielen - weil es eben auch sehr viel Täterinnen sexueller Gewalt gegen Kinder gibt und das darf es ja auch nicht geben.
"Keine Gewalt gegen Mädchen!" - Erinnert Ihr Euch an diese Kampagne vor ein paar Jahren ? Die Gewalt der Frauen gegenüber den kleinen Jungs gibt es eben nicht für diese Leute ... aber alldieser Sexismus ist letztlich auch nur eine Marginalie.
"Die Gesellschaft" will uns nicht helfen - sie will uns beseitigen, auslöschen, anihilieren, vaporisieren. "Wer als Kind sexuell mißbraucht wurde, wird mit dem sozialen Tode bestraft." So etwa lautet, ins Juristische übersetzt, die für uns "einschlägige" Spezialnorm des Tabus sexueller Gewalt gegen Kinder.
Schrei, wenn Du willst - niemand wird Dich hören !
"Ist halt so."