Verdrängung von Missbrauch auch im Jugendalter möglich?

Körperliche und seelische Gewalt ebenso wie die verschiedenen Formen von Gewalt (wie etwa der Gewalt gegen sich selbst (SvV) oder Missbrauchserfahrungen) sind in diesem Forumsbereich das Thema.
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Möbius
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Beitrag So., 05.03.2017, 09:09

mio hat geschrieben:Möbius, ich befürchte wir reden an einander vorbei.

Es ist zu unterscheiden zwischen einer "vollkommen normalen" Kindheitsamnesie und einer die mit einem Trauma in Zusammenhang steht.

(...)
Das kann gut sein, daß wir insoferniglich aneinander vorbeireden und -denken. Eine "vollkommen normale" Kindheitsamnesie gibt es für Freudianer nicht.

Die Kindheitsamnesie ist zwar normal im statistischen Sinne - aber sie ist eine stets, immer, ausschließlich: Traumafolge. Bei jedem - auch beim psychisch Unauffälligen, der nur deswegen unauffällig ist, weil er unter lauter Leuten lebt, die "geometrisch exakt" die gleiche Traumata erlitten haben mit nur vernachlässigbaren Unterschieden. Psychisch auffällig wird man idR dann, wenn man andere Traumata in der Kindheit erlebt hat oder spätere Traumata hinzukommen.

Diese generelle Traumatisierung des Kindes ist auch erforderlich, damit es zum "zoon politikon" werden kann, das sich in eine makrosoziale Einheit "einpassen" kann. Nur durch diese Traumatisierungen entsteht die "Moralität": Schuld und Schuldgefühl - das "Gewissen", das zugleich auch eine der Voraussetzungen für den bereitwilligen Verzicht auf eigene vitale Interessen, insbesondere den Verzicht auf Triebbefriedigung ist. Es entsteht ferner die dominante Tendenz zu Projektionen hieraus, die einerseits eine (teilweise) projektive Triebbefriedigung ermöglicht, andererseits das permanente Schuldgefühl bedient: Werte produziert, die Opfergänge und Bußübungen ermöglichen.

All diese Eigenschaften, die für das Entstehen und Aufrechterhalten von makrosoziale Einheiten unerlässlich sind, sind Folgen dieser Traumata, welche die "normale" Amnesie der Kindheit auslösen.

Und weil das so ist, darf es nicht gewußt werden, niemals allgemein anerkannt werden - weil sich jede makrosoziale Einheit dadurch ihrer Legitimation entzöge - erst recht die "entwickelte, demokratische Gesellschaft". Es muß Tabu bleiben bzw. retabuisiert werden - und das ist der Grund, warum man naturwissenschaftliche Erkenntnisse produziert, die eine entlastende Erklärung für diese "normale Kindheitsamnesie" bieten und es damit auch ermöglichen, die Erfahrung der Psychoanalyse: die "ganz normale Traumatisierung" eines jedes Kindes insbesondere durch seine Eltern als überholt, veraltet usw. ad acta zu legen. So genau will man es garnicht wissen - vor allem dann nicht, wenn man Elter ist.

Wer nicht in diesem Sinne "normal traumatisiert" wird, seine "normale Amnesie" verpasst bekommt, wird zwar keineswegs notwendig assozial oder kriminell - aber dieser Mensch wird zumindest zum "Anarchen" im Sinne Ernst Jüngers, der sich jedweder "sozialer Verantwortung" und jeder "sozialen Verpflichtung" zu entziehen weiß.

In diesem Sinne, liebe mio, muß ich einer früheren Aussage von Dir beipflichten: es wäre höchst "schädlich", (die Gänsefüßchen stehen mit vollem Recht) nicht unbedingt für den betroffenen Einzelnen und seine "Mesosozialität", aber für "die Gesellschaft", wenn es zuviele davon gäbe.

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Kaonashi
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Beitrag So., 05.03.2017, 11:26

Die Kindheitsamnesie ist zwar normal im statistischen Sinne - aber sie ist eine stets, immer, ausschließlich: Traumafolge. Bei jedem - auch beim psychisch Unauffälligen, der nur deswegen unauffällig ist, weil er unter lauter Leuten lebt, die "geometrisch exakt" die gleiche Traumata erlitten haben mit nur vernachlässigbaren Unterschieden. Psychisch auffällig wird man idR dann, wenn man andere Traumata in der Kindheit erlebt hat oder spätere Traumata hinzukommen -- Quelle: viewtopic.php?p=922083#p922083
Das ist nach Freud so. Aber seine Theorie gilt als überholt (ähnlich wie die Kühlschrankmuttertheorie bei Autismus - manchmal muss man sich von alten Theorien einfach verabschieden).

Eine ganz gute Zusammenfassung über aktuelle Theorien findet man hier:
http://www.spektrum.de/news/ab-wann-eri ... it/1421516


mio
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Beitrag So., 05.03.2017, 11:36

Möbius hat geschrieben:Nur durch diese Traumatisierungen entsteht die "Moralität": Schuld und Schuldgefühl - das "Gewissen", das zugleich auch eine der Voraussetzungen für den bereitwilligen Verzicht auf eigene vitale Interessen, insbesondere den Verzicht auf Triebbefriedigung ist.
Sorry, aber das ist nach heutigem Kenntnisstand schlicht Quatsch.

Du - bzw. Freud - bewertest den "Egoismus" des Lebewesens als rein "narzisstisch motiviert". Das ist er bei einem Kleinkind auch erst ein mal, weil es auf "Bedürfnisbefriedigung" durch andere angewiesen ist, aber das Kleinkind noch nicht begreift, dass es "andere" gibt. Stichwort: Symboiotsches/magisches Denken. Zu begreifen, dass dieses Denken "illusionär" und "fehlerhaft" ist gehört zur ganz normalen menschlichen Reifung dazu und ist kein "Trauma", sondern ein Entwicklungsschritt der im Rahmen einer sicheren Bindung ohne Schäden vollzogen wird.

Das Kind muss sozusagen den "Umkehrschluss" lernen, nämlich, dass seine "Bedürfnisbefriedigung" einerseits nicht von einem "bestimmten anderen" (der von ihm sozusagen in seinem Wesen "bestimmt" wird) abhängt und andererseits erfolgreicher sein wird, wenn es das Konzept der Andersartigkeit des anderen berücksichtigt.

Menschen mit einem "gestörten" Narzissmus können aber eben dies nicht. Weder können sie "Bedürfnisse" gut aufschieben noch können sie "begreifen" dass es nicht um "Macht" geht sondern um "Miteinander".

Zu Freuds Zeiten mag das noch "die Normalität" gewesen sein in vielen gesellschaftlichen Zusammenhängen, heute ist man ein wenig weiter. Auch was den Erkenntnisstand hinsichtlich unterschiedlichster Traumatisierungen angeht. Freuds Konzept weisst da einfach Lücken auf und basiert an vielen Stellen auf einer nicht "ausreichend integrierten narzisstischen Frustration".

Ein Kind kommt mit zwei "Zustandswahrnehmungen" auf die Welt. Wohlgefühl versus Unwohlgefühl. Diese verleiten es zum "Handeln". Fühlt es sich "unwohl" wird es schreien, bis sein "Unwohlsein" von der Bezugsperson "beseitigt" wurde (oder im schlechteren Falle aufgeben und "spalten"), fühlt es sich wohl dann gibt es nix zu "verändern" bis zu dem Zeitpunkt, wo es sich "loswagt" was neues zu erkunden und seine "Explorationsfähigkeit" entdeckt. Je mehr es nun um seine "eigenen Fähigkeiten" lernt, desto mehr Frustrationsfähigkeit entwickelt es. Und desto mehr alternative Handlungsweisen.

Es wird also zunehmend eine "Toleranz" dahingehend entwickeln auch mal ein "Unwohlsein" (oder von mir aus eine "libidinöse Frustration") aushalten zu können ohne sich von dieser sofort "in seinem Leben" bedroht zu sehen, denn faktisch wird es das ja auch immer weniger, desto mehr "Eigenständigkeit/Selbstwirksamkeit" es entwickelt.

Ein Säugling kann noch nicht losgehen und nach "Nahrung" oder Menschen, die ihm solche zukommen lassen, suchen, ein Dreijähriger hingegen schon. Meint: Er würde sicher verhungern (lebensbedrohliche Erfahrung). Der Dreijährige hingegen hat andere Möglichkeiten und schon "dazugelernt", in vielerlei Hinsicht.

Wenn Du das als "Normalität" ansiehst, dann spricht daraus nichts anderes als Deine eigene narzisstische Verletzung die Du auf andere projizierst und mit Deinem "Übervater" - der ähnlich verletzt gewesen sein dürfte - untermauerst.


Sukino
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Beitrag So., 05.03.2017, 16:17

Möbius hat geschrieben: Die Psychoanalyse fördert immer wieder Erinnerungen aus sehr frühen Lebensphasen zutage, die freilich nur "atmosphärisch" wiedergegeben werden können, da ein begriffliches Denkvermögen ja noch nicht bestanden hatte.
mio hat geschrieben: Es ist zu unterscheiden zwischen einer "vollkommen normalen" Kindheitsamnesie und einer die mit einem Trauma in Zusammenhang steht.

Letztere ist ein "unvollendetes Ereignis" (das meinte ich mit "Feedbackschleife") so man es auf der "Hirnebene" betrachtet, weshalb es auch im Verborgenen "für sich" weiter "lebt". Es wird nicht "normal" in die "autobiografischen Hirnzentren" integriert und damit als "vergangen" abgeheftet sondern "bricht" im Zweifel "isoliert" durch, so die Umstände günstig sind.

Es besteht eben KEINE Amnesie im Sinne einer "normalen Kindheitsamnesie", die die "unwichtigen, unstrukturierten" Ereignisse einfach irgendwann "vergisst" indem sie sie mit "wichtigeren" Informationen überschreibt.
Als ich ein ähnliches Erlebnis einer anderen Frau las, kamen Erinnerungen "hoch", wurden "sichtbar". Das war aber kein abstraktes, geistiges oder gedachtes Erlebnis, denn es kam sehr viel sexuelle Energie mit. Denn eine Art sexueller Energiestoß hat mich dabei durchfahren.
Da ich in Meditation geübt bin, habe ich mich auf die Energie eingelassen und in sie hinein gespürt. Überraschenderweise war sie mit Bilder überlagert und ich "sah" meinen Vater. Sehr viel jünger, als er heute ist, und sehr erregt. Er hatte seine Hände (ihr wisst schon wo) nahe vor meinem Gesicht und bewegte sie. Damit konnte ich nichts anfangen und es irritierte mich sehr.
Ich spürte dann in mich hinein und nahm mich als Säugling wahr, abwesend, rund und zufrieden. Die Energie hatte mich gestört und dadurch blickte ich "auf". Was ich sah, war damals nicht für mich einzuordnen, das kam mit durch. Doch ich konnte erkennen, dass ich am nuckeln war. Wo brauche ich nun wohl nicht zu sagen.

Daher denke ich dass diese Erinnerung von der Energie getragen war, die ich damals nicht kompensierten konnte. Sie war immer noch in mir gespeichert. Und nicht als Gedanke (für alle kopflastigen Mit- LesER hier) sondern als brennendes sexuelles Gefühl.

Und ja, es war atmosphärisch, nicht gedanklich. Alles, was ich hier geschrieben habe, außer den was ich "sah" musste/habe ich rekonstruiert.

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Möbius
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Beitrag So., 05.03.2017, 21:32

Liebe mio !
mio hat geschrieben: Sorry, aber das ist nach heutigem Kenntnisstand schlicht Quatsch.
Erstens schreibt man sowas nicht - es sei denn, man ist (im Sinne eines Abwehrmechanismus) reaktiv oder aggressiv-narzistisch drauf - und zweitens ist es m.E. so, daß es hier um die Amnesie der Kindheit geht, die auch nach der heute herrschenden Meinung in der ödipalen Phase bzw. in deren Ende einsetzt, normalerweise wohl 5.-7. Lebensjahr. Die Entwicklungsphasen, auf die Du Dich beziehst, sind Frühere.

Sorry !

Möbius


mio
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Beitrag So., 05.03.2017, 22:50

Möbius hat geschrieben: Erstens schreibt man sowas nicht
Möbius, Tatsachen darf ich benennen. Das hat nichts mit Abwehr oder Narzissmus zu tun. Und Tatsache ist ,dass Freuds Lehre in vielen Punkten angezweifelt wird und in Teilen widerlegt ist. Und auch, dass es kompletter Unsinn ist bei einer normalen Kindheitsamnesie von einem "immer traumatisierten" Kind auszugehen.

Zu Deiner Argumentation hinsichtlich des: Es war früher da also stimmt es... sage ich besser nichts. Oder glaubst Du auch, dass die Erde eine Scheibe ist, weil sich nur dies "mit dem - ja älteren - Glauben" vereinbaren lässt?

Falls Du Dich der Kritik öffnen möchtest, bitte:

"17. Die ödipale Situation ist nicht ubiquitär, wie Freud annahm. Ethnologische Untersuchun- gen zeigten, dass es in anderen Kulturen diesen Konflikt nicht oder kaum gibt. Kastrati- onsdrohungen werden heute in unserem Kulturkreis kaum noch ausgesprochen. Mäd- chen und Jungen wachsen seit längerem meist gemeinsam auf; ein gegenseitiges ge- schlechtliches Geheimnis wird es nur noch selten geben. Selbst Psychoanalytiker sehen das heute so.
18. Der Ödipuskomplex umfasst drei Komponenten: ein sexuelles Begehren der Mutter, ei- nen Todeswunsch dem Vater gegenüber und die Angst vor Bestrafung mittels Kastration. Freud meinte es wörtlich, wenn er schrieb, der kleine Junge will sich mit der Mutter geni- tal vereinigen und den Vater töten. Die Lehre vom Ödipuskonflikt wurde schon zu Freuds Lebzeiten grundsätzlich in Frage gestellt (zuerst von Alfred Adler). Überhaupt habe Freud die griechische Ödipussage verfälschend dargestellt.23 Der entscheidende Unterschied zu Freuds Ödipuskomplex besteht darin, dass Ödipus nicht wusste, dass es sein Vater war, den er tötete, und dass es seine Mutter war, zu der er sich ins Bett legte. Auch war Ödipus ein erwachsener Mann, kein Kleinkind. In der Ödipussage sind sich Ödipus und sein Vater beziehungsweise seine Mutter fremd. Erst unter der Bedingung, dass die In- zestschranke wirkt, konnte bei Ödipus sexuelle Anziehung entstehen."


(Quelle: geraldmackenthun.de/.../Kritik_der_Freudschen_Trieb-_und+Sexualtheorie_(2015).pdf - via http://geraldmackenthun.de/aufsätze/)


mio
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Beitrag So., 05.03.2017, 23:15

Sukino hat geschrieben:Das war aber kein abstraktes, geistiges oder gedachtes Erlebnis, denn es kam sehr viel sexuelle Energie mit. Denn eine Art sexueller Energiestoß hat mich dabei durchfahren.
Ich glaube dass das recht typisch ist für das "Durchbrechen" traumatischer Schranken und nicht unbedingt was mit der Art des Missbrauchs/der Traumatisierung zu tun haben muss. Wenn Du mit Meditation vertraut bis dann sagt Dir vielleicht auch die "Chakrenlehre" was und ich glaube dass frühe Traumatisierungen häufig zu einer Blockade im "Wurzelchakra" führen. Nicht, weil ich mit der Lehre jetzt besonders auskennen würde oder esoterisch unterwegs bin, sondern weil ich ähnliche "Energieschübe" erlebt habe bei der Auflösung respektive dem "Durchbruch" von Traumata. So, als würde eine Art "Urenergie" plötzlich wieder frei.

Für meine Begriffe braucht es "zwei" Dinge dafür: Einmal ein ausreichend "entspanntes System" (körperlich wie geistig) und zum Zweiten den Mut, sich da dann drauf einzulassen. Möglichst Angstfrei. Was nicht gerade leicht ist.

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Möbius
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Beitrag Mo., 06.03.2017, 14:34

@ Sukino

Was Du beschrieben hast, glaube ich, sehr gut nachempfinden zu können - mein Empfinden bei meinen "Wieder-Erlebnissen" war durchaus ähnlich gewesen. Ich sehe diese Dinge eben lediglich durch die psychoanalytische Brille.

Es ist auch wohl regelmässig nicht so, daß man von einem traumatisierenden Ereignis einen "kompletten Mitschnitt" wieder erlebt, so wie man sich einen Film immer wieder anschauen kann, sondern nur Bruchstücke, manchmal nur "gefühlte" Sekundenbruchteile, die aber den Handlungszusammenhang vollständig erschließen.

Was bei Dir "sexuelle Energie" genannt wird, nenne ich "Libido" - und es ist in der Tat wohl ein erheblicher Betrag an Libido, der durch das Wiedererleben von sexuellen Traumata frei werden kann. In neuerer traumatologischer Literatur - bei Mathias Hirsch, einem auf Inzest spezialisierten psychiatrischen "Freudianer" - las ich auch von Fällen, in denen das Wiedererleben zu jähen Sexualisierungen der Patienten führte.

Die Psychoanalyse interpretiert diese innerpsychischen Vorgänge so:

Ein Erlebnis - konkret: die Erinnerung daran - wird zum Trauma, weil unser Bewußtsein es nicht ertragen kann. Die "Abwehrmechanismen" an der Grenze zwischen Bewußtsein und Unbewußtem verdrängen das Unerträgliche ins Unbewußte und halten es dort fest. Das Trauma jedoch unterliegt dem "Wiederholungszwang" und drängt ins Bewußtsein zurück. Es ist also ein beständiger, zäher Kampf an dieser Grenze, an denen das Trauma einerseits und die Abwehrmechanismen andererseits einen ganz erheblichen Betrag "seelischer Energie" in Anspruch nehmen - der aber nicht unbedingt immer konstant sein muß. Ich glaube, er ist am heftigsten, wenn wir uns in Lebenssituationen befinden, die re-traumatisieren oder dem Trauma in irgendeiner Weise ähnlich sind, an es "erinnern könnten" und bei "Re-Inszenierungen" in anderen Lebensbereichen.

Durch das Wiedererleben wird dieser Antagonismus aufgehoben und deswegen ist die damit frei werdende Energiemenge eine recht Große, das Wiedererleben selbst ein traumatiserender und dramatischer Vorgang. Andererseits bewirkt er - eben wegen der Aufhebung dieses innerpsychischen Kampfes - eine große Erleichterung: "Endlich weiß ich, was Sache ist!"

Freud unterscheidet nur 2 Grundtriebe - Libido und Aggression, Liebes- und Todestrieb. C.G. Jung ging sogar soweit, nur die Libido als einzige Quelle seelischer Energie anzusehen - eine Auffassung, mit der ich sympathisiere: Aggression ist dann nichts anderes, als durch den Abwehrmechanismus ins Gegenteil verwandelte Libido.

Auch nach Freud kann jedoch die seelische Energie bis zu einem gewissen Grad zwischen Aggression und Libido verschoben werden. Libido, die nicht abgeführt werden kann, kann sich in Aggression umwandeln - und umgekehrt. Ein Abfuhr auf der einen Seite kann auch zu einer Beruhigung auf der anderen Seite führen - was aber nicht immer der Fall sein muß. Eine erfolgreiche Abfuhr kann auch zum Aufbau von Libido und/oder Aggression führen, wie man auf sehr hässliche Weise bei den "Serienkillern" und auf zumindest unappetittliche (und gelegentlich sogar tötliche) Weise bei den total abgedrehten "sexfreaks" beobachten kann.

Die Beherrschung dieser Triebe, der seelischen Energie ist ein sehr schwieriges Geschäft - aber es ist erlernbar. Dabei ist es prinzipiell gleichgültig, welcher gedanklicher Modelle man sich zu diesem Zweck bedient und welchen Namen man dieser seelischen Energie geben will.

Gruß
Möbius


Sukino
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Beitrag Mo., 06.03.2017, 18:48

mio hat geschrieben: Ich glaube dass das recht typisch ist für das "Durchbrechen" traumatischer Schranken und nicht unbedingt was mit der Art des Missbrauchs/der Traumatisierung zu tun haben muss.
Ja, mit dem ersten Teil deiner Argumention kann ich gut konform gehen. Aber wieso meist Du, dass es nichts mit der Art des Missbrauchs zu tun haben soll? wie ich es erlebt habe, hatte es nur damit zu tun.
mio hat geschrieben:Wenn Du mit Meditation vertraut bis dann sagt Dir vielleicht auch die "Chakrenlehre" was und ich glaube dass frühe Traumatisierungen häufig zu einer Blockade im "Wurzelchakra" führen.
Darüber denke ich auch gerade nach. Es ist wohl tatsächlich so, dass hier starke Blockaden und dicke energetische Bänder entstehen. Die Blockaden werden ersichtlich dadurch, das wir nicht mehr in der Welt zurecht kommen, uns nicht behaupten und im schlimmsten Fall nicht mehr ernähren können.
Die energetischen Bänder führen dazu, dass wir uns mit dem Täter identifizieren, ihn lieben und uns loyal zu ihm verhalten. Das alles lässt sofort nach, wenn die Bänder durchtrennt sind.
mio hat geschrieben: ... weil ich ähnliche "Energieschübe" erlebt habe bei der Auflösung respektive dem "Durchbruch" von Traumata. So, als würde eine Art "Urenergie" plötzlich wieder frei.
Da bin ich mir nicht so sicher, ob das der richtige Schluss ist. Glaube eher, dass sich die sexuelle Energie des Täters in uns speichert, weil sie nicht weiter geleitet werden kann. Bei einem sexuellen Kontakt werden Energien verbunden und ausgetauscht. Doch dazu sind Kinder nicht in der Lage, also erschafft diese Energie eine Art Blockade oder auch "Boje" die das Ereignis für uns später wieder sichtbar macht.
mio hat geschrieben:Für meine Begriffe braucht es "zwei" Dinge dafür: Einmal ein ausreichend "entspanntes System" (körperlich wie geistig) und zum Zweiten den Mut, sich da dann drauf einzulassen. Möglichst Angstfrei. Was nicht gerade leicht ist.
So schwer ist das nicht. Missbraucht zu werden ist sehr viel schlimmer.

Alles, was wir in uns wieder finden und ansehen, lässt sich entfernen und einordnen. Da bin ich mir inzwischen sicher. Es ist das Verdrängen und das Dissozieren, was uns regelrecht krank macht und vom Leben abtrennt (das kann ich sagen, wenn es mir gerade ganz gut geht )


Sukino
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Beitrag Mo., 06.03.2017, 19:06

Möbius hat geschrieben: Es ist auch wohl regelmässig nicht so, daß man von einem traumatisierenden Ereignis einen "kompletten Mitschnitt" wieder erlebt, so wie man sich einen Film immer wieder anschauen kann, sondern nur Bruchstücke, manchmal nur "gefühlte" Sekundenbruchteile, die aber den Handlungszusammenhang vollständig erschließen.
Ja, so ist das bei mir auch und zum Glück! Einen ganze Film davon würde ich nicht aushalten. Doch es zeigen sich immer wieder kurze Sequenzen. Eigentlich meine ich sogar, dass sie sich chronologisch zeigten ...
Möbius hat geschrieben:Was bei Dir "sexuelle Energie" genannt wird, nenne ich "Libido" - und es ist in der Tat wohl ein erheblicher Betrag an Libido, der durch das Wiedererleben von sexuellen Traumata frei werden kann. In neuerer traumatologischer Literatur - bei Mathias Hirsch, einem auf Inzest spezialisierten psychiatrischen "Freudianer" - las ich auch von Fällen, in denen das Wiedererleben zu jähen Sexualisierungen der Patienten führte.

Möbius hat geschrieben:Durch das Wiedererleben wird dieser Antagonismus aufgehoben und deswegen ist die damit frei werdende Energiemenge eine recht Große, das Wiedererleben selbst ein traumatiserender und dramatischer Vorgang. Andererseits bewirkt er - eben wegen der Aufhebung dieses innerpsychischen Kampfes - eine große Erleichterung: "Endlich weiß ich, was Sache ist!"

Kann ich unterschreiben, es hatte mich sehr überrascht, das zu fühlen. Und das war auch für mich dann der Grund, tiefer hineinzugehen, denn so starke Energien, die so plötzlich auftreten sind (bei mir) nicht die Regel. Daher kam ich auch zu "meiner" Theorie, der gespeicherten Energie. Denn die Energie zeigte sich uns sie flammte sozusagen als Traumabegleitung auf. Doch als sich ihr keine weitere Beachtung schenkte, verblasste sie. Ich bin der Meinung, dass es auf alle Fälle besser ist hier keine Selfies draus zu machen, da diese Energie immer noch mit dem Täter in Verbindung steht. Das konnte ich auch sehr deutlich erkennen.
Möbius hat geschrieben:Ein Erlebnis - konkret: die Erinnerung daran - wird zum Trauma, weil unser Bewußtsein es nicht ertragen kann. Die "Abwehrmechanismen" an der Grenze zwischen Bewußtsein und Unbewußtem verdrängen das Unerträgliche ins Unbewußte und halten es dort fest. Das Trauma jedoch unterliegt dem "Wiederholungszwang" und drängt ins Bewußtsein zurück. Es ist also ein beständiger, zäher Kampf an dieser Grenze, an denen das Trauma einerseits und die Abwehrmechanismen andererseits einen ganz erheblichen Betrag "seelischer Energie" in Anspruch nehmen - der aber nicht unbedingt immer konstant sein muß. Ich glaube, er ist am heftigsten, wenn wir uns in Lebenssituationen befinden, die re-traumatisieren oder dem Trauma in irgendeiner Weise ähnlich sind, an es "erinnern könnten" und bei "Re-Inszenierungen" in anderen Lebensbereichen.
Auch hier findest Du meine vollständige Zustimmung. Ich würde es nur so sagten: "Die Seele will frei werden" und diese Blockaden sitzen mitten in den beiden unteren Chakren. Da ich in einem meditativen Zustand sehr hellsichtig bin, kann ich das tatsächlich auch sehen Oft ist auch noch das dritte, der Solarplexus betroffen. In meinem Leben zeigten sich, als das Trauma zur Auflösung bereit war, im Außen immer wieder Situationen, die mich immer weiter zu diesem Urtrauma hingeführt haben. Sehr schmerzhaft!
Möbius hat geschrieben:Freud unterscheidet nur 2 Grundtriebe - Libido und Aggression, Liebes- und Todestrieb. C.G. Jung ging sogar soweit, nur die Libido als einzige Quelle seelischer Energie anzusehen - eine Auffassung, mit der ich sympathisiere: Aggression ist dann nichts anderes, als durch den Abwehrmechanismus ins Gegenteil verwandelte Libido.

Da gehe ich eher nach Osho, der Angst und Aggression in die beiden Waagschalen legt. Angst sagt er ist der passive Teil von Aggression und Wut. Das hat mir persönlich sehr geholfen meine Ängste zu überwinden, da ich sie als passiven Anteil meiner aggressiven Seite erleben und so überwinden konnte.


mio
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Beitrag Mo., 06.03.2017, 21:54

Sukino hat geschrieben:Aber wieso meist Du, dass es nichts mit der Art des Missbrauchs zu tun haben soll? wie ich es erlebt habe, hatte es nur damit zu tun.
Ich weiss nicht, wie es bei Dir war/ist. Aber ich habe es unabhängig von jeder Art "Missbrauch" im klassischen Sinne erlebt, dass ich als sich eine dieser "Blockaden" löste von einem solchen Gefühl durchströmt wurde. Und zwar extrem heftig. Das war so eine Art "Gefühlsexplosion" auf mehreren Ebenen.

Und deshalb denke ich eben, dass es die "blockierte" Energie ist (die eigene) die einen dann durchströmt.

Ich glaube nicht, dass wir "fremde" Energien "speichern", sondern ich denke eher, dass wir um uns vor fremden Energien schützen (und die können auch aus anderen traumatischen Erfahrungen kommen) indem wir den eigenen Energiefluss (und damit unsere "Reaktion", unseren "Kontakt" zur "fremden Energie" die "überfordert") unterbrechen. Eine Unterbrechung des Energieflusses ist ja auch eine Unterbrechung des "Wahrnehmes/Fühlens" und "löst" sich das dann "abrupt", dann "schießt" die Energie sozusagen erst mal durch uns durch, die vorher blockiert war.


Sukino
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Beitrag Di., 07.03.2017, 10:29

mio hat geschrieben: Ich glaube nicht, dass wir "fremde" Energien "speichern", sondern ich denke eher, dass wir um uns vor fremden Energien schützen (und die können auch aus anderen traumatischen Erfahrungen kommen) indem wir den eigenen Energiefluss (und damit unsere "Reaktion", unseren "Kontakt" zur "fremden Energie" die "überfordert") unterbrechen. Eine Unterbrechung des Energieflusses ist ja auch eine Unterbrechung des "Wahrnehmes/Fühlens" und "löst" sich das dann "abrupt", dann "schießt" die Energie sozusagen erst mal durch uns durch, die vorher blockiert war.
Das ist auch gut denkbar, da gebe ich Dir Recht.
Allerdings würde das dann auch bedeuten, dass ein Säugling schon Libido hat und durch den sexuellen Angriff des Täters diese spürt. Nach meinem Empfinden war das aber nicht so.
Der Säugling hat eine Art träumendes Bewusstsein und ist in seiner friedlichen, ruhigen Welt. Die Energie kam dann von außen und sie war nicht in mir. Das konnte ich gut fühlen.

Da gibt es noch ein Aspekt, der für meine Theorie spricht: Das Abspalten der eigenen Sexualität. Mein Körper vermittelt mir gerade sehr deutlich, dass er sich zwar orgiastisch gefühlt hat, aber keinen Orgasmus erhalten hat. Daher ist mein Empfinden kein eigenes und ich habe als Person keine eigene Sexualität etablieren können.

Vielleicht liegt die Wahrheit ja in unserer Mitte

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Beitrag Di., 07.03.2017, 10:55

@ Sukino

Ich habe überhaupt nichts dagegen, die Psyche aus der Perspektive dieser fernöstlichen Denkschulen zu betrachten - auch wenn mir dies sehr fremd ist und wohl auch zumindest noch lange bleiben wird (ich bin von meinen geistigen Kräften her viel zu schwach, um mich in solche "neuen Welten" einzulesen). C.G. Jung war es wohl gewesen, der als erster auf die Parallelen zwischen der psychoanalytischen Sicht und den fernöstlichen Schulen hingewiesen und einige davon herausgearbeitet hatte. Allerdings habe ich von Jung auch nur sehr wenig gelesen.

Auch wenn ich Deinen Ausführungen allenfalls an der Oberfläche folgen kann - ich begegne ihnen mit einigem Respekt.

Als Pragmatiker sehe ich uns alle vor einem Problem, einer Nuss, die wir knacken müssen. Dafür gibt es verschiedene mögliche Werkzeuge im Werkzeugkasten - dem "Organon" des Aristoteles ("Organ" heißt altgriechisch schlicht: Werkzeug). Das Werkzeug muß zur Nuss passen, aber auch zur Hand, die es führt, zu uns selbst.

Es gibt viele Wege nach Rom, und solange man nur gut ankommt, ist es egal, welchen man nimmt.

Gruß
Möbius


Sukino
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Beitrag Di., 07.03.2017, 11:26

Möbius hat geschrieben:Es gibt viele Wege nach Rom, und solange man nur gut ankommt, ist es egal, welchen man nimmt.
Sehen ich auch so und empfinde Deinen Ansatz als sehr bereichernd für mich

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