Das kann gut sein, daß wir insoferniglich aneinander vorbeireden und -denken. Eine "vollkommen normale" Kindheitsamnesie gibt es für Freudianer nicht.mio hat geschrieben:Möbius, ich befürchte wir reden an einander vorbei.
Es ist zu unterscheiden zwischen einer "vollkommen normalen" Kindheitsamnesie und einer die mit einem Trauma in Zusammenhang steht.
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Die Kindheitsamnesie ist zwar normal im statistischen Sinne - aber sie ist eine stets, immer, ausschließlich: Traumafolge. Bei jedem - auch beim psychisch Unauffälligen, der nur deswegen unauffällig ist, weil er unter lauter Leuten lebt, die "geometrisch exakt" die gleiche Traumata erlitten haben mit nur vernachlässigbaren Unterschieden. Psychisch auffällig wird man idR dann, wenn man andere Traumata in der Kindheit erlebt hat oder spätere Traumata hinzukommen.
Diese generelle Traumatisierung des Kindes ist auch erforderlich, damit es zum "zoon politikon" werden kann, das sich in eine makrosoziale Einheit "einpassen" kann. Nur durch diese Traumatisierungen entsteht die "Moralität": Schuld und Schuldgefühl - das "Gewissen", das zugleich auch eine der Voraussetzungen für den bereitwilligen Verzicht auf eigene vitale Interessen, insbesondere den Verzicht auf Triebbefriedigung ist. Es entsteht ferner die dominante Tendenz zu Projektionen hieraus, die einerseits eine (teilweise) projektive Triebbefriedigung ermöglicht, andererseits das permanente Schuldgefühl bedient: Werte produziert, die Opfergänge und Bußübungen ermöglichen.
All diese Eigenschaften, die für das Entstehen und Aufrechterhalten von makrosoziale Einheiten unerlässlich sind, sind Folgen dieser Traumata, welche die "normale" Amnesie der Kindheit auslösen.
Und weil das so ist, darf es nicht gewußt werden, niemals allgemein anerkannt werden - weil sich jede makrosoziale Einheit dadurch ihrer Legitimation entzöge - erst recht die "entwickelte, demokratische Gesellschaft". Es muß Tabu bleiben bzw. retabuisiert werden - und das ist der Grund, warum man naturwissenschaftliche Erkenntnisse produziert, die eine entlastende Erklärung für diese "normale Kindheitsamnesie" bieten und es damit auch ermöglichen, die Erfahrung der Psychoanalyse: die "ganz normale Traumatisierung" eines jedes Kindes insbesondere durch seine Eltern als überholt, veraltet usw. ad acta zu legen. So genau will man es garnicht wissen - vor allem dann nicht, wenn man Elter ist.
Wer nicht in diesem Sinne "normal traumatisiert" wird, seine "normale Amnesie" verpasst bekommt, wird zwar keineswegs notwendig assozial oder kriminell - aber dieser Mensch wird zumindest zum "Anarchen" im Sinne Ernst Jüngers, der sich jedweder "sozialer Verantwortung" und jeder "sozialen Verpflichtung" zu entziehen weiß.
In diesem Sinne, liebe mio, muß ich einer früheren Aussage von Dir beipflichten: es wäre höchst "schädlich", (die Gänsefüßchen stehen mit vollem Recht) nicht unbedingt für den betroffenen Einzelnen und seine "Mesosozialität", aber für "die Gesellschaft", wenn es zuviele davon gäbe.