Du Liebe!
Du hast hier geschrieben:
Draußen hat geschrieben: Ich kann mich mit den Produkten meiner Malerei nicht anfreunden. Mit Worten ist das anders. Ich erzähle gerne und auch gut. Mit einer Geschichte fühle ich mich immer wohl.
Zerbrich Dich jetzt nicht in Deinem Schweigen,
und Du hast heute geschrieben
Draußen hat geschrieben: wie soll er das verstehen
,
worüber Du selbst noch nicht mit Dir sprechen kannst (reden wir zuallerst nicht mit "uns selbst" und lauschen "unserer inneren Stimme", sobald wir sie entdeckt haben - und ist das nicht immer ein Chor, in dem auch die andern mitsingen?)?
Draußen hat geschrieben:Warum schmerzt das so?
Deine eigene Antwort lautet:
Draußen hat geschrieben:Niemand kennt ihre Geschichte. Ausgesprochen würde sie sie zum Opfer machen. Sie will kein Opfer sein. Wenn sie jetzt spricht, wird das aber passieren, unumkehrbar.
Das sind viele Antworten:
--- Niemand kennt ihre Geschichte. - Die ist es genauso wert, erzählt zu werden wie alle Lebensgeschichte(n).
--- Ihre Geschichte würde sie zum Opfer machen. - Oder zur "Erzählerin", die ihre Geschichte erzählt und
den Dingen ihren Namen gibt (weshalb zerreißt sich Rumpelstilzchen?),
ihre Be-Zeichnung und damit ihr Sein in der Welt.
--- Opfer sei unumkehrbar. - Aus dem geopferten Wein steigt der Gott, aus dem geopferten Wort Leben. Manchmal.
Draußen hat geschrieben: Mit der Zeit hat sich ein bizarres Ding in ihrem Kopf festgesetzt. Dieses Ding krallt sich überall fest, wo es Halt findet. Es ist unberechenbar und es ist mächtig. An jeder Erinnerung an jedem Gefühl kann es hängen. Wenn sie an den Erinnerungen zupft, versucht sie an die Oberfläche zu holen, sie zu betrachten, springt das Ding sie an, verstopft Augen und Ohren, lähmt jede Bewegung sogar der Atem stockt. [...]
Mit voller Gewalt und ohne jedes Erbarmen durchfährt es sie: " DU HAST JEDE FALSCHE ENTSCHEIDUNG SELBST GETROFFEN!" Der Verstand erstarrt, verweigert seinen Dienst, lässt sie allein. "Schau dich an, du wolltest doch gar nicht wissen, bist ihm aber doch gefolgt. Warum folgtest du ihm nach Hause? Und hast du wirklich geglaubt, das was dir von deiner Mutter droht, wenn du dich ihr anvertraust, ist schlimmer, als das, was dir passiert war? JEDE DEINER ENTSCHEIDUNGEN WAR FALSCH! WEIL DU ES SELBST GENAU SO WOLLTEST!"
Sie hat gelernt, nicht mehr völlig zu erstarren, wenn das Ding sie anspringt, aber sprechen bleibt unmöglich. Denn das Ding hat Recht, weil es die Wahrheit sagt. So sitzt sie da und schweigt, sie weiß, wenn sie irgendwann reden wird, wird ihr Gegenüber der Wahrheit zu ihrem Recht verhelfen. Aber die Wahrheit ist ihr Feind, die Wahrheit macht das Ding so mächtig.
... nichts wird begreifbar
"Die Wahrheit", Draußen, liebe, liebe Draußen:
Lass doch Deine Wahrheit, lass das 6-jährige Mädchen in all seiner Not, all seiner Neugier, all seiner Angst, all seiner Geschmeicheltheit, all seiner Trauer und all seiner Sehnsucht danach, nach "draußen" zu gelangen, zu seinem Recht kommen - lass Deine Wahrheit zu ihrem Recht kommen. Bitte.
Und seine war, ist und bleibt ein Unverzeihliches, eine Grausamkeit, ein Vergehen.
Unbegreifbar, aber geschehen.
Deine Widow