Mutter verzeihen oder Kontaktabbruch

Körperliche und seelische Gewalt ebenso wie die verschiedenen Formen von Gewalt (wie etwa der Gewalt gegen sich selbst (SvV) oder Missbrauchserfahrungen) sind in diesem Forumsbereich das Thema.
Benutzeravatar

Le_na
[nicht mehr wegzudenken]
[nicht mehr wegzudenken]
weiblich/female, 26
Beiträge: 1842

Beitrag Do., 29.03.2018, 12:24

Liebe RoboCat,
RoboCat hat geschrieben: Do., 29.03.2018, 11:09 dass aber der Raum, den diese Sehnsucht einnimmt, dass der sich durchaus verkleinern und einhegen lässt

Das klingt nach einem gutem Ziel! Und zu Arbeit an mir selbst bin ich durchaus bereit.

Ich kann das was du bezüglich Kontakt beschreibst sehr gut nachvollziehen. Sobald es Kontakt gibt, ist es sehr schwierig sich emotional abzugrenzen oder vlt. sogar unmöglich, weil man dann sofort wieder drin steckt. Ich finde deinen Weg gut, dich dir zu widmen und deinem Wohlbefinden. Das versuche ich auch ganz stark, mir gutes tun, mich mit Menschen umgeben, die mir gut tun usw.
Momentan bin ich einfach so verunsichert, da der Kontakt die letzten sechs Jahre da war, oberflächlich und ich auch immer wieder von Verletzungen geprägt. Aber ich habe bei weitem nicht so gelitten wie unter dem momentanen Versuch da etwas zu ändern. Vielleicht hat mir die Fassade ja auch was gegeben. Mir selbst einreden zu können, dass ich ja eine Familie habe, auch sagen zu können "Ich war bei meinen Eltern essen", obwohl es eben nicht das gleiche "bei den Eltern essen" ist wie bei FreundInnen. Ich glaube diesen Gedanken muss ich noch etwas weiterspinnen. Das einzige was mich belastet hat, war eine immer wiederkehrende Traurigkeit, die ich nicht zuordnen konnte. Jetzt hat die Traurigkeit einen Namen, das macht es aber gerade so gar nicht besser :kopfschuettel:
Ganz im Gegenteil ich stelle so ein wahnsinnig bedrohliches Gefühl in mir fest, dass ich so gar nicht zuordnen kann und das ich fast nicht aushalten kann. Ich glaube aber, dieses Gefühl hat gar nicht so viel mit der Gegenwart zu tun, sondern kommt von früher, wo ich ausgeliefert war und wirklich nichts tun konnte. Wo das "beleidigt Sein" und Weggehen meiner Mutter wirklich bedrohlich war, was es ja jetzt de facto nicht ist. Hach, ist das alles verworren.
RoboCat hat geschrieben: Do., 29.03.2018, 11:09 Ich löse mein Drama tatsächlich darüber, dass ich versuche mich persönlich weiterzuentwickeln, aktiv neue Kontakte knüpfe etc. Denn du hast recht, es gibt Menschen, die deine Meinung hören wollen und sich für dich interessieren. Dass diese nicht in der eigenen Familie zu finden sind, dass diese Leute im Gegenteil sozusagen unerreichbar sind, das ist eine harte Erkenntnis. Willkommen im Club
Das ist ein sehr konstruktiver Weg das eigene Drama zu lösen, liebe Robocat. Es ist eigentlich auch mein Weg, was hab ich an mir gearbeitet und tue es auch heute noch. Und die positiven Erfahrungen die ich dabei sammle sind so heilsam. Manchmal habe ich dennoch das Gefühl, ein bisschen müde zu sein, müde der ständigen Schadensbegrenzung. Und wütend, dass ich so viel Schaden begrenzen und "heilen" muss. Aber ich weiß dass es sich lohnt und dass ich verantwortlich bin, mein Leben im Hier und Jetzt so zu gestalten, dass ich glücklich bin. Manchmal eine Monsteraufgabe :lol:

Werbung


Eremit
[nicht mehr wegzudenken]
[nicht mehr wegzudenken]
anderes/other, 80
Beiträge: 8876

Beitrag Do., 29.03.2018, 13:06

HelloItsMe hat geschrieben:Man soll die Eltern lieben und ehren.
Warum? Nur, weil sie einen biologisch erzeugt haben? Das ist kein Kunststück, das kann (nahezu) jeder Mensch.

Es gibt keinen kausalen Zusammenhang zwischen Elternschaft und der Fähigkeit bzw. überhaupt dem Willen zu wohlwollender Fürsorge oder Respekt. Nicht den geringsten.
HelloItsMe hat geschrieben:Aber ich hasse meine Eltern. Und das wiederum führt auch zu einem Hass auf mich selbst, da ich nicht ein Mensch sein will, der solch negative Gefühle hegt.
Hass bringt Dich nicht weiter, dadurch wirst Du nur wie Deine Eltern bzw. wie Deine Mutter. Ich kann Dir nur raten, Deine Mutter links liegen zu lassen. Der Kontakt mit ihr tut Dir einfach grundsätzlich nicht gut. Nach allem, was Du bereits geschrieben hast, schätze ich die Wahrscheinlichkeit einer positiven Veränderungen bei ihr so niedrig ein, dass sie gegen null tendiert, damit kann man quasi nicht "arbeiten".

Benutzeravatar

RoboCat
Forums-Gruftie
Forums-Gruftie
weiblich/female, 80
Beiträge: 551

Beitrag Do., 29.03.2018, 17:51

Hi liebe Le_na,
Le_na hat geschrieben: Do., 29.03.2018, 12:24 Mir selbst einreden zu können, dass ich ja eine Familie habe ... eine immer wiederkehrende Traurigkeit, die ich nicht zuordnen konnte. Jetzt hat die Traurigkeit einen Namen, das macht es aber gerade so gar nicht besser ... ein wahnsinnig bedrohliches Gefühl in mir ... kommt von früher, wo ich ausgeliefert war und wirklich nichts tun konnte. Wo das "beleidigt Sein" und Weggehen meiner Mutter wirklich bedrohlich war, was es ja jetzt de facto nicht ist. Hach, ist das alles verworren.
Ja, das ist wirklich verworren. Aber ich verstehe dich gut, bei mir ist es ziemlich genau so. Bevor ich Leute hatte, mit denen ich mich austauschen konnte und erfahren konnte, dass es anderen ja ganz ähnlich geht, habe ich immer die Schuld bei mir gesucht. Irgend etwas muss doch falsch sein an mir, dachte ich. Ich bin wirklich undankbar, denn alle anderen haben ja so gute, zugewandte Eltern. Ich muss also etwas falsch machen, dass es bei mir nicht so ist. Aber ja, es ist der größte Bullshit, weil die Liebe der Eltern bedingungslos sein sollte.

Das Weggehen der Mutter ist ein sehr, sehr schwieriges Thema, da kann man noch so sehr erwachsen sein. Ich kenne heute einige Borderline-Patienten und denke mittlerweile, dass deren Leiden ganz intensiv mit exakt diesem Thema zusammenhängt. Lange hatte ich den Verdacht, dass ich selbst diese Erkrankung habe, dem ist laut meiner Ex-Therapeutin aber nicht so, ob das nun stimmt, weiß ich nicht. Ist ja auch nicht das Thema hier gerade. Was ich damit sagen wollte ist einfach: Ja, man kann richtig eines vor den Bug bekommen, wenn man unverschuldeter Weise am Verhalten der Mutter kleben bleibt und sein Leben nach ihren Blessierchen ausrichtet.

Wenn die Traurigkeit dann einen Namen hat, so wie bei dir, dann entsteht nach einer gewissen Zeit eine unbändige Wut auf die Eltern. Erlebst du das bei dir schon? Bei mir hat es ne ganze Weile gedauert. Jetzt ist sie aber da und sie macht einen völligen Kontaktabbruch leichter, so zumindest ist meine Hoffnung dazu. Diesen komplett durchzuziehen, so weit bin ich allerdings auch noch nicht.

Es ist schon krass: Einerseits weiß man, dass man von den Eltern nichts zu erwarten hat, andererseits dauert es eine gefühlte Ewigkeit, bis diese Hoffnung dann endlich mal komplett abstirbt und nie wieder auftaucht. Vielleicht passiert das auch nie, ich weiß es nicht.
müde der ständigen Schadensbegrenzung. Und wütend, dass ich so viel Schaden begrenzen und "heilen" muss.
Geht mir recht ähnlich. Habe oft das Gefühl, dass ich sehr viel mehr Kraft aufwenden muss, allein um einen "normalen Alltag" leben zu können, als es Leute müssen, die ganz normale Eltern und eine ganz normale Kindheit hatten und auch jetzt, im Erwachsenenalter, auf ihre Eltern als eine Art höheren Rat, moralische Instanz, zurückgreifen können.

Ich habe das teilweise darüber gelöst, dass ich mir elterliche Freundschaften gesucht habe. Natürlich wissen die betreffenden Personen nichts davon und es sind von außen betrachtet ganz normale Freundschaften/Bekanntschaften. Wenn ich aber ehrlich bin, dann suche ich da schon einen Vater und Mutterersatz. Es ist wohl auch nicht ganz ungefährlich, denn es besteht sicher die Gefahr, in die gleichen Verhaltensmuster zu rutschen, wie mit den eigenen Eltern...
:axt:

Benutzeravatar

RoboCat
Forums-Gruftie
Forums-Gruftie
weiblich/female, 80
Beiträge: 551

Beitrag Do., 29.03.2018, 17:55

Eremit hat geschrieben: Do., 29.03.2018, 13:06 Es gibt keinen kausalen Zusammenhang zwischen Elternschaft und der Fähigkeit bzw. überhaupt dem Willen zu wohlwollender Fürsorge oder Respekt. Nicht den geringsten.
Das war jetzt zwar nicht an mich gerichtet, es ist aber eine sehr, sehr wertvolle Erkenntis in der gesamten Eltern-Kind-Dramatik, so dass ich das Bedürfnis hatte, diese Aussage noch einmal hervorzuheben.

...oder anders gesagt: "Vater werden ist nicht schwer, Vater sein dagegen sehr". Gilt auch für Mütter.
:axt:

Werbung


Eremit
[nicht mehr wegzudenken]
[nicht mehr wegzudenken]
anderes/other, 80
Beiträge: 8876

Beitrag Fr., 30.03.2018, 07:14

RoboCat hat geschrieben:Ich habe das teilweise darüber gelöst, dass ich mir elterliche Freundschaften gesucht habe. Natürlich wissen die betreffenden Personen nichts davon und es sind von außen betrachtet ganz normale Freundschaften/Bekanntschaften. Wenn ich aber ehrlich bin, dann suche ich da schon einen Vater und Mutterersatz.
Schlecht. Du instrumentalisierst damit im Grunde Deine Freunde, nimmst ihnen die Chance auf eine aufrichtige, wahrhaftige Freundschaft auf Augenhöhe. So kann philia nicht gedeihen, und ohne philia erlangt man keine persönliche Reife und bleibt im Kern nur das gierige eros-Kind.

Benutzeravatar

Le_na
[nicht mehr wegzudenken]
[nicht mehr wegzudenken]
weiblich/female, 26
Beiträge: 1842

Beitrag Fr., 30.03.2018, 19:05

Liebe RoboCat,
RoboCat hat geschrieben: Do., 29.03.2018, 17:51 Wenn die Traurigkeit dann einen Namen hat, so wie bei dir, dann entsteht nach einer gewissen Zeit eine unbändige Wut auf die Eltern. Erlebst du das bei dir schon?
Unbändige Wut erlebe ich nicht. Ich erlebe Momente von starker Wut aber es schwankt sehr zwischen allen möglichen Gefühlen hin und her. Es gab vor einigen Monaten einen Moment unbändiger Wut, als ich wieder einmal enttäuscht wurde (ich wurde zum Essen eingeladen, mir wurde eine Uhrzeit gesagt und ich habe mich sehr beeilt um rechtzeitig da zu sein. Als ich kam, teilten sie mir mit, dass sie schon gegessen haben aber ich mir ja was nehmen kann). Meine Reaktion war sicherlich heftig: Ich habe sie angeschrien, geweint, Vorwürfe um mich geschmissen ("Ich bin euch doch eh komplett egal" usw) und konnte mich kaum mehr beruhigen. Wer mich kennt weiß, dass weder Schreien, noch Vorwurfsvoll sein, noch heftiges Weinen vor anderen zu meinen üblichen Verhaltensweisen zählen, ganz im Gegenteil. Ihre Reaktion war bezeichnend, von "stell dich nicht so an", "du wirst uns ja nicht zum Essen brauchen" bis zu "Bist du irgendwie schlecht drauf?" war alles drin. Worum es mir ging, war für sie nicht nachvollziehbar.
RoboCat hat geschrieben: Do., 29.03.2018, 17:51 Wenn ich aber ehrlich bin, dann suche ich da schon einen Vater und Mutterersatz.
Ohne das zu werten kann ich nur sagen, dass ich das auch kenne. Allerdings nicht in Freundschaften, stattdessen hatte ich mein Leben lang weibliche Bezugspersonen auf die ich meine Sehnsüchte nach einer starken, mich schützenden Mutter übertragen habe. Das waren in erster Linie LehrerInnen, meine frühere Therapeutin, Professorinnen, also immer Beziehungen die schon von Grund auf asymmetrisch sind. Ich konnte dadurch einerseits tatsächlich viel von dem was ich brauchte bekommen, oftmals waren diese Beziehungen aber doch leidvoll, weil die Sehnsucht dadurch eben schlicht nicht gestillt werden kann.

Gerade heute gehts mir wieder ziemlich schlecht und ich frage mich, ob ich nicht doch einen Weg finden könnte, wenigstens die Beziehung mit meiner Mutter positiver zu gestalten, anders zu gestalten als das bisherige "Heile Welt Gespiele". Dann gelange ich ganz schnell wieder an den Punkt an dem ich ohnehin schon war. Wenn ich Grenzen ziehe (kein ewiges Jammern mehr, keine Erzählungen zu ihrer schlechten Ehe, kein Übergehen meiner Bedürfnisse, keine ständigen Anrufe), dann stelle ich fest, dass ich keine Ahnung hätte was wir uns zu sagen hätten. Wenn ich mich mit ihr beispielsweise hin und wieder außerhalb der elterlichen Wohnung treffen würde, zum Essen, wie auch immer, dann weiß ich gar nicht worüber wir reden könnten. Da ist so wenig emotionale (Ver-)Bindung, die müsste ich ja ganz neu versuchen aufzubauen. Dazu kommt, dass sie auf alle Vorschläge der Veränderung ohnehin mit "Das geht nicht" reagiert oder gar keine Lust hat etwas zu verändern (wozu spazieren gehen, wenn man ja auch zu Hause sitzen kann) und dieses starre Verharren in einer Position wird mich wieder wütend machen. Aber bei allem Ausprobieren, könnte ich ja vielleicht einen Versuch starten. So wie jetzt ist es unerträglich und da muss eine Änderung her :-((

Benutzeravatar

Räbin
Forums-Insider
Forums-Insider
weiblich/female, 27
Beiträge: 163

Beitrag Sa., 31.03.2018, 05:51

RoboCat hat geschrieben: Do., 29.03.2018, 17:51 Wenn ich aber ehrlich bin, dann suche ich da schon einen Vater und Mutterersatz.
Le_na hat geschrieben:Ohne das zu werten kann ich nur sagen, dass ich das auch kenne. Allerdings nicht in Freundschaften, stattdessen hatte ich mein Leben lang weibliche Bezugspersonen auf die ich meine Sehnsüchte nach einer starken, mich schützenden Mutter übertragen habe. Das waren in erster Linie LehrerInnen, meine frühere Therapeutin, Professorinnen, also immer Beziehungen die schon von Grund auf asymmetrisch sind. Ich konnte dadurch einerseits tatsächlich viel von dem was ich brauchte bekommen, oftmals waren diese Beziehungen aber doch leidvoll, weil die Sehnsucht dadurch eben schlicht nicht gestillt werden kann.
Das geht mir ähnlich. Ich habe das einmal mit einem Mann, der sehr "mütterlich" war, erlebt, dass es sich wirklich heilsam anfühlte. Allerdings habe ich dann irgendwann auch realisiert, dass die Wünsche immer weiter gingen, da musste ich mich etwas "zurückpfeifen", weil ich ihm das auch nicht überhelfen wollte.

Zum Thema Trennung von den Eltern: Ich denke, das ist ein innerer Prozess, Kontaktabbruch hat auf diesen inneren Prozess keinen maßgeblichen Einfluss. Er kann allerdings schützen, das bleibt dann abzuwägen und ist sehr individuell, ob Kontaktabbruch förderlich ist oder nicht. Obwohl man weiß, dass Kontakt schädlich ist (also bei denen, bei denen das so ist), kann es auch schädlich sein, einen Kontaktabbruch auf Biegen und Brechen gegen das eigene Gefühl durchzuziehen.

Benutzeravatar

Le_na
[nicht mehr wegzudenken]
[nicht mehr wegzudenken]
weiblich/female, 26
Beiträge: 1842

Beitrag Fr., 06.04.2018, 07:04

Räbin hat geschrieben: Sa., 31.03.2018, 05:51 Ich denke, das ist ein innerer Prozess, Kontaktabbruch hat auf diesen inneren Prozess keinen maßgeblichen Einfluss. Er kann allerdings schützen, das bleibt dann abzuwägen und ist sehr individuell, ob Kontaktabbruch förderlich ist oder nicht. Obwohl man weiß, dass Kontakt schädlich ist (also bei denen, bei denen das so ist), kann es auch schädlich sein, einen Kontaktabbruch auf Biegen und Brechen gegen das eigene Gefühl durchzuziehen.
Danke dafür, diesen Absatz habe ich nun öfter gelesen und denke du hast Recht. Zum einen damit, dass es ein innerer Prozess ist sich von den Eltern abzugrenzen. Zum anderen damit, dass ein gegen sich selbst erzwungener Kontaktabbruch auch schädlich sein kann. Ich bin gespannt, wie dieser innere Prozess aussehen kann. Momentan drehe ich mich im Kreis mit meinen Gedanken und hoffe darauf, dass irgendwann ein Schlüsselmoment kommt, mit dem ich gut weiterarbeiten kann.

Werbung

Antworten
  • Vergleichbare Themen
    Antworten
    Zugriffe
    Letzter Beitrag