Sag kein Wort

[montagne]

Sag kein Wort

09. Juli 2008

Sie läuft durch die Straßen, sitzt in der Bahn. Etwas in ihr ist gestorben, aber niemand sieht es, niemand darf es sehen. Sie ist getrennt von allen anderen Menschen. Im Supermarkt trifft sie eine Trainingskollegin. Aber die wirkt genau so fremd, wie die Kassiererin, die sie seit fast 10 Jahren kennt. Sag kein Wort, flüstert eine Stimme bedrohlich. Kein Wort zu niemandem.

Sie liegt im Bett und spürt ihren Körper nicht mehr. Die tröstenden Worte verschwinden hinter einem Rauschen. Kein Wort, sagt die Stimme. Keine Träne. Es ist zu spät. Heiße Bäche fließen an ihren Wangen herunter ins Kissen. Aber sie sagt nichts.

"Geht es dir gut??, wird sie gefragt. Sag kein Wort, droht die Stimme und so nickt sie und liest weiter Daten ein. Aber es ist alles durcheinander. Die Zeichen auf dem Bildschirm tanzen.

Sie sagt kein Wort, zu niemandem. Und fühlt sich einsam. Die Menschen in der Bahn wirken surreal, wie eine Illusion in einem Fiebertraum. Es ist heiß und schwül. Sie fühlt sich kalt. Kein Wort wird sie sagen, zu niemandem.



03. Juli 2009

Das Telefon klingelt. Ihr Puls beschleunigt auf gefühlte 210 Schläge. „Sie wollten mich sprechen. Was kann ich für Sie tun“, wird sie gefragt. Sag kein Wort, sagt die Stimme dunkel und bedrohlich.
„Mir geht es nicht so gut“, flüstert sie. Tränen bilden sich und rollen über ihr sonnenverbranntes Gesicht.

„Gibt es einen speziellen Anlass?“, fragt die Stimme aus dem Telefon freundlich. Kein Wort, sagt die Stimme in ihrem Kopf.
„Ja schon,“ sagt sie. Ein Schweigen legt sich über die Telefonverbindung, das anders ist als sonst.

„Ich würde es so gerne sagen, aber ich denke ich kann nicht.“ Tränen fließen in Bächen ihr Gesicht herab und tropfen auf ihre Brust. Nicht ein Wort, droht die Stimme. „Aber ich kann es so nicht mehr aushalten“, flüstert sie.

Die Stimme am anderen Ende der Leitung beginnt ruhig und bestimmt Themen zu raten. Sie bräuchte nur ja oder nein sagen.
Kein Wort, nicht eins.

„Es ist wegen dem Wetter“, beginnt sie.
„Ja es ist so extrem heiß, da ist man angeschlagen,“ sagt die Stimme am anderen Ende, offenbar wenig überzeugt von der eigenen Überlegung.

„Es ist so heiß“, beginnt sie. Das Rauschen in ihrem Kopf wird stärker.
„So heiß und bewölkt die ganze Zeit und dunkel.“ Das Rauschen wird so laut, das sie die Stimme in ihrem Kopf nicht mehr hören kann und auch ihre eigene kaum noch. Spricht sie laut oder denkt sie nur?

„So heiß und dunkel, das ist ja eher ungewöhnlich für Europa.“ Sie macht eine Pause und schluckt. Und hört. Aber die Stimme im Kopf ist still. Sie hat Angst vor der Stimme. Aber sie ist still.
„Es ist so heiß und dunkel wie vor dem Monsun“, flüstert sie.

„Aha.“ Sagt die Frau am anderen Ende der Leistung mit fester Stimme. Ein, ich verstehe schwingt mit. Und auch ein, ich bin erleichtert, dass ich weiß worum es geht.
„Ich denke schon, sie sollten das trennen“, sagt sie weiter. „Das war damals. Und jetzt sind sie hier in Europa und sie sind hier sicher.“

„Mhm.“ Die Stimme im Kopf schweigt noch immer.
„Vielleicht ist jetzt die Zeit gekommen darüber zu reden. Also, wie wäre es, wenn Sie Montag her kommen und wir reden? Am besten Sie kommen abends, da habe ich länger Zeit.“

„Ja“, sagt sie. Kein Wort, sagt die Stimme. Kein Wort wirst du sagen, am Montag.

„Jetzt ist es raus, ich habe gewonnen", denkt sie sich.

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[Pippi Langstrumpf]

Hallo vallée!

Ich habe dich gelesen und mir kamen folgende Gedanken.

"Sag kein Wort", sagt die Stimme und sie nimmt dir damit die Möglichkeit, über diese Dinge zu sprechen, was so wichtig wäre. Du vergiftest dein Seelenleben, wenn du die Stimme befolgst. Diese Stimme wirkt auf mich sehr bedrohlich und böse. Ich denke aber, dass sie vielleicht auch eine schützende Funktion für dich haben könnte. Möglicherweise will sie dich abhalten, davon zu erzählen, weil sie dich schützen möchte.
Andererseits aber macht es dich krank, wenn sie dir verbietet, darüber zu sprechen. Du "musst" reden!!Nur so bekommst du Distanz zum Geschehenen!! Und du brauchst jemanden, der bereit ist,zuzuhören!

Die Frau, mit welcher du telephoniert hast, macht den Eindruck, als könnte sie eine wichtige Begleiterin für dich sein!?

Alles Liebe


Pippi

[montagne]

Danke Pippi,
Ja ich weiß das alles, was du schreibst.
Ich wollte mein Erleben einfach nur so mal künstlerisch ausdrücken, damit es vllt. leichter wird. Und es so zeigen, hier in diesem Umfeld.
Vielleicht erkennt sich der ein oder andere darin ja wieder, fühlt sich verstanden und fasst auch Mut.. so wie ich...
Wobei ich nicht sagen würde, das das Kunst ist, eher mein Blues.

Wie dem auch sei, danke für deine Anteilnahme.

[Pippi Langstrumpf]

Vielleicht erkennt sich der ein oder andere darin ja wieder, fühlt sich verstanden

Ich erkenne mich wieder! Meine Gedanken, Ängste...
Meine Stimmen, die auch sehr bedrängend sind!!

Es ist dir sehr gut gelungen, deinen Gefühlen Ausdruck zu verleihen!!


Pippi

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[montagne]

Ich mag es sehr, wenn ich mich durch Literatur verstanden fühle und freue mich, wnen andere sich verstanden fühlen, durch das was ich schreibe.
Es stellt eine Verbindung her, die ich (bei gewissen Dingen) vllt. anders noch nicht herstellen kann.

[Pippi Langstrumpf]

Ja, das ist mir auch sehr wichtig. Besonders wenn einem selbst die Worte fehlen und vieles so unaussprechlich ist.

Wenn man dann etwas liest und plötzlich merkt "Es gibt Worte dafür. Andere haben das auch erlebt und sie können es verbalisieren, also kann ich es vielleicht irgendwann auch...!" dann ist das ein wunderbares Gefühl!!

[Elfchen]

„Jetzt ist es raus, ich habe gewonnen", denkt sie sich.

DAS wäre es...

glg

[*AufdemWeg*]

Liebe Vallee,

Danke



fühle mich berührt, gesehen und verstanden.

Alles Liebe
ADW

[montagne]

Danke adw FReut mich, ehrlich.

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