Liebster

Manchen Menschen fällt es leichter, über ihre Gefühle und Gedanken zu schreiben oder zu malen, als sie auszusprechen. Hier ist Platz dafür: Bilder, Gedichte, Erfahrungsberichte und andere Texte (bitte nur eigene).
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Rezna
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Liebster

Beitrag Di., 21.04.2009, 20:51

Liebster, Lieber...

...ich zerbreche, und ich habe keine Methode, es dir zu sagen, zu zeigen. Ich tu dir weh, und will es nicht. Du tust mir weh, und willst es nicht.
Ich zerbreche Stück um Stück und ich verliere mich mit jedem Tag, jedem Gedanken und jeder Träne. Und ich verliere dich. Wir fallen uns aus den Händen und es gibt nichts was wir uns mitteilen können. Wir hatten uns nie etwas zu sagen, wir haben uns nie mit geteilt. Nicht weil wir uns auch so verstanden, nicht, weil wir uns einfach auch so kennen. Wir sind so lange Liebende und doch – ich weiß nichts von dir. Ich kenne nicht deine Leidenschaft und ich kenne nicht deine Träume. Ich kenne dich nicht und habe all das was ich nicht erfahren darf, warum auch immer, mit eigenen Gedanken und Träumen aufgefüllt. Von jedem Menschen den ich flüchtig kenne weiß ich mehr als von dir. Ich kenne die Meinung selbst von Leuten, von denen sie mir egal ist. Deine Meinung kenne ich nicht.
Ich zerfalle und zerbreche, verliere mich, vertrockne vor Angst. Ich versuche stark zu sein. Ich versuche zu funktionieren. Ich treibe wild hin und her zwischen Flucht und Nähe. Aber wo ich auch bin und wo ich auch suche, ich finde dich nicht. Ich sehe dich, aber du bist nicht da. Ich weiß nicht wo du bist, vielleicht weißt du es ja nicht einmal selber – ich weiß auch nicht mehr wo ich suchen soll. Ich habe keine Worte für dich außer diese hier, und sie werden dir nicht genügen. „Was soll ich tun?“ wirst du fragen, du willst eine Anleitung dafür, wie du dich verhalten sollst. Eine Gebrauchsanleitung: „Wie geht man mir jemandem um der Zerbricht?“ Doch ich brauche kein biologisches Gerät das nach meiner Anleitung funktioniert. Eine Zerbrechende kann dir nur kaputte, schwache, sinnlose Anleitungen geben. Was erwartest du? Eine Zerbrechende braucht JEMANDEN. Einen Menschen der außerhalb dieser Zerbrechlichkeit liegt. Jemand, der SEIN kann in einer Zeit in der ich selber nicht mehr sein kann. Ich brauche keine Marionette die den Arm hier hinlegt wenn ich sage: hier! Ich brauche jemanden, der einfach weiß, der einfach sieht und fühlt, das ich jetzt einen Arm brauche. Ich habe keine Kraft, so stark zu sein dir eine Anleitung zu geben wie du mit einer Verrückten umgehst. Ich brauche jemanden, dem ich wichtig genug bin, von dem was er tut aufzusehen und MICH zu sehen. Jemanden, der nicht selbst nach wochenlangem Ringen um meine Kraft erstaunt ist, das ich Zerbreche. Siehst du nicht, das ich seit Wochen zerbreche? Warum siehst du es nicht, Liebster? Weil du selber zerbrochen bist? Schon so lange, das es für dich ein völlig normaler Zustand ist, so gewöhnlich, das du einfach nicht mehr wahr nehmen kannst, wenn jemand anderer zerbricht.
Du warst bereits zerbrochen als ich dich kennen lernte. So wie ich. Wir Menschen sind nunmal nicht in Ganzen wenn wir erwachsen. Und wir haben uns so zerbrochen angenommen ohne zu fragen was uns zerbrochen hat. Das wir nicht fragten aber war kein Respekt vor dem Trauma sondern Feigheit! Das wir es nicht sagen konnten: Feigheit!
Liebster, ich mache alles kaputt, und möchte es nicht. Ich liebe dich, aber ich kenne dich nicht. Ich bekomme nackte Angst, wenn ich heim komme und am Boden liege, und du dies ungerührt, unkommentiert, unbewegt hin nehmen kannst und spielen kannst, als wäre ich in der Sekunde Luft, in der ich am Meisten ein DU brauchen würde. Ich frage mich, was du tätest, fändest du mich eines Tages tot auf. Ließest du mich liegen? Tage-, Wochen-, Monatelang? Und wenn nicht, warum lässt du mich dann liegen, wenn ich als Lebendige gefallen bin? Als Tote könnte ich dir keine Anleitunge mehr geben: leg die Hand hier hin, rufe da an, behandele mich so oder so. Gingst du hinaus und spaziertest davon? Solcherlei Angst packt mich und ich fühle mich alleine. Einsam. Verloren.
Du lässt mich im Stich, wenn du zu Stein wirst, wie das immer wieder passiert. Du gibst mir keine Anleitung, wie ich mit dir umgehen soll. Friß oder stirb. Reib dich auf oder nicht, egal. Ich reib mich auf, zerbreche. Und zerbreche ich dann, willst du eine Anleitung haben, wie du mich nun anfassen sollst.
Ich sage es dir: Sei du, sei da, teile Dich mit. Habe eine Meinung, stehe zu mir – oder habe den Mut mir zu sagen das du nicht hinter mir stehst. Ich zerbreche nicht an der Arbeit alleine – die mich mehr als belastet, wie du – wenn nicht heute – dann vielleicht irgendwann oder nie – mit bekommst. Ich zerbreche, weil ich nicht weiß ob du mein Verbündeter oder mein Feind bist, hier in dieser Stunde. Nichts an dem was du tust oder sagst ist mir ein Hinweis. So als hieltest du dir alle Türen offen. So, als möchtest du für alle Zeiten dich noch auf die ein oder andere Seite schlagen. Wann diese Zeiten kommen werden, und warum du dann, und nicht jetzt einen Grund sieht, Farbe zu bekenne, das weiß ich nicht.
»Nimm niemals Böswilligkeit an, wenn Dummheit hinreichend ist.« [Hanlon's Razor]
»Wir sind lieber die Bösen als die Dummen.« [Richard David Precht]

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Rezna
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Beitrag Di., 21.04.2009, 20:52

Ich bin Unfair. Ich erwarte mir, das du meine Tränen als eine Aufforderung siehst, mich zu trösten. Ich erwarte, das du meine Verzweiflung als Aufforderung siehst, mich zu umarmen. Ich erwarte, das du meine Unsicherheit als Aufforderung siehst, Farbe zu bekennen. Und das alles erwarte ich, ohne es dir in klaren Worten wie ein Soldat sagen zu müssen. Ich erwarte mir unfairer weise, das du nach den Jahren der Liebe, den fast vierundzwanzig Stunden am Tag die wir Seite an Seite erleben, erkennst, fühlst, spürst wie es mir geht.
Ich habe keine Ahnung ob du das verstehen kannst – aber es ist eine vollkommen andere Berührung und Umarmung, wenn du mich siehst, erkennst was ich brauche und aus eigener Entscheidung auf mich zugehst und mich in den Arm nimmst – oder ob ich dich, wie eine Bittstellerin, darum ansprechen muss – und du dann aus reinem Gehorsam mechanisch deinen Arm um mich legst – und ich spüren kann, regelrecht brennen spüre, wie du dich wieder heraus winden willst. Wie ich spüre, das du dich bereits fragst, wann du endlich das Level in deinem Computerspiel beenden kannst, wann diese lästige, menschliche Frau abläßt mit ihren nervigen anstrengenden Bedürfnissen. Auch, Liebster, wie du mich manchmal ansiehst, wenn wir uns Küsse geben, es bricht mir das Herz. Ich muss eine wahrlich grausame Person sein. Ich wage kaum zu benennen, was überwiegt, in diesen Sekunden, ob du mich mehr verabscheust oder mehr fürchtest. In all den Jahren, in denen wir uns nicht mitgeteilt haben, habe ich gelernt aus deinen Blicken zu lesen, mir das heraus zuraten, was du mir die erzählen wirst. Und diese Fähigkeit ist ein Fluch, in jenen Stunden, da du deine Mauern so dick um dich herum errichtet hast, das ich eine Fremde für dich bin. Eine nervige Fremde mit anstrengenden Forderungen.
Liebster, ich will hier nicht die Anklägerin sein, die all das auf den Tisch zerrt, was sie nicht geschafft hat, selbst in so vielen Jahren zu erfahren. Wir teilen nun acht gemeinsame Jahre und ich weiß immer noch nichts von dir. Ich weiß nicht ob du in mich verliebt warst oder nur aus einer Gelegenheit heraus mit mir zusammen kamst. Ich weiß nichts von den Frauen vor mir – nichts davon, was dich so gebrochen hat.
Als ich heute heim kam, verzweifelt, am Boden, so dürstend nach Trost und einer starken Schulter, da war ich alleine. Du saßt vor dem Computerspiel während ich im Schlafzimmer so weit geraten war, ans Fenster zu schreiten um hinab zu springen. Es hat dich nicht interessiert. Es war dir völlig egal, das ich weinend im Schlafzimmer lag. Ungerührt spieltest du weiter. Ich war wegen der Arbeit fertig, wegen der unaushaltbaren Zustände. Ich fühle mich als Versagerin, weil ich keine Kraft habe mehr, mein Leben zu meistern. Es ist schrecklich. Ich sehe euch alle, wie ihr so tapfer seid, so stark, und ich habe das Gefühl eine Versagerin zu sein, weil ich nicht so stark sein kann. Und da war ich, alleine, einsam und hörte die Geräusche des Computerspiels das mich und meine Verzweiflung auslachte, verspottete mit seiner hohlen Ignoranz. Ich war angekommen. Ich war also weniger wert als ein Spiel das du bereits in und auswendig kennst. Ich – ein Mensch aus Fleisch und Blut – habe weniger wert als ein Spiel. Und in den Minuten, da dachte ich: Arta, das hast du so gewollt. Das hast du dir ausgesucht. Du hast dir ausgesucht, ein Leben ohne reden und ohne soziale Wärme. Du hast dir einen Menschen gesucht, der genau das mit dir tut, was du selber tust: Er verachtet dich in deiner Schwäche, er ignoriert dich in deinem Versagen. Du selber machst das tagtäglich. Arta, du selber hast dir ein Leben ausgesucht, das frei ist von Diskussionen, Gedankenaustausch, Idealen, Träumen und allem was sonst das Menschliche, das LEBEN ausmacht. Du selber hast es dir ausgesucht und so lange mit gespielt, dir selber so, lange eingeredet, das es das ist was du willst – und nun, nun hast du es bekommen. Du bist völlig frei und ungebunden. Du kannst heim kommen, niederbrechend, und niemand wird dich auf fangen. Und wenn du nicht heim kommst, niemand wir dich anrufen.
Ich selber, ich verdammte Torin, ich selber habe es immer als eine Art witzige Albernheit verfochten, das wir nicht miteinander telefonieren. Doch die bittere Wahrheit hat sich mir erst in den letzten Wochen aufgedrängt. Wir telefonieren nicht, weil wir uns nichts zu sagen haben, nichts mitzuteilen. Nie. Wenn wir nebeneinander nebenher schreiten, können wir das überspielen. Generell frage ich mich, ob nicht all die Jahre so etwas wie das erste Misslungene Date sind, das wir und nur nicht eingestehen wollen. Wie kann man so lange überbrücken, das man sich eigentlich nichts zu sagen hat? Telefonate hätten das schon zu Beginn ans Tageslicht befördert.
»Nimm niemals Böswilligkeit an, wenn Dummheit hinreichend ist.« [Hanlon's Razor]
»Wir sind lieber die Bösen als die Dummen.« [Richard David Precht]

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Beitrag Di., 21.04.2009, 20:52

Was tu ich hier? Mache ich Schluß? Ist dies der Brief, das Geständnis, das dich zu spät erreicht? All das hier, all das was ich hier schreibe werfe ich dir nicht vor, ich werfe es mir selber vor. Du warst nie ein anderer, ich habe nur all das was ich nicht erfuhr ergänzt durch das, was ich in dir sehen wollte. Wenn ich mich eines Tages an dich zurück erinnere, wenn ich alt und grau bin – ich denke, es wird diese Stille sein. Dieses Schweigen. Etwas, das unsere gemeinsame Zeit von der ersten Stunde an geprägt hat. Hatte ich es mir so vorgestellt???? Nein. Ich hatte Leben erwartet, Lebendigkeit. Du warst meine erste Liebe, meine erste Beziehung überhaupt. Ich hatte keine Ahnung wie man liebt und eine Beziehung führt und war entschlossen zu lernen. Ich war entschlossen, es so gut zu machen wie es nur geht. Liebe überwindet alles – das war mein Motto. Ich nehme dich wie du bist. Liebe mich wie ich bin. Aber, und das weiß ich, das ist es nicht wie Menschen funktionieren. Die Menschen wollen nicht dafür geliebt werden, wie sie sind, denn sie halten sich für fehlerhaft, klein und wenig Liebenswürdig. Menschen wollen dafür geliebt werden, wie sie sein wollen. Menschen wollen für das geliebt werden, was sie erstreben zu sein. Ich weiß bis heute nicht, wer oder was du sein willst. Zu lieben wie einer ist, bedeutet, ihn daran zu hindern sich zu entwickeln und zu reifen. Damit, dich so angenommen zu haben wie du bist, mit der wilden entschlossenheit das zu schaffen – habe ich dich behindert, gefesselt, gehemmt und dir die Möglichkeit genommen zu wachsen. Ich hätte dich fordern sollen. Aber wusste ich das? Woher denn?
»Nimm niemals Böswilligkeit an, wenn Dummheit hinreichend ist.« [Hanlon's Razor]
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