Freiheit

Manchen Menschen fällt es leichter, über ihre Gefühle und Gedanken zu schreiben oder zu malen, als sie auszusprechen. Hier ist Platz dafür: Bilder, Gedichte, Erfahrungsberichte und andere Texte (bitte nur eigene).
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Wurstel
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Freiheit

Beitrag Mi., 17.02.2021, 09:22

Wurstel


Dieses Gedicht habe ich in jener Zeit geschrieben, als ich in meiner ersten Therapie war. Ich war da kurz in einer Literatengruppe in der nahen Kleinstadt. Die nahm sich immer bei den "Lesungstreffen" vor, ein Gedicht zu einem Thema, das bei den Treffen ausgemacht wurde, zu schreiben, und dann wurden die so entstandenen Gedichte beim nächsten Lesungstreffen dieser Gruppe vorgelesen. Obwohl diese Lesungen öffentlich waren, gingen auf diese "Lesungstreffen" dort immer nur die Leute, die dort ihre Werke vorgelesen haben, hin. In der (relativ kurzen) Zeit, die ich dort gewesen bin, sah ich keinen einzigen Zuschauer/Gast bei diesen Lesungen, der nicht selber dort einer der Vortragenden war.

(Letztlich war die Methode dieser Literatengruppe nicht die richtige für mich. Ich tat mir sehr schwer, etwas zu einem vorgegebenen Thema zu schreiben, weil mir die meisten dieser Themen nicht taugten. Da es aber nicht sehr gerne gesehen wurde, wenn ich sagte, daß mir zum vorgegebenem Thema nichts eingefallen ist und ich lieber andere Gedichte von mir vorlesen möchte, war dies dann der Hauptgrund dafür, nicht mehr auf diese Treffen zu gehen.)

Ich wollte auch meinem damaligen (also meinem ersten) Therapeuten dieses Gedicht vorlesen, aber er ließ es nicht zu, daß ich ihm Gedichte oder sonstige Texte von mir vorlese - er fragte mich, ob ich eine Therapie machen oder eine Lesestunde abhalten möchte. Daher erzählte ich ihm nur die Quintessenz dieses Gedichtes. Er meinte dazu, daß diese falsch ist. (Ich sagte ihm, daß ein Eremit ja wegen seiner Freiheit die Einsamkeit gewählt hat. Er antwortete darauf, daß das nicht stimmt, sondern daß ein Eremit deshalb alleine lebt, weil er meditieren will und nicht, weil er frei sein will.)

Wie findet Ihr dieses Gedicht und die (konträre) Ansicht meines Therapeuten?

(Meinen Eltern hat dieses Gedicht nicht gefallen. Sie sagten, da kann man nicht darüber lachen und fragten mich, warum ich nicht solche Gedichte schreiben kann, wie sie im Radio beim "Frühschoppen" vorgetragen werden, das ist was, da kann man lachen; sie sagten auch, daß ich früher viel bessere Gedichte geschrieben habe - klar, die waren damals ja auch so wie diese Frühschoppen-Gedichte, also solche, wo man sich über Behinderte oder einfältige Menschen lustig macht. Da sieht man mal wieder, daß die Eltern einen prägen und man leider viel von ihnen mitnimmt, ob man will oder nicht - aber der Wechsel bei meinen Gedichten von der Burgenländer- und Idiotenwitzfraktion zu ernsthafteren Themen zeigt, daß ich nicht gar und gänzlich nach meinen Eltern geraten bin, was dann allerdings auch zu meinen Problemen und letztlich zu meiner "Entmündigung" geführt hat.)


Freiheit

(geschrieben am 2. Juni 1998 um 15:00 Uhr in meiner Arbeit)

Was reimt sich denn bloß auf "Freiheit"?
Mir fällt nur ein, "die Tapferkeit".
Doch will 's mir gar nicht recht erscheinen,
"frei" mit "tapfer" zu vereinen.
"Und wär'", so muß man fragen, "es auch gut,
zu bringen beides unter einen Hut?"
"Frei" und "tapfer", auch "stark" und "mächtig",
dies' Wort ist wahrlich schicksalsträchtig.
Zu sehr erinnern tut dies mich
an Zeiten, welche fürchterlich.
Denn diese Wortwahl will ich meiden,
durch Freiheit sollen and're leiden?
Daher muß schnell ein Ausweg her
aus dieser Reimerei-Miser'.
Na, grübel, denke nach, studier',
was könnte sich noch reimen hier?
Wann ist Freiheit mit Bedacht,
die niemand ander'n traurig macht?
Ich denke nach, bis daß ich schwitz'.
Na, komm schon endlich, Geistesblitz!
Jetzt ist der Groschen mir gefallen,
dabei ist 's Einfachste von allem:
Jawohl, es reimt sich auf die Freiheit
am besten wahrlich nur mehr Einsamkeit.
So kann man wirklich alle Sachen,
die man will, tatsächlich machen,
braucht nicht auf and're aufzupassen,
kann, was man will, tun oder lassen.
D'rum ist Einsamkeit, ('s ist nicht verkehrt)
so Manchem seine Freiheit wert.

(Wurstel)

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