Geschichte der Besserung

Nicht jedem fällt es leicht, mit anderen Menschen in Kontakt zu treten, "einfach" mal jemanden kennenzulernen oder sich in Gruppen selbstsicher zu verhalten. Hier können Sie Erfahrungen dazu (sowie auch allgemein zum Thema "Selbstsicherheit") austauschen.
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Geschichte der Besserung

Beitrag So., 14.09.2008, 21:08

Hallo Forum,

da ich vor einigen Jahren hier des öfteren mitgelesen habe da ich mich mit vielen Themen identifizieren konnte, wollte ich mich registrieren und über meine Erfahrungen berichten, in der Hoffnung, dass jemand vielleicht Nutzen daraus ziehen kann, und vielleicht etwas Mut zu machen.

Seit meiner Jugend leide ich schon an einer Sozialphobie. Wie sich diese entwickelte kann ich zwar erahnen, spielt aber hierfür keine große Rolle. Ich hatte wie wahrscheinlich viele hier sehr große Ängste in vielen sozialen Situationen.
Um ein paar extreme Beispiele zu nennen:
Ich versuchte nur zu bestimmten Zeiten unser Haus zu verlassen während denen es unwahrscheinlich war, dass ein Bus an der angrenzenden Straße vorbeifuhr (um nicht gesehen zu werden), beim Geldabheben am Automaten wurde ich zum Teil rot und bekam Schweißausbrüche beim Gedanken an die Kamera, auch wenn gar keine Menschen anwesend waren. Kleidung einkaufen in der Stadt war eine Tortur, allein war das unmöglich, wenn dann in Begleitung.

Ich zog mich zurück um keine negativen Erfahrungen machen zu müssen, verbrachte viel Zeit am PC, was in erheblichen Defiziten in sozialen Kompetenzen resultierte. Ich hatte zwar ein paar gleichgeschlechtliche Schulfreunde was mir recht gut tat, aber mit dem anderen Geschlecht lief etwa die ersten 21 Jahre nichts.

Heute betrachtet waren meine damaligen Gedanken selbstzerstörerisch. Ich konzentrierte mich fast ausschließlich auf die negativen Aspekte der Dinge die mir widerfuhren, dachte dabei "das war ja wieder klar", "immer ich", fühlte mich regelrecht verflucht, dass mir das Schicksal Steine in den Weg legte.

Ich verwendete meine (überdurchschnittlich hohe) Intelligenz um sehr viele selbstschädigende irrationale Einstellungen zu entwickeln, und legte die Realität nach diesen Überzeugungen aus, und verinnerlichte sie in meinem Unterbewusstsein, so dass ich zum Teil gar nicht bemerkte, wie absurd einige dieser Gedanken waren.

Dies spiegelte sich letztendlich in meinen Emotionen wieder. So war es mir beispielsweise extrem unangenehm, von anderen Leuten - inklusive meiner Eltern - angeschaut zu werden, da ich überzeugt war, dass ich hässlich aussah. Es war klar, dass mich die Leute auch allein aus diesem Grund anschauten, und nicht etwa, weil sie mich attraktiv fanden - sowas war einfach nicht Teil meiner Realität.

Ich konnte mochte mich selbst nicht, konnte mich nicht akzeptieren, fand tausend Dinge die ich an mir hasste, und verurteilte mich dafür auch noch selbst. Dadurch überbelastete ich mich psychisch selbst, hatte wenig bis kaum Selbstbewusstsein, Selbstachtung und Durchsetzungsvermögen.

Vermutlich werden viele Leser bis jetzt an einigen Stellen zustimmend genickt, und sich selbst erkannt haben.

Heute geht es mir in dieser Hinsicht relativ gut. Eigentlich trifft kaum etwas, das ich oben beschrieben habe, auf mich noch zu.

Was mich in meiener Entwicklung unwahrscheinlich weiter gebracht hat, war der Zivildienst in einer Einrichtung mit etwa 400 Menschen. Ich war quasi gezwungen auf fremde Personen zuzugehen, und mit ihnen zu interagieren. Dabei stellte ich mit der Zeit nicht nur fest, dass dabei eigentlich nichts Schlimmes passierte, sondern dass ich daran (aber erst gegen Ende der Zeit) auch Spaß haben konnte. Durch ein paar stetig tägliche Erfolgserlebnisse baute ich einige negativen Denkweisen ab, und langsam etwas Selbstvertrauen auf, was sich stetig bis jetzt - aber nicht ohne Rückschläge - ins Studium fortsetzte.

Was mir also am meisten geholfen hat: (am Anfang erzwungene) Konfrontation und eine gehörige Portion "Open-Mindedness" in der Selbstreflektion.

Mit 21 konnte ich es endlich in meiner Realität zulassen, dass jemand vom anderen Geschlecht an mir interessiert war. Mit 22 war es mir möglich zu glauben, dass mich eine Frau hübsch fand - ohne dies als zynisch abzustempeln.

Auch habe ich keine großen Schwierigkeiten mehr bei alltäglichen normalen Aufgaben wie Besorgungen in der Stadt, Einkaufen gehen, Smalltalk, neue Leute kennenlernen - auch Frauen, ein Buch lesen auf einer Bank mitten unter Menschen in einem vollen Park. Zwar stellt sich noch ein mulmiges Gefühl in vielen Situationen ein, und ich bin noch lange nicht soweit, wie ich mich gerne sehen würde.

Jedoch kann ich mittlerweile behaupten, morgens gerne aufzustehen. Ich gehe raus, unternehme Dinge, versuche an meinen Problemen zu arbeiten, auch wenn der erste Schritt _immer_ wieder aufs Neue schwer fällt. Das habe ich akzeptieren gelernt. Genauso wie mich selbst.

Zudem habe ich gelernt, dass ich für meine Gefühle und Ängste selbst verantwortlich bin. Vielleicht haben Ereignisse in der Vergangenheit mich dazu verleitet, selbstdestruktive Einstellungen zu entwickeln.
Es ist aber im Hier und Jetzt meine eigene Entscheidung, ob ich diese weiterhin kommentarlos mein Fühlen und Handeln übernehmen lasse, oder sie kritisch hinterfrage, und durch realistischere, gesündere Überzeugungen ersetze.

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Beitrag So., 14.09.2008, 21:09

Was oben nicht mehr gepasst hat: Über Fragen, Kommentare, auch per PM, freue ich mich.

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chicheringrün
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Beitrag Mo., 15.09.2008, 09:24

Wow, Glückwunsch, dass du das geschafft hast. Dort, wo du jetzt bist, möchte ich auch einmal hin (hab auch eine soziale Phobie).

Ich nehme an, du hast eine Therapie gemacht. Wann war dir bewusst, dass du so nicht mehr weiter leben möchtest? Wann war dir wirklich bewusst, dass du an dieser Sache arbeiten musst, und dass das nicht der Therapeut für dich erledigt?
"Der beste Weg, die Zukunft vorauszusagen, ist, sie zu gestalten."
Willy Brandt

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Gärtnerin
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Beitrag Mo., 15.09.2008, 09:38

Hallo post,

danke für deinen Beitrag. Mir kam beim Lesen vieles bekannt vor. Auch mir hat es am meisten gebracht, dass ich irgendwann einfach hinausgestoßen wurde ins Leben, weil man schließlich seinen Lebensunterhalt verdienen muss.

Hast du das alles ohne Therapie geschafft? Für mich war die Verbindung von Therapie und Konfrontation das Wichtigste. In der Therapie habe ich etwas über die Ursachen gelernt, der Arbeitsalltag brachte knallharte praktische Übung im sozialen Miteinander. Und die dort auftretenden Schwierigkeiten konnten wiederum in der Therapie bearbeitet werden. Vor allem wurde ich dort immer wieder aufgefangen, wenn ich verzweifelt war.

Liebe Grüße,
die Gärtnerin
Wer etwas will, findet Wege. Wer etwas nicht will, findet Gründe.

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Beitrag Do., 25.09.2008, 14:10

Vielen Dank für die Antworten.
chicheringrün hat geschrieben:Ich nehme an, du hast eine Therapie gemacht. Wann war dir bewusst, dass du so nicht mehr weiter leben möchtest? Wann war dir wirklich bewusst, dass du an dieser Sache arbeiten musst, und dass das nicht der Therapeut für dich erledigt?
Nein, ich habe keine Therapie gemacht. Wie bereits oben geschrieben, habe ich mich gerade durch den Zivildienst sehr verändert, da ich gezwungen war, regelmäßig auf fremde Leute zuzugehen. Richtig bewusst geworden, dass es für mich besser wird, wenn ich an der Sache arbeite, ist mir vielleicht erst vor ein paar Monaten. Auch, dass ich mich besser fühle, wenn ich nach draußen gehe und was unternehme, anstatt mich zurückzuziehen.

Ein sehr wichtiger Schritt dabei, war die Angst als Teil der Realität akzeptieren zu können, anstatt sie zu verteufeln, und zu denken, dass die Angst nicht da sein sollte.
Gärtnerin hat geschrieben:In der Therapie habe ich etwas über die Ursachen gelernt, der Arbeitsalltag brachte knallharte praktische Übung im sozialen Miteinander. Und die dort auftretenden Schwierigkeiten konnten wiederum in der Therapie bearbeitet werden. Vor allem wurde ich dort immer wieder aufgefangen, wenn ich verzweifelt war.
Es freut mich, dass es dir jetzt wohl auch besser als früher geht. Ich kann natürlich nichts zu einer Therapie sagen, aber verzweifelt habe ich mich hin und wieder auch gefühlt, bin aber damit zurechtgekommen, indem ich versucht habe, mir nichts einzureden und realistisch zu denken. Allein der Gedanke daran, wie es früher war, kann motivieren.

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malo
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Beitrag Mi., 01.10.2008, 19:08

hallo post!

das ist eine sehr interessante geschichte die du da von dir erzählen kannst, und ich freue mich das sich deine situation so gebessert hat!

du hast das ohne therapie geschafft? respekt.. das schafft man denk ich nur sehr schwer. sogar mit therapie ist sowas schwer denk ich. also mir kommt das "sich ändern" unmöglich vor.
naja, du kennst meinen beitrag.

LG,
malo

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Dornröschen Dorn
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Beitrag Do., 02.10.2008, 16:17

post hat geschrieben:Zudem habe ich gelernt, dass ich für meine Gefühle und Ängste selbst verantwortlich bin. Vielleicht haben Ereignisse in der Vergangenheit mich dazu verleitet, selbstdestruktive Einstellungen zu entwickeln.
Es ist aber im Hier und Jetzt meine eigene Entscheidung, ob ich diese weiterhin kommentarlos mein Fühlen und Handeln übernehmen lasse, oder sie kritisch hinterfrage, und durch realistischere, gesündere Überzeugungen ersetze.
Das kann ich auch für eine gewisse zeit. doch dann falle ich meist wieder. wie schaffst du das denn ganz bewusst dauerhaft??
echt vor deiner leistung und herzlichsten glückwunsch!
LG
Erfahrungen sind die Schlüssel zu noch mehr Glück und Vollkommenheit, für alle Schlösser, die das Leben mir noch bringen wird..



Lieben Gruss und bis bald!

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Beitrag Do., 02.10.2008, 18:21

Dornröschen Dorn hat geschrieben:Das kann ich auch für eine gewisse zeit. doch dann falle ich meist wieder. wie schaffst du das denn ganz bewusst dauerhaft??
Danke für deine Antwort
Hmmm, einfach nicht damit aufhören, und auch mal negative Phasen akzeptieren? Jeder Mensch ist hin und wieder mal etwas down...

Aber vielleicht kann ich es dir besser erklären wenn Du schreibst, warum du dann wieder fällst / was Du dann fühlst.

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Visions
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Beitrag Fr., 03.10.2008, 21:38

Gratuliere dir Post!

Gestatte mir die frage: Weil du sagtest dir fällt es nicht mehr schwer etwas zu unternehmen. Was genau meinst du damit? Also was unternimmst du genau? ^^ sry aber interessiert mich.

Ich habe die letzten naja 4 Jahre sehr zurückgezogen gelebt mich von meinem Freundeskreis abgekapselt was eine sehr sehr lange geschichte ist. Am ende war es auch so da sich nicht rausgehen wollte weil ich angst hatte. Angst das mir etwas passiert weil ich wie du nur das shclechte wahr genommen habe.

Worauf ich hinaus will ist eigentlich. Ich kenne schon viele Menschen und hab durch meine Arbeit viele Soziale Kontakte etc. trotzdem schaff ich es nicht mich aufzuraffen um weg zu gehen etc. ein teil von mir sagt LOS JETZT und der andere sagt NE LASS ES wobei der NE LASS ES teil immer gewinnt :( keine ahnung wieso das so ist....

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Beitrag Sa., 04.10.2008, 12:24

Hallo visions,
Visions hat geschrieben:Weil du sagtest dir fällt es nicht mehr schwer etwas zu unternehmen. Was genau meinst du damit?
Im Prinzip genau das:
Visions hat geschrieben: trotzdem schaff ich es nicht mich aufzuraffen um weg zu gehen etc. ein teil von mir sagt LOS JETZT und der andere sagt NE LASS ES wobei der NE LASS ES teil immer gewinnt :( keine ahnung wieso das so ist....
Man versucht das unangenehme Gefühl dabei zu akzeptieren und zieht einfach los

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