Negatives Selbstbild oder schlichtweg unfähig

Nicht jedem fällt es leicht, mit anderen Menschen in Kontakt zu treten, "einfach" mal jemanden kennenzulernen oder sich in Gruppen selbstsicher zu verhalten. Hier können Sie Erfahrungen dazu (sowie auch allgemein zum Thema "Selbstsicherheit") austauschen.
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Pennylane
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Negatives Selbstbild oder schlichtweg unfähig

Beitrag Mo., 01.11.2021, 17:57

Liebe Forumsteilnehmer:innen! Ich habe enorme Schwierigkeiten mein Leben auf die Reihe zu kriegen und verachte mich selbst. Ich würde gerne um eure Hilfe bitten, um zu erkennen, was ich wie an mir ändern kann, was ich akzeptieren muss und was vielleicht eigentlich auch ganz gut ist an mir.

Zu meiner Person: Ich bin mittlerweile 33 Jahre alt und zurzeit ohne Beschäftigung, aber ich studiere seit Sommersemester 21 Vollzeit eine geisteswissenschaftglichen Master. Ich habe keinen existentiellen Druck zu arbeiten, da ich von meinem Erbe ganz gut leben kann. Meine Lebenserhaltungskosten sind gedeckt, auch noch für viele Jahre. Ich brauche auch nicht viel und Luxus bedeutet mir nichts. Ich fühle mich aber schlecht, keinen Beitrag zu leisten. Ich habe Angst, nicht mehr ins Berufsleben einsteigen zu können, weil ich nicht genug Praxis habe und nicht die Power habe die Anstrengung und den Stress einer Arbeitsstelle zu bewältigen.

Ich schätze mich selbst gering, vielleivcht weil ich einfach nicht viel wert bin. Ich habe die wichtigen Dinge des Lebens vernachlässigt und jetzt bin ich der lahme Hänger, der ich nie sein wollte. Meistens rauche ich Zigaretten und Trinke Kaffee, schaue am Handy rum, beschäftige mich mit meinem Gewicht (Abnehmziele) und kaue auf meiner Nagelhaut rum. Ich möchte mich selten wirklich mit etwas beschäftigen, will nichtmal einen Film schauen oder ein Buch lesen. Ich bin fade, lahm, habe nichts zu erzählen, bin faul, merke mir Informationen schlecht und bin ängstlich und zurückhaltend. Ich schäme mich für mich selbst, den Zustand meiner Wohnung, meinen Geist, meine fehlende Haltung (körperlich und geistig), mein Äußeres. Ich bin viel alleine und lasse die Zeit verstreichen. Ich denke über Selbstmord nach, verabschiede mich vom Leben, aber will das auch niemandem antun, nicht meinen Eltern, meinem Bruder, meinen 3 Freund:innen. Auch nicht mir selbst. So schlimm ist es auch wieder nicht. Aber ich bin traurig und enttäuscht von mir selbst.

Zu meiner Geschichte:
Ich bin in einem zerrütteten Eleternhaus aufgewachsen. Meine Eltern waren bei meiner Zeugung bereits in Scheidung und noch vor meiner Geburt getrennt. Meine Eltern hatten beide keine schöne Kindheit und starke emotionale Defizite, die es ihnen schwer machten, sich um uns 2 Kinder zu Sorgen. Sie kompensierten ihren Mangel an Liebe und Akzeptanz mit Hochleistung im Beruf. Deswegen wuchsen mein Bruder und ich auch überwiegend bei einer Tagesmutter auf, die uns leider psychisch misshandelte und sexuell zudringlich war. Meine Kindheit war geprägt von Angst und dem Gefühl wertlos zu sein. Ich musste immer aufessen, mehrmals bis ich erbrach. Ich durfte nicht spielen gehen. Bekam kaum körperliche Nähe von meinen Eltern, jedoch Schläge von meiner Tagesmutter. Ich kann mich nicht gut an mein kindliches Selbst erinnern, aber ich war immer sehr bemüht meinem Umfeld zu entsprechen. Ich hatte große Angst vor Ablehnung und Kritik. Ich wurde sehr angepasst, insbesondere dadurch, dass ich sehr aufpasssen musste keinen Ärger bei meiner Tagesmutter zu erregen. Ich habe mich selbst nicht kennen gelernt und ausprobiert und einfach meistens das gemacht, was zu tun war. Ansonsten habe ich gerne Süßigkeiten gegessen und fern gesehen, Ich hatte ein ausgeprägtes Pflichgefühl und dachte, man muss leisten um existieren zu dürfen. Ich hab mich sehr am Außen orientiert, hatte lange Zeit ausgesprochen gute Noten ( Potential war da - kann man das verlieren? Irgendwann wird man ja zu alt um sein Gehirn wieder auf Fordermann zu bringen)

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Pennylane
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Beitrag Mo., 01.11.2021, 17:59

Im Alter von 14 Jahrten bekam ich Heulanfälle, ohne dass ich wusste, weshalb. Ich schob es auf meine Figur und etwickelte eine Anorexie. Nach einem Jahr schlug dies in eine Bulimie um und mein Leben geriet aus den Fugen. Bis dahin war ich sehr selbstständig, diszipliniert und organisiert. Die Essanfälle nahmen viel Zeit in Anspruch, ich bekam schlechtere Noten, meine Haare fielen mir aus und ich hatte Angst unter Leute zu gehen. Ich schämte mich sehr für mich selbst. Ich hatte immer schon einen sehr negativen, kritischen Blick und hohe Erwartungen an mich selbst. Ich wurde diesen Ansprüchen nicht mehr gerecht. Irgendwie schummelte ich mich durch die Schule, nebenbei zog ich bei meiner Mutter aus und nahm immer mehr an Gewicht zu. Mein Fettanteil beherrschte meine Gedanken.
Immer wieder zog ich mich zurück, verlor meine Freund:innen und hatte keine Beziehung bis ich 18 wurde.

Nach dem Schulabschluss zog ich in einer andere Stadt und schrieb mich an der Universität ein. Ich machte mir nichts aus dem Studieren, ich wollte leben. Ich wollte Freunde und erste sexuelle Erfahrungen. Wollte alles nachholen, was ich in der Zeit der Essstörung nicht leben konnte. Ausbildung und Beruf waren mir egal, ich wusste, dass ich immer Geld haben werde.

Mein Selbstwertgefühl würde immer weniger, ich brauchte bis zu meinem 29. Lebenssjahr um einen geisteswissenschaftlichen Bachelor abzuschließen. Viele Studienwechsel, nebenbei jobbte ich als Kellnerin, bei McDonalds und im geldfreien Alternativbereich.

Danach kamen die Psychosen und die darauf folgenden Depressionen. Ich hasste mich zusehends. Ich verletzte mich selbst (Ritzen der Unterarme). Ich schäme mich für die Narben.

Dann Ausbildung im Rechnungswesen und spätere Berufsausübung in diesem Bereich. Ich hasste diesen Job. Im Februar dieses Jahres entschloss ich mich den Beruf an den Nagel zu hängen und meinen Master nachzuholen.

Ich kämpfe ständig mit meinem Gewicht.

Letztes Semester lief ganz gut, aber es fühlt sich komisch an in meinem Alter zu studieren. Ich bin unsicher und zurückhaltend. Aber das Studium liebe ich sehr. Ich würde gerne irgendiwe im Kulturbereich beruflich Fuß fassen, habe aber Angst zu wenig Berufserfahrung für mein Alter zu haben.

Langer rede, kurzer Sinn: Ich will mich ändern. Ich will mich ständig ändern und bin unzufrieden mit mir. Ich will intensiver studieren, ich will arbeiten, ich will abnehmen und ich hätte so gerne einmal eine echte Beziehung wieder. Aber niemand will mit mir auf Dauer eine Beziehung eingehenn. Ich bin eine wohlstandsverwahrloste Person und weiß nicht, ob ich das nur akzeptieren kann und möglkichst wenig Dreck machen sollte bis es mit mir zu Ende geht oder ob ich mich noch mausern.

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Nico
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Beitrag Di., 02.11.2021, 18:40

Willst du oder würdest du nur gerne wollen weil man ja eigentlich wollen sollte?
Quasi zur Selbstberuhigung.
Könnte dein negatives Selbstbild auf dieser Diskrepanz beruhen?
Mach doch einfach das was du machen möchtest.
Wenn es Handyschauen u Rauchen ist, dann mach es und steh dazu.
Wenn es etwas anderes ist was du WILLST, dann tu es.
Aber ohne Ausreden und fadenscheinigen Begründungen warum u wieso du nicht kannst.
Du kannst dich nur selbst daran hindern dein Leben zu ändern.
Nicht das schwarze Schaf ist anders, sondern die weißen Schafe sind alle gleich ;)

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Malia
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Beiträge: 7797

Beitrag Di., 02.11.2021, 18:52

Langer rede, kurzer Sinn: Ich will mich ändern.
Vor der Veränderung steht die Akzeptanz.
Bei einem gewissen Stande der Selbsterkenntnis und bei sonstigen für die Beobachtung günstigen Begleitumständen wird es regelmäßig geschehen müssen, dass man sich abscheulich findet.
Franz Kafka

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Pennylane
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Beitrag Do., 04.11.2021, 17:30

Hallo Nico, ich mag deinen Satz sehr ("Willst du oder würdest du nur wollen, weil man eigentlich wollen sollte")
Dazu kann ich nur sagen, du triffst ins Schwarze. Ich denke viel zu oft in den Kategorien sollen und müssen, statt wollen. Aber ich will mich wirklich ändern und bin auch schon dabei. Ich nehme mein Studium wichtig, weil es mir viel wert ist. Da bin ich mehrere Stunden täglich dran.
Abnehmen möchte ich, weil mir Flirts und Erotik echt wichtig sind und ich mich nicht so hübsch finde, wie ich gerade bin. Aber da bin ich auch dran, halte ein moderates Kaloriendefizit ein, gehe joggen und mach Yoga.
Meine Persönlichkeit und meinen geistigen Horizont kann ich nicht von heute auf morgen umwälzen. Ich weiß noch nicht so richtig, wie das angehen. Ich fange mal an mehr Zeitung zu lesen (die Zeit) und mehr Arte zu schauen....

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PiPaPo
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Beitrag Sa., 06.11.2021, 13:49

Liebe Pennylane, auch wenn Nico irgendwo Recht hat. ich glaube nicht, dass er weiß, was eine Depression ist.
Pennylane, bist du derzeit in Therapie? Denn so wie du klingst, bist du in einer schweren depressiven Phase, aus der es meiner Meinung nach fast unmöglich ist, allein herauszukommen. Ich fühle in deinem Text sehr mit Dir und ich hatte eine gute Kindheit und bekomme mein Leben trotzdem nicht wirklich auf die Reihe. Hast du schon einmal eine Verhaltenstherapie gemacht oder etwas anderes, dass dir geholfen oder eben auch nicht geholfen hat?
Alles Gute

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Pennylane
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Beitrag So., 07.11.2021, 07:38

Liebe PiPaPo,
danke für deine mitfühlend Antwort. Ja, ich bin in Behandlung (Schon allein wegen der Psychosen, die ich bis vor 2 Jahren hatte) und habe eine sehr liebe Verhaltenstgerapeutin, mit der ich vor allem daran arbeite, mich nicht selbst zu "geiseln", wie sie das formuliert. Ich gehe sehr hart mit mir um und bewerte mich äußerst negativ. Aber wir kommen voran.
Ich kann mich noch an die Depressionen erinnern, die auf die psychotischen Episoden folgten und das war bei weitem, weitem schlimmer. Könnte nicht denken (Gedankenabreisen) und kaum Handlungen durchführen... Ich bin nicht gut drauf aber würde es zurzeit als Verstimmung einordnen. Aber ich schaue wieder besser auf mich, mache regelmäßig Sport, achte auf eine gesunde Ernährung und einen geregelten, strukturierten Tagesablauf. Mir geht es mittlerweile schon besser.
Danke für dein Mitgefühl! Wie geht es dir? Leidest du gerade an einer Depression und bist du in Behandlung? Wie arbeitest du an dir, um da gegebenfalls wieder raus zu kommen.
Liebe Grüße, Mukl

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PiPaPo
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Beiträge: 6

Beitrag So., 07.11.2021, 14:23

Hey Pennylane, es freut mich, dass du in deiner Therapie voran kommst und es schaffst wieder aktiver zu sein :) Das hört sich für mich sogar richtig gut an. Bewegung, Ernährung und mehr Struktur. Außerdem hast du etwas, was dich begeistert und dir Spaß macht, wenn ich das richtig verstanden habe (das Studium). Aber irgendetwas hat dich ja veranlasst, hier im Forum zu schreiben, was bedeutet, dass es dir wahrscheinlich trotzdem nicht gut geht :/ Ich denke aber, dass du schon an der richtigen Stelle mit deiner Therapie gerade arbeitest. Du darfst einfach nicht so streng mit dir sein und dir Zeit geben. Leichter gesagt als getan, ich meine....ich bin ja nicht viel anders ;) Ich habe jetzt dann auch mal akzeptiert, dass ich Depressionen habe nach sehr langer Zeit und mache meine erste Therapie. Ich schreibe jetzt gerade ein Positiv-Tagebuch, das finde ich eigentlich ganz in Ordnung, wobei einem das nicht unbedingt hilft, sich selbst mehr zu mögen, sondern einfach die Dinge, die positiv sind mehr wahrzunehmen. Aktiver sein hilft mir auch, aber sonst bin ich gerade auch noch sehr kritisch mit mir und vielleicht müssen wir einfach netter zu uns sein ;)
Liebe Grüße

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[nicht mehr wegzudenken]
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Beitrag So., 07.11.2021, 18:48

Selbstwert entsteht ja durch positives Feedback von Außen und ob man geistig in der Lage ist, dass auch annehmen und "glauben" zu können.
Wenn man so schlecht über sich selbst denkt, wird man tendenziell nur das schlechte glauben und wahrnehmen was von Außen kommt.
Und sich zusätzlich innerlich selbst fertig machen.
Diese Art von Sichtweise führt eben immer weiter abwärts.

Wenn man das so gewöhnt ist, ist es eben echt anstrengend seinen sehr eingeschränkten Blickwinkel zu erweitern.
Gewohnheit gibt ja auch Sicherheit. Frage ist, will man in die Unsicherheit ins Ungewohnte überhaupt wirklich rein.
Manchmal geht es da einem ja auch auf ne schrecklich Art und Weise ganz ok.

Ich glaube verändern kann jeder Mensch immer etwas zum besseren, wenn man es immer wieder versucht und lernt.

Aber viele scheitern, weil es sich einfach richtig sch.eiße und falsch anfühlt gewohntes zu verlassen, bevor es besser wird, weil es auch auf ne Art Angst macht.

Ich find das aber gut und liebe diese Art von Nervenkitzel. Es ist für mich ein Abenteuer irgendwas ganz neues anderes zu tun.
Ich denke, man bereut nur das, was man nicht getan hat.
Du hast Angst zu wenig Berufserfahrung zu haben. Ja. Aber es gibt während des Studiums ja Möglichkeiten Praktika zu machen oder anders Kontakte zu knüpfen. Es ist eben die Frage, ob man das zum Beispiel als Abenteuer sieht und mit der Angst diese Richtung einschlägt und was dafür tut.
Odee ob man die Angst als Blockade sieht und sich sofort von allem abhalten lässt.

Denke du bist ein intelligenter Mensch und weißt, wenn du etwas überlegst, wie man trotz oder gerade wegen deinem Alter da Fuß fassen könnte. Ich meine gerade in deiner Situation, wo du finanziell unabhängig bist, kannst du doch gerade viel probieren.

Bei mir hängt da immer meine ganz finanzielle Existenz dran und trotzdem probiere ich viel. Weil ich denke, man lebt halt nur einmal.
Und ich weiß wie krass anstrengend dass ist, dass alles mit depressiven Phasen und Suizidgedanken auf die Reihe zu kriegen.
Aber so ist es nun mal.
"You cannot find peace by avoiding life."
Virginia Woolf

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