Bin ich zu dumm für das Leben?

Nicht jedem fällt es leicht, mit anderen Menschen in Kontakt zu treten, "einfach" mal jemanden kennenzulernen oder sich in Gruppen selbstsicher zu verhalten. Hier können Sie Erfahrungen dazu (sowie auch allgemein zum Thema "Selbstsicherheit") austauschen.
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Justicia
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Bin ich zu dumm für das Leben?

Beitrag Mo., 05.02.2018, 11:13

Hallo Leute,


Meine Situation ist etwas schwierig zu beschreiben und deshalb hole ich weiter aus.
Von außen betrachtet, würde man nie auf die Idee kommen, dass ich Schwierigkeiten bzw. Probleme im psychischen Bereich habe. Ich bin 29 Jahre alt, habe zwei Studiengänge erfolgreich abgeschlossen, eine wunderbare Beziehung und einen guten Job.
Das Stichwort Job ist jedoch schon ein erster Punkt meiner Probleme. Ich bin beruflich im rechtlichen Bereich tätig und würde sagen, dass ich meine Aufgabe gut mache. Dennoch komme ich irgendwie nicht klar damit. Vielleicht kennen einige hier das Phänomen, dass junge Mediziner zum Hyperhypochonder mutieren, da sie nun alle Krankheiten mit ihren einhergehenden Symptomen kennen :lol:
Ähnlich verhält es sich bei mir mit dem Recht. Ich liebe das Recht und könnte mir auch keinen Beruf in einem anderen Bereich vorstellen. Dennoch ist es auch eine Last, da sich so etwas wie eine Art Zwangsstörung entwickelt hat. Keine Situationen kann ich meistern, ohne panische Gedanken zu bekommen, ob ich rechtlich alles richtig gemacht. Die Steuererklärung muss 100mal kontrolliert werden, auf der Straße erwacht die Angst, ob man dem Vordermann evtl. etwas zu nahe aufgefahren ist und dieser das als Nötigung empfinden könnte, in hitzigen Gesprächen stellt man sich die Frage, ob das Gegenüber etwas als Beleidigung aufgefasst haben könnte und bald der Brief vom Mediator im Kasten liegt. Danach grübel ich Tag und Nacht über diese Fragen und sie machen mich wahrlich verrückt. Irgendwann mache ich einen Hacken dahinter und schon kommt ein neues Problem. Gutes Zureden hilft mir nicht, ich kann einfach nicht abschalten.
Dazu kommt, dass ich sehr viel arbeite. Einerseits macht es mir ja Spaß und ich habe kein Problem damit bis 20:00 im Büro zu sitzen, aber andererseits ist es gleichzeitig eine Last. Hört sich komisch an und lässt sich schwer beschreiben...Zudem habe ich nie wirklich Feierabend. Wenn andere ihr Wochenede genießen, lese ich mir einen Kommentar. Auch meine Frau hat einen sehr fordernden Job, jedoch keine Probleme damit. Zusammenfassend zum Beruf könnte ich also sagen, dass er wie eine Droge ist. Einerseits liebe ich ihn, andererseits habe ich das Gefühl daran zu zerbrechen und kann mir gar nicht erklären wieso. Zudem habe ich immer die Angst zu versagen, obwohl ich eigentlich noch nie etwas nicht geschafft habe. Auch über meinen Chef kann ich nicht klagen, da mir dieser sehr viele Freiräume einräumt. Wenn ich dann aber mal einen Tag Urlaub nehme, habe ich sogar ein schlechtes Gewissen.

Die Grübeleien ziehen sich im privaten Bereich weiter. Wenn Leute etwas abneigend sind, mache ich mir Tag und Nacht Gedanken, ob ich etwas Falsches gesagt habe und sie mich nun nicht mehr mögen. Zudem empfinden mich die meisten wohl als Sonderling und ich finde keine wirklichen sozialen Beziehungen. Klar habe ich 2-3 Freunde, um die ich wirklich dankbar bin, doch aufgrund räumlicher Distanzen lassen sich diese Freundschaften viel zu selten live pflegen.
Wenn ich mich dann mal überwinde und zu einem Vereinsstammtisch gehe, komme ich mir so unglaublich dumm vor und fange an zu stammeln, finde keinen wirklich Draht zu Anderen. Ich habe zwar keine Probleme damit, einen Fachvortrag vor einem 100-köpfigen Publikum zu halten, doch kriege es einfach nicht hin soziale Beziehungen außerhalb der Arbeit aufzubauen. Ich sitze dann da und hab keine Ahnung was ich sagen soll. Die Leute, mit denen ich außerhalb der Arbeit Zeit verbringe, sind Kollegen, mit denen ich mit meiner Frau gelegentlich essen gehe o.Ä. Das ist natürlich auch schön, aber es sind eben nur Bekanntschaften und die Gesprächsthemen drehen sich, wie sollte es anders sein, um die Arbeit.

Meine Freizeit sieht dann so aus, dass ich an meiner Promotion schreibe, angeln gehe (alleine) oder philosophische Bücher lese (am liebsten Heidegger) und mir dann Tage lang über die Geworfenheit des Seins Gedanken mache :kopfschuettel: Das schlimme daran ist, dass meine mangelhafte soziale Situation und die daraus resultierenden Grübeleien mich ähnlich wie die Grübeleien aus dem rechtlich Bereich fertig machen und völlig runter ziehen.
Ich muss dazu sagen, dass ich eben vielleicht etwas anders bin als der Mainstream, da ich eben am liebsten in die Natur gehe, keinen Wert auf materielle Besitztümer lege (auch wenn ich finanziell durchaus dazu in der Lage wäre) und mir das Verhalten, das die Spezies Mensch in unserer Zeit an den Tag legt (Zerstörung von Flora und Fauna, Kriege usw.) gehörig auf den Zeiger geht. Auch habe ich den Eindruck in einer falschen Zeit geboren zu sein. Ich bekomme Schnappatmung wenn ich höre, wie die Jugend heutzutage spricht (mit heftigsten Beleidigungen), sich verhält und kleidet (Ja, jede Zeit hat eben ihre Mode :lol: )
Entspannungstechniken (Yoga, Meditation) habe ich auch schon versucht, aber ich finde keinen wirklichen Draht dazu.

So, nun schon einmal vielen Dank für das Lesen meines Textes.

Viele Grüße

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Sintje
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Beitrag Mo., 05.02.2018, 12:10

Hallo Justicia,

bezüglich deiner Frage im Titel: Da sehe ich keine Anzeichen für. Dir ist es vielleicht etwas zu wichtig, keine Fehler zu machen (im rechtlichen und sozialen Sinne). So dumm finde ich das nicht, nur hinderlich, wenn du selbst darunter leidest. Und das tust du wohl, da es bei dir doch mehr nach Ängsten klingt. Aber daran lässt sich auch arbeiten. Nicht unbedingt die Interessen, materiellen Wünsche und modischen Vorlieben zu haben, die dein Umfeld vielleicht hat, macht dich bestimmt auch nicht zu dumm für das Leben. Es ist doch toll, dass du weißt, was du magst und gerne tust. Viele wissen nichts mit sich anzufangen.
Bezüglich der Qual, ein Spezialist in seinem Fachgebiet zu sein (Medizin, Recht, o.a): Mein Wissen, welches ich durch meine Ausbildung (in einem anderen Bereich) habe, nimmt mir auch in vielen Situationen die Leichtigkeit. Wenn ich durch die Straßen gehe, muss ich mich ständig zusammenreißen, den Leuten nicht zu erzählen, was sie zu tun und zu lassen haben und ich schaffe es kaum, mich abzugrenzen. Es ist bestimmt nicht nur toll, manchmal eig. zu viel zu wissen, aber ich bin mir sicher, dass es auch hilfreich sein kann.

LG, Sintje

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Justicia
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Beitrag Mo., 05.02.2018, 12:48

Hallo,

vielen Dank für Deine liebe Antwort. Da hast Du völlig Recht, natürlich ist es schön, zu wissen, was man mag und kann. Mir gefällt deine Formulierung, dass einem seine eigene Expertise die Leichtigkeit des Lebens nehmen kann.
Bei mir ist es jedoch so, dass dieser "Rechtstick" und die anderen Grübeleien wirklich schlimm sind. Ich stehe auf und schon dreht sich das Gedankenkarussel wieder. Wie wird man sowas los? Natürlich habe ich auch schon ein paar Dinge dazu gelesen usw., die dort veranschlagten Tipps helfen mir jedoch nicht weiter, da es irgendwie wirklich krankhaft ist :cry:
Und wie komme ich aus meiner eigenen Blase raus und kann stärker am sozialen Leben teilnehmen? Das meinte ich auch mit "dumm". Bekomme es einfach nicht hin, fachunspezifisch sozial zu agieren. Ich fühle mich in den betreffenden Situationen (wie z.B. Vereinen) wie ein kleines Kind, dass von seiner Mammi geholt werden will...Völlig verrückt, da ich im beruflichen Bereich alles andere als auf den Mund gefallen bin....

Viele Grüße

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tief_unten
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Beitrag Mo., 05.02.2018, 13:12

Ich denke, sobald man sich über Jugendliche aufregt, fühlt man sich selbst alt ...

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Justicia
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Beitrag Mo., 05.02.2018, 13:25

Naja, alt ist relativ. Wenn wir einen Jugendlichen mit 15 Jahren veranschlagen bin ich immerhin doppelt so alt ;-).
Zudem diente das nur als Beispiel um zu verdeutlichen, dass ich mich häufig einfach fehl am Platze fühle und man kann natürlich auch nicht alle Jugendlichen über einen Kamm ziehen und die Jugend hat auch verdient Jugend zu sein. Wenn ich jedoch pöbelnde, andere Menschen beleidigende Jugendliche sehe, dann finde ich dies nicht mehr auf Jugendlichkeit zurückzuführen....

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Sintje
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Beitrag Mo., 05.02.2018, 13:26

Ich wollte dir dein Erleben und Leiden nicht absprechen. Du schreibst ja deutlich, dass die ständige Grübelei sehr belastend ist, und das glaube ich dir auch.
Manchmal hilft es mir, gegensätzliche Ideen zu schaffen oder aufzuschreiben, wenn ich mich in Befürchtungen verliere. Also z.B. "Welche nicht so schlimmen Folgen wären noch möglich?", "Wie realistisch ist es, dass das Fehlverhalten überhaupt bemerkt wird?", "Welchen 1000 anderen Dinge könnten die Leute um mich herum ihre Aufmerksamkeit schenken?"
Manchmal geht das. Manchmal nicht. Ich muss da selbst noch sehr viel konsequenter sein und üben.
Für soziale Fragen bin ich wohl keine Hilfe, da ich selbst sozial isoliert bin und noch keinen Ausbruch geschafft habe. Derzeit steht auf meiner Liste: Orte aufsuchen, an denen Gleichgesinnte sind u. sich das Ansprechen trauen (Das wird noch lange dauern). Gerade, wenn ich nicht über das Sprechen kann, was ich gelernt habe, komme ich mir auch völlig verloren und unpassend vor.

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tief_unten
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Beitrag Mo., 05.02.2018, 13:42

Wie auch immer, wenn mir mal in Wien ein 60 - jähriger Obdachloser vor die Füße br****, fühle ich mich auch unwohl, aber ich würde das nicht als Beispiel meiner generellen Unbehaglichkeit deuten.

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Justicia
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Beitrag Mo., 05.02.2018, 13:51

@ tief_unten: Haha auch kein schöner Gedanke ;-) Wie dem auch sei...Hast Du eine Ahnung wie man Zwangsgedanken los wird?
@Sientje: das mit der Liste ist eine gute Idee. Vielleicht hilft dies bei kontinuierlicher Übung tatsächlich....

Viele Grüße

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tief_unten
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Beitrag Mo., 05.02.2018, 13:58

Schon, ich kann es versuchen, was ist denn dein Fachbereich beim Recht ?

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Beitrag Mo., 05.02.2018, 14:03

Versuchen. Ja, das tue ich sehr lange und habe wie ich oben geschrieben habe diesbezüglich natürlich auch schon einiges an Literatur gelesen, jedoch leider ohne Erfolg...Deshalb dachte ich mir, dass der Erfahrungsaustausch in einem Selbsthilfeforum evtl. ein Hilfreiches Unterfangen ist.

Fachbereich: Ich möchte an dieser Stelle zur Wahrung meiner Anonymität keine weiteren Infos zu meiner Person geben, da ich nicht wieder erkannt werden möchte. Ich hoffe Du verstehst das ;-)

LG

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Justicia
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Beitrag Mo., 05.02.2018, 14:05

Wobei ich noch dazu sagenn kann, dass diese Gedanken völlig unabhängig von meiner eigenen Arbeit entstehen, die sich natürlich auf einen speziellen Bereich konzentriert. Ich bin z.B. nicht im Verkehrsrecht tätig, doch habe auch dort ständig Grübeleien usw. Auch finden sie sich wie erklärt nicht nur im Bereich Recht wieder, sondern auch im persönlichen Alltäglichen, v.a. zwischenmenschlichen Bereich

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Beitrag Mo., 05.02.2018, 15:41

Welche Sachlichteratur hast du dieses Thema betreffend gelesen ?

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Kirchenmaus
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Beitrag Mo., 05.02.2018, 16:36

Hallo Justicia,

mir scheint, du bist nicht dumm, nur sozial vielleicht etwas unbeholfen?

Alles, was dir Sicherheit gibt, weil du dich damit gut auskennst, verfolgst du bis zur Perfektion – selbst wenn ein fehlerfreies Dasein gar nicht möglich ist. In Situationen, die zwischenmenschlich weniger reguliert sind und in denen die Regeln nicht so klar sind, fühlst du dich überfordert und "dumm".

Ich würde, wenn ich an deiner Stelle wäre, erforschen wollen, woher diese soziale Unbeholfenheit und der Drang nach Perfektion kommen. Und würde eine Psychotherapie beginnen.

Kannst du mit dem Gedanken etwas anfangen?

Lieben Gruß
Kirchenmaus
Es ist in Ordnung, mich zu akzeptieren.

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Justicia
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Beitrag Di., 06.02.2018, 10:02

Vielen Dank für Eure Antworten.
An Literatur eher allgemein gehaltende Dinge (wie "Jetzt" oder andere Bücher zum Thema Achtsamkeit, Fokussierung usw.). Zum Thema "Grübeln" eher konkrete Internettipps usw.
Herauszufinden, was die Ursache wäre, ist sicher interessant und wichtig, aber wichtiger wäre das Abstellen :-) Kirchenmaus hat es gut getroffen, die Unsicherheit existiert in weniger reglementierten Sachen, die keinem starren Muster unterliegen.

Viele Grüße

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