Seit Feststellung einer Schwerbehinderung ist mein Selbstwertgefühl im Keller

Nicht jedem fällt es leicht, mit anderen Menschen in Kontakt zu treten, "einfach" mal jemanden kennenzulernen oder sich in Gruppen selbstsicher zu verhalten. Hier können Sie Erfahrungen dazu (sowie auch allgemein zum Thema "Selbstsicherheit") austauschen.
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Tropenwind
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Seit Feststellung einer Schwerbehinderung ist mein Selbstwertgefühl im Keller

Beitrag Do., 12.01.2017, 16:58

Liebe Community,

ich möchte mir einfach mal alles von der Seele schreiben und hoffe auf ein paar gute Ratschläge von euch.

Soweit ich zurückdenken kann, war ich anders als andere Menschen. Schon als Kind fiel ich vor allem durch mein hypersensibles Wesen und meine extreme Langsamkeit in allen Dingen auf. Damit brachte ich mein soziales Umfeld zur Weißglut. Auch träumte ich ganz oft vor mich hin und fabrizierte damit Unfälle (fiel die Treppe runter, stürzte beim Gehen oder mit dem Fahrrad, lief gegen eine Straßenlaterne, fuhr mit dem Fahrrad gegen ein parkendes Auto, etc.).
Während meine Oma mich noch liebevoll "Träumerchen" nannte, wenn ich mal wieder kurz vor mich hinstarrte, beschimpften meine Mutter und Schulkameraden mich mit üblen Ausdrücken.

Ich war eine schlechte Schülerin, wohl auch, weil ich viele Unterrichtsstunden wie in einem Dämmerzustand verbrachte. Wenn mich etwas nicht interessierte, schaltete ich oft einfach ab. Außerdem hatte ich Teilleistungsstörungen.

Zum Ende meiner Schulzeit war mein Selbstbewusstsein schon so tief unten, dass ich auch gleich einen schweren Start ins Berufsleben hatte. Ich wurde verspottet und gemobbt. Eigentlich wartete ich in meinen Jobs nach meiner Ausbildung immer nur auf den großen Knall in Form einer Kündigung. Ich konnte mich nie lange konzentrieren, brauchte für alles endlos lange, ich "sah" die Arbeit nicht und machte nur das, was angeordnet war, war schnell reizüberflutet bei zu vielen Stimmen, häufigem Telefonklingeln.
Bis heute hat es in keinem Job funktioniert. Durch meine mangelhaften Leistungen wurde ich natürlich ganz oft mit Feindseligkeit und Aggressionen seiten der Kollegen und Chefs konfrontiert. Inzwischen habe ich schon fast resigniert.

Seit einem halben Jahr habe ich einen Minijob. Ich brauchte sehr lange, um mich in die im Grunde anspruchslose Tätigkeit einzuarbeiten. Ich weiß auch, dass mich mein Chef nicht wertschätzt. Schon sehr früh gab er mir zu verstehen, dass ich wohl nur als Sexobjekt nützlich sein könne. Er hat mich aber nie belästigt, wahrscheinlich, weil er schon Mitte 70 ist.

Schon vor vielen Jahren gab mir eine Freundin den Rat, mich mal ärztlich genau durchchecken zu lassen, um der Ursache für meine Defizite auf die Spur zu kommen. Ihrer Meinung nach könnte bei mir schon eine Behinderung vorliegen.
Doch ich habe nichts unternommen, in der Hoffnung, dass sich noch alles zum Guten wenden würde. Ich begab mich nur irgendwann in psychiatrische Behandlung und nehme Antidepressiva. Ohne diese Pillen habe ich massive Schlafstörungen. Ich schlafe dann nicht nur schlecht, sondern auch unruhig und trage sehr schmerzhafte Verletzungen durch Wangen-und Zungenbisse davon.

Allerdings suchte ich vor einem Jahr einen Neurologen auf, weil ich manchmal das Gefühl hatte, dass aufgrund meiner motorischen Langsamkeit, meiner Koordinationsstörungen und kurzzeitigem Weggetretensein ein neurologisches Problem eine Rolle spielen könnte.
Der Neurologe stellte eine milde Form von Epilepsie fest, verschrieb mir ein Medikament und erteilte mir Fahrverbot.

Letzten Sommer riet mir meine Sachbearbeiterin beim Jobcenter, aufgrund meiner Einschränkungen einen Schwerbehindertenausweis zu beantragen. Was ich dann auch tat.
Im Dezember bekam ich den Bescheid vom Versorgungsamt, dass bei mir wegen einer psychischen Behinderung, der Epilepsie und des Bronchialasthmas ein Grad der Behinderung von 50 festgestellt wurde.

Zuerst habe ich mir Hoffnungen auf einen Schwerbehindertenausweis gemacht, weil ich dachte, dass mir die Reha-Abteilung des Jobcenters bei der Suche nach einer geeigneten Tätigkeit behilflich sein könne.
Doch jetzt frage ich mich, wer einer durch eine psychische Behinderung und einer Epilepsie gehandicapten Bewerberin überhaupt eine Chance geben wird.

Meine wenigen Bekannten waren schon vorher ziemlich genervt von mir, wenn sie mal wieder mitbekamen, dass ich in einem Job gescheitert war. Ich versank dann jedes Mal in Selbstmitleid und Depressionen.
Sie haben anfangs auch sehr abwehrend reagiert, als ich von der Epilepsie erzählte. Ein Bekanner hatte regelrechtes Mitleid mit mir, weil sein Schwager auch Epilepsie hat und seiner Ansicht nach durch die Medikamente einen geistigen Schaden davongetragen hat.
Jetzt, wo ich als schwerbehindert gelte, haben sie sich von mir zurückgezogen. Sie melden sich kaum noch bei mir. Damit die Kontakte nicht ganz einschlafen, muss ich diesen Leuten hinterherlaufen.

Ich fühle mich jetzt wertloser als jemals zuvor!
Wie fast jeder Mensch möchte ich ein halbwegs normales Leben führen mit Partner, einem Job und ein paar Freunden/Bekannten.
Doch ich bin sooo weit davon entfernt, dass ich gar nicht mehr darauf zu hoffen wage.

Könnt ihr mir einen Rat geben, wie ich wieder mehr Selbstwertgefühl/Selbstvertrauen bekommen kann?

Liebe Grüße,
Tropenwind

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Schneerose
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Beitrag Do., 12.01.2017, 19:22

Liebe Tropenwind,

ich war länger nicht mehr hier, dachte auch nicht, dass ich noch als Acount existiere - siehe da, ich wurde nicht gelöscht... daher... ich möchte dir gern antworten, wenn es ok ist.

Also ganz ehrlich - deine Zeilen kommen aus der Seele einer sehr weisen lebenserfahrenen Person, und nicht aus der Feder einer "schwerbehinderten Person". Ein Ausweis kann dir behilflich sein um Vergünstigungen im Leben zu erhalten, wenn einem manches einschränkt... aber niemals sagt ein Grad einer Behinderung über den Wert eines Menschen aus.
Ich habe selbst eine schwer geistig behinderte Tochter, und ich denke, sie ist wohl ein Engel, vom Himmel gesandt, für viele Menschen die an ihr lernen dürfen, was Nächstenliebe und Menschlichkeit heißt.

Tropenwind, Freunde, die sich von dir in deiner Not genervt fühlen, sind keine Freunde... und Sexobjekt, lass dich niemals so hinunter ziehen... du bist EINE HANDVOLL STERNENSTAUB so wie jeder andere JEDER ANDERE MENSCH auf diesen Planeten auch... wir alle kommen aus der selben Quelle, und wir alle kehren dahin zurück... nackt... so ist das, niemand hat je das Recht dir zu sagen, dass du weniger wert seist... der oder die dir das zeigen, sagen, ganz ehrlich, das braucht keine Worte mehr...

hast du mal darüber nachgedacht, dass du an sozialer Phobie leiden könntest? aufgrund all deiner Erfarhungen - ich kenn jetzt deine Geschichte nicht so, vielleicht hast du sowas mal erzählt... möglich könnte auch ein ängstlicher, selbstunsicher vermeidender Stil sein???

vielleicht bist du ein Erdenengel - google mal darüber!!!
Wie wäre es mit einer Kur, wo du dich mal so richtig erholen kannst?

Deine Zeilen wirken so schön und klug, ... wie wäre es mit der SCHULE DES SCHREIBENS das ist ein Fernlehrgang - kostet im Monat 79.- ich mache das auch gerade... es macht richtig Spass... du lernst dabei, DEIN ERSTES BUCH ZU SCHREIBEN, vielleicht dein Sprung in ein neues Leben???

Bei uns in Österreich da kenne ich einige "behinderte Menschen" , die selbst als Pflegekraft arbeiten, bei psychisch Kranken, bei behinderten Menschen... vielleicht wäre das was für dich?

Vielleicht solltest du mal den Tropenwind genießen? wie wäre es mit einer Delphintherapie in der Karibik? google mal bei dem Verein dolphin aid,
da kannst du ein Spendenkonto beantragen auch als Erwachsene Person...

Meine Tochter hat auch Epilepsie u.a. - die schwerstbehandelbare Form im Kindesalter - die Aussichten waren ganz schlecht... SEIT FÜNF JAHREN IST SIE ANFALLSFREI, ganz gegen der Prognosen der Ärzte.

Ein großes Kraftpaket an dich
Schneerose
"Der Einzige, der sich wirklich vernünftig benimmt ist mein Schneider, er nimmt jedesmal neu Maß, wenn er mich sieht" :->

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Kaleidoskop
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Beitrag Do., 12.01.2017, 20:24

Hallo Tropenwind, zuerst einmal: Unsere Arbeitswelt ist echt unmenschlich geworden, was Leistung und Effizienz anbelangt. Viele Leute, ganz besonders die Sensiblen, Emotionalen, die "Verträumten" laufen Gefahr zu versagen, auszubrennen, permanent an der Belastungsgrenze zu arbeiten oder ganz durchs Raster zu fallen, weil dieses System sie krank macht. Kenne ich aus eigener Erfahrung...
Es gibt also gar keinen Grund dich selber so runterzumachen. Du kannst dich wunderbar ausdrücken und sicher gibt es noch vieles was du gut kannst und wo du erfolgreich bist.

Ich denke, an diesem Punkt solltest du ansetzen und dich weiterentwickeln. Ich wünsche dir von Herzen, dass du die "Nische" findest, in der du dich selbst verwirklichen kannst. Sei es in der Arbeit oder auf einem anderen Gebiet.
LG

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werve
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Beitrag Do., 12.01.2017, 23:11

Hallo Tropenwind,

auch mir ist dein ungewöhnlich guter Ausdruck aufgefallen, frei von Deutschfehlern, liest sich angenehm. Ist schon was Besonderes heutzutage. Und so was kommt eigentlich nur von Leuten mit einem gewissen Niveau, was formale Bildung betrifft, aber besonders hinsichtlich eines sensiblen Gespürs für sich selbst und andere.

Wegen deines Mangels an Selbstwertgefühl wäre ein entsprechendes Training/Coaching/Therapie zu empfehlen. Für eine Verbesserung der Arbeitsorganisation kann spezielle Ergotherapie, auch Neurofeedback hilfreich.

Und ansonsten heißt es, in dem heutigen brutalen Arbeitsumfeld Nischen zu suchen, wo du zufrieden sein kannst und guten Ausgleich privat zu finden.

Aber: niemals in eine Opferrolle verfallen, das wäre kontraproduktiv und grundlos (natürlich auch nicht mit einer Schwerbehinderung, die lediglich gewisse Nachteilsausgleich bringt, aber keine Wertung ist).

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MariJane
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Beitrag Fr., 13.01.2017, 00:25

Ich wollte dir auch vorschlagen, dir deine Nische zu suchen.

Dann mal ganz lebenspraktisch: In einem Behindertenausweis steht doch deine Erkrankung nicht drin und so genau dürfen Arbeitgeber nicht fragen. Und soweit ich weiß, ist es auch eher im öffentlichen Dienst so, dass man seine Schwerbehinderung angeben soll. Dort: Weil du so eventuell besonders berücksichtigt wirst, wenn die Qualifikationen passen. Andere Arbeitgeber fordern das nicht und du bist soweit ich weiß, nur verpflichtet, deine Schwerbehinderung offen zu legen, wenn explizit danach gefragt wird. Du hast damit also nichts verloren! Außer vielleicht, und so lese ich dich, dein Selbstwertgefühl. Und das ist ziemlich schlimm... Machst du ne Therapie?


sine.nomine
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Beitrag Fr., 13.01.2017, 00:28

Hallo Tropenwind,

einige Dinge die du schreibst, kenne ich selbst aus eigener Erfahrung. Ich war nämlich damals, v.a. in der Volksschule auch schnell abgelenkt. Darum hatte ich einige Male mit Psychologen zu tun. Als Träumer bezeichnet zu werden, das kenne ich auch. Meine Noten wurden aber erst später schlecht, in der berufsbildenden, mittleren Schule. Die Probleme in der Arbeitswelt kenne ich. Im Nachhinein finde ich bei mir sogar, dass es ein Fehler war, überhaupt arbeiten zu gehen, da mich das psychisch nur geschädigt hat. Unter gewissen Voraussetzungen gibt es das, dass man sich schädigt, um es anderen Recht zu machen. Die heutige Arbeitswelt ist viel zu leistungsbezogen, finde ich.
Dass sich Freunde eher abwenden wenn es um die eigene psychische Krankheit geht, das kenne ich ebenfalls. Ich muss mich schon bemühen und mitunter verstellen, um interessant für die zu sein, ohne mich komplett selbst zu verlieren. Darum meide ich Kontakte eher.

Ich denke schon, dass du gewisse Befähigungen hast, die viele andere nicht haben. So wie die Vorredner bereits sagten. Du hast immerhin einen langen, fast fehlerfreien, gut gegliederten Text geschrieben, was heute teilweise eh schon Luxus ist. Du könntest das weiterverfolgen, vielleicht bringt dir das Schreiben das Selbstwertgefühl zurück. Mir und anderen hilft es jedenfalls, erlebte Dinge hier im Forum festzuhalten.

Schöne Grüße

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inlines
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Beitrag Fr., 13.01.2017, 13:06

Hallo Tropenwind,

du schriebst: "Jetzt, wo ich als schwerbehindert gelte, haben sie sich von mir zurückgezogen. -- Quelle: viewtopic.php?f=3&p=911020#p911020".

Das kann ich überhaupt nicht nachvollziehen, und es hört sich auch so an, als ob du allen möglichen Menschen von deiner schlimmen Schwerbehinderung erzählt hast - was aber höchstwahrscheinlich nicht so ist.

Darüber hinaus siehst du die Schwerbehinderung als deinen wesentlichen menschlichen Status, was ich auch sehr übertrieben finde.

Sieh es doch mal so: Du hast das Teil beantragt - du hast das Teil bekommen. Wärst du zufriedener, wenn dein Antrag abgelehnt worden wäre, im Sinne von: Das bißchen Epilepsie? Dafür will die einen Ausweis? - Ich schätze, dann wäre dein Selbstbewußtsein noch viel eher im Keller....

Ich für meinen Teil versuche gerade den Ausweis zu bekommen, was nicht einfach ist. Und ich habe ihn nicht beantragt, um Lebenlang Opferstatus zu genießen und allen möglichen Leuten davon zu erzählen, sondern um meine Arbeitskraft erhalten zu können, was letztendlich auch dem Staat in Form von meinen Steuerabgaben zu Gute kommt.

Versuch dich ein wenig auf das Positive zu fokusieren - das es in irgendeiner Form sicher auch bei dir gibt.

FG

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Pianolullaby
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Beitrag Fr., 13.01.2017, 21:40

naja wenn man die Vorteile in einem Arbeitsumfeld nutzen will, und die sind nicht unerheblich, muss der GDB angegeben werden. Will man das nicht, verzichtet man halt auch auf Besserstellung
Träume nicht Dein Leben, lebe Deinen Traum

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Kaonashi
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Beitrag Sa., 14.01.2017, 00:59

Tropenwind hat geschrieben:Ich fühle mich jetzt wertloser als jemals zuvor!
Wie fast jeder Mensch möchte ich ein halbwegs normales Leben führen mit Partner, einem Job und ein paar Freunden/Bekannten.
Doch ich bin sooo weit davon entfernt, dass ich gar nicht mehr darauf zu hoffen wage.

Könnt ihr mir einen Rat geben, wie ich wieder mehr Selbstwertgefühl/Selbstvertrauen bekommen kann? -- Quelle: viewtopic.php?f=3&p=911253#p911253
Meine Diagnose in Verbindung mit dem Schwerbehindertenausweis hat mein Selbstbewusstsein auch ziemlich geknickt. Ich versuche gerade, es wieder aufzubauen.
Ich denke, drei Punkte können wichtig sein:
- sich die eigenen Stärken bewusst machen und überlegen, welche Vorteile sie bringen (wenn man da alleine nichts findet, wäre vielleicht eine Therapie gut, wo man das mit einem Therapeuten zusammen machen kann)
- die eigenen (psychischen, gesundheitlichen) Einschränkungen und Unterschiede zur Durchschnittsbevölkerung akzeptieren und annehmen
- herausfinden, was einen glücklich macht und das, was davon realistisch ist, umsetzen

Ich neige dazu, mich immer mit denen zu vergleichen, die ich für glücklich halte, und ich halte diese Leute auch für die Mehrheit oder für den Durchschnitt. Das zieht mich dann runter, ich finde es unfair und traurig, dass ich das nicht haben kann, was die haben, dass mir das lebenslang verwehrt ist. Vielleicht geht dir das auch so.
Aber vermutlich, wenn man genauer hinschauen würde, haben auch die ganzen glücklich wirkenden Leute ihre Probleme und Sorgen. Es sind andere, aber manchmal vielleicht sogar die gleichen wie man selber, in manchen Bereichen. Zum Beispiel Leute, die verheiratet sind, können Streit mit dem Partner haben. Es gibt Scheidungen en masse. Leute mit Kindern haben auch Sorgen mit ihren Kindern, und Stress. Leute mit Geld sind deswegen nicht glücklich, nur weil sie Geld haben. Und Leute, die Arbeit haben, leiden nicht selten unter Stress und Überforderung oder Unterforderung am Arbeitsplatz und opfern ihre Lebenszeit und ihre Gesundheit dafür (was aber die wenigsten zugeben würden, man ist ja heutzutage "verpflichtet", glücklich und zufrieden zu sein).

Man kann bestimmte Dinge nicht ändern, sie sind eben so wie sie sind. Aber daneben gibt es auch gute Dinge (sowohl an einem selbst als auch im Leben), und die muss man lernen, mehr zu sehen, um dann aus der Situation das beste zu machen. Wenn die Lebensumstände nicht gut sind, gibt es trotzdem positive Sachen, die man für sich tun kann. Vielleicht kann es eines Tages so sein, dass diese positiven Sachen wichtiger sind als das, was einem fehlt oder was man meint, dass es einem fehlt.

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Thread-EröffnerIn
Tropenwind
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Beitrag Sa., 14.01.2017, 20:55

Danke für eure Antworten und die vielen mutmachenden Worte!
Ich bin froh, dass die meisten von euch mich verstehen und meine Problematik nachvollziehen können.

Andere Menschen haben mich schon immer als komisch und teilweise auch dumm wahrgenommen.
Eigentlich wollte ich sehr lange Zeit beweisen, dass sie sich alle täusch(t)en und dass doch etwas in mir steckt. Meinen Eltern, die enttäuscht von mir sind, dass ich ein schlechtes Abitur gemacht habe und meine Intelligenz nicht für ein Studium ausgereicht hat.
Meine ehemaligen Klassenkameraden, die schon während der Schulzeit der Meinung waren, dass kein Arbeitgeber mich haben wolle. Meine Bekannten, die mich als wenig clever und sehr weltfremd wahrnehmen.

Ehemalige Arbeitgeber haben mir sehr deutlich vermittelt, dass ich für alles geschaffen sein mag, nur nicht für den ersten Arbeitsmarkt!
In der Hinsicht wollte ich mir selbst beweisen, dass ich es doch in einem "normalen" Job schaffen kann.

Ich stimme denjenigen zu, die geschrieben haben, dass die Arbeitswelt heutzutage brutal leistungsbezogen und ohne Ende rücksichtslos ist. Wer nicht halbwegs ins Raster passt, wird aussortiert. Selbst in meinem anspruchslosen Minijob werde ich gnadenlos ausgenutzt. Das Pensum schaffe ich nur, indem ich oft länger arbeite - natürlich ohne zusätzliche Bezahlung.
Ich bin mir auch sicher, dass mein Chef mich als ungeschickt und nicht sehr helle wahrnimmt.
Es passiert schon mal, dass er bei meiner Arbeit ein für ihn komisches Geräusch hört und dann gleich angelaufen kommt und hämisch nachfragt, ob ich gefallen sei. Oder gestern, wo er meine Schuhe begutachtete und meinte, dass die sich aber nicht für die eventuelle Glätte draußen eignen. Ich fühle mich in solchen Momenten wie ein Kind behandelt.

Der Schwerbehindertenausweis hat es jetzt irgendwie für mich wie in Stein gemeißelt, dass ich wirklich untauglich bin fürs Berufsleben, besonders durch die psychische Behinderung.
Meine Psychiaterin hat bei mir vor Jahren Depressionen und eine Angststörung diagnostiziert. Zusätzlich bekam ich nach einer Therapie in einer Tagesklinik die Diagnose "nicht näher bezeichntete Persönlichkeitsstörung mit selbstunsicher-vermeidenden und zwanghaften Anteilen".
Inzwischen geht es es auch bei mir in Richtung Sozialphobie, weil ich kein Vertrauen mehr habe, neue Kontakte zu knüpfen oder eine Beziehung einzugehen. Die ganzen Verletzungen haben sich zu tief bei mir eingegraben. Da ziehe ich noch die selbstgewählte Isolation vor, auch wenn das Leben an mir vorbeizieht.

Die Diagnose Epilepsie hat mich auch stark runtergezogen. Für mich war erst einmal eine Welt zusammengebrochen. Ich wusste zu der Zeit kaum etwas über diese Erkrankung und habe dann gelesen, dass sie auch in der heutigen Zeit noch ein Stigma ist. Da interessiert es nicht, dass bei mir nur "das bisschen Epilepsie" vorliegt.

Mein Selbstwertgefühl hat auch deswegen einen zusätzlichen Knacks bekommen, weil mir durch den Grad der Behinderung so deutlich meine Grenzen vor Augen geführt wurden.
Ich bin mir jetzt wie nie zuvor bewusst, dass ich niemals das erreichen kann und werde, was für viele Menschen problemlos machbar ist. Das konnte ich vorher noch manchmal erfolgreich verdrängen und gab mich zeitweise irgendwelchen Illusionen hin, die nun wie eine Seifenblase zerplatzt sind.

Natürlich muss ich einem potentiellen Arbeitgeber nichts von meinen Erkrankungen sagen, doch beim Jobcenter kennt man nun die Einschränkungen, die zum Anspruch auf einen Schwerbehindertenausweis geführt haben.
Werde ich in Zukunft überhaupt noch als vermittelbar wahrgenommen oder gleich in eine Behindertenwerkstatt abgeschoben?
Ich habe gerade ein Buch gelesen, in dem eine junge Frau mit einer schweren Epilepsie über ihren Alltag mit der Erkrankung schreibt. Obwohl sie studiert hat, wurde sie von der Rehabeauftragten beim Jobcenter fast wie eine minderbemittelte Person behandelt!

Ich jammere bei meinen Bekannten auch nicht über meine Schwerbehinderung. Ich erzähle nur davon und bemerke ja die Abwehrhaltung. Es wird wohl damit zu tun haben, dass niemand mit jemandem befreundet sein möchte, der sich so schwer tut im Leben.

Danke für euer Kompliment, dass ich Talent zum Schreiben habe.
Es hilft mir auch sehr, mir meinen ganzen Kummer von der Seele zu schreiben.
Früher habe ich oft davon geträumt, mir diese Fähigkeit beruflich zunutze zu machen. Doch leider wusste ich nicht, womit. Auch war da mal der Gedanke daran, ein Buch zu verfassen. Wenn ich realistisch bin, weiß ich allerdings, dass ich das nicht zustande bringen würde.

Sorry, dass meine Antwort insgesamt doch so negativ ausfällt...

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inlines
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Beitrag Sa., 14.01.2017, 21:26

Ich möchte dir sagen: Du bist nicht zwangsläufig untauglich fürs Arbeitsleben! Es gibt jede Menge Leute die mit GdB 100 + Merkzeichen Vollzeit arbeiten gehen. Leite doch von diesem GdB nicht ganz so viel ab...

Auch im Bereich der psychisch Behinderten gibt es viele schwer Eingeschränkte, die dennoch ihren Weg in die Arbeitswelt gefunden haben. So kenne ich aus anderen Foren schwer Zwangskranke, chronisch Depressive, Asperger-Autisten mit GdB 70 und mehr, die ihr Einkommen selber finanzieren.

Darüber hinaus gibt es einige sehr sozial eingestellte Arbeitgeber (z. B. meiner), die dir teils mit erheblichem Aufwand die Integration ermöglichen wollen.

Ja, du hattest große Schwierigkeiten, aber du hast immer noch die Chance, deinen eigenen Weg zu machen. Geh es einfach Schritt für Schritt an. Auch du hast Talente, um die dich manch anderer sicher beneidet.

FG


sine.nomine
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Beitrag Sa., 14.01.2017, 22:31

Tropenwind, du hast sogar Abitur und Arbeit hast du auch, sehe ich. Das überrascht mich. Es gibt auch eine andere Person im Forum mit noch etwas höherer Bildung als du, die ebenfalls große psychische Probleme hat. Mich wundert es immer, wenn ich lese, dass auch welche mit guter Bildung chronisch psychisch krank sein können.
Unter "ein bisschen Epilepsie" kann ich mir nicht viel vorstellen. Ich habe gerade bei Wiki nachgeschaut, es hat was mit krampfhaftem Zustand zu tun. Ich bin manchmal auch in Zuständen drin, die ich nicht oder kaum ändern kann. Aber das würde ich als zwanghaft bezeichnen. Es ist sicher nicht einfach für dich, wenn du es noch dazu anderen Recht zu machen versuchst und trotzdem falsch verstanden und kritisiert wirst. Ich will gar nicht wissen, wie andere darauf reagieren würden, wenn ich ihnen meine psychischen Beschwerden schildern würde. Vom Schreiben her wirkst du intelligent auf mich. Ich habe ebenfalls zwanghafte Anteile, die bei mir weit reichen. Ich habe mich im Erwerbsleben nur psychisch geschädigt und hoffe diesbezüglich bald komplett raus zu sein.

Schöne Grüße

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Tropenwind
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Beitrag So., 15.01.2017, 15:45

sine.nomine hat geschrieben:Tropenwind, du hast sogar Abitur und Arbeit hast du auch, sehe ich. Das überrascht mich. Es gibt auch eine andere Person im Forum mit noch etwas höherer Bildung als du, die ebenfalls große psychische Probleme hat. Mich wundert es immer, wenn ich lese, dass auch welche mit guter Bildung chronisch psychisch krank sein können.
Unter "ein bisschen Epilepsie" kann ich mir nicht viel vorstellen. Ich habe gerade bei Wiki nachgeschaut, es hat was mit krampfhaftem Zustand zu tun. Ich bin manchmal auch in Zuständen drin, die ich nicht oder kaum ändern kann. Aber das würde ich als zwanghaft bezeichnen. Es ist sicher nicht einfach für dich, wenn du es noch dazu anderen Recht zu machen versuchst und trotzdem falsch verstanden und kritisiert wirst. Ich will gar nicht wissen, wie andere darauf reagieren würden, wenn ich ihnen meine psychischen Beschwerden schildern würde. Vom Schreiben her wirkst du intelligent auf mich. Ich habe ebenfalls zwanghafte Anteile, die bei mir weit reichen. Ich habe mich im Erwerbsleben nur psychisch geschädigt und hoffe diesbezüglich bald komplett raus zu sein.

Schöne Grüße
Hallo sine.nomine,

ja, ich habe Abitur, aber das habe ich nur so gerade mit einer Nachprüfung geschafft.
Ich habe zur Zeit nur einen Minijob von wenigen Stunden wöchentlich. Auch ist es eine sehr anspruchslose Tätigkeit.

Chronische psychische Probleme bis hin zu einer Behinderung können jeden treffen, unabhängig von der Intelligenz. Niemand ist davor gefeit.

Es ist in der Tat sehr belastend, wenn man versucht, an jedem Arbeitsplatz sein Bestes zu geben, die Leistungen aber nie wertgeschätzt werden. Da besteht nach Jahren der negativen Erlebnisse wirklich das Risiko auszubrennen und zu resignieren.

Von daher kann ich deinen Wunsch nachvollziehen, bald komplett aus dem Erwerbsleben ausscheiden zu können, wenn es dich psychisch so geschädigt hat.
Ich stelle mir für mich zumindest noch einen Teilzeitjob von 20 bis 25 Stunden wöchentlich vor. Einen Vollzeitjob würde ich wahrscheinlich nicht mehr schaffen.
Meine Hoffnung war bei der Beantragung eines Schwerbehindertenausweises, eventuell mit Hilfe des Jobcenters an einen integrativen Arbeitsplatz zu kommen. Doch vielleicht wird ja sogar das schwer mit einer psychischen Behinderung und Epilepsie.


MariJane
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Beitrag So., 15.01.2017, 15:49

Was ist ein integrativer Arbeitsplatz?


shesmovedon
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Beitrag So., 15.01.2017, 19:11

Hallo Tropenwind, nur mal so kurz als Einwurf: für mich hört sich das sehr stark nach ADS ohne Hyperaktivität an. Vielleicht suchst du mal einen darin erfahrenen Therapeuten auf und lässt das abchecken.

Ansonsten: ich habe auch nen Schwebi über 50 und denke da eigentlich einfach nie drüber nach. Ich seh das nicht als Markenzeichen, sondern nutze ihn dann, wenn ich ihn für sinnvoll halte. Du bist ja nicht gezwungen das anzugeben oder zu nutzen.

LG
Radiohead

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