Selbsthass und Lebensangst

Nicht jedem fällt es leicht, mit anderen Menschen in Kontakt zu treten, "einfach" mal jemanden kennenzulernen oder sich in Gruppen selbstsicher zu verhalten. Hier können Sie Erfahrungen dazu (sowie auch allgemein zum Thema "Selbstsicherheit") austauschen.
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Rezna
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Beitrag Fr., 26.02.2010, 01:54

Im Empfinden eines Menschen gibt es eine ganze Palette an Gefühlen, die jeder Mensch hat, die jeder Mensch kennt und die jeder Mensch fühlt. Gleichgültig ob arm oder reich, vom Leben verwöhnt oder verhöhnt. Es ist normal, diese Gefühle zu haben. Ein reiches Leben bedeutet nicht, einen Teil dieser Gefühlspalette nicht leben zu dürfen. So wie ein armer Mensch lachen darf, darf ein reicher Mensch weinen. So gesehen ist es egal, ob du deine Kindheit, dein Umfeld als wunderschön und toll beschreibst - es macht dich nicht glücklich, und das zu empfinden ist dein recht. Du hast keine PFLICHT dich auf irgend eine vorgeschriebene Weise fühlen zu müssen. Die Umstände sind eine Sache. Das Innenleben eine andere.
Die Argumente die du bringst um deinen Selbsthass zu begründen sprechen eine deutliche Sprache. Ein Umfeld kann "scheinbar" positiv sein, aber dahinter sich dennoch eine grausame Manipulation verstecken. Will man dich tatsächlich ziehen lassen? Vielleicht wirst du unterschwellig fest gehalten, gehindert. Das muss nicht mal aus böser Absicht passieren und es muss deinen Eltern auch nicht klar sein. Du selber wirst es auch kaum sehen. Aus "Liebe" zu deiner Mutter, um sie nicht alleine lassen zu müssen, könnte es sein, dass du dich selber sabotierst. Natürlich ist dann alles schön und himmlisch und bloß nicht an der Idylle kratzen - aber das kann auch Teil des "Plans" sein. Er funktioniert ja auch prima. Du fühlst dich schlecht, hast Schuldgefühle. Du traust deinen Gefühlen nicht, meinst, du solltest dich anders fühlen...

Ich sage es mal brutal: Ein Mensch der vollkommen angenommen wird und unter tatsächlich perfekten (und unter perfekt verstehe ich nicht schöne Tapeten, Haus, Garten und Stilmöbel sondern menschliche, liebevolle, ehrliche, aufrichtige und fördernde Zuwendung die dem Reifegrad des Heranwachsenden entspricht) leidet am Ende nicht diese Art von Qualen wie du sie empfindest.

Es gab mal eine Zeit (in deinem Alter etwa) da hätte ich sehr ähnlich geschrieben wie du heute. Wenn ich manchmal Tagebucheinträge lese, wird mir schlecht, wie sehr ich mein damaliges Leben, von Außen, mit Zuckerwatte überzogen habe, nur um darzustellen, wie schlecht ICH wäre. In Wahrheit, und das "durfte" ich aus Selbstschutz erst später erkennen und mir eingestehen, lag enorm viel im Argen. Das heißt: Ich konnte gar nicht anders, als damals so sein wie ich war - es war die logische Konsequenz meines bisherigen Lebens. Das Leben ist nicht ganz so schön und man selber ist nicht ganz so schlecht. Beides schrecklich unperfekt, und letztlich stolpern wir alle irgendwie da durch. Manche besser, andere schlechter. Mit Haus und Garten hat das wenig zu tun. Haus und Garten erzeugen keine Selbstachtung, keinen Selbstrespekt. Es wurde dir eben nicht in dieser Form zuteil, wie du das brauchtest. Das macht es dir jetzt schwer. ABER: in der Zukunft bist du selber es, der bestimmt, wie es weiter geht, woher er sich dieses Selbstvertrauen holt. Du musst nicht aber du darfst. In Selbstmitleid schwelgen ist auch schön und manchmal sogar notwendig und heilsam.
Es gibt schlimmeres, als möglicherweise in Zukunft kein Roboter unserer Gesellschaft zu sein.

Dieser Selbsthass ermöglicht dir auch Selbstreflektion. Du schaust dich kritisch an. Zu kritisch, zu abwertend (wie wer? Wer hat dich diesen Blick auf dich gelehrt?) aber dieser Fluch kann auch eine Gabe sein. Nimm das Blinde aus dem Hass und aus dem Ganzen kann etwas sehr Konstruktives werden. Deine Gedanken und Gefühle sind nicht schlecht. Sie toben derzeit unkontrolliert vor sich hin - wobei - so unkontrolliert ist das gar nicht - es ist sehr focussiert. Ich denke, du hast das Zeug, damit wirklich zu arbeiten.
»Nimm niemals Böswilligkeit an, wenn Dummheit hinreichend ist.« [Hanlon's Razor]
»Wir sind lieber die Bösen als die Dummen.« [Richard David Precht]

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Schneckenleben
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Beitrag Di., 21.06.2011, 10:22

Hallo Baumfreund,

habe heute zum ersten Mal das Forum besucht und deine Einträge der letzten Jahre gefunden.
Meine Frage: bist du inzwischen weiter gekommen??

Ich selbst leide unter den gleichen Gedanken seit meiner Kindheit. Aber immer wieder wurde ich nur auf Depressionen behandelt mit der Aussage "das wird schon wieder"! Ich empfand das irgendwie nicht richtig, aber habe mich darauf eingelassen.
Wirklich schuldig fühle ich mich, weil ich drei Kinder habe(22,21,19). Ich sehe auch bei ihnen teilweise ähnliche Schwierigkeiten und ich selbst bin aktuell mehr denn je an dem Punkt der Selbstaufgabe und -zerstörung.
Je älter ich werde, desto deutlicher sehe ich, dass ich mich zeitlebens immer versteckt habe vor der bösen Welt da draußen - ich habe grenzenlose Angst, mich da hinein zu begeben mit den Entwicklungsdefiziten, die ich habe. Die Zeit der Kindererziehung war durch Depressionen und Therapie geprägt, aber für mich (so wie ich das jetzt erkenne) auch eine Möglichkeit, mich der Welt zu entziehen und eine feste, von außen auferlegte struktur zu haben.
Ich selbst setze keine Ziele, habe keinen Antrieb, fühle mich vollkommen lebensuntüchtig - und bin das in extremen Maße gerade jetzt auch.

Meine "Lebenserfahrung" , d.h. mein Alter, scheint mir zu beweisen, dass ich das Problem nie loswerden werde... Ich habe keinen Mut mehr!

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