Hallo Antonia/Nurse_with_wound,
ich kenne die Serie "Boston Legal" nicht. Im Moment mag ich eigentlich gar nicht so viel zum Thema Asperger schreiben. Ich versuche nämlich gerade, mich wieder aus dieser Diagnoseschublade herauszuarbeiten, die für mich immer mehr zu einer selbsterfüllenden Prophezeiung wird. (Ich werde vielleicht später in meinem Alles-ist-möglich-Thread noch etwas dazu schreiben.) Trotzdem möchte ich dir antworten:
Nurse_with_wound hat geschrieben:Ist das so dass diesen unglaublich sensiblen Menschen die unter Asperger leiden das Gefühl und Verständnis dafür komplett fehlt was in zwischenmenschlichen Interaktionen angemessen ist, wie man sich verhält, WIE man andere Menschen anspricht, wie man Smalltalk anfängt, etc
Dass das Verständnis für soziales Verhalten
komplett fehlt, ist sicher zu verallgemeinernd. Aspies sind so individuell wie andere Menschen auch und es gibt viele Abstufungen. Aber im allgemeinen ist es schon so, dass die intuitive Seite im menschlichen Miteinander gestört ist. Manche Forscher halten es für ein Problem der Spiegelneuronen. Asperger wenden soziale Regeln normalerweise nicht intuitiv an, sondern sie lernen diese Regeln auswendig und verwenden sie bewusst, und das bedeutet, vielleicht nicht immer der Situation angepasst. Es läuft eben sehr viel über den Verstand. In bekannten Situationen werden die Regeln mit der Zeit schon zu einer gewissen Routine, dennoch geht es mir z.B. bis heute so, dass ich auf ein freundliches "Guten Morgen" vom Chef nicht automatisch antworte, sondern mich bewusst dafür entscheiden muss, auch "Guten Morgen" zu sagen. Wenn ich neu mit Menschen zu tun habe, kann es Monate der Beobachtung brauchen, bis ich deren Verhalten, individuelle Mimik usw. einschätzen und passend darauf reagieren kann.
Nurse_with_wound hat geschrieben:Übrigens @ Gärtnerin, ich glaube nicht, dass das pure Desinteresse an sozialen Kontakten das Indiz für Asperger ist, sonst gäbe es nicht so viel Leid und soziale Netzwerke, ist das nicht viel mehr nur bei dir so? Ist das nicht viel mehr so, dass Asperger sich soziale Kontakte wie auch Partner sehr wünschen nur wissen nicht wie sie das anstellen sollen und halt merkwürdig wirken?
Ja, da hast du vermutlich recht. Im Asperger-Forum gab es einmal einen Thread, ob sich Aspies Freundschaften wünschen, und da haben die allermeisten den großen Wunsch nach Freundschaft, Partnerschaft usw. signalisiert. In der Hinsicht scheine ich mit meinem freiwilligen Einzelgängertum wohl eine Ausnahme zu sein. Die meisten Asperger hängen doch sehr in dem Zwiespalt fest zwischen dem verzweifelten Wunsch nach Kontakt einerseits und der Unfähigkeit, Kontakte herzustellen, aufrechtzuerhalten oder längerfristig zu ertragen andererseits. In kompletter Isolation kann kein Mensch leben, denke ich, und gerade stärker betroffene Asperger, die keiner Arbeit nachgehen können, sind oft sehr isoliert.
Es stellt sich natürlich auch die Frage, wie man "Freundschaft" überhaupt definiert. Ich wünsche mir keine Freundin zum stundenlang Quatschen, abends weggehen oder Einkaufsbummel machen. Ich wünsche mir keinen Partner. Ich wünsche mir niemanden, der mich in den Arm nimmt. Aber ich brauche das Gefühl, nicht ausgegrenzt zu sein. Und vor allem brauche ich den intellektuellen und emotionalen Austausch in irgendeiner Form (bei mir in der Regel schriftlich übers Internet oder Briefkontakte). Mit den Menschen, mit denen ich zwangsläufig zusammen sein muss (=meinen Arbeitskollegen) komme ich gut aus, und meine Arbeit ist mir auch wegen dieser oberflächlichen Kontakte wichtig. In meiner Freizeit allerdings will ich allein sein - nicht einmal nur deshalb, weil ich Sozialkontakte anstrengend finde, sondern weil mir das Alleinsein einfach sehr gut tut. Mein Bedürfnis, allein zu sein, hat sich in letzter Zeit noch verstärkt. Aber das ist vielleicht mehr meine persönliche Art als ein allgemeines Asperger-Symptom.
Wer etwas will, findet Wege. Wer etwas nicht will, findet Gründe.