Suizidart - gibt es moralische Unterschiede?

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clematis
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Suizidart - gibt es moralische Unterschiede?

Beitrag Di., 10.11.2009, 21:04

Liebe Forengemeinde,

ich habe gerade von dem Tod Robert Enkes erfahren. (R.I.P.!)
Er soll sich vor einen Zug geworfen haben. (hier soll der Suizid von Enke jedoch nicht Gegenstand der Diskussion werden)

Als erstes ging mir durch den Kopf: der arme Zugfahrer.


Als ich vor einiger Zeit mit meiner Therapeutin über verschiedene Möglichkeiten des Selbstmordes sprach, konnte ich mich bis dato für keine "entscheiden" - der Gedanke an die "Findenden" war noch zu groß, obwohl ich Tabletten noch am "humansten" empfand - kein Blut: fast friedlicher Schlaf.

Darf man die Frage der Moral mit einbeziehen, wenn man über Suizid redet bzw. seinen eigenen Suizid vorbereitet? Ich meine, hat man die Pflicht, auch an das "Wohl" anderer zu denken? - Gerade bei einem Zug-Suizid, wo ja der Fahrer den Tod "ausführt" und nicht man selbst...
Oder ist der Suizid so intim, dass kein Zweiter bedacht werden muss? Wenn im Zweifelsfall ja: Wo ist die Grenze. Kinder? Unbeteiligte? Nahe Angehörige? Darf man eine Grenze ziehen und urteilen?


LG, Clematis
"Das Schwierigste am Leben ist es, Herz und Kopf dazu zu bringen, zusammenzuarbeiten. In meinem Fall verkehren sie noch nicht mal auf freundschaftlicher Basis."
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candle
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Beitrag Di., 10.11.2009, 21:07

Das Problem ist wohl, dass keiner über Moral mehr nachdenkt im suizidalen Zustand, deswegen finde ich die Frage komisch.

candle
Es ist besser ein Kerze anzuzünden, als über die Dunkelheit zu klagen.
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clematis
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Beitrag Di., 10.11.2009, 21:11

ja, in dem moment des ausführens vielleicht nicht mehr.

aber man beschäftigt sich doch gedanklich nicht erst in dem moment mit dem thema, also während des springens oder so.
man wägt doch irgendwo ab, was für einen die "beste" methode wäre... und in diesem moment: hat man da auch kein "moralisches" verständnis mehr?
ich verwende hier das wort moralisch so selbstverständlich: ist es denn unmoralisch, sich vor einen Zug zu werfen?
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candle
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Beitrag Di., 10.11.2009, 21:15

Wie gesagt, es ist wohl keine Frage der Moral. Akut ist alles ausgeblendet, egal was man vorher für Gedanken dazu hatte.

Ich finde es nicht fair. Ich kenne solch traumatisierte Zugfahrer und auch Leute, die sich umgebracht haben auf verschiedenste Weise.

Und ist es moralisch den Hinterbliebenen gegenüber?

Ich habe übrigens solche Gedanken nicht. Ja, ich wäre zu feige mir was anzutun oder besser: Ich liebe das Leben!!!

Ich hoffe, dass soll für Dich hier keine Aufwiegelung für Deinen besten Abgang darstellen clem!!!

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clematis
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Beitrag Di., 10.11.2009, 21:19

oh nein, gar nicht! ich bin im moment absolut nicht suizidal! meine medis wirken gut!!!

dieser thread ist überhaupt nicht dafür gedacht, dass sich hier suizidale menschen für den "populärsten" abgang entscheiden!!!
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candle
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Beitrag Di., 10.11.2009, 21:22

Ich denke einfach, dass Du die Frage der Moral in Bezug auf dieses Thema vergessen kannst.

candle
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Messina
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Beitrag Di., 10.11.2009, 21:31

Hi!

Ich kann Deine Frage gut verstehen, denn ich stelle Sie mir bereits seit einem Jahr.
Wenn ich an die Hinterbliebenen denke, komme ich auch immer wieder ins grübeln.
Ich möchte nicht, dass jemand für mich leiden muss. Andererseits bin ich auch sehr feige und möchte auch nicht, dass es als Suizid auffällt. Feige halt.

Und da ich mich noch gut unter Kontrolle habe, kann ich noch weiter grübeln.
Aber ich gebe Candle schon recht, dass man in akuten Situationen wohl kaum daran denken kann.

Lg
messina
Manchmal muss man einem Menschen den man liebt loslassen, damit er glücklich sein kann auch wenn man selbst daran zerbricht.

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Marja
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Beitrag Di., 10.11.2009, 21:39

Ich bin heute aus der U-bahn, die einen längeren Aufenthalt hatte, aufgrund - ich zitiere die Durchsage - "eines sich auf den Gleisen befindenden Menschen" ausgestiegen und mit der Bim weitergefahren. Ist aber auch als Fremder ein mulmliges Gefühl wenn man weiß, da hat grad jemand einen Abgang gemacht.

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MelaNiete
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Beitrag Di., 10.11.2009, 23:04

Hallo,
clematis hat geschrieben:Darf man die Frage der Moral mit einbeziehen, wenn man über Suizid redet bzw. seinen eigenen Suizid vorbereitet? Ich meine, hat man die Pflicht, auch an das "Wohl" anderer zu denken? - Gerade bei einem Zug-Suizid, wo ja der Fahrer den Tod "ausführt" und nicht man selbst...
Ich finde, ja.
Wenn man sich schon umbringen möchte, dann sollte man wenigstens niemanden mit hineinziehen. Habe ich bei meinen 5 Versuchen jeweils so gehandhabt. Meine letzten beiden Versuche waren auch mit Tabletten.

Nach jedem weiteren Versuch ist mir jedoch immer deutlicher klar geworden, daß zumindest meine Angehörigen auch dann unter meinem Suizid leiden würden, wenn sie in keiner Weise die Möglichkeit gehabt hätten einzugreifen, denn sie würden vermutlich so oder so darüber nachdenken und sich Vorwürfe machen, zusätzlich zu der Trauer.

Da ich nicht mit einem schlechten Gewissen sterben möchte, sehe ich von einem weiteren Versuch (der wahrscheinlich gelingen würde, da ich mittlerweile über hinreichende Medikamentenkenntnisse verfüge) ab.
candle hat geschrieben:Das Problem ist wohl, dass keiner über Moral mehr nachdenkt im suizidalen Zustand,
Kann ich nicht bestätigen, obwohl es sich bei mir jeweils um Kurzschlußreaktionen gehandelt hat.

Melanie
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Über mich: viewtopic.php?f=34&t=6483
Dort schreibe ich auch: Depri.ch – Psychiatriegespraech.de

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anarchistin
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Beitrag Mi., 11.11.2009, 08:37

tja- also ich finde schon das man das möglichst so handhaben sollte das man andere nicht mit einbezieht.
also ich finde es zb ganz schlimm wenn wer mit dem auto absichtlich als geisterfahrer a.d.autobahn fährt um andre mit in den tod zu reissen, oder wild um sich schiessend durch ne schule rennt. oder wenn einen die angehörigen blutend in der wanne finden *wah*

das muss alles nicht sein. wenn man schon den suizid wählt sollte man alles so machen das man andere nciht noch mehr schädigt (psych.od. physisch) ist meine meinung dazu. und meist ist der suizid ja ein wohlüberlegter schritt. seltener eine impulsive handlung...
Der Weg der Extreme führt zum Palast der Weisheit!

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Schneekugel
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Beitrag Mi., 11.11.2009, 09:39

Die Frage hatten wir schon mal und ich glaub immer noch es hapert daran sich in einen reinzuversetzen der dabei ist sich umzubringen. Klar wäre es moralisch besser keine Unbeteiligten damit reinzuziehen, der Zugführer wird daran schwer zu tragen haben.

Persönlich frage ich mich wieviele der Vorposter, während ihnen (aus ihrer Sicht) soviele Qualen zugesetzt werden, dass sie nur noch sterben möchten, sich in dem Moment Gedanken über Moral machen würden.

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hawi
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Beitrag Mi., 11.11.2009, 09:51

????

Moral versus Suizidart?
Sicherlich, die, die quasi gezwungen werden, einen Suizid mitzuerleben, gar an ihm teilzunehmen, die, die z.B. als Familie betroffen sind, für viele ist das sehr schlimm, traumatisierend.
Aber lassen sich darum Maßstäbe aufstellen? Lassen sich Suizide einteilen in besser/schlechter, moralisch/unmoralisch?
Ja, mag sein, aber ich finde, es sollte möglichst nicht passieren!

Es ist noch nicht lang her, da galt jeder Suizid(Versuch) als unmoralisch, verwerflich.
Ich bin froh, dass so eine Sicht heute nicht mehr vorherrscht.

Meine eigene Grenze, ab der ich anfange, einen Selbstmörder für seinen Suizid anzuklagen, zu verurteilen, ist da, wo er mit seinem Suizid den Tod anderer zumindest in Kauf nimmt.

Alles andere?
Für mich auch deshalb nur sehr sehr schwer zu werten, weil es ja nicht den Suizid, den Suizidgrund, den Selbstmörder gibt. Z.B.: Manche Suizide, Suizidarten, sind auch Anklagen, sollen nicht nur das einzelne Leben beenden, sondern zusätzlich ein Zeichen setzen! Für welche Suizide gilt welche „Moral“? - Auch deshalb, diskutieren geht, muss wohl auch sein, aber nicht mit dem Ziel, Urteile zu fällen, quasi moralisch zu regulieren. Das geht bei diesem Thema meiner Meinung nach nicht.
„Das Ärgerlichste in dieser Welt ist, daß die Dummen todsicher
und die Intelligenten voller Zweifel sind.“
Bertrand Russell


Eremit
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Beitrag Mi., 11.11.2009, 13:14

Von meinen eigenen Suizidversuchen ausgehend kann ich schon behaupten, daß die Moral ein Faktor ist. Wichtig dabei ist in erster Linie der Grund/die Gründe für den Suizid, dieser bestimmt die Art und Weise, wie man gedenkt, aus dem Leben zu scheiden, ob man jemanden mitnimmt oder nicht, ob einem andere Menschen egal sind oder nicht, ob man bemerkt werden will oder nicht...

Ich habe drei Versuche hinter mir, erschießen, springen aus großer Höhe und Drogen/Medikamentencocktail. Der Sprung geschah vor den Augen anderer, ich wollte bemerkt werden, also insofern moralisch verwerflich, als daß es Menschen traumatisiert hätte. Die anderen Versuche waren still, fernab der Gesellschaft, quasi ein "Sich-verschwinden-lassen" ohne Abschiedsbrief oder Vorwarnung, auch die Leiche wäre wahrscheinlich nie gefunden worden, was auch Teil des Plans war, um niemanden zu belasten. Explizit wollte ich nie jemandem schaden.

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Moni.
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Beitrag Mi., 11.11.2009, 13:35

Hallo,
auch mich hat dieser Gedanke heute früh bewegt. Ein moralisches Urteil mag ich nicht abgeben.

Die innere Not muss sehr groß gewesen sein... Trotzdem denke ich an den Lokführer, die Helfer auf dem Gleis, die Reisenden im Zug, die hinterbliebene Ehefrau (die ihn in diesem Zustand identifizieren musste) und... und... und.

Dann fällt mir Hannelore Kohl ein. Sie soll bei ihrem freigewählten Tod selbst an die Haushälterin gedacht haben und schrieb wohl vorsorglich einen Brief - damit die findende Person vorbereitet ist.

Ich glaube die Art und Weise sagt schon etwas aus. Auch ob man andere Menschen billigend oder gewollt mit in das eigene Ableben einbezieht.

(Und ich stelle mir die Patienten seines Vaters vor, der als Psychoanalytiker arbeitet. Wie mag es diesen gehen...)

Nachdenklich
Moni

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Laura13
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Beiträge: 643

Beitrag Mi., 11.11.2009, 13:38

Auch ich kenne Suizidgedanken,...auch ich habe oft schon überlegt, wie ich es machen könnte.....und das, obwohl ich Kinder habe und obwohl ich es am eigenen Leib erfahren habe, wie es ist, wenn sich ein naher Angehöriger das Leben nimmt.....
Ich werde auch niemals einen Menschen ver- oder beurteilen oder werten, der sich das Leben genommen hat...ich empfinde tiefes Mitgefühl.....

und trotzdem....Habt ihr vor wenigen Minuten die Pressekonferenz zu Robert Enkes Tod gesehen? Seine Frau hat dort unter anderen gesprochen....Es bleiben Menschen zurück, Menschen bei denen man ein Trauma setzt.
Menschen, die unter dem Suizid leiden, die das nicht mehr loswerden oder sehr lange dafür brauchen.
Menschen, die Schuldgefühle haben.
Auch seine Frau hat ihr Kind verloren....und nun noch ihren Mann.
Wenigstens hat er einen Abschiedsbrief hinterlassen und sich entschuldigt....hat offensichtlich alle getäuscht, weil er unbedingt sterben wollte und das lange geplant hatte...

Jeder, der sowas tun "will", MUSS wissen: Es wird mindestens einen Menschen geben, der dann leiden muss,...wenn nicht sogar viel mehr....Ist das fair? Man gibt einem anderen Menschen eine schwere Hypothek mit auf seinen weiteren Lebensweg, man nimmt einem anderen sozusagen auch ein Stückweit SEIN Leben...weil er sich viel damit beschäftigen muss, wie er das Geschehene aufarbeiten kann....und letzte Zweifel und die Frage nach dem WARUM bleiben immer...und immer wieder das Gefühl: ...hätte ich nicht doch, irgendwas merken, irgendwas tun können?...habe ich alles versucht?

Das ist schwer. Sehr schwer, damit zu leben.
Ich wünsche das keinem, und bitte auf diesem Weg jeden von euch: Überlegt euch gut, ob es nicht doch einen anderen Weg gibt, ob ihr wirklich schon alles versucht habt....
Ich weiß, wie hart es oft sein kann...aber ich weiß auch: Es gibt IMMER einen besseren Weg, als den, sich das Leben zu nehmen....und wenn,...dann kann man sich ja immer noch umbringen, das kann man ja immer noch tun....aber: Es wird dann endgültig sein und nicht mehr rückgängig zu machen...
Das Leben hat auch viele schöne Seiten. Es lohnt sich!

Liebe Grüße
Laura, die sehr betroffen und getriggert ist von dem aktuell Geschehenem.....
Die Nacht holt heimlich durch des Vorhangs Falten
aus deinem Haar vergeßnen Sonnenschein.
Schau, ich will nichts, als deine Hände halten
und still und gut und voller Frieden sein.

Rainer Maria Rilke

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