Hallo,
dieses Gedicht von Julius K.R. STURM hat mich als Jugendliche ziemlich berührt und gefällt mir auch heute noch - ist übrigens von Hugo Wolf vertont worden.
Über Nacht, über Nacht
Kommt still das Leid,
Und bist du erwacht,
O traurige Zeit!
Du grüßest den dämmernden Morgen
Mit Weinen und mit Sorgen.
Über Nacht, über Nacht
Kommt still das Glück
Und bist du erwacht,
O selig Glück!
Der düstre Traum ist zerronnen,
Und Freude ist gewonnen.
Über Nacht, über Nacht
Kommt Freud' und Leid,
Und eh du's gedacht,
Verlassen dich beid',
Und gehen dem Herrn zu sagen,
Wie du sie getragen.
Über Nacht, über Nacht
Da kommt der Tod,
Ach, hast du's bedacht
Im Morgenrot?
Du wirst nicht erbeben
War Liebe dein Leben.
---
Dann hat mir noch dieses von Paul ELUARD seit frühester Jugend viel gegeben:
Paul Éluard, “À Peine Défigurée” (La vie immédiate, 1932)
Adieu tristesse,
Bonjour tristesse.
Tu es inscrite dans les lignes du plafond.
Tu es inscrite dans les yeux que j’aime
Tu n’es pas tout à fait la misère,
Car les lèvres les plus pauvres te dénoncent
Par un sourire.
Bonjour tristesse.
Amour des corps aimables.
Puissance de l’amour
Dont l’amabilité surgit
Comme un monstre sans corps.
Tête désappointée.
Tristesse, beau visage.
Ich würde es so übersetzen:
Adieu Traurigkeit
Willkommen Traurigkeit
Du zeigst dich in den Rissen an der Decke
Du zeigst dich in den Augen, die ich liebe
Du bist nicht das größte Elend
Denn die Lippen der Allerärmsten zeigen dich an
mit einem Lächeln
Willkommen Traurigkeit
Liebe liebenswerter Körper
Kraft der Liebe
Aus der das Begehren aufsteigt
Wie ein Ungeheuer ohne Leib
Enttäuschtes Haupt,
Traurigkeit, schönes Antlitz.
Dies ist meine, etwas freie Übersetzung - bitte um Verbesserungsvorschläge ...
Und dann möchte ich euch natürlich noch fast alles von Ingeborg BACHMANN empfehlen, denn ihre Gedichte begleiten mich ebenfalls schon seit frühester Jugend und ich kann immer noch neue Inspiration und Gefühle darin finden, z.B. dieses frühe Gedicht von ihr berührt mich sehr:
Es könnte viel bedeuten
Es könnte viel bedeuten: wir vergehen,
wir kommen ungefragt und müssen weichen.
Doch daß wir sprechen und uns nicht verstehen
und keinen Augenblick des andern Hand erreichen,
zerschlägt so viel: wir werden nicht bestehen.
Schon den Versuch bedrohen fremde Zeichen,
und das Verlangen, tief uns anzusehen,
durchtrennt ein Kreuz, uns einsam auszustreichen.
Noch könnte ich noch vieles von Neruda, Elytis, Benn, Lavant etc. etc. anführen, aber ich will ja nicht den Thread hier sprengen ... also für erste alles Liebe an Euch
Idomenea
Welche Gedichte berühren euch?
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Thread-EröffnerIn - Helferlein
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- Beiträge: 45
Echt schöne Gedicht, das von Ingeborg Bachmann hat mich auch sofort berührt.
Ich würde mich freuen, wenn du weiter Gedichte hier niederschreiben würdest liebe idomenea.
Grüße Blacky
Ich würde mich freuen, wenn du weiter Gedichte hier niederschreiben würdest liebe idomenea.
Grüße Blacky
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- [nicht mehr wegzudenken]
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Mal aufgeschnappt aus einem "Uralt"-Thread und sicherlich den meisten bekannt. Hat mich ziemlich berührt damals.. und tut es immer noch... vor allem die letzte Strophe..
Spuren im Sand
Eines Nachts hatte ich einen Traum:
Ich ging am Meer entlang mit meinem Herrn.
Vor dem dunklen Nachthimmel erstrahlten,
Streiflichtern gleich,
Bilder aus meinem Leben.
Und jedes Mal sah ich zwei Fußspuren im Sand,
meine eigene und die meines Herrn.
Als das letzte Bild an meinen Augen
vorüber gezogen war, blickte ich zurück.
Ich erschrak, als ich entdeckte,
dass an vielen Stellen meines Lebensweges
nur eine Spur zu sehen war.
Und das waren gerade die schwersten
Zeiten meines Lebens.
Besorgt fragte ich den Herrn:
„Herr, als ich anfing, dir nachzufolgen,
da hast du mir versprochen,
auf allen Wegen bei mir zu sein.
Aber jetzt entdecke ich,
dass in den schwersten Zeiten meines Lebens,
nur eine Spur im Sand zu sehen ist.
Warum hast du mich allein gelassen,
als ich dich am meisten brauchte?“
Da antwortete er: „Mein liebes Kind,
ich liebe dich und werde dich nie allein lassen,
erst recht nicht in Nöten und Schwierigkeiten.
Dort, wo du nur eine Spur gesehen hast,
da habe ich dich getragen.“
(Margaret Fishback Powers)
Spuren im Sand
Eines Nachts hatte ich einen Traum:
Ich ging am Meer entlang mit meinem Herrn.
Vor dem dunklen Nachthimmel erstrahlten,
Streiflichtern gleich,
Bilder aus meinem Leben.
Und jedes Mal sah ich zwei Fußspuren im Sand,
meine eigene und die meines Herrn.
Als das letzte Bild an meinen Augen
vorüber gezogen war, blickte ich zurück.
Ich erschrak, als ich entdeckte,
dass an vielen Stellen meines Lebensweges
nur eine Spur zu sehen war.
Und das waren gerade die schwersten
Zeiten meines Lebens.
Besorgt fragte ich den Herrn:
„Herr, als ich anfing, dir nachzufolgen,
da hast du mir versprochen,
auf allen Wegen bei mir zu sein.
Aber jetzt entdecke ich,
dass in den schwersten Zeiten meines Lebens,
nur eine Spur im Sand zu sehen ist.
Warum hast du mich allein gelassen,
als ich dich am meisten brauchte?“
Da antwortete er: „Mein liebes Kind,
ich liebe dich und werde dich nie allein lassen,
erst recht nicht in Nöten und Schwierigkeiten.
Dort, wo du nur eine Spur gesehen hast,
da habe ich dich getragen.“
(Margaret Fishback Powers)
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Geh ich zeitig in die Leere
Komm ich aus der Leere voll.
Wenn ich mit dem Nichts verkehre
Weiß ich wieder, was ich soll.
Wenn ich liebe, wenn ich fühle,
Ist es eben auch Verschleiß
Aber dann, in der Kühle
Werd’ ich wieder heiß.
aus den Buckower Elegien 1953
Bertold Brecht (1898 – 1956)
Komm ich aus der Leere voll.
Wenn ich mit dem Nichts verkehre
Weiß ich wieder, was ich soll.
Wenn ich liebe, wenn ich fühle,
Ist es eben auch Verschleiß
Aber dann, in der Kühle
Werd’ ich wieder heiß.
aus den Buckower Elegien 1953
Bertold Brecht (1898 – 1956)
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Das Wort ist ausgewandert
Das Wort ist ausgewandert
in die Wüste.
Was es zurückgelassen hat
ist Schrei und Schweigen.
Wer beides nicht erträgt,
der muß ihm nachgehn,
bis er verdurstet
oder Wasser findet.
Catarina Carsten
Das Wort ist ausgewandert
in die Wüste.
Was es zurückgelassen hat
ist Schrei und Schweigen.
Wer beides nicht erträgt,
der muß ihm nachgehn,
bis er verdurstet
oder Wasser findet.
Catarina Carsten
Nachtmusik
Laub kam von den Bäumen
Meine Schulter betupfen,
Nicht du.
Schaum kam ans Ufer
Und wollte mein Schuhband zupfen,
Nicht du.
Sonne von gestern kam aus den Rosen,
In meinen Augen zu wohnen,
Nicht du.
Sternschuppen hängen, wehende Schleifen,
Aus der Vergängnis Erntekronen,
Auch du.
Oskar Loerke
Laub kam von den Bäumen
Meine Schulter betupfen,
Nicht du.
Schaum kam ans Ufer
Und wollte mein Schuhband zupfen,
Nicht du.
Sonne von gestern kam aus den Rosen,
In meinen Augen zu wohnen,
Nicht du.
Sternschuppen hängen, wehende Schleifen,
Aus der Vergängnis Erntekronen,
Auch du.
Oskar Loerke
"Das Vergleichen ist das Ende des Glücks und der Anfang der Unzufriedenheit." Kierkegaard
@blackKiss91: Danke, Blacky, für deine freundlichen Worte und deinen Beitrag von Brecht. Das kannte ich noch nicht von ihm.
@tränen-reich: Die Spuren im Sand hörte ich zum ersten Mal während einer Schulmesse, so um 1979 herum. Damals hat es mich auch berührt. Leider ist dieses Gedicht meiner Meinung nach ein schönes Beispiel dafür, dass man es nicht zu oft hören darf, sonst verliert es seine Wirkung. Und die "Spuren im Sand" wurden einfach zu oft zitiert, weiterverarbeitet etc. so z.B. in Chris de Burghs Lied "Snows of New York", und deshalb hat es für mich an Wirkung stark verloren. Aber dennoch, vielleicht kennen es ja einige Jüngere hier doch noch nicht ...
Nun will ich zwei Gedichte von Pablo NERUDA vorstellen, die sicher auch recht bekannt sind - für mich sind es zwei seiner besten, obwohl in seinem großen Werk vieles gut ist. Diesmal nur auf Deutsch, denn leider kann ich Spanisch nicht und die Übersetzung ist daher nicht von mir. Es empfiehlt sich jedoch immer, Gedichte im Original zu lesen, auch wenn man die Sprache nicht kann, einfach wegen des Sprachklanges.
Pablo NERUDA
Vom Fusse eines Kindes aus
Der Fuss eines Kindes weiss noch nicht, dass er Fuss ist
und möchte Schmetterling oder Apfel sein.
Dann aber: Gräser und Steine, die Strassen, die Treppen lehren den Fuss,
dass er nicht fliegen kann, dass er keine Frucht sein kann, rund an einem Zweig.
Der Fuss des Kindes wurde somit besiegt, fiel in der Schlacht, wurde Gefangener,
verurteilt, in einem Schuh zu leben.
Nach und nach, ohne Licht, lernte er die Welt auf seine Art kennen,
ohne den anderen Fuss zu kennen, der eingesperrt das Leben erforscht wie ein Blinder.
Jene zarten Nägel aus Quarz, aus Traube, wurden hart, verwandelten sich
in undurchsichtigen Stoff, in harten Horn, und die kleinen Blütenblätter des Kindes
platteten sich ab, verloren ihre Ausgeglichenheit, nahmen Formen an eines augenlosen Reptils,
Dreiecksköpfe von Maden. Und nachher bekamen sie Hühneraugen, überzogen sich
mit winzigen Vulkanen des Todes, unannehmbaren Verhärtungen.
Dieser Blinde jedoch ging rastlos, ohne anzuhalten, Stunde um Stunde einher.
Der eine Fuss und der andere Fuss, bald dem Manne gehörend, bald der Frau.
Aufwärts, abwärts, hinaus, hinein, vorwärts, dieser Fuss arbeitete in seinem Schuh,
kaum fand er Zeit, nackt zu sein, in der Liebe oder im Traum, er wanderte, sie wanderten,
bis der ganze Mensch aufhörte.
Und nun in die Erde, hinab, und er wusste nichts, denn dort all und jedes war dunkel.
Er wusste nicht, dass er aufgehört hatte Fuss zu sein, ob sie ihn begruben,
damit er flöge oder damit er Apfel sein könne.
---
Und das zweite von NERUDA, dessen Eingangsvers ich oft im Stillen zitiere:
Bitte um Ruhe
Nun lasse man mich in Ruhe.
Nun mag man sich an mein Abwesendsein gewöhnen.
Ich will meine Augen schließen.
Fünf Dinge nur will ich,
fünf eingewurzelte Vorlieben.
Eine ist die unendliche Liebe.
Die zweite ist, den Herbst erleben.
Ich kann, ohne dass Blätter
treiben und zur Erde kehren, nicht sein.
Das dritte ist der bittere Winter,
der Regen, den ich geliebt, des Feuers
Zärtlichkeit inmitten grimmiger Kälte.
An vierter Stelle der Sommer
prall wie eine Wassermelone.
Das fünfte sind deine Augen.
Mathilde, inniggeliebte,
ich mag nicht schlafen ohne deine Augen,
mag nicht leben ohne deinen Blick:
Ich tauschte den Frühling ein,
damit du mich fort und fort anblickst.
Freunde, das ist alles, was ich begehre.
Es ist fast nichts und doch fast alles.
Nun könnt ihr gehen, wenn ihr wollt.
---
Und noch eins zum Drüberstreuen von der Christine LAVANT, die meines Erachtens mehr Beachtung finden sollte in unserem Land:
Es riecht nach Schnee
Es riecht nach Schnee, der Sonnenapfel hängt
so schön und rot vor meiner Fensterscheibe;
wenn ich das Fieber jetzt aus mir vertreibe,
wird es ein Wiesel, das der Nachbar fängt,
und niemand wärmt dann meine kalten Finger.
Durchs Dorf gehn heute wohl die Sternensinger
und kommen sicher auch zu meinen Schwestern.
Ein wenig bin ich trauriger als gestern,
doch lange nicht genug, um fromm zu sein.
Den Apfel nähme ich wohl gern herein
und möchte heimlich an der Schale riechen,
bloß um zu wissen, wie der Himmel schmeckt.
Das Wiesel duckt sich wild und aufgeschreckt
und wird vielleicht nun doch zum Nachbar kriechen,
weil sich mein Herz so eng zusammenzieht.
Ich weiß nicht, ob der Himmel niederkniet,
wenn man zu schwach ist, um hinaufzukommen?
Den Apfel hat schon jemand weggenommen …
Doch eigentlich ist meine Stube gut
und wohl viel wärmer als ein Baum voll Schnee.
Mir tut auch nur der halbe Schädel weh
und außerdem geht jetzt in meinem Blut
der Schlaf mit einer Blume auf und nieder
und singt für mich allein die Sternenlieder.
---
Nun lass ich es gut sein für heute ...
mög es euch gut gehen, und wenn nicht, so bleibt die Literatur, um Trost daraus zu schöpfen,
alles Liebe
Idomenea
@tränen-reich: Die Spuren im Sand hörte ich zum ersten Mal während einer Schulmesse, so um 1979 herum. Damals hat es mich auch berührt. Leider ist dieses Gedicht meiner Meinung nach ein schönes Beispiel dafür, dass man es nicht zu oft hören darf, sonst verliert es seine Wirkung. Und die "Spuren im Sand" wurden einfach zu oft zitiert, weiterverarbeitet etc. so z.B. in Chris de Burghs Lied "Snows of New York", und deshalb hat es für mich an Wirkung stark verloren. Aber dennoch, vielleicht kennen es ja einige Jüngere hier doch noch nicht ...
Nun will ich zwei Gedichte von Pablo NERUDA vorstellen, die sicher auch recht bekannt sind - für mich sind es zwei seiner besten, obwohl in seinem großen Werk vieles gut ist. Diesmal nur auf Deutsch, denn leider kann ich Spanisch nicht und die Übersetzung ist daher nicht von mir. Es empfiehlt sich jedoch immer, Gedichte im Original zu lesen, auch wenn man die Sprache nicht kann, einfach wegen des Sprachklanges.
Pablo NERUDA
Vom Fusse eines Kindes aus
Der Fuss eines Kindes weiss noch nicht, dass er Fuss ist
und möchte Schmetterling oder Apfel sein.
Dann aber: Gräser und Steine, die Strassen, die Treppen lehren den Fuss,
dass er nicht fliegen kann, dass er keine Frucht sein kann, rund an einem Zweig.
Der Fuss des Kindes wurde somit besiegt, fiel in der Schlacht, wurde Gefangener,
verurteilt, in einem Schuh zu leben.
Nach und nach, ohne Licht, lernte er die Welt auf seine Art kennen,
ohne den anderen Fuss zu kennen, der eingesperrt das Leben erforscht wie ein Blinder.
Jene zarten Nägel aus Quarz, aus Traube, wurden hart, verwandelten sich
in undurchsichtigen Stoff, in harten Horn, und die kleinen Blütenblätter des Kindes
platteten sich ab, verloren ihre Ausgeglichenheit, nahmen Formen an eines augenlosen Reptils,
Dreiecksköpfe von Maden. Und nachher bekamen sie Hühneraugen, überzogen sich
mit winzigen Vulkanen des Todes, unannehmbaren Verhärtungen.
Dieser Blinde jedoch ging rastlos, ohne anzuhalten, Stunde um Stunde einher.
Der eine Fuss und der andere Fuss, bald dem Manne gehörend, bald der Frau.
Aufwärts, abwärts, hinaus, hinein, vorwärts, dieser Fuss arbeitete in seinem Schuh,
kaum fand er Zeit, nackt zu sein, in der Liebe oder im Traum, er wanderte, sie wanderten,
bis der ganze Mensch aufhörte.
Und nun in die Erde, hinab, und er wusste nichts, denn dort all und jedes war dunkel.
Er wusste nicht, dass er aufgehört hatte Fuss zu sein, ob sie ihn begruben,
damit er flöge oder damit er Apfel sein könne.
---
Und das zweite von NERUDA, dessen Eingangsvers ich oft im Stillen zitiere:
Bitte um Ruhe
Nun lasse man mich in Ruhe.
Nun mag man sich an mein Abwesendsein gewöhnen.
Ich will meine Augen schließen.
Fünf Dinge nur will ich,
fünf eingewurzelte Vorlieben.
Eine ist die unendliche Liebe.
Die zweite ist, den Herbst erleben.
Ich kann, ohne dass Blätter
treiben und zur Erde kehren, nicht sein.
Das dritte ist der bittere Winter,
der Regen, den ich geliebt, des Feuers
Zärtlichkeit inmitten grimmiger Kälte.
An vierter Stelle der Sommer
prall wie eine Wassermelone.
Das fünfte sind deine Augen.
Mathilde, inniggeliebte,
ich mag nicht schlafen ohne deine Augen,
mag nicht leben ohne deinen Blick:
Ich tauschte den Frühling ein,
damit du mich fort und fort anblickst.
Freunde, das ist alles, was ich begehre.
Es ist fast nichts und doch fast alles.
Nun könnt ihr gehen, wenn ihr wollt.
---
Und noch eins zum Drüberstreuen von der Christine LAVANT, die meines Erachtens mehr Beachtung finden sollte in unserem Land:
Es riecht nach Schnee
Es riecht nach Schnee, der Sonnenapfel hängt
so schön und rot vor meiner Fensterscheibe;
wenn ich das Fieber jetzt aus mir vertreibe,
wird es ein Wiesel, das der Nachbar fängt,
und niemand wärmt dann meine kalten Finger.
Durchs Dorf gehn heute wohl die Sternensinger
und kommen sicher auch zu meinen Schwestern.
Ein wenig bin ich trauriger als gestern,
doch lange nicht genug, um fromm zu sein.
Den Apfel nähme ich wohl gern herein
und möchte heimlich an der Schale riechen,
bloß um zu wissen, wie der Himmel schmeckt.
Das Wiesel duckt sich wild und aufgeschreckt
und wird vielleicht nun doch zum Nachbar kriechen,
weil sich mein Herz so eng zusammenzieht.
Ich weiß nicht, ob der Himmel niederkniet,
wenn man zu schwach ist, um hinaufzukommen?
Den Apfel hat schon jemand weggenommen …
Doch eigentlich ist meine Stube gut
und wohl viel wärmer als ein Baum voll Schnee.
Mir tut auch nur der halbe Schädel weh
und außerdem geht jetzt in meinem Blut
der Schlaf mit einer Blume auf und nieder
und singt für mich allein die Sternenlieder.
---
Nun lass ich es gut sein für heute ...
mög es euch gut gehen, und wenn nicht, so bleibt die Literatur, um Trost daraus zu schöpfen,
alles Liebe
Idomenea
Das Einhorn
Das Einhorn lebt von Ort zu Ort
nur noch als Wirtshaus fort.
Man geht hinein zur Abendstund
und sitzt den Stammtisch rund.
Wer weiß! Nach Jahr und Tag sind wir
auch ganz wie jenes Tier
Hotels nur noch, darin man speist -
(so völlig wurden wir zu Geist).
Im "Goldenen Menschen" sitzt man dann
und sagt sein Solo an ...
Christian Morgenstern
Das Einhorn lebt von Ort zu Ort
nur noch als Wirtshaus fort.
Man geht hinein zur Abendstund
und sitzt den Stammtisch rund.
Wer weiß! Nach Jahr und Tag sind wir
auch ganz wie jenes Tier
Hotels nur noch, darin man speist -
(so völlig wurden wir zu Geist).
Im "Goldenen Menschen" sitzt man dann
und sagt sein Solo an ...
Christian Morgenstern
"Das Vergleichen ist das Ende des Glücks und der Anfang der Unzufriedenheit." Kierkegaard
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Entfremdung
In den Bäumen kann ich keine Bäume mehr sehen.
Die Äste haben nicht die Blätter, die sie in den Wind halten.
Die Früchte sind süß, aber ohne Liebe.
Sie sättigen nicht einmal.
Was soll nur werden?
Vor meinen Augen flieht der Wald,
vor meinem Ohr schließen die Vögel den Mund,
für mich wird keine Wiese zum Bett.
Ich bin satt vor der Zeit
und hungre nach ihr.
Was soll nur werden?
Auf den Bergen werden nachts die Feuer brennen.
Soll ich mich aufmachen, mich allem wieder nähern?
Ich kann in keinem Weg mehr einen Weg sehen.
Ingeborg Bachmann
In den Bäumen kann ich keine Bäume mehr sehen.
Die Äste haben nicht die Blätter, die sie in den Wind halten.
Die Früchte sind süß, aber ohne Liebe.
Sie sättigen nicht einmal.
Was soll nur werden?
Vor meinen Augen flieht der Wald,
vor meinem Ohr schließen die Vögel den Mund,
für mich wird keine Wiese zum Bett.
Ich bin satt vor der Zeit
und hungre nach ihr.
Was soll nur werden?
Auf den Bergen werden nachts die Feuer brennen.
Soll ich mich aufmachen, mich allem wieder nähern?
Ich kann in keinem Weg mehr einen Weg sehen.
Ingeborg Bachmann
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