Gutachter-Verfahren pro und kontra (aus: 2-Jahres Frist)

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stern
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Beitrag Mi., 29.02.2012, 16:06

Fortsetzung: Insofern: Nein, es machen natürlich nicht nur Analytiker, dass sie mangelnde Passung ansprechen und ggf. weiterverweisen (es könnte gar ein Behandlungsfehler sein, wenn sie das unterlassen). Wenn Grenzen innerhalb der Therapie (mit dem konkreten Therapeuten) erreicht werden, kann Wechsel ein Thema sein... genauso wie Änderung der Vorgehensweise (wenn der Thera das leisten kann). Es gibt nicht nur eine Methode... und innerhalb von Methoden ist oft immer noch viel Auswahl.
wie man hier auch immer wieder liest - wünschen sich klare Ansagen, bevor sie sich auf eine Therapie einlassen: Arbeiten wir in erster Linie die Vergangenheit auf oder gucken wir in erster Linie nach vorne? Auch in meiner Therapie gucken wir sehr oft nach vorne, aber der Fokus liegt nun mal auf der Frage: Wieso sind die Dinge so, wie sie sind? Und das interessiert nicht jeden
In den Probesitzungen erhielt ich regelm. Eindrücke, wie das Vorgehen aussehen könnte... ob es mal mehr rückblickender, mal prospektiver/perspektivischer, mal mehr aufs Hier und Jetzt fokussiert ist/war, ergibt sich (bei mir) aus dem Bedarf. Mal brauchte ich auch mehr Stützung (in Krisen z.B.), mal gar nicht (meine Therapie/Thera/ich kann das abfedern). Eine arg starre Festlegung von Anfang an wollte ich gar nicht, denn ein sich abzeichnender veränderter Bedarf kann sich auch (erst) im Zuge der Therapie ergeben. Ich kann aufgrund meiner Erfahrungen schlichtweg kein schwarz-weiß zeichnen wie: die VT blendete Kindheitsmist, Beziehungserfahrungen aus, während meine TFP sich nur darauf beschränkt. Einiges hängt halt auch vom Bedarf/Sinnigkeit/Präferenzen ab.

Dabei gilt: Methodische bzw. konzeptionelle Konstrukte und deren Zugänge sind natürlich nicht deckungsgleich, klar nicht (!), Überschneidungen kann es geben... da lässt es sich bei Interesse einlesen... nur ich zeichne kein schwarz-weiß . Für meinen Teil bin ich froh, dass ich wichtiger bin als die Methode... Fragen zur Vorgehensweise stellen sich bestenfalls dann, wenn's nicht passend erscheint (dass es im Moment zur heavy wäre z.B.)... also ansonsten steht Therapie (inkl. Beziehung) im Vordergrund, keine methodischen Grundlagendiskussionen.

Und ja, da stimme ich zu: die Präferenzen von Patienten können unterschiedlich sein. Wichtig ist IMO, mit dem Thera abzustimmen, ob man sich über das verständigen kann, was passend erscheint. Hast du getan, und es scheint passend für dich: ist doch gut.
Liebe Grüße
stern 🌈💫
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hippogriff
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Beitrag Mi., 29.02.2012, 19:30

*räusper*

Ein Vierteljahrhundert bis zum Psychotherapeutengesetz

Erst seit den 1960er Jahren gibt es Psychotherapie über Krankenkasse. Zunächst die analytische Psychotherapie, und dann in den 1970er Jahren auch die VT.

Der Psychoanalytiker Tilmann Moser hat in seinem Werk "Psychotherapie auf Krankenschein" geschrieben (ich zitiere aus dem Kopf), dass es die Verhaltenstherapeuten selbst waren, die damals dachten, so wenige Stunden würden ausreichen und dass eben jetzt viele fluchen, weil es dann doch nicht ausreicht. Und irgendwo habe ich auch gelesen, dass manche Psychoanalytiker überhaupt nicht glücklich damit waren, dass es Psychoanalyse nun per Krankenkasse geben sollte, weil eine Analyse nur dann wirksam sei, wenn sie selbst bezahlt wird (also das entsprechende finanzielle Opfer gebracht wird mit all den Konsequenzen auch für die Beziehung.)

Und was auch schon angetönt hat: Analytiker (bzw. alle Psychotherapeuten) streben ja in der Regel die Aufnahme in eine der Fachgesellschaften an und die stellen nochmals eigene Anforderungen an die Lehranalyse, die über das hinausgehen, was für eine Ausbildung erforderlich ist.

*räusper Ende*

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stern
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Beitrag Do., 01.03.2012, 10:46

Womit wir wieder beim Thema sind: Stichwort: Gutachterverfahren: Klar gibt's Kritiker und Befürworter... teils recht polarisierend Diskussion (meine nicht im Thread, sondern ich der Fachwelt). Wenn ich mich damit auseinandersetzen würde, würde ich auch auf pros UND kons kommen. Wie angeheizt die Diskussion teils ist, zeigen Beiträge, die Parallen zu "struktureller Gewalt" und "Mobbing" ziehen.
Gutachterverfahren vor Psychotherapien: Eine Form der strukturellen Gewalt
Die Psychotherapie hat in Form von bürokratischen Genehmigungsverfahren, abgestuften Kontingentierungen mit erneuten Bewilligungsschritten, Einführung der Prognose als Kriterium der Wirtschaftlichkeit, Limitierung der Gesamtbehandlungszeit eine unrühmliche Vorreiterrolle in dieser Entwicklung eingenommen. Die Gutachterverfahren vor Psychotherapien (GV) sollen nach Auffassung von Gutachtern sogar noch durch eine kontinuierliche und abschließende bürokratische Erfolgskontrolle ausgebaut werden (8). Die Ausmaße des daraus resultierenden psychischen Drucks haben den Charakter strukturellen Mobbings, denn dem Therapeuten wird die Entscheidungsfreiheit über Indikation und Therapie abgesprochen

Der obige Artikel ist mir zu polemisch, am Rande bemerkt. Was allerdings IMO stimmt: Ein Gutachten IST erheblicher auch formaler Aufwand (man beachte nur Formblätter, formal Vorgaben, etc.). Es kann bereits irgendein pillepalle Formfehler Auswirkungen haben (Bürokratie eben... mit viel Regelwerk).
Im Internet führen hauptsächlich zwei Verbände seit einiger Zeit eine polemische Diskussion: Der Deutsche Psychotherapeutenverband ist gegen die Gutachterverfahren, die Deutsche Gesellschaft für Psychoanalyse, Psychotherapie, Psychosomatik und Tiefenpsychologie (DGPT) dafür.
http://www.aerzteblatt.de/pdf.asp?id=24202
Der Autor der Studie, Köhlke, hatte in Zusammenarbeit mit dem Psychologischen Institut der Universität Hamburg 715 Praxisbefragungen ausgewertet. Die Ergebnisse: Das Gutachterverfahren erfasst primär Formulierungsgeschick. Die Kommentare der Gutachter sind nicht hilfreich. Oft werden andere Methoden angewendet als im Antrag aufgeführt. Der Zeitaufwand für die Erstellung des Berichts und die Honorierung stehen – besonders bei kurzen Therapien – in keinem Verhältnis. Köhlke wirft den Gutachtern – ebenfalls Psychotherapeuten – vor, aus finanziellen Gründen an dem Verfahren festzuhalten: „Deren Nebeneinkommen liegt bei 100 000 DM.“
Dr. med. Alf Gerlach, stellvertretender Vorsitzender der DGPT, glaubt, Köhlke sei mit der Studie von „kurzfristigen berufspolitischen Interessen“ getrieben worden. Vor der Abschaffung eines bewährten Instruments müsse man sich den Nutzen vor Augen halten: Im Bericht an den Gutachter werde der Therapeut gezwungen, die Krankengeschichte durchzuarbeiten. „Das umfasst Reflexion von Psychodynamik und Psychogenese, ein Planen und Begründen des zu erwartenden therapeutischen Prozesses.“ Damit sei das Gutachterverfahren „ein internes Qualitätssicherungselement“. Zudem werde die Wirtschaftlichkeit einer Therapie überprüft. Anne-Marie Schlösser, Vorsitzende der DGPT und selbst Gutachterin, ist überzeugt, dass „schöne Formulierungen allein“ nicht zur Antragsbewilligung führen. Eine bessere Honorierung für das Schreiben der Berichte hält sie allerdings für notwendig.


An den hier aufgelisteten Kons ist schon auch etwas dran, an den Pros auch... und wer weiß: wenn es nicht zu Modifikationen führt: Vielleicht können Verbände eine höhere (finanzielle) Vergütung herausschlagen . Das ist jedenfalls auch ein Argument, über das man hin- und wieder stolpert: Die Vergütung. Und darüber scheinen sich beide Verbände ja einig zu sein.

Ach, wenn ich das Räuspern von Hippogriff lese: Wie sehr sich doch im Laufe der Zeit etwas tun kann. .

Und da ist weder die PA bei ihren historischen Wurzeln stehen geblieben. Noch die Verhaltenstherapie bei deren Wurzeln (deren Bezeichnung auf ihren HISTORISCHEN URSPRUNG zurück geht, der aber nicht viel gemein mit der modernen VT hat. Geht teils soweit, dass manche gerne auch die Bezeichnung VT novellieren wollen, weil er Assoziationen weckt, die nicht mehr zeitgem. sind ... oder zynischer ausgedrückt: Was nicht zur VT passt, sei deren Name ).
Zuletzt geändert von stern am Do., 01.03.2012, 10:57, insgesamt 2-mal geändert.
Liebe Grüße
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montagne
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Beitrag Do., 01.03.2012, 10:50

Geht teils soweit, dass manche gerne auch die Bezeichnung VT novellieren wollen, weil er Assoziationen weckt, die nicht mehr zeitgem. sind ).
dafür!
amor fati

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