Akteneinsicht (Stasi) – ja oder nein?

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Lilly111
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Beitrag Di., 24.01.2012, 01:55

Lilly111 hat geschrieben:Neben den neuen Infos werden auch wieder alte Erinnerungen wach, längst vergessen geglaubte kleine, unschöne Geschichten.
Geschichten, die bei meinem Gegenüber ungläubiges Entsetzen auslösen.
Umgekehrt läuft es mir kalt den Rücken runter bei seinen Erzählungen.
Entsetzen, Wut, Trauer. Ich liebe meine Emotionen. Ganz ohne Sarkasmus.

Und immer wieder die - sinnlose - Schuldfrage.
Wie weit ist jeder Einzelne "Produkt" seiner Erziehung, seines gesellschaftlich-kulturellen Hintergrunds und seines privaten und beruflichen Umfelds? Oder anders: Wie selbstbestimmt ist der Einzelne? Wie weit kann jeder "nicht aus seiner Haut", selbst wenn er es denn möchte? Oder ist das nur ein Erklärungsversuch, um zu entschuldigen, was nicht zu entschuldigen ist?

Ich habe vor einiger Zeit eine Doku über Palästinenser in den Autonomiegebieten gesehen. Ein Sohn in der Hamas, der andere der Fatah angehörig. Da findet der (politische) Krieg im Wohnzimmer statt.
Wie gehen Eltern damit um? Wie die Geschwister untereinander? Wie die Eltern mit ihren Kindern? Eltern, die natürlich für ihre Kinder das Beste wollen.

Teil zwei der Geschichte - die partnerschaftlichen Dissonanzen - spare ich mir an der Stelle.

Lilly
... heute ein wenig pissed off
... as stubborn as a mule.

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hawi
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Beitrag Di., 24.01.2012, 08:37

Hallo Lilly!

SINNLOSE Schuldfrage?

Find ich gar nicht!
Zumal mir das schon fast so was wie ein menschlich existentieller Trieb zu sein scheint.
Wir brauchen wohl alle mindestens die Vorstellung, das sich Wahrheit finden lässt, brauchen wenigstens den Vorgang, den Weg, an dessen Ende dann etwas möglichst einfaches, klares rauskommen soll, eine Sortierung, Trennung von gut und böse, richtig oder falsch. Womöglich ist es sogar oft nur der Trieb, dem eigenen tief verwurzelten Grundschema zu folgen, selbst klar zu selektieren, schlechtes auszusortieren um gut, besser sein zu können. Selbsterhaltungstrieb?

Wie auch immer, nicht die Frage selbst ist sinnlos, finde ich, das menschlich oft kaum Akzeptable ist, dass am Ende der Suche häufig etwas steht, das fast unvereinbar mit unseren Vorstellungen ist. Dass z.B. eine Person sich widersprechende Beurteilungen auf sich vereinigen kann, Täter und Opfer sein kann, jemand der sich schuldig macht, manchmal sogar, weil andere ihm etwas antun. Aber auch, dass sich unser Wunsch, schuldig werden, sei etwas, das schwer ist, das nur einem ohnehin schon verdächtigem Menschen passiert, als fast nicht erfüllbar erweist.
Zu akzeptieren, dass grundsätzlich jeder fähig ist, sich schuldig zu machen?
Ich hab schon ein wenig Bedenken, das so zu schreiben! Weil es so relativierend entschuldigend klingt, verstanden werden kann. Etwas, das mir sehr fern liegt.
Nein, Täter ist und bleibt für mich Täter. Schuldig und hoffentlich bestraft.
Nur die Sicht darauf, die der Allgemeinheit, auch zum Teil die der Opfer!
Da gibt es einen Punkt für mich, ab dem ich es mir wenigstens für mich selbst als Vorwurf „verbiete“. Selbstgerecht! Ich halte mich dafür, wenn ich mich zu absolut distanziere, meine, mir einbilde, ich selbst sei so viel besser, dass ich nie auf ähnliche Weise schuldig werden könnte, wie der Täter.
Ein hartes Brot, das so zu sehen. Umso härter, weil ich immer wieder mal erlebe, dass mir andere dann vorwerfen, zu „weich“, „verständnisvoll“ gegenüber Tätern zu sein, sie zu wenig zu verurteilen bzw. die Opfer zu missachten.
Trotzdem bleib ich bei meiner Sicht und die verurteilt, aber ohne daraus ein eigenes Ruhekissen zu machen. Dafür sind wir - wie ich finde - alle zu sehr potentielle Täter, nicht allein gefährdet, womöglich Opfer zu werden.

LG hawi
„Das Ärgerlichste in dieser Welt ist, daß die Dummen todsicher
und die Intelligenten voller Zweifel sind.“
Bertrand Russell

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Blaubaum
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Beitrag Mi., 25.01.2012, 00:07

es gibt leute, die sagen, nur wenn der emotionale teil von uns alles, was ihn umtreibt, rauslassen kann, dann kann der kognitive teil in uns von eben diesen emotionen unbeeinflusst offen wahrnehmen, unverzerrt, ohne jegliche (emotional bedingte fehl)interpretation. ohne zu werten. und dann kann unser körper seine ihm zugeführte energie bewahren und ausbauen und mit diesem energiepotential kann dann der wille in uns kraftvoll die richtung unseres strebens bestimmen und uns dahin bringen, wohin "es uns treibt".

insoweit wäre es überflüssig oder sogar schädlich, von schuld im moralischen sinne zu sprechen bzw. sich darum zu kümmern, wer an was schuld ist, aber es wäre gleichzeitig unerlässlich, alles, was ist, genau so zu erkennen, wie es ist und dann die stellschrauben so zu drehen, dass sich etwas "zum guten" ändert.

eine schöne, schwere aufgabe, n'est-ce pas? und absurd zugleich. aber wenigstens nicht langweilig.
spezialisten wissen zuerst viel über wenig und am ende alles über nichts

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Lilly111
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Beiträge: 938

Beitrag Fr., 27.01.2012, 21:04

@hawi
Danke für die Einblicke in deine Gedanken.

Ja, es ist schon so, dass ich (unbewußt) versuche zu einem endgültigen "Gut" oder "Böse" zu kommen. Und doch weiß ich, dass es niemals gelingen wird. Weil es einfach nicht der Wahrheit entspräche. Sicher, so allgemein sagt man schnell mal dahin: kein Mensch ist nur gut oder böse, jeder ist sowohl als auch. In diesem Sinne dann auch Opfer und Täter in einer Person.

Warum ich trotzdem immer wieder versuche zu einem mehr dies oder mehr das zu kommen, ist die Frage mit dem Verzeihen können oder eben nicht verzeihen wollen. Wenn ich einen Täter dennoch überwiegend als Opfer sehe, kann ich verzeihen. Natürlich. Im umgekehrten Fall will ich nicht verzeihen. So absurd das klingen mag. Für mich ist es nicht absurd. Weil sich Jahre zurückliegendes Fehlverhalten bis heute auswirkt. Nicht auf mein Leben (oder nur insoweit wie wir alle von unserer Vergangenheit geprägt sind), aber auf ein anderes Leben. Eines, das mir nahe steht. ... das letztlich zerbrochen ist.
hawi hat geschrieben:weil ich immer wieder mal erlebe, dass mir andere dann vorwerfen, zu „weich“, „verständnisvoll“ gegenüber Tätern zu sein, sie zu wenig zu verurteilen bzw. die Opfer zu missachten.

Das kenne ich, zumindest im politischen Bereich.
Da versuche ich (eigentlich) immer auch die andere Seite zu sehen und nicht pauschal zu verurteilen (so wie: wie konnte vor 80 Jahren die deutsche Bevölkerung nur diesem Mann hinterher laufen?). Aber es gibt leider das "eigentlich". Für das "dem falschen Ideal nachlaufen" bringe ich in jüngerer Geschichte dann nicht so viel Verständnis auf. Vermutlich weil ich die Auswirkungen selbst erlebe.

@Blaubaum
Blaubaum hat geschrieben:es gibt leute, die sagen, nur wenn der emotionale teil von uns alles, was ihn umtreibt, rauslassen kann, dann kann der kognitive teil in uns von eben diesen emotionen unbeeinflusst offen wahrnehmen, unverzerrt, ohne jegliche (emotional bedingte fehl)interpretation. ohne zu werten.
Früher habe ich bei solchen Gelegenheiten Holz gehackt. Das geht in diesen modernen Zeiten nicht mehr. Obwohl mir seit Wochen ganz akut danach zumute ist. Ich habe leider noch keinen gleichwertigen Ersatz dafür gefunden. Der Sandsack im Fitnesstudio ist nicht so meins. Vielleicht 10km gegen den Wind radeln, mal sehen....
eine schöne, schwere aufgabe, n'est-ce pas? und absurd zugleich. aber wenigstens nicht langweilig.
Nö.
Humor gilt als Bewältigungsstrategie für belastende Situationen.
(Das wusstest du schon, hm? )
Ich bin froh, dass ich mir den - egal was gerade passierte - immer bewahrt habe.
Und das bleibt auch so, ganz sicher!

In diesem Sinne....

Stasi-Beamter auf der Straße: "Wie beurteilen Sie die politische Lage?"
Passant: "Ich denke ..."
Stasi-Beamter: "Das genügt - Sie sind verhaftet!"

Lilly
... as stubborn as a mule.

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