Unangenehme Wahrheiten: Aussprechen oder lieber lügen?

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Beitrag Do., 05.03.2009, 20:59

III hat geschrieben:dass es hier irrelevant ist über Ethik nachzudenken, da es niemanden etwas bringt.
Da bin ich ganz anderer Ansicht. Geradezu ein typischer Fall für die Ethik!!!
Vielleicht weniger die formale Kant-Variante sondern die sog. Verantwortungsethik. Deren zentrales Moment es ist, die wahrscheinlichen Folgen des eigenen Handelns für den konkret anderen zu berücksichtigen. Und von wegen niemandem etwas bringt? Die Sicherheit, sich ggf. anständig (also unter den Bereich der Ethik fallend) verhalten zu haben, ist doch auch schon mal was, oder?

Grüße
Anastasius

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Entwurf
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Beitrag Do., 05.03.2009, 21:54

guten abend, herr |||!
||| hat geschrieben:Was irrelevant ist und was nicht, dass hängt vom jeweiligen Kontext ab. Deswegen schrieb ich ja auch nicht, dass irrelevant ist über Ethik nachzudenken, da es niemanden etwas bringt, sondern, dass es hier irrelevant ist über Ethik nachzudenken, da es niemanden etwas bringt.
es hängt nicht nur vom kontext ab, sondern auch vom betrachter, insbesondere von der art, wie er andere menschen wahrnimmt und einordnet.

es ist stets - und insbesondere in der anfangs geschilderten situation aus der arbeitswelt - angezeigt, über ethische fragen und konsequenzen nachzudenken.

ein betrachter, der eine rein betriebswirtschaftlich orientierte sicht auf menschen einnimmt, unterliegt einer selbsteinschränkung im denken, im fühlen und im handeln, die seinem potential als mensch spottet. solch ein betrachter wendet - aus gewöhnung etwa - dieselben kriterien auf andere menschen auch ausserhalb der arbeitswelt an. und wenn er denn konsequent ist, auch auf sich selbst. mit der möglichen folge, zum eigenen ausbeuter zu werden.

ich kann mir nicht vorstellen, dass eine solche denkweise einem menschlichen wesen adäquat sein soll, denn am ende eines solchen weges steht - konsequent weitergedacht - die eigene auslöschung durch fortdauerndes selbstschädigendes verhalten.
||| hat geschrieben:Mir ist nicht bekannt, dass ich mir meine Welt aussuchen kann. Die Welt ist immer dieselbe, nur die Gesellschaftsformen ändern sich, und selbst diese Veränderungen geschahen über größere Zeiträume fast nahezu nach dem selben Schema. Allerdings will ich hier keinesfalls Historizismus betreiben.
man kann sich die welt nicht aussuchen, soweit ist richtig. aber man kann ihr positiv, ethisch orientiert gegenübertreten und sie entsprechend zu gestalten versuchen. man kann versuchen, die mitmenschen zu überzeugen, einen anderen weg zu gehen. ob das von erfolg gekrönt ist, wird sich zeigen. allein der zweifel am gelingen ist kein grund, es nicht doch zu versuchen.
||| hat geschrieben:Unwirtschaftlich wird es erst dann, wenn man jede Woche Defizite bespricht.
das ist sicher unwirtschaftlich. wirtschaftlich (und ethisch) wäre es, wenn man darüber nachdenken würde, die fähigkeiten eines menschen zu erkennen und zu schauen, ob diese für beide seiten gewinnbringend einzusetzen sind.

wir hatten kürzlich bei uns den fall, dass eine frau kurz vor der entlassung stand, da ihre abteilung aufgelöst wurde. wir haben aber trotzdem geschaut, dass wir etwas finden, bei dem sie ihre fähigkeiten für uns einsetzen kann, denn wir wollten nicht, dass unser chef sie in die arbeitslosigkeit entlässt. zumal in der jetzigen krisenhaften situation.

wir betrauten sie mit einer entsprechenden aufgabe, die sie nicht nur sehr schnell und sicher erledigte, sondern darüber hinaus noch mehr leistete - etwas, dass wir gar nicht von ihr erwartet hatten. sie bleibt beschäftigt, insbesondere dank unseres nachdenkens, das auf unserer innerlichen weigerung basierte, sie einfach ins nichts fallen zu lassen.
||| hat geschrieben:Nein, das hatten die Nazis mit Sicherheit nicht. Sie propagierten dies nur.
herr |||, sie wissen genau, dass es nicht nur bei der propagierung geblieben ist, hm?
||| hat geschrieben:Jeden Arbeitnehmer, der einen kleinen Fehler macht, in die „[...]Kategorie "nutzlos" und untauglich[...]“ einzuordnen ist keinesfalls nutzenorientiert im Sinne von wirtschaftlich oder effektiv, etc.
denken sie über sich selbst in den kategorien "effektiv" oder "wirtschaftlich"?

mit herzlichen grüßen
entwurf

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Stöpsel
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Beitrag Do., 05.03.2009, 22:28

HAllo,
Eve hat geschrieben:Es ist bezeichnend, wie in der Diskussion hier zwei Standpunkte polarisiert zum Ausdruck kommen: knallhart oder menschlich orientiert. (durch III und Anastasius z. B.). Nicht zu vereinbaren?
Ich denke, eine Polarisation ist oft ja nur eine Reaktion auf eine schon vorhandene Polarisation (oh je, schlechtes Deutsch, ich hoffe, ihr versteht trotzdem, was ich meine).
In der Realität wären wohl beide Extreme nicht gut.
Ratlosigkeit hat geschrieben:Ich selbst werde den Kontakt zu ihr abbrechen bzw. nicht zulassen, sollte sie ihn suchen - obwohl ich sie menschlich wirklich gerne hatte. Aber das wäre wirklich zu viel für mich.
puh, das ist bitter. Da sieht man dann, wie ein Problem das andere ergibt. Wer weiß, was sie für Schlußfolgerungen daraus zieht, von der menschlichen Seite her gesehen, und das ist ja auch irgendwie berechtigt. Deine Sichtweise, wie Du Dich verhalten willst, ist aber auch berechtigt. Ich weiß nicht, wie gut es wäre, wenn Du ihr jetzt die Wahrheit sagen würdest. Es ist schwer, noch die Wahrheit zu sagen, wenn man erstmal mit Lügen angefangen hat.
||| hat geschrieben:
Stöpsel hat geschrieben:In was für einer Welt willst Du denn leben? Wenn man den Gedanken weiterdenkt und sich überlegt, was man dafür tun müßte, zeigt das die notwendigen Konsequenzen fürs eigene Tun auf.
Mir ist nicht bekannt, dass ich mir meine Welt aussuchen kann.
Darum ging es doch auch nicht. Es ging um ein Gedankenspiel, das einem Zusammenhänge aufzeigt und einem selbst dann zeigt, wie man in der einen oder anderen Richtung die Entwicklung der Welt unterstützt.
||| hat geschrieben:aber der Konjunktiv liegt mir nicht besonders. Wir sind Menschen und halten uns so gut wie an gar Nichts genau.
Konjunktiv, GEdankenspielerei und Theoretisieren sind dazu hilfreich, Zusammenhänge aufzuzeigen, auch wenn man sich dabei Extremen bedient, so wie ich oben. Auch wenn die Extreme nicht eintreten, hat in der Realität ein Schritt in diese Richtung auhc Konsequenzen in diese Richtung.

Ansonsten kann ich mich Anastasius und Entwurf anschließen.

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Ratlosigkeit
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Beitrag Do., 05.03.2009, 23:51

Kann man sich dem Nachdenken über Ethik entziehen?
Ich mache gerade die Erfahrung, daß ich es nicht kann - auch wenn ich es KÖNNTE (wollte?????)
Ich könnte mich zurücklehnen und sagen: die Sache ist gelaufen, geht mich nix mehr an, die Frau ist aus meinem Leben verschwunden, mir doch egal, was aus ihr wird. Nichts klingt leichter als das, und glaubt mir, ich bin kein sentimentaler Typ, dem so etwas völlig fremd ist...
Aber ich mache gerade die Erfahrung, daß ich es einfach nicht kann. Die Sache beschäftigt mich.

Vielleicht ist es genau das, was mich so verwirrt. Das ich mich als "menschlich", "moralisch", "ethisch denkend fühlend und handelnd" erlebe - unwillkürlich - obwohl doch der andere Weg gleichfalls offen stünde: knallhart zu sein: "das Leben ist eben so und aus". Und das wäre der EINFACHERE Weg.

Und ich bin einerseits FROH, daß ich so bin - menschlicher, moralischer und ethischer Gefühle fähig - und andererseits WÜTEND, weil ich ihnen fast so etwas wie ausgeliefert bin und es mich belastet. 
Man darf nicht knallhart sein (Moralisches Gebot). Man will (kann???) es nicht sein (genetisch bedingtes Sozialverhalten). Und man muß es sein (Gesetze der Arbeitswelt).

" Jeder halbwegs intelligente Arbeitgeber wird in diesem Fall (Vorsicht, ich beziehe mich nach wie vor auf den von Ratlosigkeit beschriebenen Fall) einem Arbeitnehmer die Chance geben Defizite abzubauen. Ein guter Arbeitgeber wird das Gespräch mit dem Betroffenen suchen und mit diesem besprechen, wie dies am Besten bewerkstelligt werden kann. Dazu muss der Arbeitgeber keine ethischen Prinzipien haben, denn er hat viel naheliegendere Gründe dies zu tun, nämlich wirtschaftliche. Unwirtschaftlich wird es erst dann, wenn man jede Woche Defizite bespricht."

Da war ich bis ich diesen Fall selbst erlebte völlig Deiner Meinung. Aber wie gesagt, das "menschliche" kam mir einfach dazwischen... Es ist einfach etwas anderes, ob man so einen Fall liest oder ob man ihn selbst erlebt, mit allen damit verbundenen Emotionen.

"Nein, das hatten die Nazis mit Sicherheit nicht. Sie propagierten dies nur."
Sie hatten es. Sei bitte vorsichtig: Das Leugnen von KZ, die dezidiert der Vernichtung "unwerten Lebens" dienten, ist strafbar.
Alles ist gut, wenn es aus Schokolade ist.

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Stöpsel
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Beitrag Fr., 06.03.2009, 00:59

Hallo Ratlosigkeit,

ein Grund, warum Du so bist, ist sicher auch, daß irgendwie dieses "was Du nicht willst, was man Dir tu, das füg auch keinem anderen zu" in uns verankert ist. Ist in gewisser Weise auch sowas wie Selbstschutz.
Man darf nicht knallhart sein (Moralisches Gebot). Man will (kann???) es nicht sein (genetisch bedingtes Sozialverhalten). Und man muß es sein (Gesetze der Arbeitswelt)
Wieso? In dem konkreten Fall jetzt: Wo mußt(est) Du da denn knallhart sein? Du hast sie doch nicht entlassen?
Das einzige, was es Dir jetzt schwer macht, ist, daß Du ihr nicht die Wahrheit sagen kannst, weil Du denkst, daß es dadurch vielleicht noch schlimmer wäre (was ja auch sein kann). Aber ihr die Wahrheit sagen oder nicht, das hat doch mit "knallhart" nichts zu tun?
Wenn es inzwischen nicht so verstrickt wäre: DAMALS wäre es ja schon sinnvoll gewesen, ihr die Wahrheit zu sagen.
Oder meinst Du mit knallhart Deine eigene damalige Perspektive, daß Du sie damals lieber selbst rausgekickt gesehen hättest und jetzt hast Du ein schlechtes GEwissen, daß Du damals so dachtest?

Also, ich bin froh, daß sowas wie Mitmenschlichkeit so einen hohen Stellenwert für mich hat. Ist zwar auch nicht immer einfach, aber wenn man da schon immer eine klare Linie fährt, ist es auch nicht so kompliziert wie jetzt bei Dir. Und fürs nächste Mal weißt Du es ja auch besser, dann muß sowas wie Wut und Ausgeliefertsein gar nicht erst hochkommen, denn was hättest Du Dir dann vorzuwerfen?

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|||
Helferlein
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Beitrag Fr., 06.03.2009, 18:03

Guten Abend,

als dann, der Reihe nach:

„Da bin ich ganz anderer Ansicht. Geradezu ein typischer Fall für die Ethik!!!
Vielleicht weniger die formale Kant-Variante sondern die sog. Verantwortungsethik. Deren zentrales Moment es ist, die wahrscheinlichen Folgen des eigenen Handelns für den konkret anderen zu berücksichtigen. Und von wegen niemandem etwas bringt? Die Sicherheit, sich ggf. anständig (also unter den Bereich der Ethik fallend) verhalten zu haben, ist doch auch schon mal was, oder?“

Ich beschäftigte mich mit Ethik, besonders mit der Gerechtigkeit als eines der zentralen Themen der Ethik. Grundsätzlich geht es hier ja mehr um Gerechtigkeit als um Ethik im Allgemeinen. Da Sie die Verantwortungsethik nennen, gehe ich davon aus, dass Sie auch die durchaus berechtigte Kritik an dieser kennen. In nahezu all meinen Überlegungen gehe ich von möglichst nicht-ambivalenten Standpunkten aus. Da sich die diversen Gerechtigkeitskriterien jedoch teilweise widersprechen, werde ich diese nicht als Stütze einer Entscheidungsfindung, im gegebenen Kontext, heranziehen. Zum letzten Satz Ihres Kommentars: Da ich für mich nicht nachvollziehbar herausfinden konnte was anständiges/gerechtes Verhalten ausmacht, kann diesbezüglich auch keine Sicherheit erreicht werden, womit sich Ihre letzte Frage für mich gar nicht stellt, bzw. sich inzwischen nicht mehr stellt.

„es hängt nicht nur vom kontext ab, sondern auch vom betrachter, insbesondere von der art, wie er andere menschen wahrnimmt und einordnet.“

Wie man andere Menschen wahrnimmt und einordnet hängt ebenfalls vom Kontext ab. Wenn die Wahrnehmung von anderen nicht kontextabhängig ist, dann unterliegt man der von Ihnen genannten Selbsteinschränkung.

„ein betrachter, der eine rein betriebswirtschaftlich orientierte sicht auf menschen einnimmt, unterliegt einer selbsteinschränkung im denken, im fühlen und im handeln, die seinem potential als mensch spottet.“

Da diese betriebswirtschaftliche Sicht, wie Sie es nennen, wiederum kontextgebunden ist, nämlich auf jenen Bereich in welchem dies angebracht ist, liegt selbstverständlich eine Einschränkung vor, aber doch keine unbewusste. Man entscheidet sich ja vollkommen bewusst, diese oder jene Überlegung auszuklammern um überhaupt zu einer einigermaßen nachvollziehbaren Entscheidung kommen zu können. Das Problem ist ja, dass man das Bedürfnis hat solche Entscheidungen vor sich selbst zu rechtfertigen und dies geht nur indem man bewusst Einschränkungen vornimmt und diese Einschränkungen sollten am besten ebenfalls plausibel sein.

„solch ein betrachter wendet - aus gewöhnung etwa - dieselben kriterien auf andere menschen auch ausserhalb der arbeitswelt an. und wenn er denn konsequent ist, auch auf sich selbst. mit der möglichen folge, zum eigenen ausbeuter zu werden.“

Immer dieselben Kriterien in jeder Situation, also nicht kontextgebunden, auf jeden Menschen anzuwenden, oder eben auf sich selbst, ist vollkommen unplausibel und dogmatisch.

„das ist sicher unwirtschaftlich. wirtschaftlich (und ethisch) wäre es, wenn man darüber nachdenken würde, die fähigkeiten eines menschen zu erkennen und zu schauen, ob diese für beide seiten gewinnbringend einzusetzen sind.“

Ich denke, dass ich genau dies schrieb. Was sonst macht man in einem lösungsorientierten Gespräch mit einem Mitarbeiter der Probleme verursacht?

„herr |||, sie wissen genau, dass es nicht nur bei der propagierung geblieben ist, hm?“
„Sie hatten es. Sei bitte vorsichtig: Das Leugnen von KZ, die dezidiert der Vernichtung "unwerten Lebens" dienten, ist strafbar.“

Bitte lesen Sie nochmals den Satz auf welchen ich antwortete. Wenn Sie meine Aussage negieren, dann postulieren Sie, dass die Nazis Menschen tatsächlich nur nach ihrer Leistungsfähigkeit beurteilten, allerdings taten das die Nazis nicht. Das was die Nazis taten war eine Selektion aufgrund vollkommen irrationaler, unwirtschaftlicher, politischer und ideologischer Kriterien, welche von einigen unreflektierten Anthropologen unterstützt wurden. Wenn die Nazis Menschen nur nach ihrer Leistungsfähigkeit beurteilt hätten, dann hätten meine Großeltern nicht herausgefunden was „Arbeit macht frei“ tatsächlich bedeutete.

„denken sie über sich selbst in den kategorien "effektiv" oder "wirtschaftlich"?“

Unter anderem denke ich über mich in diesen Kategorien.

„Darum ging es doch auch nicht. Es ging um ein Gedankenspiel, das einem Zusammenhänge aufzeigt und einem selbst dann zeigt, wie man in der einen oder anderen Richtung die Entwicklung der Welt unterstützt.“

Vielen Dank für die Erläuterung.

Nur noch ein kurzes Kommentar zu: „Kann man sich dem Nachdenken über Ethik entziehen?“

Dies ist wohl kaum möglich, zumindest sofern man über einen unbeschädigten Lobus frontalis verfügt (= ein kleiner Scherz für Neurologen) aber man kann differenzieren.

Mit freundlichen Grüßen

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Entwurf
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Beitrag Fr., 06.03.2009, 18:44

||| hat geschrieben:Da diese betriebswirtschaftliche Sicht, wie Sie es nennen, wiederum kontextgebunden ist, nämlich auf jenen Bereich in welchem dies angebracht ist, liegt selbstverständlich eine Einschränkung vor, aber doch keine unbewusste.
das problem ist, dass das denken in bestimmten (z.b. betriebswirtschaftlichen) kriterien zur gewohnheit werden kann, sie kann ins unbewusste einsickern und sich von dort aus als automatismus manifestieren.
||| hat geschrieben:Man entscheidet sich ja vollkommen bewusst, diese oder jene Überlegung auszuklammern um überhaupt zu einer einigermaßen nachvollziehbaren Entscheidung kommen zu können. Das Problem ist ja, dass man das Bedürfnis hat solche Entscheidungen vor sich selbst zu rechtfertigen und dies geht nur indem man bewusst Einschränkungen vornimmt und diese Einschränkungen sollten am besten ebenfalls plausibel sein.
aber das macht man doch oft nur, um sich des schlechten gewissens zu entledigen. nur: woher kommt das schlechte gewissen? sofern man natürlich noch eines hat.
||| hat geschrieben:Immer dieselben Kriterien in jeder Situation, also nicht kontextgebunden, auf jeden Menschen anzuwenden, oder eben auf sich selbst, ist vollkommen unplausibel und dogmatisch.
ja, das ist richtig. man könnte auch sagen: pathologisch. und menschen dieses typs gibt es z.b. in form von workaholics, die etwa andere menschen, die nur 40 statt 70 oder 80 wochenstunden arbeiten, beinahe gebetsmühlenartig als "minderleister" titulieren.
||| hat geschrieben:Ich denke, dass ich genau dies schrieb. Was sonst macht man in einem lösungsorientierten Gespräch mit einem Mitarbeiter der Probleme verursacht?
man versucht, die persönliche situation des betroffenen mit einzubeziehen. seine jetzige, in der er noch arbeit hat und eine mögliche zunküftige, in der er arbeitslos geworden ist. z.b. weil man sich selbst nicht genug gemüht hat, etwas passendes für ihn im eigenen betrieb zu finden, weil man nicht genug auf möglicherweise andere vorhandene fertigkeiten geschaut hat.
||| hat geschrieben:Unter anderem denke ich über mich in diesen Kategorien.
ich darf ihnen hierzu meine herzliche anteilnahme aussprechen.

grüße
entwurf

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Beitrag Fr., 06.03.2009, 20:02

Guten Abend,

"das problem ist, dass das denken in bestimmten (z.b. betriebswirtschaftlichen) kriterien zur gewohnheit werden kann, sie kann ins unbewusste einsickern und sich von dort aus als automatismus manifestieren."

Ja, dies kann, aber muss sich nicht als Automatismus manifestieren. Ich kenne eigentlich kaum Menschen die privat genauso agieren wie in ihrem Beruf.

"aber das macht man doch oft nur, um sich des schlechten gewissens zu entledigen. nur: woher kommt das schlechte gewissen? sofern man natürlich noch eines hat."

Antwort: Einfühlungsvermögen. Aber worauf wollen Sie hinaus?

"ja, das ist richtig. man könnte auch sagen: pathologisch. und menschen dieses typs gibt es z.b. in form von workaholics, die etwa andere menschen, die nur 40 statt 70 oder 80 wochenstunden arbeiten, beinahe gebetsmühlenartig als "minderleister" titulieren."

Ja, es gibt Menschen dieses Typs. Aber die Mehrheit stellen diese ja wohl nicht dar, oder?

"man versucht, die persönliche situation des betroffenen mit einzubeziehen. seine jetzige, in der er noch arbeit hat und eine mögliche zunküftige, in der er arbeitslos geworden ist. z.b. weil man sich selbst nicht genug gemüht hat, etwas passendes für ihn im eigenen betrieb zu finden, weil man nicht genug auf möglicherweise andere vorhandene fertigkeiten geschaut hat."

Das kann man selbstverständlich tun, aber inwiefern ist das an der Entscheidungsfindung beteiligt? Mit anderen Worten: Man müht sich ja ab eine passende freie Tätigkeit für den gefährdeten Arbeitnehmer im Betrieb zu finden. Alles andere wäre ja auch nicht besonders intelligent. Genau dies ist durch bereits genanntes Schema gegeben:

"1.) MitarbeiterIn macht einen Fehler.
2.) MitarbeiterIn wird augenblicklich auf den Fehler aufmerksam gemacht.
3.) Der Fehler wird besprochen und es wird gemeinsam eine Lösung gefunden diesen Fehler in Zukunft zu vermeiden.
4.) Dieses Schema wird zweimal wiederholt.
5.) Beim dritten Mal wird MitarbeiterIn vor die Wahl gestellt selbst zu kündigen oder gekündigt zu werden."

Falls es zu 5.) kommt wurden all diese Schritte ja bereits vollzogen. Es ist weder wirtschaftlich noch effektiv einen Mitarbeiter zu entlassen, welcher gerne in seinem Betrieb arbeitet, guten Kontakt zu seinen Arbeitskollegen pflegt und folglich motiviert ist seinen Arbeitsplatz zu behalten. Aber wenn dieser Mitarbeiter 1.) bis 5.) durchlaufen hat, dann steht man vor der Entscheidung, ob man eine weitere Chance gewähren soll, oder nicht. Dieses Spiel könnte man unendlich spielen, die Möglichkeit dazu hat man aber meistens nicht. Dazu kommt, wie in diesem Thread von anderen bereits erwähnt, dass, bei aller Freundschaft, solch ein Kollege Mehrarbeit für seine Kollegen verursacht, was für deren Stimmung nicht gerade förderlich ist. Ich halte es daher für durchaus nachvollziehbar schlussendlich zu 5.) zu kommen. Außer man verfügt über ein dermaßen großes Vermögen die "[...]persönliche situation des betroffenen mit einzubeziehen[...]", dass dies wiederum zu einem durchaus selbstschädigenden Verhalten führt.

"ich darf ihnen hierzu meine herzliche anteilnahme aussprechen."

Dann darf ich Ihnen ebenso meine herzliche Anteilnahme aussprechen, denn wen Sie nicht ebenfalls unter anderem in diesen Kategorien über sich denken, dann haben Sie es nicht gerade leicht, oder? Entschuldigen Sie bitte die Ironie, aber ich konnte einfach nicht widerstehen.

Mit freundlichen Grüßen

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Beitrag Fr., 06.03.2009, 22:22

||| hat geschrieben:Ja, dies kann, aber muss sich nicht als Automatismus manifestieren. Ich kenne eigentlich kaum Menschen die privat genauso agieren wie in ihrem Beruf.
nun, da haben sie glück. ich kenne durchaus einige, die das tun. nicht gerade angenehm. ich meide den kontakt, wo immer es geht.
||| hat geschrieben:Antwort: Einfühlungsvermögen. Aber worauf wollen Sie hinaus?
ja, einfühlungsvermögen, gar identifikation mit dem anderen, spielt auch eine rolle. und das bild, was man von sich selbst gewinnt: ich bin derjenige, der den anderen in die arbeitslosigkeit entlässt, mein urteil ist maßgeblich für dieses resultat.

das schlechte gewissen kommt möglicherweise daher, dass man doch nicht alles getan hat, um einen mitarbeiter zu halten. dass man bezogen auf die einschränkungen bei der entscheidungsfindung möglicherweise doch zu restriktiv war, um dem menschlichen gegenüber gerecht zu werden. dass man bewusst dinge ausgeblendet hat, die doch eine einbeziehung in die entscheidung verdient gehabt hätten.
||| hat geschrieben:Ja, es gibt Menschen dieses Typs. Aber die Mehrheit stellen diese ja wohl nicht dar, oder?
ich hoffe nicht. mich interessiert aber hier nicht die frage nach der mehrheit, sondern die frage: will ich ein workaholic sein? oder jemand, der menschen auf effizienz und wirtschaftlichkeit reduziert?

meine antwort - sie ahnen es -, lautet: nein, nicht, sofern ich das irgend vermeiden kann. und ich hab's bis jetzt immer noch vermeiden können.
||| hat geschrieben:Mit anderen Worten: Man müht sich ja ab eine passende freie Tätigkeit für den gefährdeten Arbeitnehmer im Betrieb zu finden. Alles andere wäre ja auch nicht besonders intelligent. Genau dies ist durch bereits genanntes Schema gegeben:

"1.) MitarbeiterIn macht einen Fehler.
2.) MitarbeiterIn wird augenblicklich auf den Fehler aufmerksam gemacht.
3.) Der Fehler wird besprochen und es wird gemeinsam eine Lösung gefunden diesen Fehler in Zukunft zu vermeiden.
4.) Dieses Schema wird zweimal wiederholt.
5.) Beim dritten Mal wird MitarbeiterIn vor die Wahl gestellt selbst zu kündigen oder gekündigt zu werden."
nein, es ist eben nicht durch dieses schema gegeben. sie bemühen sich hier in ausführung des schemas ja gerade nicht, einen anderen platz zu finden, sondern darum, dass der mitarbeiter am selben platz keine weiteren fehler macht.

und ich denke, wenn punkt 5.) erreicht ist, könnte man durchaus die überlegung anstellen, ob ein anderer platz für den mitarbeiter ein besserer wäre, statt ihn vor die tür zu setzen.
||| hat geschrieben:Dieses Spiel könnte man unendlich spielen, die Möglichkeit dazu hat man aber meistens nicht. Dazu kommt, wie in diesem Thread von anderen bereits erwähnt, dass, bei aller Freundschaft, solch ein Kollege Mehrarbeit für seine Kollegen verursacht, was für deren Stimmung nicht gerade förderlich ist. Ich halte es daher für durchaus nachvollziehbar schlussendlich zu 5.) zu kommen.
ich habe so einen kollegen, der aufgrund seiner routinetätigkeit gelegentlich fehler macht und mir dadurch mehrarbeit verursacht. ich laufe aber deswegen nicht zum vorgesetzten. gerade weil ich weiss, dass sich bei einer solchen tätigkeit fehler einschleichen. ich weise ihn lediglich auf den fehler hin und siehe da: es bessert sich für wochen. ich werde jedenfalls nicht müde, ihn aufmerksam zu machen.
||| hat geschrieben:Außer man verfügt über ein dermaßen großes Vermögen die "[...]persönliche situation des betroffenen mit einzubeziehen[...]", dass dies wiederum zu einem durchaus selbstschädigenden Verhalten führt.
man kann das spiel sicher nicht unendlich lange weitertreiben. und wenn es zu einem beträchtlichen schaden käme oder dieser doch zu erwarten wäre, müsste man tatsächlich die notbremse ziehen. nur ist das natürlich ein extremfall.

kreativität und einfühlsamkeit im umgang mit mitarbeitern und ihrem einsatz: das ist auch vermögen. soft skills - werden die nicht heute verlangt?
||| hat geschrieben:Dann darf ich Ihnen ebenso meine herzliche Anteilnahme aussprechen, denn wen Sie nicht ebenfalls unter anderem in diesen Kategorien über sich denken, dann haben Sie es nicht gerade leicht, oder? Entschuldigen Sie bitte die Ironie, aber ich konnte einfach nicht widerstehen.
oh bitte, es war durchaus als einladung zum widerspruch gemeint. und ganz im gegenteil: ich habe es sehr leicht, denn es schläft sich wohl mit gutem gewissen.

grüße
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Ratlosigkeit
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Beitrag Sa., 07.03.2009, 08:49

Guten Morgen!
Bei der Beschäftigung mit dem Problem bin ich jetzt bei Shakespeare gelandet - nicht lachen bitte - und möchte das in die die Diskussion werfen. Heinrich V. und Falstaff. Das Problem ist also ebenso alt und wie wichtig.
Falstaff, der Gefährte Heinrichs aus dessen ausschweifender Jungendzeit, wendet sich vertrauensvoll an den nunmehrigen König Heinrich:
"Mein Fürst, mein Zeus, Dich red ich an mein Herz!"
Und Heinrich erwidert nur:
"Ich kenn Dich, Alter, nicht..."
und schickt ihn fort. Denn Heinrich ist inzwischen ein anderer Mensch geworden, in einem anderen Kontext, mit anderen Prioritäten und Verantwortungen.
Falstaff, sein Freund, wird "geopfert"...
Ja, das Problem is grundlegend. Schon Shakespeare widmete ihm seine Aufmerksamkeit.
Ich wollte das nur "einwerfen", bitte nicht mir unterstellen, ich würde mich mit Heinrich V. vergleichen und das Unternehmen, in dem ich arbeite, mit einem Königreich
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Eve...
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Beitrag Sa., 07.03.2009, 09:03

So würde ich reagieren, würde hier meine frühere Vorgesetzte, die mich seinerzeit in aller Freundschaft gepiesackt und gemobbt hat, "zu Besuch" auftauchen. "Ich kenn Sie nicht, Alte!"

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w_s_
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Beitrag Sa., 07.03.2009, 10:16

Zu der scheinbar so einfachen Fehlerlogik von III: nach meiner Erfahrung ist sowas nur auf ganz simple Strukturen anwendbar. In etwas komplexeren Unternehmen liegen die Fehler viel eher im Bereich der Prozesse, die Fehler generiert; und auch im Ausbildungsstand der Leute - oder Kombinationen. Und diese beiden Punkte sind klar im Verantwortungsbereich der Führungskräfte. Da dann die Mitarbeiter hinaus zu werfen, weil diese Fehler passieren, das ist dann viel zu kurz gegriffen - und zeigt eher das falsche Verständnis der Führung für die Ursache der Fehler. Üblicherweise stinkt der Fisch halt vom Kopf her!

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