Längere Belastungsreaktion / Anpassungsstörung

Hier können Sie Fragen zu Begriffen, Diagnosen und sonstigen Fachworten stellen, die einem gelegentlich im Zusammenhang mit Psychologie und Psychotherapie begegnen oder die Bedeutung von Begriffen diskutieren.
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JMH
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Längere Belastungsreaktion / Anpassungsstörung

Beitrag Mo., 28.12.2009, 23:07

Hallo,

nachdem ich vor einigen Tagen diese tolle Seite gefunden habe, habe ich mich eben entschlossen, mich zu registrieren und auch direkt mal eine Frage ins Forum zu setzen.

Zu meiner Vorgeschichte vielleicht mal soviel:
Ich bin schon seit jeher ein eher ruhiger und schüchterner Mensch.
Eher Pessimist als Optimist.
Sehr Bindungsscheu...was wohl auch ein bißchen an meinen Hemmungen bezüglich meines starken Übergewichtes (extrem rauf- und runter seit der Pubertät) liegt.

Bis vor 2 Jahren war ich mit mir, so wie ich bin, aber eigentlich nicht unglücklich!
Dann allerdings begann sich bei mir eine Krankheit an die andere zu reihen: Bandscheibenvorfälle, Diabetis und neuerdings, nach 2 Knie OPs, eine Kniearthrose Grad IV, bei der es über kurz oder lang (in wenigen Jahren) auf ein künstliches Gelenk hinausläuft.
Ich habe auf einen Erstantrag hin, eine Minderung der Erwerbsfähigkeit von 30% wegen dauernder Bewegungseinschränkung erhalten, und lebe mit immer wiederkehrenden Rücken- und Knieschmerzen.
Kein Tag ist mehr vorrausschaubar.
Mal wache ich schon Nachts 4 mal auf, weil ich beim drehen im Bett Schmerzen habe, mal fängt der Tag gut an, bis ich mich dann einmal zuviel bücke oder falsch bewege...: Das ganze natürlich trotz allerlei verschiedener Schmerzmittel und regelmäßiger Spritzen in die Gelenke.

Mit der Zeit hat mich das alles total runtergezogen.
Ich bin im Augenblick (nach meiner letzten Knie Op) schon im 6. Monat krankgeschrieben, und habe selbst gemerkt, wie ich mich immer mehr in mich selbst verkrieche und trübselig und mürrisch geworden bin. Ich mag nicht mehr unter Menschen gehen bzw. hinken,(mir wird heiß und mein Herz schlägt mir dann bis zum Hals), fühle mich nicht mehr leistungsfähig (ich kann nicht mal mehr einen 20 Kilo-Katzenstreusack mehr alleine tragen) und verspüre auch keine wirkliche Freude mehr an irgendwas....

Nach langem ringen mit mir selbst, habe ich daher 5 probatorische Sitzungen bei einer Fachärztin für Psychatrie und Psychotherapie hinter mich gebracht.
Die Ärztin ist sehr nett, betrachtet diese Sitzungen als Kennenlernphase, tut sich aber leider sehr schwer mir eine genaue Diagnose zu nennen.

Auf Ihrer Rechnung stand jetzt folgendes:
-Depressive Entwicklung
-chronisches Schmerzsyndrom
-längere Belastungsreaktion

Zum Großteil kann ich damit schon was anfangen und es nachvollziehen, lediglich die "längere Belastungsreaktion" kann ich nicht so recht einordnen.
Nach IDC unterscheidet man doch nur die AKUTE oder POSTTRAUMATISCHE Belastungsreaktion...oder bin ich da völlig auf dem falschen Dampfer?
Hat den Begriff schon mal jemand gehört?

Im persönlichen Gespräch ließ Sie auch noch den Begriff Anpassungstörung im Zusammenhang mit frühen sehr negativen Kindheitserfahrungen fallen.

Wäre schön, wenn mir jemand antworten würde.

Lieben Dank, Janny
Zeit heilt keine Wunden, man gewöhnt sich nur an den Schmerz

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Jenny Doe
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Beiträge: 5037

Beitrag Di., 29.12.2009, 05:18

Zum Großteil kann ich damit schon was anfangen und es nachvollziehen, lediglich die "längere Belastungsreaktion" kann ich nicht so recht einordnen.
Nach IDC unterscheidet man doch nur die AKUTE oder POSTTRAUMATISCHE Belastungsreaktion
Hallo JMH,

Von einer akuten Belastungsstörung spricht man, wenn jemand einer belastenden Situation ausgesetzt war (wie z.B. der Tod eines Angehörigen) und darauf mit Stresssymptomen reagiert. Wenn diese Stresssymptome länger als vier Wochen anhalten, dann spricht man von einer "längeren Belastungsreaktion" oder "Posttraumatische Belastungsstörung".

Viele Grüße
Jenny
Lerne aus der Vergangenheit, aber mache sie nicht zu deinem Leben. Wut festhalten ist wie Gift trinken und darauf warten, dass der Andere stirbt. Das Gegenstück zum äußeren Lärm ist der innere Lärm des Denkens.

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Andrasta
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Beitrag Do., 04.11.2010, 17:38

Hallo, ich bin hier in diesem Thread auf der Suche nach dem Begriff "Anpassungsstörung" gelandet.

Ich war heute das allererste Mal bei einem Psychiater (wg. Depressionen), und da fiel eben auch dieses Wort. Ich habe versäumt, nachzufragen, was genau das denn bedeute, denn ich habe sofort "ist nicht fähig, sich anzupassen" interpretiert und bin als Reaktion in Ablehnungshaltung gegangen. *g*

Auf medizinfo.de habe ich folgende Definition gefunden:

"Eine Anpassungsstörung ist nach der Definition des ICD-10 ein "subjektives Leiden und eine emotionale Beeinträchtigung mit Einschränkung der sozialen Funktionen und Leistungen nach entscheidenden Lebensveränderungen (z.B. Emigration) oder belastenden Ereignissen (z.B. Todesfall, Trennung)." Die Störung beginnt meistens innerhalb eines Monats nach dem belastenden Ereignis und hält selten länger als 6 Monate an."

Das hört sich für mich so an, als handele es sich dabei um etwas Befristetes, durch ein Ereignis oder eine Situation Ausgelöstes, nicht um etwas "Lebenslängliches" (in meinem Fall über 40jährig) wie eine starke Veranlagung zu Depressionen. Ist das so?

Kann mir den Begriff jemand etwas näher erläutern, evt. praktische Beispiele nennen?

Herzliche Grüße
Andrasta

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(V)
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Beitrag Do., 04.11.2010, 18:07

Ich stell mir das so vor, am Beispiel einer Trennung:

Kurz danach hat jeder erstmal Liebeskummer, mit sämtlichem Symptomen. Das ebbt aber i.d.R. und im Normalfall ab und ist eigentlich eine gesunde Reaktion um den Verlust zu verarbeiten, und um sich auf die veränderte Situation anzupassen. In manchen Fällen allerdings chronifizieren sich die "Liebeskummersymptome" wie z.B. sozialer Rückzug, Verlust der Lebensfähigkeit. Es stellt sich nicht von alleine im Laufe der Zeit wieder der Normalzustand ein. Dann spricht man von einer Anpassungsstörungen.

Ich bin mir nicht ganz sicher, ich glaube lediglich, dass es auch durchaus sein kann, dass man den Zustand gar nicht mehr mit dem auslösenden Ereignisse in Verbindung bringt. In dem fiktiven Beispiel sich beispielsweise denkt: Ach, die Trennung ist schon so und so lange her, an den Typ denke ich gar nicht mehr... was hat das eine mit dem anderen zu tun?

Hab den Begriff auch anfangs falsch interpretiert. Aber in dem Fall steht es nicht für das Angepasst-Sein an die Gesellschaft, sondern das automatische auspendeln/anpassen der Psyche an plötzliche, intensive Veränderungen der Lebensumstände.

Ich stelle es mir wie ein Pendel vor. Jeder Mensch hat seine indiviuellen Normalzustand und innere Mitte. Plötzliche drastische und schmerzhafte Veränderungen schubsen einen natürlich aus der Mitte raus. Mit der Zeit pendelt sich eine gesunde Psyche wieder in ihren Ursprungszustand ein. Wenn das nicht klappt, ist es eine Anpassungsstörung.

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Andrasta
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Beiträge: 5

Beitrag Do., 04.11.2010, 18:32

Gothika hat geschrieben: Ich stelle es mir wie ein Pendel vor. Jeder Mensch hat seine indiviuellen Normalzustand und innere Mitte. Plötzliche drastische und schmerzhafte Veränderungen schubsen einen natürlich aus der Mitte raus. Mit der Zeit pendelt sich eine gesunde Psyche wieder in ihren Ursprungszustand ein. Wenn das nicht klappt, ist es eine Anpassungsstörung.
Danke für Deine schnelle Antwort, Gothika!

Abgesehen davon, dass ich mir nicht wirklich im Klaren über die Qualität / Beschaffenheit meines "Normalzustandes" bin, und meiner Mitte meist hinterherlaufe:

Inzwischen habe ich auch noch ausführlichere Texte dazu gefunden, konnte denen jedoch nicht entnehmen, ob es auch so etwas wie eine grundsätzliche Anpassungsstörung gibt, bis auf den Hinweis, dass es bei dieser Störung auf die subjektive Vulnerabilität ankommt, und diese kann natürlich schon mal grundsätzlich hoch sein. Aber dann wäre ja DAS doch die eigentliche "Störung"...? Und überhaupt bekomme ich den Eindruck nicht los, dass unter diesen Begriff ein ziemliches Mischmasch sowohl an Symptomen als auch Ursachen fällt....eine bequeme und recht unspezifische Diagnose?

Ich könnte mir noch vorstellen, dass die Diagnose bei der Zulässigkeit diverser Behandlungsmethoden /und oder auch der Übernahme durch die Krankenkasse eine Rolle spielt.

So meine Gedanken dazu; ich werde ja sehen, wie das alles weitergeht,
Grüße Andrasta

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