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aus AKJP, Heft 145, XLI. Jg., 1/2010
PSYCHOANALYTISCHE GRUNDBEGRIFFE
Teil 1
2.5 Symbolisierung, Mentalisierung und Bindung
Sichere Bindung ist grundlegend für den Aufbau einer stabilen psychischen Struktur. Die Beziehungs- und Konfliktfähigkeit der Bezugspersonen ermöglicht, dass kindliche Affekte aufgenommen, eine Sprache (Bedeutung) bekommen und in adäquater Weise beantwortet werden. Damit kann das Kind seinen inneren Regungen und seinen äußeren Erfahrungen einen Sinn, eine Bedeutung geben, was zur Fähigkeit der Symbolisierung führt. Bion geht in seiner Theorie des Denkens davon aus, dass unbekannte und ängstigende Affekte, welche das Kind überwältigen, von diesem in die Mutter projiziert werden. Sie ist der Container für die unerträglichen Erfahrungen. Durch ihr träumerisches Ahnungsvermögen ist die Mutter in der Lage, diese Empfindungen des Kindes aufzunehmen, sie mit Bedeutung zu versehen und ihm dann in erträglicher Form zurückzugeben. Diese mit Sinn versehenen Empfindungen können so im Kind symbolisiert und repräsentiert werden; weiter werden sie dann zu Symbolen, Gedanken, Traumgedanken und Phantasien. Traumatische Erlebnisse, wie Trennungen von der Mutter, können erst über die Möglichkeit der Symbolisierung ausgehalten werden. Allerdings kann die Fähigkeit des Symbolisierens bereits während der Entwicklung gestört werden und damit defizitär bleiben. Hanna Segal (1990) hat einen zentralen Gedanken zum Verstehen von Symbolisierungsstörungen beigetragen. Sie beschreibt zwei Arten von Symbolbildung und Funktionen von Symbolen. Die eine nennt sie symbolische Gleichsetzung: Das Symbol wird mit dem symbolisierten Objekt gleichgesetzt, so dass die beiden als identisch erlebt werden. Die andere nennt sie echte Symbolbildung oder symbolische Darstellung. Das Symbol repräsentiert hier das Objekt, aber es wird nicht mit ihm gleichgesetzt.
Hanna Segal erklärt das Zustandekommen von symbolischer Gleichsetzung so, dass Teile des Ichs und innere Objekte in ein Objekt projiziert und mit diesem identifi ziert werden. Damit bleibt eine Unterscheidung zwischen Selbst und Objekt verdeckt. Weil auf diese Weise ein Teil des Ichs mit dem Objekt vertauscht ist, wird das Symbol mit dem symbolisierten Objekt verwechselt. Bei traumatischen Trennungen in der frühen Kindheit kann Symbolisierungsfähigkeit immer wieder einbrechen. Wer nicht symbolisieren kann und symbolisch gleichsetzt, für den wird Aggression zur Destruktivität und Trennung bedeutet Tod. Er kann darum nicht aggressiv sein, weil das bedeuten würde, das Objekt zu töten. Der Weg der Symbolisierung führt von der symbolischen Gleichsetzung zum Übergangsobjekt und schließlich zur reifen Symbolisierung. Das Kind macht beim Gebrauch eines Übergangsobjektes die Erfahrung von einem Objekt, das ganz und gar ihm gehört, aber es macht auch die Erfahrung von sich selbst als Besitzer. Mit dem Übergangsobjekt verwendet das Kind ein Objekt, das nicht Teil des kindlichen Körpers ist, jedoch auch nicht völlig zur Außenwelt gehört. Winnicott beschreibt damit einen Zwischenbereich der Erfahrung zwischen der reinen narzisstischen Illusion, dass alles zu einem selbst gehören würde, und dem Bewusstsein von Getrenntheit, in welchem reifes Symbolisieren möglich ist. Der Weg verläuft also auch von einem Zustand illusorischen Besitzes hin zu einem Zustand von Entwöhnung und Ertragen von Verlusten (vgl. auch Alvarez, 2001, S. 221). Aber dieser Weg ist beschwerlich und störanfällig. Insofern dient das Übergangsobjekt als wichtiger Begleiter eines Kindes, welcher Ängste mildern kann. Das Übergangsobjekt stellt eine der ersten Symbolbildungen dar, mit deren Hilfe das Kind Angst und Spannungen, die beim Alleinsein entstehen, mildern kann. Zeitlich vor dem Prozess der Symbolisierung liegt die Entwicklung der Mentalisierung, welche quasi das Fundament für die Symbolisierung bildet. Unter Mentalisierung wird die Herausbildung der Fähigkeit verstanden, sich selbst als ein Wesen zu begreifen, dessen Verhalten von Wünschen, Überzeugungen, Gefühlen und Intentionen getragen ist und dem Anderen ebenso Gefühle, Intentionen und Überzeugungen zu unterstellen. Mentalisierung kann sich nur entwickeln in einer und durch eine sichere Bindung. Die Entwicklung hin zur Mentalisierung gelingt einem Kind am leichtesten, wenn es – im Sinne der Bindungstheorie – sicher gebunden ist. Das sicher gebundene Kind kann sozusagen gefahrlos seiner Mutter mentale Zustände zuschreiben, um dann darüber Sicherheit über die eigene Befi ndlichkeit zu gewinnen, die in und über diesen Prozess zunehmend symbolische Qualität gewinnt (vgl. auch Brisch, 2009). Das vermeidend gebundene Kind hat nicht die sichere Erfahrung einer feinfühligen und einfühlsamen Betreuung als Hintergrund, es scheut vor der psychischen Verfassung der Mutter eher zurück. Auch das ambivalent gebundene Kind wird
sich auf Grund seiner Bindungserfahrungen nicht intensiv auf die Erforschung der inneren Zustände der Mutter einlassen. Eine spezielle Kategorie bilden desorientiert gebundene Kleinkinder. Diese sind, bedingt durch große Verfolgungsängste, mit großer Aufmerksamkeit dabei, Vorhersagen über das Verhalten der Mutter treffen zu können. Auch sie entwickeln in hohem Maß die Fähigkeit, sozusagen Gedanken lesen zu können, also mentale Zustände in der Psyche der Mutter zu erforschen, aber sie können ihre Erkenntnisse nicht im selben Maße wie sicher gebundene Kinder für die Organisation ihres Selbst nutzen. Vielmehr bleiben diese Kinder in einer frühen Beziehung zur Mutter gefangen, projektive Identifi zierung überwiegt, das symbolische Denken misslingt. Zu Beginn der Entwicklung hin zur Mentalisierung bestehen im Kind zwei psychische Modi. Im Modus der psychischen Äquivalenz wird Innen und Außen gleichgesetzt. Das kleine Kind geht davon aus, dass seine Gedanken und Gefühle auch in der Außenwelt vorhanden sind und dass das, was in der Außenwelt ist, auch zwangsläufi g in seinem Geist vorhanden ist. Dieser Modus der psychischen Äquivalenz kann zu panischer Angst führen, wenn Fantasien auf die Außenwelt projiziert werden. Deshalb ist der Als-ob-Modus von immenser Bedeutung. Er entsteht in der Interaktion des Säuglings mit der Mutter. Seine emotionalen Äußerungen sind zunächst unbewusst. Die sensible Mutter »weiß«, was die Emotion bedeutet, sie spiegelt den affektiven Gehalt in ihrer Mimik und in ihrem Tonfall wider. Allerdings spiegelt sie nicht deckungsgleich, sondern sie übertreibt. Diese Übertreibung bezeichnen die Autoren als Markierung. Durch die Markierung wird der Zusammenhang zwischen dem Emotionsausdruck und dem entsprechenden Zustand dessen, der den Ausdruck produziert, aufgehoben. Fonagy et al. (2002) sprechen von referenzieller Entkoppelung. Das bedeutet also, dass der Säugling im Laufe der Zeit Emotionsausdrücke anderer Personen auf zwei unterschiedliche Arten wahrnehmen: in ihrer realistischen und in ihrer markierten Version. Die markierte Version unterliegt sozusagen der Kontrolle des Kindes, weil sie als Reaktion auf den entsprechenden Emotionsausdruck des Säuglings auftaucht. Die realistische Version ist mit viel größerer Wahrscheinlichkeit mit einem äußeren Vorgang in Zusammenhang oder von einem inneren Stimulus der Mutter ausgelöst, als dass er durch ein emotionsexpressives Verhalten des Säuglings kontrolliert wird. Die markierte Version wird als sekundäre Repräsentanz seines Gefühls im Selbst des Kindes abgelegt. So ist das entsprechende Gefühl symbolisiert, das Symbol ermöglicht innere Affektregulierung, welche zuvor von der Bezugsperson und deren Spiegelung geleistet wurde. Durch die Repräsentation dieser »markierten« Ausdrücke und der dazugehörigen Selbstzustände entsteht ein neuer Modus des Kommunizierens über Affektzustände und damit auch eine neue Möglichkeit darüber nachzudenken: ein »Als-ob«-Modus. Dieser Als-ob-Modus ermöglicht ein Spielen mit der Realität. Im Laufe der
normalen Entwicklung integriert das Kind beide Modi und erreicht damit einen Refl exionsmodus. In diesem Modus kann das Kind erkennen, dass sich Innen und Außen in mancherlei Hinsicht unterscheiden, es aber auch Zusammenhänge zwischen innerer und äußerer Realität gibt. Die beiden Realitäten müssen nicht mehr entweder gleichgesetzt oder aber von einander getrennt werden. Die Entwicklung mentalisierender Prozesse und weiter der Symbolisierung bedarf des Wechsels von Bedürfnisbefriedigung und Frustration. Noch eine zweite Voraussetzung stimuliert die Entwicklung besonders. Mutter und Vater sollten in der Lage sein, triadische Beziehungen intrapsychisch und interpersonal zu gestalten. Von Klitzing (2002) macht deutlich, dass eine lebendig gelebte Triade der Eltern der Entwicklung besonders förderlich ist. Hier kann das Kind die Abwesenheit in Anwesenheit eines Anderen erleben, ebenso die Unterschiede zwischen den wichtigen Bezugspersonen. Damit ist die Entwicklung einer stabilen Triangulierung grundgelegt und die drohende Verschmelzung mit der Mutter abgewehrt.
@ Sarana: Zur Entwicklungspsychologie in der entscheidenden Phase (Lebensjahre 0-4), da kannst Du auf die Schnelle hier gucken: https://books.google.de/books?id=uk36TJ ... ie&f=false
Insbesondere in die drei Tabellen auf S. 14-16 (was da an Forschungserkenntnissen gebündelt wurde, ist, soweit ich weiß, bislang und bis auf weiteres immer noch state of the art).
LG
w
Mir wird nur das Inhaltsverzeichnis angezeigt, trotzdem danke für den Hinweis auf das Buch, steht jetzt auf meiner Liste.
Lieben Gruß!
Sarana
"Not doing life today. Love to. But can't."
Hoffentlich: "I think I'm at a stage of my life where I subconsciously purposefully f.uck everything up just to see if I can find a way out of it." Untiefen des Internets
dann kannst Du es via google books vielleicht direkt finden: erst "google books" googlen und dann da in die Suchspalte oben den Titel eingeben: Strukturbezogene Psychotherapie. Leitfaden zur psychodynamischen Therapie struktureller Störungen (so habe ich das damals gefunden und jetzt gerade wieder).
Zum Rest kann ich nicht viel sagen, find's sehr Mediziner-Analytiker-gemäß (Psychologen-Analytiker ticken ein wenig anders, glaube ich beobachtet zu haben). Der Autor Gerd Rudolf ist der Papst der Störungsachse in der OPD-Gruppe (und dieses OPD-Dings ist ja auch nicht jedes Hintercouchlers Sache ... ).
Hehe, ich kanns in der Unibibliothek bekommen. Vielleicht beschäftige ich mich noch mal näher mit dem Thema. Wenn die Grundlagen unserer Sprachfähigkeit wirklich schon so früh gelegt werden (und das erscheint ja auch logisch), wundert es mich enorm, dass ich als Emigrantenkind schon in der Grundschule laut Aussage der Lehrer überdurchschnittlich gut sprechen konnte. Der Beweis ist erbracht: Ich gehör gar nicht in diese Familie.
Lieben Gruß und gut´ Nacht!
Sarana
"Not doing life today. Love to. But can't."
Hoffentlich: "I think I'm at a stage of my life where I subconsciously purposefully f.uck everything up just to see if I can find a way out of it." Untiefen des Internets
ich definieres es als einen Raum in dem ich mich absolut sicher fühlen kann. Es geschieht nichts, ich darf alles erzählen und werde positiv aufgenommen und mir wird geholfen. Der Tehra paßt auf mich auf, daß ich wenn ich Belastendes erzähle, mich wieder beruhige. In diesem Raum habe ich keine Angst.
Hi,
das kommt darauf an, wie derjenige, der "geschützter Raum" gesagt hat, es versteht.
Von meiner Warte aus würde ich das als Versuch nehmen, Bedenken gegen eine Therapie auszureden.
Ich habe da neulich etwas über Borderline-Therapie gelesen, da schrieb der Autor/Therapeut, dass ein Borderliner in einer Gruppe diese am Anfang erst ziemlich durcheinander bringt mit seinen Aktionen, bis er begreift, dass er in einem geschützten Raum ist.