Selbstmitleid

Hier können Sie Fragen zu Begriffen, Diagnosen und sonstigen Fachworten stellen, die einem gelegentlich im Zusammenhang mit Psychologie und Psychotherapie begegnen oder die Bedeutung von Begriffen diskutieren.
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stern
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Beitrag Fr., 17.06.2011, 10:38

Ich bewerte und beurteile nichts. Denn das ist der Keim für jeden Streit/Aggression.
Wobei im alltäglichen Umgang eine überhöhte Erwartung sein dürfte, dass Menschen nicht bewerten (wobei eine Bewertung etwas anderes ist als eine Veruteilung!!!... bitte nicht in einen Pott werfen. Verurteilungen sind natürlich fehl am Platz, aber dagegen gefeit ist man im RL natürlich auch nicht). Therapeuten sollten nicht-bewertender auftreten, das stimmt... aber ganz wertfrei läuft's da auch nicht immer ab.

Wah, wie soll ich's formulieren... ich komme im Leben sogar oft ganz schwer um Bewertungen herum, weil sie ein Wegweiser/Informationen sind. Banales Bsp.: Schuhekauf: Wenn ich mir x paar Schuhe ansehe, dann kann ich die zwar wunderbar beschreiben (schwarz, x cm breiter und hoher Absatz, usw.). Aber bleibe ich bei dieser Wahrnehmung stehen, dann weiß ich noch immer nicht, welches Paar ich nun nehmen soll. Erst wenn ich sage "Die sind mir zu teuer oder die sind schön (Bewertungen)", dann komme ich zu einem Urteil, bei welchem paar ist zugreife. Will heißen: Insofern sind Bewertungen ja per se nix schlechtes... und meiner Erfahrung nach auch nicht unbedingt ein Keim von Streits/Aggressionen (Verurteilungen schon eher... aber die Grenzen können fließend sein.).

Im übrigen glaube ich, dass insbes. auch (eigene) Interpretationen ein wunderbarer Nährboden für Konflikte sein können... also man auch die neutralste Aussage im Zweifel immer so interpretieren, dass sie im falschen Hals landet . Deswegen meinte ich schon öfters: Wenn man unsicher ist, wie etwas gemeint ist, lieber nochmals nachfragen als interpretieren (wobei man im alltäglichen Leben schlichtweg auch kaum um Interpretationen/Schlussfolgerungen herum kommt).

Was mir in dem Zusammenhang auch noch einfällt: In der Klinik erhielt ich mal ein paar Bögen zur achtsamen Wahrnehmung (Achtsamkeit), die sich durch nicht bewerten, nicht interpretieren, etc. auszeichnet. Dachte erst: kein Problem, klingt einfach... erst als ich mich dann mal mit den Bögen an einen See setzte und so meine Umgebung wahrzunehmen versuchte, merkte ich wie schwer das eigentlich ist (gibt sicher auch massig Literatur zu dem Thema... glaube Anne1997 hat kürzlich ein paar Links eingestellt).

Aber: Alltäglicher Umgang miteinander ist eben nicht immer bewertungs- und interpretationsfrei. Würde man die Welt nur bewertungs- und interpretionsfrei wahrnehmen, so würden vermutlich wichtige Informationskanäle verloren gehen (vgl. Schuhebsp.). Und wenn ich nur graue Wolken am Himmel wahrnehme, ist das eben "nur" eine eingeschränkte information, solange ich das nicht dahin interpretieren kann, dass es vielleicht gleich zu regnen anfangen könnte, und ich (Schlussfolgerung =>) vielleicht besser meinen Schirm einpacken sollte.

Um sich zu sensibilsieren ist das (Achtsamkeit) aber sehr nützlich... denn wenn man z.B. wie oben gesagt die neutralsten Aussagen noch zu Gemeinheiten uminterpretieren kann, dann tut man sich ja keinen Gefallen (der Umwelt evtl. auch nicht, wenn man sich dann dagegen wehrt). Kann also schon von Vorteil sein, wenn man zum Bleistift eine Aussage von der eigenen Interpretation trennen kann (um sich sozusagen eine verfeinerte Wahrnehmung anzueignen)... und wie gesagt: In Interpretation liegt oft Konfliktpotential... meiner Wahrnehmung nach, war das (freie Interpretationen) TEILS (=aber natürlich nicht nur) auch ein Grund, warum der Thread eskalierte. Und wenn das hausgemacht ist, weil man etwas hineinintepretiert, was gar nicht da ist, ist das umso ärgerlicher (passiert ja jedem mal... also das kenne ich auch, dass bei mir etwas gut und gerne mal im falschen Hals landen kann). Und wie gesagt, ich dachte, so schwer kann das ja nicht sein... ich fand's dann doch nicht ganz so leicht, dass umzusetzen.

Iss jetzt vielleicht etwas OT, sry.
Zuletzt geändert von stern am Fr., 17.06.2011, 10:55, insgesamt 2-mal geändert.
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Waldschratin
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Beitrag Fr., 17.06.2011, 11:17

"Nicht bewertet werden" hätt ich auch gern,nicht nur in der Kommunikation.
Find ich aber realitätsfern...

Ich verleg mich da inzwischen lieber drauf,mit Bewertungen entsprechend umzugehen.
Heißt,ich klamüser mir dann dran raus,was ich davon brauchen kann : Manches mag stimmen und wenn mir das dann nicht paßt,dann hab ich nen guten Anlaß,das mal anzufangen zu ändern.
Anderes,was nicht stimmt,an dem kann ich üben,das loszulassen,nicht anzunehmen und mein Selbstbewußtsein dran wachsen zu lassen.
Allgemein kann ich dran üben,weniger Angst vor meinen Fehlern zu haben und den Perfektionismus mal wieder ein bissl zu "stutzen".

Ich frag mich grad,inwieweit die Bewerterei mit Selbstmitleid zu tun hat...?

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forcefromabove
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Beitrag Fr., 17.06.2011, 12:54

M.M nach ist es eine Tatsache, dass Menschen die , die vermeintliche Weinerlichkeit und Wehleidigkeit ihrer Mitmenschen allzu schnell aus der Fassung bringen, eher
dem "Machertyp, " der Situationen strategisch bewertet und tatkräftig zu verändern sucht, zuzurechnen sind.
Prinzipiell finde ich den aktiven Umgang mit schmerzhaften Emotionen positiv, sehe
jedoch eine große Gefahr darin, dass gerade " Opfer" die sich Selbstmitleid rigoros
verbieten u.U gefährdeter sind in den Kreislauf " Opfer wird Täter" einzusteigen.

Tief empfundenes Selbstmitleid, kann nämlich ein wichtiger Impuls zur Bewußtwerdung
und Annahme von Ohmmachtsgefühlen sein. M.M sind viele Jammerer genau mit
dieser Bahnung beschäftigt. Zu Beachten wäre auch, dass es besser ist sich von negativen Energien zu entlasten, weil man so vermeidet dass sie unbearbeitet
verdrängt werden und ein unbewußtes, unberechenbares Agressionspotential erzeugt wird.
M.M nach kann Selbstmitleid dies verhindern, wenn der Mensch der sich darin
badet nicht automatisch als charakterlich minderwertig abgestempelt wird, sondern
sich weiterhin konstant geliebt fühlen darf . M.E wäre eine dosierte Indifferenz gegenüber den selbstmitleidigen Anfällen, die jedoch von Liebe und Respekt gegen=
über dem Menschen geprägt sein muss, das passende Gegenmittel.
"Ich bin kein direkter Rüpel aber die Brennnessel unter den Liebesblumen."
Karl Valentin


montagne
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Beitrag Fr., 17.06.2011, 13:23

Ich habe nicht gesagt, dass ich mit der Klarifizierung nicht zufrieden bin. Ich sage nur, ich misstraue dieser Klarifizierung. Weil ich weiß, das es einen Unterschied geben kann, zwischen dem was man sagt und bewusst glaubt und wie es wirklich ist.

Die Bewusstheit über diesen Unterschied ist es auch, die mich bei Geduld hielt. Weil ich dachte.. so barsch, abweisend und selbstherrlich kann kügli das doch nicht meinen, wie sie hier schreibt. Vllt. aber doch?

Vllt. sollte ich das wirklich alles so direkt nehmen, wie du es schriebst. Dann bin ich aber der Meinung (klar markierte Meinungsäußerung, nicht weiter), dass ich deine Schreibe grenzüberschreitend, herabwürdigend, selbstherrlich, aggressiv, ungerecht, unverschämt und maßlos fordernd finde.

Nein, man könnte dir die Empathie ins Gesicht schlagen (ich weiß Widerspruch), du würdest sie nicht fühlen.
amor fati

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kügeli
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Beitrag Fr., 17.06.2011, 16:49

Ich bin ganz anderer Meinung, und die kannst du in dem anderen thread nachlesen.


Waldschratin
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Beitrag Fr., 17.06.2011, 17:06

Ich schlag mich mal derweil noch ein bissl mit dem Thema Selbstmitleid rum,beschäftigt mich grad noch einigermaßen...

Wenn Selbstmitleid nervt,sind ja auch immer "zwei" dabei : der,der`s nach außen trägt und der,den das nervt.
Jetzt kann man freilich hergehen und sagen,das ist das Problem dessen,den es nervt.Aber wird man DEM dann noch gerecht?Wird DER dann nicht "abgewertet"?
Wenn mich sowas nervt,dann ist das doch auch ne Empfindung wie jede andere auch - und als solche an sich nicht "anfechtbar".
Anfechtbar wird die Art,wie ich damit dann umgehe.Geh ich her und fordere vom anderen,sein Selbstmitleid zu lassen? - Werd ich ihm nicht gerecht.
Zieh ich mich vom Selbstmitleider zurück,ist das zwar ne Lösung,aber für mich persönlich ne unbefriedigende.

Warum nicht auch da Bemühungen um nen Kompromiß?
Warum nicht auch den Selbstbemitleider dazu mit "hereinnehmen",daß auch er seinen Beitrag leistet zu diesem Kompromiß?
Jeder,so weit er gehen kann - und dann verhandelt man neu.

Im Grunde stört mich am meisten am Umgang mit Selbstmitleid,daß da "Mit-Leiden" eingefordert wird.
Mit wem ich "mit-leiden" will,das möchte ich gerne selbst entscheiden dürfen,es freiwillig tun - und nicht dazu "verpflichtet" werden,weil ich sonst als "hartherzig" abgestempelt werde oder den anderen "abwertend" etc. etc.

Und fühl ich mich durch das Selbstmitleid bei anderen meist sowas wie "hintergangen",weil hinter dem Selbstmitleid ja im Grunde ein Bedürfnis nach irgendwas "versteckt" wird,das sich der Betreffende direkt nicht äußern traut.

Und ich möchte gerne wissen,auf was ich reagieren soll und v.a. wie...
Selbstmitleid läßt mir da viel zu viele "Tretminen" offen...

Man könnte ja auch,anstatt die Leute wissen zu lassen "Keiner hat mich lieb,mich armes Wesen" dem anderen mal klarer sagen "Ich fühl mich grad einsam und im Stich gelassen,nimm mich mal in den Arm".
Dann liegt die Verantwortung fürs eigene Wohlergehen nämlich auch wieder 50 % bei einem selbst - und nicht mehr 100% beim anderen,daß der dann auch errät,wie er "richtig" zu reagieren und zu sein hat....

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stern
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Beitrag Fr., 17.06.2011, 17:56

Waldschratin hat geschrieben:Selbstmitleid läßt mir da viel zu viele "Tretminen" offen...
Geht mir da ähnlich... wobei ich im Zusammenhang mit Selbstmitleid/Opferrolle auch an folgende Tretminen denke: Einher mit Selbstmitleid/Opferrollen gehen ja gerne so Empfindungen wie Ohnmacht, Hilflosigkeit, Resignation... und ich finde's auch eher schwer jemanden wirklich zu erreichen, der gerade ganz tief im Selbstmitleid/Opferrolle steckt. Denn man findet sich dann u.U. relativ selbst schnell in der Position wieder, in der der alles abgeschmettert wird, was kommt (alles geht nicht... liegt an den anderen, was soll ich da machen... ich werde IMMER ungerecht behandelt, EGAL was ich mache, usw.) Mit der Folge, dass man sich dann selbst genauso hilflos fühlen kann, Stichwort: hilfloser Helfer. Und das ist eine Rolle, die ich eigentlich ungern einnehme. Iss ja nichtmal so, dass ich erwarte, dass Anregungen großartig umgesetzt werden (wie gesagt, ich gehe da relativ erwartungsfrei ran). Aber wenn es dann so abläuft, dass sich der Eindruck aufdrängt, egal was man macht, es reicht nicht, selbst wenn ich mich auf den Kopf stellen und mit den Füssen wackeln würde... es gibt IMMER was, woran es scheitert, dann... ja, dann kommt man irgendwann an den Punkt: Iss nur kräftezehrend, zermürbend und letzlich eh sinnlos. Und es kann dann schlichtweg SELBST hilflos, ohnmächtig und gelähmt machen, eine Postion, die nicht sonderlich gut für mich erträglich ist... und die ich daher auch ungern annehme. Dagegen braucht's schon eine gute Abgrenzungsfähigkeit, innere Distanz. Ich beziehe mich bei meine Ausführungen btw. aufs RL.

Oder Stichwort Opferrolle: Wo es ein Opfer gibt, da ist für gewöhnlich Schuld im Spiel... und ich bin sooo froh, dass ich mich für meinen Teil weitgehend losgelöst von Schuldkategorien bewegen kann. However, wo Schuldkategorien im Spiel sind, kann es zu ganz üblen Dynamiken kommen. Und ja, ich bin so frei und behaupte, dass dann oft die Ursachen für Leid nach Außen projiziert werden... woraus dann die Anspruchshaltung entstehen kann: Was andere verbockt haben (die "Täter"), sollen andere jetzt für mich auch wieder richten. Vielleicht sogar irgendwo nachvollziehbar, aber so läuft's nun mal nicht. Ich meine, davon kann jeder hier selbst ein Lied singen: Niemand hier hat seine Krankheit selbst verschuldet, und doch ist er für seine Genesung verantwortlich. Ungerecht? Ja, klar, in gewisser Weise natürlich... nutzt mir aber nicht viel, wenn ich das schrecklich ungerecht finde.

Und ja, es ist anstrengend mit solchen Dynamiken (z.B. Täter-Opfer-Konstellation) umzugehen, im ungünstigsten Fall macht es selbst noch den wohlwollenden Helfer kraftlos... oder der Helfer wird zum vermeintlichen Täter und und und. Oder wenn man sich zum Retter avancieren will, und sich quasi am Leid des anderen aufbaut ("mir geht es zum Glück besser"..."ich bin überlegen"), so halte ich das auch nicht für eine erstrebenswerte Konstellation. Dass sich alles noch wunderbar mit manipulativen Elementen kombinieren lässt, schrieb ich bereits (wobei wie gesagt nicht jedem Selbstmitleid Manipulation inne wohnen muss... auch nichts von den anderen Punkten... aber ganz untypisch sind die eben nicht).

Mit dem Effekt: Ganz ohne böse Absicht, sondern auch mit den besten Absichten, kann der Nicht-Therapeut ganz schnell an seine Grenzen kommen.
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Bluebird
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Beitrag Fr., 17.06.2011, 18:19

Ich finde es sehr schwer, meine Mitmenschen diesbezüglich nicht zu kategorisieren. Ich kenne auch jemanden, der sich sehr gerne und auch oft selbstbemitleidet. Ich neige dann dazu, diese Person überhaupt nicht mehr ernst zu nehmen, da es dabei eben auch oft um Kleinigkeiten geht. Ich stelle dann leider von vorneweg etwas auf Durchzug, um mich nicht zu nerven. Ich kann dann nur sehr schwer auch mal mitfühlen, wenn das sozusagen täglich eingefordert wird. Ich werde ihr damit aber überhaupt nicht gerecht, weil es natürlich auch an mir liegen würde, mich da abzugrenzen, sodass ich nicht nur noch zu dieser Abwehrhaltung fähig wäre.
Auch kann ich mir vorstellen, dass sich eine Art Teufelskreis entwickelt. Diese Person möchte Mitgefühl/Mitleid, ich bin dazu nicht mehr wirklich fähig, weil ich finde es reicht jetzt mal und sie fühlt sich dadurch veranlasst, noch einmal aufzutrumpfen, was mich umso mehr dann nervt.

off topic entfernt. Goldbeere

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kügeli
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Beitrag Fr., 17.06.2011, 23:26

Nur im Zusammenhang mit "Opferrolle" bin ich mir nicht schlüssig, was mehr wiegt: Denn wenn jemand, der sich eh schon als Opfer fühlt, permanent auf Widerstand stösst (sei es berechtigt oder unberechtigt), so fühlt derjenige sich in seiner Rolle ja erst recht bestätigt (was es evtl. erst recht erschwert den Teufelskreis durchbrechen zu können... vielleicht sogar: Dass manche Muster sich dann umso heftiger entfalten, keine Ahnung... aber eine Gedanke, den ich in dem Zusammenhang habe).
hm ... ich habe dazu eine andere Meinung.
Nämlich die, dass eine "Rolle", die keine "Rolle" ist, sondern sich dem Betreffenden als Tatsache präsentiert, erstmal angenommen werden muss. Du, stern, hast ja das Wort in Anführungszeichen geschrieben, was ich als sehr rücksichtsvoll empfinde; allzu oft wird dieses Wort nämlich ähnlich wie das andere Wort, "Selbstmitleid", als Verunglimpfung benutzt.
Genausowenig wie man selbstmitleidig sein darf, darf man Opfer sein.

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forcefromabove
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Beitrag Fr., 17.06.2011, 23:38

Ich behaupte, dass die Schuldfrage eine wesentliche und für die realitätsnahe situationsentsprechende Bearbeitung von Konflikten eine zentrale Frage ist, die mit entsprechendem Respekt und mit dem Anspruch jedem involviertem Individuum möglichst gerecht zu werden, analysiert werden soll.

Verantwortung und Schuld bedingen sich gegenseitig. Gehe ich von der Selbstverantwortung des mündigen Menschen aus und fordere sie auch auf der
Handlungsebene ein, betone aber gleichzeitig, dass die Schuldfrage unerheblich ist und
bleibt, konstituiere ich eine paradoxe Verantwortungslage, die schon bei stabilen gesunden Menschen zu geistig-seelischen Irritationen führen kann.

Suggeriere ich nun in einer therapeutischen Beziehung dieses Verantwortungsparadoxon, setze ich einen destabilen Menschen weiteren mentalen Verunsicherungen aus. Ich glaube, dass man einem Menschen nur dann helfen kann,
wenn man fähig ist biografische Ereignisse in Hinblick auf Fremd- und Eigenverantwortung zu gewichten. In diesem Kontext sollte m.E auch der Analyse
der Schuldfrage Raum gegeben werden.
Ich sehe Den Therapeuten als Mediator, der den Klienten unterstützt einen konstruktiven Umgang mit realer lebensgeschichtlicher Schuld und Verantwortung zu finden, indem er auch die S. u. V-Anteile des sozialen Rahmens bewusst macht, um dann gemeinsam mit dem Klienten schuldbegrenzende Strategien zu entwickeln, die die
Verantwortungskompetenz stärken
Im Angesicht der oft sehr leidbesetzten Erfahrungen die Menschen machen müssen,
weil Verantwortung und Selbstverantwortung fahrlässig oder schuldhaft nicht wahrgenommen werden, die Schuldfrage zu bagatellisieren, ist für mich eine Respektlosigkeit die an Mißachtung
der Menschenwürde grenzt.
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münchnerkindl
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Beitrag Fr., 17.06.2011, 23:42

sofa-held hat geschrieben: Müki, kann es sein, dass dein schon sehr detaillierter Feldzug gegen das Selbstmitleid von den Erfahrungen mit deiner Mutter geprägt ist? Dass du Leidtragende warst? Es ist eine für Frauen aus den -ich sag mal 50-er Jahren - nicht untypisch, in dieser passiven, wie du sagst "regressiven" Haltung zu verharren, weil die Macht oft nicht allzu groß war, der Mann das Familienoberhaupt war, und Jammern die einzige Entlastung war, die ohne große Konsequenz gemacht werden durfte. Vielleicht lässt du mal ein bisschen Milde walten
Ja stimmt, mein Bild von Selbstmitleid ist durchaus von meiner Mutter geprägt. Ich habe aber danach noch diverse, auch jüngere Menschen getroffen die da ähnlich extrem strukturiert sind und die weder gezwungen sind mit einem verhassten Mann zusammenzubleiben noch von der Gesellschaft benachteiligt werden. Und auch bei denen fand ich es nach einer Weile unerträglich.

Naja, die Generation meiner Mutter, das ist auch die Generationen von Menschen wo gerade Frauen auch keine grossartige Handlungsalternative hatten, und auch überhaupt nicht in einer Art erzogen worden wären die vermittelt hätte daß man etwas aus seinem Leben machen kann, das stimmt schon. Und dann ist das auch noch die Kindergeneration der Kriegstraumatisierten. Aber ich kenne auch Leute aus der Generation die es auch schlecht hatten und die nicht exzessiv selbstmitleidig sind.

Aber ich denke mal das ganze ist auch eine Frage des grundlegenden Charakters. Meine Eltern stammen beide aus ähnlich problematischen Verhältnissen und sind ähnlich alt. Meine Oma mütterlicherseits ist auch nun überhaupt nicht der selbstmitleidige Typ. Aber meine Mutter betreibt das ganz massiv wärend mein Vater, der da auch nie so ganz extrem war irgendwann so als er die Trennung von meiner Mutter vollzogen hat da die Kurve gekriegt und sich aus dem Sumpf befreit hat.

Von daher sehe ich halt den Unterschied. Mein Vater wollte raus aus diesem Psycho-Elend und hat dafür auch was getan. Meine Mutter hatte nie das Bedürfnis nach echter Veränderung. Kann man das jetzt am Geschlecht festmachen? Ich dachte eigentlich daß es auch viele jammernde und verdrängende Männer gibt und es eher die Frauen sind die zB eine Therapie machen und was ändern wollen.
Zuletzt geändert von münchnerkindl am Fr., 17.06.2011, 23:47, insgesamt 1-mal geändert.


Waldschratin
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Beitrag Sa., 18.06.2011, 05:54

sofa-held hat geschrieben:Müki, kann es sein, dass dein schon sehr detaillierter Feldzug gegen das Selbstmitleid von den Erfahrungen mit deiner Mutter geprägt ist? Dass du Leidtragende warst? Es ist eine für Frauen aus den -ich sag mal 50-er Jahren - nicht untypisch, in dieser passiven, wie du sagst "regressiven" Haltung zu verharren, weil die Macht oft nicht allzu groß war, der Mann das Familienoberhaupt war, und Jammern die einzige Entlastung war, die ohne große Konsequenz gemacht werden durfte. Vielleicht lässt du mal ein bisschen Milde walten
"Ein bißchen Milde walten lassen" ist gar nicht so leicht,wenn man sich damit auseinanderzusetzen hat,wenn einen die Mutter mit der Macht des Selbstmitleids emotional mißbraucht hat...
Ich finde,dafür setzen wir uns hier schon recht "milde" damit auseinander!

Warum fällt dir das so schwer,auch mal die andere Seite der Medaille zu würdigen?
sofa-held hat geschrieben:Einige Seiten lang nicht reingeschaut, und keine Position hat sich auch nur einen Milimeter bewegt.
Seh ich ganz anders!Ich sprech jetzt mal nur von mir: Ich suche sehr wohl Veränderung in meinem Umgang mit Selbstmitleid - und das bezieht sich nicht nur auf die "anderen Selbstmitleidigen",sondern auch auf meinen eigenen Umgang mit Selbstmitleid.Daß mir das nie "vorgeworfen" wurde heißt ja nicht,daß ich nicht selber mich auch manchmal drin suhle.Und ganz zu Anfang hatte ich schon mal geschrieben,daß ich nix bei finde,wenn man sich mal ne Weile drin badet.
Bitte "werte" doch auch das mal!

Ich seh im Selbstmitleid halt auch ne Ersatzhandlung,die kurzzeitig Entlastung bringt,aber eben nix "löst".Und wie alle Ersatzhandlungen birgt sie nunmal die Gefahr,daß man "dabei bleibt" und durch Wiederholung dann bald die "Dosis" erhöhen muß.

Ich sehe das nicht abwertend oder so - da müßte ich ja jeden Süchtigen abwerten und nicht ernstnehmen etc. - sondern ich möchte einfach nur die Umstände und Hintergründe für Selbstmitleid mal ein bissl besser verstehen können - was ist daran denn falsch oder abwertend?

Mir helfen die Beiträge der anderen da grade gut weiter - viele Denkanstöße,vieles,was ich hínterfrage,bei mir selber,wie auch bei den Beobachtungen,die ich mache - bitte bitte,nicht gleich wieder im Keim ersticken!Finds grad so wertvoll!

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