Übernahme 'fremder' Verhaltensweisen? Name dafür?

Hier können Sie Fragen zu Begriffen, Diagnosen und sonstigen Fachworten stellen, die einem gelegentlich im Zusammenhang mit Psychologie und Psychotherapie begegnen oder die Bedeutung von Begriffen diskutieren.
Antworten
Benutzeravatar

Thread-EröffnerIn
SamuelZ.
[nicht mehr wegzudenken]
[nicht mehr wegzudenken]
männlich/male, 29
Beiträge: 2154

Übernahme 'fremder' Verhaltensweisen? Name dafür?

Beitrag Do., 07.10.2010, 17:42

Hallo zusammen,

ich suche mal wieder ein Wort.

Es geht darum, dass mir aufgefallen ist, dass ich manchmal emotionale Zustände und dazu gehörende Verhaltensweisen erlebe bzw. an den Tag lege, die ich v.a. von meinen Eltern kenne.
Ich fühle mich in solchen Momenten oftmals getrieben und unglücklich. Verhalte mich auf eine Weise, die mir nicht gefällt und die mir irgendwie fremd vorkommt.

Beispiel: Heute rannte ich mal wieder fluchend durch meine Wohnung, Musik laut gestellt, um ein Regal aufzubauen. Als ich mal auf dem Klo war und dort in den Spiegel schaute, zeigte ich der Welt den Stinkefinger und fluchte weiter: "Fuck you all", etc.

Mir selbst kam das alles sehr eigenartig und fremd vor. Trotzdem ließ es sich nicht verhindern.

Als ich dann das Regal aufbaute, erinnerte ich mich an meinen Vater, wie er damals fluchte, wenn er ohne jede Geduld Tätigkeiten im Haushalt erledigen sollte und irgendwas dabei schief lief.

Ich fühlte mich plötzlich wie eine Marionette. Als mir das klar wurde, kamen plötzlich die Tränen, ich brach zusammen und heulte vor dem halb zusammengebauten Regal.

Da fühlte ich mich wieder wie ein Kind, mit der Angst des Kindes vor dem Ärger und den Aggressionen des Vaters, der ungeduldig und vulgär zurückweist. Mir wurde klar wie Kloßbrühe, dass mein vorheriges Verhalten und die Gefühle nicht die meinigen waren. Ich habe da etwas "nachgespielt".

So:

Wie nennt sich das, wenn man also Verhaltensweisen an den Tag legt, die man von anderen übernommen hat, aus welchem Grund auch immer?

Kann man da von einem Übergang in ein Alter Ego sprechen??? Oder die unbewusste Identifikation mit alten Über-Ichs????

Wisst ihr was ich meine??????

Über Spekulationen und Ideen oder Nachfragen würde ich mich sehr freuen.

lg Sandy

Werbung

Benutzeravatar

Proge
Helferlein
Helferlein
männlich/male, 37
Beiträge: 111

Beitrag Do., 07.10.2010, 18:18

Hallo SandyZ.!

Ich bin mir nicht 100%ig sicher ob ich damit richtig liege, aber mir scheint das Wort, welches du suchst das sogenannte "spiegeln" zu sein.

Als "neue" Menschen lernen wir mit der Welt zu kommunizieren, indem wir spiegeln - wir ahmen nach. Gesten, Geräusche, später Worte. Das hört aber nicht bei der weiteren Entwicklung auf, sondern geht eigentlich unser ganzes Leben lang so. Durch das spielerische Nachahmen lernen wir. Leider oft genug auch später unerwünschte oder manchmal nur ungünstige Verhaltensweisen.

Wenn es das wirklich sein sollte, wäre es bestimmt interessant, warum du dich ausgerechnet bei einer Handlung ertapptest, die du als Kind als dermassen unangenehm an deinem Vater empfunden hast? Als Abwehrmechanismus könnte ich es mir gut vorstellen, doch wogegen?
War das Aufbauen des Regals tatsächlich der Auslöser für deinen Verhaltenswechsel oder war vielleicht kurz zuvor noch etwas anderes passiert? Etwas, das dich erst in diese Stimmung gebracht hatte?

Lass hören, was du darüber rausgefunden hast!

Bye,
Ghostvoice!
I'm not here - I'm just your imagination!

Benutzeravatar

neko
Forums-Gruftie
Forums-Gruftie
weiblich/female, 45
Beiträge: 599

Beitrag Do., 07.10.2010, 18:27

ich plädiere für introjektion von täteranteilen...sorry, klingt sehr drastich, trifft es aber glaube ich

Benutzeravatar

hawi
[nicht mehr wegzudenken]
[nicht mehr wegzudenken]
männlich/male, 61
Beiträge: 2679

Beitrag Do., 07.10.2010, 19:09

SandyZ. hat geschrieben:
Als ich dann das Regal aufbaute, erinnerte ich mich an meinen Vater, wie er damals fluchte, wenn er ohne jede Geduld Tätigkeiten im Haushalt erledigen sollte und irgendwas dabei schief lief.

Ich fühlte mich plötzlich wie eine Marionette. Als mir das klar wurde, kamen plötzlich die Tränen, ich brach zusammen und heulte vor dem halb zusammengebauten Regal.

Da fühlte ich mich wieder wie ein Kind, mit der Angst des Kindes vor dem Ärger und den Aggressionen des Vaters, der ungeduldig und vulgär zurückweist.
Hallo Sandy,

auch wenn das deine Frage wohl nicht ganz, nicht direkt beantwortet, aber mindestens diesen Teil deiner Einleitung würde ich „Flashback“ nennen.
„Das Ärgerlichste in dieser Welt ist, daß die Dummen todsicher
und die Intelligenten voller Zweifel sind.“
Bertrand Russell

Werbung

Benutzeravatar

stern
[nicht mehr wegzudenken]
[nicht mehr wegzudenken]
weiblich/female, 99
Beiträge: 25012

Beitrag Do., 07.10.2010, 19:14

Ich würde es auch als Introjektion bzw. Introjekt bezeichnen... die Beschreibung auf wiki ist allerdings sehr bescheiden dazu. Mal sehen, ob ich noch was greifbares finde. Das fiese daran: Ja, da ja sozusagen etwas Fremdes einverleibt wurde (sei es eine Norm, Verhalten, Entwertungen (die zur eigenen Abwertung führen können => Selbstentwertung, analog Aggressivität etc.), fühlt es sich auch wie ein Fremdkörper an... nichtsdestrotz sieht man es aus meiner Erfahrung/Kenntnisstand heraus so (und da musste ich erstmal schlucken), dass das Introjekt mittlerweile (also mit der Introjektion) ein eigener Anteil geworden ist, der mithin vom (externen) "Verursacher" (oder wie auch immer) zu unterscheiden ist.
Liebe Grüße
stern 🌈💫
»Je größer der Haufen,
umso mehr Fliegen sitzen drauf
«

(alte Weisheit)

Benutzeravatar

Thread-EröffnerIn
SamuelZ.
[nicht mehr wegzudenken]
[nicht mehr wegzudenken]
männlich/male, 29
Beiträge: 2154

Beitrag Do., 07.10.2010, 21:32

Hallo, ihr Lieben!

Vielen Dank für eure hilfreichen und interessanten Hinweise!

- Spiegeln
- Flashbacks
- Introjektion von Täteranteilen

Ich werde mir darüber in den nächsten Tagen Gedanken machen. Wie stern schon sagte, sind Täteranteile häufig ja gar nicht bewusst. Deshalb empfinde ich den Zwischenfall von vorhin als eine positive Entwicklung hin zu mehr Bewusstheit dessen, was da in sonst verborgenen Bereichen meiner Psyche mir das Leben zur Hölle macht.

Auch die Erinnerung und das damit verbundene Gefühl als ich noch klein war, waren sehr intensiv und authentisch. Ich hatte das Gefühl, als würde ich meine häufig schleichenden, depressiven Gefühle ganz elementar und gebündelt empfinden.

@stern: über die neue Sichtweise von Introjektionen habe ich auch was gelesen. Es geht wohl darum, anzuerkennen, dass die Gefühle trotz allem die eigenen Gefühle sind, man die Schattenseiten seiner Selbst anerkennen lernen muss. Meine "Opfer-Gefühle" beruhigt das aber in keinster Weise.

Benutzeravatar

Wasserdrache
Forums-Insider
Forums-Insider
weiblich/female, 33
Beiträge: 212

Beitrag Do., 07.10.2010, 21:56

http://istdp.de/

Hatte mir geholfen ein übeles Introjekt zu eleminieren.
War bei einem Thera der auch mit Kriegsopfern arbeitete, war sein Preis alle male wert.
Wunder entstehen dann, wenn einer mehr tut, als er muss.
Hermann Gmeiner, Gründer der SOS-Kinderdörfer (1919-1986)

Benutzeravatar

stern
[nicht mehr wegzudenken]
[nicht mehr wegzudenken]
weiblich/female, 99
Beiträge: 25012

Beitrag Do., 07.10.2010, 23:35

Noch ein Nachtrag:
Kann man da von einem Übergang in ein Alter Ego sprechen??? Oder die unbewusste Identifikation mit alten Über-Ichs????
Ich würde sagen, auch die Beschreibungen treffen es eigentlich sehr gut. Was heißt "Alter Ego"... anderes/zweites Ich? Ich würde "es" "einfach" als eigenen Selbstanteil (= z.B. Introjekt oder täteridentifzierter Anteil) sehen, der neben anderen Anteilen auch im eigenen=einen Ich vorhanden ist (wenngleich manchmal/meist (?) eher im Untergrund, dafür aber mit umso mehr Konfliktpotential). Und auch die Identifikation trifft es IMO gut... wobei ich gerade nicht gut abgrenzen kann, was der genaue Unterschied zwischen Introjektion und Identifizierung ist (vielleicht ist auch beides dasselbe, keine Ahnung). Gemeinsamkeit ist jedenfalls, dass beides Verinnerlichungsprozesse beschreibt. Und in dem Sinne:
Es geht wohl darum, anzuerkennen, dass die Gefühle trotz allem die eigenen Gefühle sind, man die Schattenseiten seiner Selbst anerkennen lernen muss.
Sehe ich auch ähnlich... zumal ja solche "problematischen" Anteile gerne auch ganz abgespalten/abgewehrt werden, was umso mehr dazu führt, dass sie aus dem Untergrund heraus ihr Unwesen weitertreiben. Wahhh, wie soll ich es beschreiben ohne dass es sich allzusehr befremdlich anhört: Eine (FIKTIVE!) Aufteilung in verschiedene Selbstanteile hilft mir mitunter schon sehr dabei, etwas anzusehen/annehmen zu können, ohne es komplett auf meine Person beziehen zu müssen. Sondern es ist dann eben ein Anteil (neben anderen, wobei die genaue Bezeichnung mir egal ist) der anders/fremd/widersprüchlich etc. "tickt". Und es versetzt mich evtl. auch in die Lage etwas annehmen zu können, ohne es als absolut gar nicht zu mir und zu meiner Person gehörig zu sehen (was wohl sowas wie eine Abwehr wäre, mit den genauen Begriffen bin ich nicht so firm).

Und was heißt Schattenseite... ich meine es hat ja auch eine Funktion gehabt, wenn sich solche Anteile oder Verhaltensweisen ausbildeten, die häufig eine wichtige Schutzfunktion ist/war. Dass eine solches Erlebnis dennoch erstmal alles andere als beruhigend für dich ist, kann ich nachvollziehen... aber vielleicht kannst du das mit deinem Thera ja noch näher aufdröseln und aufzulösen.
Liebe Grüße
stern 🌈💫
»Je größer der Haufen,
umso mehr Fliegen sitzen drauf
«

(alte Weisheit)

Benutzeravatar

Messina
Forums-Insider
Forums-Insider
weiblich/female, 29
Beiträge: 375

Beitrag Fr., 08.10.2010, 06:33

Nur mal ganz simple eingeworfen: ist das nicht normal und Dein Bewusstwerden der Situation schon ein super, aber schmerzhafter Fortschritt?
Kinder nehmen Ihre Eltern als Vorbilder. Ob gut oder schlecht, dass ist in dem Moment unerheblich.
Bsp. Mutter ist schwanger, Kind imitiert den Gang der Mutter und behält dies meist als ganz natürlich bei. War jetzt nur als plastisches Beispiel genannt.

Du hattest damals keine Wahl!
Wie hättest Du damals analysieren und reflektieren sollen?
Heute kannst Du es, aber wissen wir nicht alle, wie schmerzhaft das ist.

Von daher würde ich grob sagen: Du gibst das wieder, was Du von Deinen "Vorbildern" gelernt hast.
Könnten übrigens auch Kindergärtner oder Lehrer sein

LG
ME
Manchmal muss man einem Menschen den man liebt loslassen, damit er glücklich sein kann auch wenn man selbst daran zerbricht.

Werbung

Antworten
  • Vergleichbare Themen
    Antworten
    Zugriffe
    Letzter Beitrag