Keine Diagnostik / Behandlung trotz Betreuung

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Lilly111
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Keine Diagnostik / Behandlung trotz Betreuung

Beitrag Di., 31.01.2012, 11:59

Hallo,

ich habe ein Verständnisproblem. Vielleicht kennt sich hier jemand aus und kann etwas Licht ins Dunkel bringen. Schon vorab Danke dafür.

Der Sachverhalt....
Eine gute Freundin steht unter umfassender Betreuung (also in allen Lebensbereichen einschließlich gesundheitlich/medizinisch) aufgrund einer schweren Erkrankung. Vor kurzem verschlechterte sich ihr Gesundheitszustand, so dass sie ins Krankenhaus musste. Dort findet natürlich zuerst eine Diagnostik statt, der sie sich aber verweigerte. Aufgrund dessen verlegte man in sie in die Psychiatrie. Wohl in der Hoffnung bzw. Annahme, dass man sie dort in einen Zustand bringen könnte, der weitere Untersuchungen ermöglicht. Das war leider nicht erfolgreich, da sie auch dort jede Zusammenarbeit verweigerte. Mehr noch, inzwischen läßt sie nichts und niemanden mehr an sich heran. Es sind keine Blutentnahme oder andere einfache Dinge mehr möglich und sie nimmt auch keine Medikamente mehr. Die sie aber braucht und bis vor einer Woche auch genommen hat. Derzeitiger Stand der Dinge ist, dass keine Diagnostik und keine Behandlung mehr stattfinden, weil man sie durchaus für einwilligsfähig hält und sie somit selbst entscheidet, was gemacht wird oder eben nicht.

Aber wozu gibt es dann die Betreuung? Aussage der Betreuerin ist, dass es praktisch für jede einzelne Diagnostik oder Behandlung eine Gerichtsentscheidung geben muss (also nicht sie als Betreuerin das einfach entscheiden darf) und das Gericht einer Zwangsdiagnostik niemals zustimmen würde, da meine Freundin ja einwilligungsfähig ist. Sie weiß was sie will und das schließt jegliche Zwangsmaßnahmen aus. Die Ärzte in der Psychiatrie sehen das offenbar ähnlich. Keine Zwangsmaßnahmen. Was ich natürlich grundsätzlich auch befürworte. Aber wie weit ist jemand tatsächlich in der Lage seinen eigenen Gesundheitszustand zu beurteilen, wenn er lebenswichtige Medikamente verweigert und einfachste Diagnostik nicht zuläßt? Eine Krankheitseinsicht ist - zumindest auf eine bestimmte Krankheit bezogen, die jetzt auch den Krankenhausaufenthalt notwendig machte - nicht vorhanden. Das wissen die Ärzte und die Betreuerin.

Das ist die Quadratur des Kreises. Keiner möchte die Verantwortung übernehmen. Ohne geht es aber nicht. Weil nichts tun - so wie jetzt - auch (fehlende?) Verantwortung ist. Durch die Blume haben die Ärzte in der Psychiatrie gesagt, dass man nun praktisch darauf wartet, bis ein lebensbedrohlicher Zustand entsteht und dann kann und muss man natürlich handeln. Vorher nicht. Also schauen wir jetzt alle gemeinsam zu, wie meine Freundin langsam vor die Hunde geht und warten auf den Kollaps.

Das kann's nicht sein. Oder doch?

Lilly
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Emi2010
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Beitrag Di., 31.01.2012, 12:51

Also das klingt komisch und widerspricht sich etwas.Wenn sie eine Betreuung für alle Bereiche hat. Kann/Muß der Betreuer Entscheidungen für sie treffen.Wozu sonst die Betreuung? Vielleicht hast du es falsch verstanden und es gibt für die med.Sachen keine Betreuung? Sondern vielleicht nur für das finanzielle?
Ich denke jedoch,daß die Ärzte im Krankenhaus über alle Betreuungspunkte informiert sind und somit auch alles in die Wege leiten würden.

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Lilly111
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Beitrag Di., 31.01.2012, 13:16

Hallo Emi,

danke für deinen Beitrag.
Mir ist bewußt, dass das Geschriebene klingt, als wenn ich selbst nicht ganz bei mir wäre.
Aber ich kann es nur nochmal genauso bestätigen.

Es werden keine Entscheidungen getroffen (ausser die eine - nichts zu tun) und das Krankenhaus hat nichts in die Wege geleitet sondern meine Freundin stattdessen wieder entlassen.

Der nächste Gedanke (hier, wo man nur einen Teil der Geschichte kennt) wäre vielleicht: 'na, vllt. ist sie ja gar nicht so krank.' Doch, ist sie. Das hat man seit Jahren schwarz auf weiß und es wurde durch eine Untersuchung vor wenigen Tagen (die noch möglich war vor dem völligen Blockieren) nochmals bestätigt. Es besteht also schon Handlungsbedarf.

Nur will niemand handeln, weil meine Freundin noch in der Lage ist zu sagen: Ich will nicht!

Lilly
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hawi
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Beitrag Di., 31.01.2012, 13:20

Hallo Lilly!

Das liest sich übel.
Das erste, was mir sofort in den Sinn kommt: Ich hoffe, du passt dabei vor allem auch auf dich selbst auf!!!! Denn ich denk, wer bei so was zusehen muss, das erleben muss, noch dazu bei jemandem recht nahen, der vergisst dabei ganz schnell sich selbst.

Was ich als Geschichte lese?!
Ich find schon, dass die, die da Verantwortung tragen, sie anscheinend so wahrnehmen, wie ich es für richtig halte.
So lange jemand insgesamt fähig ist, selbst Entscheidungen zu treffen, kann/darf/sollte halt diese Entscheidungen ihm/ihr keiner abnehmen.
Klingt vielleicht kalt, aber Entscheidungsfähigkeit heißt ja auch bei gesunden Menschen nicht, dass sie sich stets richtig entscheiden.
Selbstbestimmtheit, das Recht dazu, ist so schlussendlich auch das persönliche Recht, falsch zu entscheiden, auch für sich selbst.
Eingreifen? Jemanden zu was zwingen? Geht, so lange er für „zurechnungsfähig“ gehalten wird, erst, wenn es darum geht, sein Leben zu erhalten, also z.b. durch Zwangsernährung oder auch dann, wenn er für andere zu einer Gefahr wird.
Alles andere? Zwang, nur weil es von außen betrachtet fast danach schreit, eigentlich richtig wäre? NEIN!

Ich würde gern was Hilfreicheres schreiben! Aber dann schriebe ich etwas, das gegen meine eigenen Überzeugungen ist.

Sorry
hawi
„Das Ärgerlichste in dieser Welt ist, daß die Dummen todsicher
und die Intelligenten voller Zweifel sind.“
Bertrand Russell

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Emi2010
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Beitrag Di., 31.01.2012, 13:24

Hm,aber wenn sie eine Betreuung hat für med.Bereich dann muß die Betreuerin Entscheidungen treffen. Du könntest ja mal beim sozial-psychiatrischen Dienst nachfragen.Die kennen sich mit sowas aus und können dich sicherlich gut beraten. Besteht denn durch die Ablehnung der med.Versorgung Gefahr für das Leben deiner Freundin? Und wie wichtig sind die Medikamente und Untersuchungen die sie ablehnt? Vielleicht ist es gar nicht so schlimm oder grenzwertig? So das vielleicht deshalb abgewogen wird,erstmal abzuwarten.Denn gegen den Willen eines Menschen zu handeln,ist immer traumatisierend!!

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Lilly111
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Beitrag Di., 31.01.2012, 14:24

@hawi

Grundsätzlich stimme ich dir zu.
Wenn ich bei Krebs eine Chemo ablehne, muss ich auch die Konsequenzen tragen. Kein Problem.
Das Problem fängt in meinen Augen aber da an, wo eben nicht mehr sicher ist, ob der Kranke die Konsequenzen wirklich überblicken kann.
Klingt vielleicht kalt, aber Entscheidungsfähigkeit heißt ja auch bei gesunden Menschen nicht, dass sie sich stets richtig entscheiden.
Ich billige jedem falsche Entscheidungen zu. Die Frage ist aber, wer über diese Entscheidungsfähigkeit befindet.
Oder anders: wann wird diese einem Menschen abgesprochen?
Aber das führt zu weit .... Ich will hier auch nicht alle Details ausbreiten.
Das erste, was mir sofort in den Sinn kommt: Ich hoffe, du passt dabei vor allem auch auf dich selbst auf!!!! Denn ich denk, wer bei so was zusehen muss, das erleben muss, noch dazu bei jemandem recht nahen, der vergisst dabei ganz schnell sich selbst.
Danke für die Anteilnahme. Ich versuche es. Mit dem Aufpassen.
Erst auf mich, dann auf die anderen. Sonst bin ich selbst nicht mehr in der Lage zu helfen.

@Emi
Ja eben. Ich frage mich ja auch wozu es denn überhaupt die umfassende Betreuung gibt. Ich begreife einfach den ganzen Werdegang nicht. Eigentlich (!) ist der Ansprechpartner für die Ärzte die Betreuerin, sie wird gefragt, ob bspw. operiert werden darf oder nicht. Sie sagt Ja, meine Freundin sagt Nein und dann wird nicht operiert. Muss man das verstehen? Ich tue es nicht!
Besteht denn durch die Ablehnung der med.Versorgung Gefahr für das Leben deiner Freundin?
Das weiß man nicht so genau, weil man mit der Diagnostik nicht so weit kam. Aber unmittelbare Lebensgefahr natürlich nicht. Sonst müssten die Ärzte handeln bzw. es wäre unterlassene Hilfeleistung.
Und wie wichtig sind die Medikamente und Untersuchungen die sie ablehnt?
Wenn sie die Medikamente über einen längeren Zeitraum ablehnt (momentan hoffen wir, dass sie wenigstens die irgendwann wieder nimmt), dann besteht ein höheres Risiko eines Morgens nicht mehr wach zu werden. Die Untersuchungen wären für die genaue Abklärung und wahrscheinliche OP-Vorbereitung wichtig gewesen. Welche Risiken sich aus einer Nicht-OP ergeben, kann niemand wirklich abschätzen. Das kann Jahre gut gehen, es kann aber auch mal ganz schnell ganz akut zu einer lebensbedrohlichen Situation führen. Deshalb gab es auch die Notaufnahme ins Krankenhaus. Aber ging halt nochmal gut, sozusagen falscher Alarm. Bis zum nächsten Mal...
Denn gegen den Willen eines Menschen zu handeln,ist immer traumatisierend!!
Ja. Das hat im Grunde aber schon stattgefunden. Die Verlegung in die Psychiatrie war nicht freiwillig. Wenn es dann wenigstens noch was gebracht hätte! Aber so wie jetzt der Stand der Dinge ist, geht's (fast) nicht mehr schlimmer. Es gibt keine Untersuchungsergebnisse, keine OP, aber dafür ist das Vertrauen in Ärzte und Medikamente wieder für ganz lange Zeit zerstört.

Lilly
... die gerade im Dreieck hopsen könnte
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Emi2010
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Beitrag Di., 31.01.2012, 18:25

Viel Möglichkeiten hast du jetzt nicht.Du könntest nochmal versuchen mit deiner Freundin zu sprechen,vielleicht läßt sie sich umstimmen/überzeugen. Oder auch nochmal das Gespräch mit der Betreuerin suchen.Eine andere Möglichkeit hast du wohl momentan nicht

Alles Gute und viel Glück

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Lilly111
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Beitrag Di., 31.01.2012, 21:08

Danke Emi.

Ich kann und will das momentan noch nicht so einfach auf sich beruhen lassen.
Zum einen weil ich den ganzen Ablauf nicht verstehe, zum anderen weil ich auch in die Zukunft denke.
Bleibt mir wohl weiter nichts übrig als mich in das Betreuungsrecht einzulesen.
Ist ja nicht so, dass ich irgendwen verklagen will, aber ein bisschen Sicherheit, dass da alles richtig läuft, wäre schon schön. Die fehlt mir momentan komplett.

Beim sozial-psychiatrischen Dienst könnte ich es auch noch versuchen. Ich hatte mir vor Monaten - als es schon mal eine Akutsituation gab - bei einer ähnlichen Beratungsstelle Hilfe geholt. Die waren zwar grundsätzlich kooperativ und sicher auch kompetent, aber das ganze Gespräch blieb sehr allgemein, weil ich ja nur die Freundin bin. Beim Anwalt habe ich ähnliche Erfahrungen gemacht. Noch dazu für teures Geld eine direkt falsche Auskunft erhalten. Aber immerhin hat sie sich schon vorher dafür entschuldigt. Sagte gleich, dass es für Betreuungsrecht als Teil des Familienrechts praktisch keine Spezialisten gibt. Sie war auch keine.

Ich komme mir vor, als wenn ich ständig gegen Mauern laufen würde.
... und dahinter ist meine Freundin.

Lilly
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marburger
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Beitrag Mo., 06.02.2012, 12:47

Hallo Lilly,

vielleicht hat sich mittlerweile ja etwas in der Sache getan. Es ist ja schon fast eine Woche vergangen.
Erstmal finde ich es echt gut, wie Du versuchst, Deiner Freundin zu helfen.

Ich muss sagen, dass ich mich in der Rechtslage auch nicht ganz so gut auskenne und es mich auch etwas verwundert hat, dass die Betreuerin da nicht viel machen kann. Jedoch gibt es ja verschiedene Formen von Betreuungen und wenn Deine Freundin für die Ärzte noch einwilligungsfähig scheint, dann kann die Betreuerin da wahrscheinlich auch wenig machen.

Hast Du denn schon mal mit Deiner Freundin geredet? Das hatte Emi ja auch schon vorgeschlagen.
Oder hast Du Angst davor, dass Du ihr damit gegen den Kopf stößt und sie noch mehr "zumacht"?
Wenn Du Deiner Freundin sagen würdest, dass Du Dich um ihre Gesundheit sorgst und Angst um sie hast, dann denkt sie vielleicht noch eher darüber nach, als wenn das "irgendwelche" Ärzte oder Psychologen machen.

Viel Erfolg mit dem, was Du unternimmst!

marburger

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stern
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Beitrag Mo., 06.02.2012, 13:26

Derzeitiger Stand der Dinge ist, dass keine Diagnostik und keine Behandlung mehr stattfinden, weil man sie durchaus für einwilligsfähig hält und sie somit selbst entscheidet, was gemacht wird oder eben nicht.

Aber wozu gibt es dann die Betreuung?
Die Betreuung "greift" m.W. dann (aber komplexes Thema), wenn der Betreute nicht einwilligungsfähig ist... also soweit der Betreute einwilligungsfähig ist, darf der Betreuer nicht stellvertretend für den Betreuten eine Einwilligung für eine Krankenbehandlung geben. Letztlich Ausdruck des Persönlichkeitsrecht, dass man nicht zu einer Behandlung gezwungen werden kann, sofern man in der Lage ist, darüber zu entscheiden.
und das Gericht einer Zwangsdiagnostik niemals zustimmen würde, da meine Freundin ja einwilligungsfähig ist.
ja, unter der Vorausetzung der Einwilligungsfähigkeit anzunehmen
Aber wie weit ist jemand tatsächlich in der Lage seinen eigenen Gesundheitszustand zu beurteilen, wenn er lebenswichtige Medikamente verweigert und einfachste Diagnostik nicht zuläßt? Eine Krankheitseinsicht ist - zumindest auf eine bestimmte Krankheit bezogen, die jetzt auch den Krankenhausaufenthalt notwendig machte - nicht vorhanden. Das wissen die Ärzte und die Betreuerin.
Ich weiß, was du meinst.... aber auf die Krankheitseinsicht kommt es wohl weniger an... sondern eher ob jemand in der Lage ist, "bei klarem Verstand" Entscheidungen zu treffen. Der Arzt hat über die Behandlung, deren Risiken und die Alternativen aufzuklären und eine eigene Entscheidung des Betreuten herbeizuführen. Wer das "aufnehmen bzw. verarbeiten" kann (grob gesagt), ist einwilligungsfähig... und dann hat man auch das Recht sich dahin zu entscheiden, seiner Gesundheit zu schaden, makaber gesagt . Iss aber so.
Keiner möchte die Verantwortung übernehmen.
Weil es so gesehen wird, das sie diese für sich noch übernehmen kann... und sich somit auch gegen ärztliche Maßnahmen entscheiden kann (die ja auch Risiken haben bzw. per se ein körperlicher Eingriff sind, also jede ärztliche Behandlung ohne Einwilligung wäre gar als Körperverletzung strafbar.. gilt auch für z.B. Blutentnahme).

Mehr als versuchen, ob Menschen zu denen sich vertrauen hat, mehr Zugang zu hier haben, gibt es vermutlich in der Situation wirklich nicht... mir fällt zumindest keine Alternativ ein
Zuletzt geändert von stern am Mo., 06.02.2012, 13:57, insgesamt 1-mal geändert.
Liebe Grüße
stern 🌈💫
»Je größer der Haufen,
umso mehr Fliegen sitzen drauf
«

(alte Weisheit)

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Lilly111
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Beitrag Mo., 06.02.2012, 13:56

Hallo marburger,

Danke dir für die lieben Zeilen.
Tut gut zu lesen, dass ich nicht die Einzigste bin, die den Sachverhalt nicht so ganz nachvollziehen kann.

Es gibt gute und schlechte Neuigkeiten...

Die gute ist: Meine Freundin nimmt wieder ihre Tabletten und hat den Krankenhausaufenthalt wohl ganz gut verkraftet. Zumindest scheint nach aussen hin wieder alles okay zu sein.

Die schlechte ist: Ich bin kein Stück weiter mit meinen Recherchen. Dafür werden die Schuldgefühle täglich grösser (warum genau möchte ich hier nicht näher schreiben).
Jedoch gibt es ja verschiedene Formen von Betreuungen und wenn Deine Freundin für die Ärzte noch einwilligungsfähig scheint, dann kann die Betreuerin da wahrscheinlich auch wenig machen.
Es ist schon eine umfassende Betreuung für alle Lebensbereiche.
Mit dem "einwilligsfähig" ist eben der Dreh- und Angelpunkt. Sie hatte vor Monaten einen schweren Schlaganfall. Als Folge dessen ist die Sprachfähigkeit, aber auch das Sprachverständnis stark eingeschränkt. D.h. kein Mensch weiß sicher, ob und was meine Freundin wirklich versteht und wo und wann sie nur mal so 'Ja' oder 'Nein' sagt. Was natürlich nicht heißt, dass ihre Entscheidungen ausschließlich nonsens sind. Aber genauso sicher scheint zu sein, dass sie nicht mehr in der Lage ist komplexe Zusammenhänge zu erfassen. Was eine OP-Entscheidung ja wohl darstellt. Und trotzdem überläßt man ihr die Entscheidung. Warum???
Hast Du denn schon mal mit Deiner Freundin geredet?
Die Frage ist mit den Erklärungen oben zum Teil beantwortet, ja?
Was diese OP angeht, da hat meine Freundin keine Krankheitseinsicht (auch früher schon nicht). Ihrer Meinung nach besteht kein Handlungsbedarf. Wenn ich hier schreiben würde, worum es sich handelt.... Ich lasse es. Ist zu schockierend.

Ich habe auch Kontakt zu ihrem Logopäden. Er bemüht sich sehr und erklärte mir bspw. was genau eine Aphasie ist und welche Möglichkeiten, aber auch Grenzen es in der Heilung gibt.

Mit der Betreuerin komme ich auch nicht weiter. Ich lasse mich bestimmt nicht so schnell abwimmeln, aber wenn jemand partout nicht gesprächsbereit ist, ist man machtlos.

@stern
Danke auch dir für deinen Beitrag.
aber auf die Krankheitseinsicht kommt es wohl weniger an... sondern eher ob jemand in der Lage ist, "bei klarem Verstand" Entscheidungen zu treffen.
Das ist der Punkt !
So gesehen hat sie es schriftlich, dass ihr der klare Verstand abgesprochen wird. (Das jetzt bitte mal nicht falsch verstehen. Meine Freundin tut mir unendlich leid, aber wenn ich versuche das zu verstehen und helfen will, muss ich die Emotionen auch teils beiseite schieben.)
Der Arzt hat bei gegebener Einwilligungsfähigkeit vielmehr über die Behandlung, deren Risiken und die Alternativen aufzuklären und eine eigene Entscheidung des Betreuten herbeizuführen. Wer das "aufnehmen bzw. verarbeiten" kann ist einwilligungsfähig... und dann hat man auch das Recht seiner Gesundheit zu schaden, makaber gesagt
Ja. Uneingeschränkte Zustimmung.
Aber wer entscheidet darüber ob ein Patient dazu in der Lage ist oder nicht?
Soweit mir bekannt ein Psychiater. Nach welchen Kriterien? Welche Tests werden da gemacht? Rot und Grün unterscheiden zu können reicht aus? (Sorry, bin nur gerad mal wieder bisschen angepiekst.) Es würde mich schon näher interessieren, wie diese Beurteilung der Einwilligungsfähigkeit abläuft. Ob es allgemeingültige Verfahren gibt oder ob das doch mehr im persönlichen Ermessen des Arztes liegt.

Lilly
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Lilly111
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Beitrag Di., 07.02.2012, 19:06

Nachfolgend ein Zitat aus Btprax - OnlineLexikon Betreuungsrecht:

Um eine solche Rechtfertigungswirkung zu erzielen, muss aber vorausgesetzt werden, dass der Patient weiß, worin er einwilligt. Die Rechtsprechung hat deswegen folgenden Grundsatz erarbeitet,

Einwilligungsfähig ist, wer Art, Bedeutung und Tragweite (Risiken) der ärztlichen Maßnahme erfassen kann. (BGH, Urteil vom 28.11.1957, 4 Str 525/57; BGH NJW 1972, 335; OLG Hamm FGPrax 1997, 64).

Dabei kommt es freilich nicht im eigentlichen Sinne auf die Geschäftsfähigkeit des Patienten an, sondern auf seine Fähigkeit, die Komplexität des Eingriffs konkret zu erfassen. Diese Fähigkeit kann je nach der Art des Eingriffs und der Verfassung des Patienten auch bei dem Geschäftsunfähigen gegeben sein oder bei dem Geschäftsfähigen fehlen. Sie ist in erster Linie durch den jeweiligen Arzt zu beurteilen, auf dessen Strafbarkeit es ja auch ankommt.

Für die Beurteilung, ob der Patient im Hinblick auf den anstehenden medizinischen Eingriff nach seiner natürlichen Einsichts- und Steuerungsfähigkeit Bedeutung, Tragweite und Risiken erfassen und seinen Willen hiernach bestimmen kann, haben sich folgende Kriterien herausgebildet:

Je komplexer der Eingriff ist, in den eingewilligt werden soll, desto höher sind die juristischen Anforderungen, die an die Einwilligungsfähigkeit zu stellen sind.

Hieraus ergeben sich folgende Voraussetzungen für eine Einwilligungsfähigkeit:

Der Patient muss über die Fähigkeit verfügen, einen bestimmten Sachverhalt zu verstehen (Verständnis);
der Patient muss die Fähigkeit besitzen, bestimmte Informationen, auch bezüglich der Folgen und Risiken, in angemessener Weise zu verarbeiten (Verarbeitung);
der Patient muss die Fähigkeit besitzen, die Informationen, auch im Hinblick auf Behandlungsalternativen, angemessen zu bewerten (Bewertung)
der Patient muss die Fähigkeit haben, den eigenen Willen auf der Grundlage von Verständnis, Verarbeitung und Bewertung der Situation zu bestimmen (Bestimmbarkeit des Willens)

Bei psychisch kranken, dementen oder in sonstiger Weise in ihrer Willensbildung beeinträchtigten Patienten ist also stets im Einzelfall zu prüfen, ob Einwilligungsfähigkeit gegeben ist oder nicht.


http://wiki.btprax.de/Einwilligungsf%C3%A4higkeit

Wie im Artikel weiter ausgeführt wird, entscheidet der jeweils behandelnde Arzt über die Einwilligungsfähigkeit, da auch er im Falle eines Falles wegen Körperverletzung verklagt werden kann. Soweit verständlich. Praktisch heisst das dann aber auch, dass bspw. ein Chirurg etwas beurteilt, wozu üblicherweise (nur) ein Psychiater in der Lage ist.

Je mehr ich mich in das Thema einlese, desto mehr verstärkt sich mein Eindruck, dass sich mehr als ein Arzt vor der Verantwortung drückt.

(@hawi, ich schätze deine Beiträge, aber bei dem Thema bin ich schlicht anderer Meinung.)


Lilly
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hawi
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Beitrag Mi., 08.02.2012, 09:17

Hallo Lilly!

Einen Link, den ich selbst schon posten wollte, hast du ja schon entdeckt.
Hier trotzdem noch mal die beiden, die ich ganz gut fürs Thema finde:

http://www.juristische-betreuung.de/ges ... rsorge.php
http://wiki.btprax.de/Einwilligungsf%C3%A4higkeit

Ja, einer Meinung dazu sind wir wohl grad nicht.
Für einen Teil, wie ich finde wichtigen Teil deines Threads, scheint mir das aber gar nicht so wichtig. Und das ist der Teil, wo es erst mal nur drum geht, zu durchschauen, was da denn nun wie warum abläuft bei einer Betreuung. Mehr Grundlage, Information darüber. Dann? Um wirklich eindeutig zu urteilen, ob deine Meinung stimmt oder nicht stimmt?! Ich würde da selbst lieber die Finger von lassen, weil doch Menge (mehr) an Fakten, Informationen dazu da sein müssten und ich dann immer noch als Außenstehender Laie vorsichtig wäre.

Vielleicht aber erst mal auch noch dies:
Statt der früheren Vormundschaft gibt es heute die Betreuung.
Geändert hat sich dadurch zum Guten, dass eben weniger bevormundet wird, werden darf, dass ein Betreuter mit seinem eigenen Willen mehr zählt, dass quasi ständig neu hinterfragt werden muss, ob der Betreute im einzelnen dazu fähig ist, trotz Betreuung selbst zu entscheiden, mit zu entscheiden.
Zwar galt auch bei Vormundschaft, dass der Vormund immer im Sinne des Mündels handeln sollte, aber …….

Heute soll halt so wenig wie möglich bevormundet werden und sogar wenn bevormundet werden muss, sogar dann zählt heute wohl mehr als früher, dass ein Mensch - wie es das Verfassungsgericht formuliert - in gewissen Grenzen das Recht auf „Freiheit zur Krankheit“ hat, wie es ja Stern schon anspricht (und auch in dem von dir zum Teil zitierten Link zu lesen ist)
Ergebnis der heutigen Praxis: Bestimmt wird da immer auch mal wieder „falsch entschieden“. Auch grad deshalb, weil Maßstab für richtig/falsch heute kein allgemeiner sein soll, weil Maßstab der Wille, die Ansichten des Betreuten sein sollen.
Mal als Beispiel: Der zu Betreuende gehört den „Zeugen Jehovas“ an, lehnt deshalb für sich diverse lebenserhaltende ärztliche Behandlungen ab! Wie dort dann wohl für den Betreuten entschieden wird? Betreuer, auch sonst zur Entscheidung Berechtigter? Ich bin jedenfalls froh, dass ich so jemand nicht bin, da selber nicht entscheiden muss.

Kurz noch dazu, wer denn nun entscheidet:
Soweit möglich, der Betreute selbst. Ob er dies jeweils im Einzelfall kann? Rahmen dürfte erst mal die Betreuung selbst sein! Also der Entscheid, der ihn zu einem Betreuten macht, der dem Betreuer überhaupt erst Rechte gibt. In dem Rahmen beurteilt dann vor allem auch der Betreuer selbst zusammen z.B. hier mit den Ärzten, ob der Betreute jeweils einwilligungsfähig ist oder nicht. Psychiater? Erst dann (wieder), wenn es um so schwerwiegende Entscheidungen geht, dass der Betreuer selbst allein gar nicht mehr entscheiden darf. Manches geht ja nur per Gerichtsentscheid. Und das, wenn es das für nötig hält, bedient sich dann vielleicht eines Gutachters, eines Experten.

Mag schon sein, dass ein Psychiater die jeweilige Einwilligungsfähigkeit besser als Betreuer/Ärzte beurteilen kann. Aber: Je mehr jeweils nur Psychiater darüber urteilen dürften, desto bürokratischer würde das Betreuen, würde wohl auch statt des Betreuers der Psychiater selbst zum Entscheider. Etwas, das wohl noch nicht mal die Psychiater selbst wollen würden.

LG hawi
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hawi
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Beitrag Mi., 08.02.2012, 09:58

Noch was „meinungsverschieden“:

Auch wenn hier grad mal individuell zwischen dir und mir auffällt.
Da steckt auch ein wenig generelle Verschiedenheit drin.
Und die wiederum liegt in der Nähe/Distanz zum Fall, zum Thema und vor allem zur betreuten Person. Auch wenns große Unterschiede gibt, aber ich hab das mal bei mir selber feststellen können, als meine Mutter schwer erkrankt war. „Wissen was gut sie war“?! Ab und an war ich da selbst über der Grenze, fing ich an, so meine Sicht heute, meine Mutter zu bevormunden, also ihren „unvernünftigen Willen“ schon auch mal zu mißachten. Mal wohl zu Recht, aber nicht immer!
Was ist da gut? Ein persönlich distanzierter, der überhaupt nicht bevormundet ist wohl genauso verkehrt wie ein zu wenig distanzierter, der aus einem kranken Erwachsenen ein unmündiges Kind macht. Dazwischen? Die richtige Mischung? Ich glaub da mittlerweile kaum noch an „richtig“ nur noch an so wenig falsch wie irgend möglich.
Grad ein Betreuer, grad der, weil der es immer eigentlich nie völlig richtig machen kann, klar beurteile ich den auch, geb ihm nicht einen Freibrief, aber möglichst nicht nur an Hand von Sachverhalten ohne persönliche Kenntnis von Betreuer und Betreuter
Grad verurteilen will und kann ich da für mich nicht.
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Lilly111
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Beitrag Mi., 08.02.2012, 10:55

Hallo hawi !

Danke für's Mitdenken.

Auf andere Punkte gehe ich vllt. später noch ein, erstmal zu "Nähe und Distanz".
Da bin ich genau deiner Meinung. Man kann nur versuchen so wenig wie möglich falsch zu machen. Den Anspruch alles richtig zu machen, habe/hätte ich nicht. Das geht einfach nicht, schon deshalb, weil man für sich selbst in einer vergleichbaren Situation wohl auch unsicher in der Entscheidung wäre. Wie soll man da in einen anderen Menschen reinsehen können? Ein Problem ist aber auch, dass die Betreuerin eine fremde, aussenstehende Person ist. Und dadurch vllt. zu viel Distanz mitbringt. Fall Nr. 0815, wird nach § xy entschieden, fertig.

Ich hätte kein Problem damit zu meiner einmal nach bestem Wissen und Gewissen getroffenen Entscheidung zu stehen. Selbst wenn sie sich im Nachhinein als falsch herausstellen sollte.

Ein bisschen was zur Erklärung (für den Fall, dass der Eindruck entsteht, ich würde meine Freundin bevormunden wollen)...
Der Schlaganfall ist vor einigen Monaten passiert. Seitdem war meine Freundin nicht ein einziges Mal im Freien an der frischen Luft. Sie möchte nicht. Und jeder, natürlich auch ich, respektiert ihren Willen. Ich komme nicht auf die Idee sie in ihrem Rollstuhl zwangsweise nach draußen zu fahren, weil die frische Luft ja so gesund ist und ich weiß, was sie braucht. Das ist genau dieses Abwägen was in der Situation etwas weniger falsch ist. So wichtig frische Luft auch ist, es wäre falsch ihre Ängste (welche auch immer) zu überfahren. Im wahrsten Sinne des Wortes. Dass es mir weh tut sie immer nur im Haus "gefangen" zu sehen, ist mein Problem, nicht ihres. Ich stelle meine Bedürfnisse nicht über ihre.

Nur bei der OP sehe ich es eben wieder etwas anders.

hawi, zu deinem Beispiel mit den "Zeugen Jehovas"...
Ich wüßte, wie ich da entscheiden würde. Ohne jeden Zweifel. Nämlich in dem Sinne wie der Betreute vor der Gehirnwäsche über seine Gesundheit gedacht hat. In dem vollen Bewußtsein, dass die Entscheidung gegen den derzeitigen Willen ist.

Später vllt. mehr, muss erstmal sortieren...

Lilly
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