Fühle mich vom Therapeuten im Stich gelassen

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herostrikesback
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Fühle mich vom Therapeuten im Stich gelassen

Beitrag So., 14.08.2022, 10:55

Hallo,

ich leide an einer hochgradigen komplexen PTBS wegen der ich pflegebedürftig und schwerbehindert bin.

Befinde mich seit mehreren Jahren in einer Therapie, die allerdings nicht traumaspezifisch ist.

Auf Grund einer Re-Traumatisierung in der Ergotherapie (übergriffiges und grenzüberschreitendes Verhalten) geht es mir sehr schlecht.
Zu meinem Psychotherapeuten hatte ich stets eine sehr gute Beziehung. Ich bin auch eher eine Patientin, die Therapien nicht abbricht, sondern eher "treu" ist, weswegen er ambulant "erst" mein zweiter Therapeut ist. 5 Jahre bei ihm und davor 9 Jahre bei meinem anderen.

Seit dieser Sache mit der Ergotherapie habe ich das Gefühl, dass sich mein Therapeut verändert hat.
Er fühlt sich ein Stück weit dafür verantwortlich, weil er nicht ausreichend geprüft hat, was dort mit mir gemacht wird und ist enttäuscht, dass ich ihm zu spät von dem grenzüberschreitenden Verhalten der Ergotherapeutin erzählt habe.
Ich habe ihm lange nichts erzählen können, weil ich dachte, ich hätte kein Recht dazu und müsste das, was dort in der Ergotherapie mit mir gemacht wurde, aushalten. Grenzen setzen und wahrnehmen ist ja mein Problem, weswegen das leider oft ausgenutzt wird.
Ich war dort in der Ergotherapie so überfordert wegen des übergriffigen Verhaltens, dass ich gezwungen war mich "abzuriegeln", um das aushalten zu können. Durch diesen Shut-Down war es mir lange nicht möglich, mich jemanden anzuvertrauen.

Obwohl ich gerade deswegen in einer schweren Krise bin, möchte mein Psychotherapeut keine weiteren Stunden beantragen, sondern nur noch normale Arztgespräche alle 4-6 Wochen führen. Er meint, dass er sich überfordert und hilflos fühlt, weil er kein Traumaexperte ist. Und er hätte für mich schon mehr gemacht, als er ursprünglich wollte und vorher für keine anderen Patienten gemacht hat (das sagt er zumindest).

Er möchte, dass ich mir einen ambulanten Experten suche, aber Fakt ist, dass es hier bei mir in der Nähe keinen gibt, der noch Kapazitäten hat. Er hat gesagt, er hätte mich nur angenommen, weil ich damals vor 5 Jahren wegen meines Umzuges keinen Therapeuten hatte und er mir zur Seite stehen wollte. Und nun will er mich aber trotz Krise alleine lassen? Wegen meiner Krise benötige ich ja nicht unbedingt einen Traumaexperte. Mein jetziger behandelt schließlich auch emotionale Krisen und Depressionen. Ich versteh das nicht. Ich fühle mich entsorgt, als wäre ich Abfall.
Als wäre ihm nach 5 Jahren plötzlich bewusst geworden, dass ich nicht in sein Therapie-Konzept passe.
So meinte er zu mir, dass er eigentlich nie schwer traumatisierte Menschen behandeln wollte.

Mir geht es so schlecht und ich falle wieder in mein selbst schädigendes Verhalten zurück, obwohl ich seit 7 Jahren stabil war, weil mich diese Gefühle von Wertlosigkeit und Verlassen werden überfluten. Ich fühle mich ohne diesen Therapeuten wertlos und als würde ich sterben. Ohne Selbstwert fühle ich mich nicht überlebensfähig.

Ich habe eine glückliche platonische Beziehung zu meinem besten Freund, der mich über alles liebt und bin vom Typ her attraktiv und sehr anziehend und trotzdem habe ich meinen Selbstwert auf diesen einen Menschen (Therapeuten) gerichtet, obwohl es viele Menschen gibt, die mich toll finden und mögen. Ich hab ja generell das Problem, dass ich meinen Selbstwert vom Außen bzw. oft von Männern abhängig mache.

Mein Therapeut weiß, dass ich diese Übertragungsgefühle habe, weil er für mich der "Beschützer" ist, den ich mir als Kind gewünscht hatte, aber er findet das völlig in Ordnung, so lange ich diese Gefühle nicht ausagiere.

Er sagt zwar, dass er mir langfristig erhalten bleibt und ich alle 4-6 Wochen einen Termin haben kann, aber wie soll ich das glauben? Ich hab Angst, dass das nur eine Masche ist und er mich wie ein Medikament, welches unerwünschte Nebenwirkungen hat, ausschleichen möchte. Außerdem sind Termine alle 4-6 Wochen während einer akuten Krise viel zu wenig.

Ursprünglich war geplant, dass noch weitere Stunden beantragt werden, die ich auch über die Opferentschädigung (bin anerkannt) oder den Fond bezahlt bekomme und jetzt will er plötzlich doch nicht mehr. Er hat selber gesagt, dass er weiß, dass dies für mich jetzt sehr schwer ist. Aber es kann doch nicht sein, dass ich nun auch noch bestraft werde, nur weil ich in der Ergotherapie re-traumatisiert wurde und nicht in der Lage war, mich ihm rechtzeitig anzuvertrauen.
Natürlich kann ich seine Enttäuschung verstehen, weil er dachte, wir hätten ein sehr gutes Vertrauensverhältnis, was wir auch haben. Dennoch kann ich nun mal nicht alles erzählen.
Und nun wo meine Seele komplett nackt vor ihm liegt, will er mich nicht mehr haben.

Wie soll ich mich jemals einem neuen Therapeuten wieder öffnen können? Er bestätigt mir doch, dass Menschen mir immer nur weh tun werden und mich keiner haben will, sobald man erkennt, wie verkehrt ich bin.

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alatan
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Beitrag So., 14.08.2022, 11:05

Das ist schlimm.
Was nützt dir ein Therapeut, der mit der Behandlung völlig überfordert ist? Für die Behandlung komplex Traumatisierter braucht es eine spezielle langwierige Fortbildung. Das wäre ungefähr so, als würde man zum Hausarzt gehen und die Behandlung eines malignen Tumors verlangen. Wenn jemand nicht Spezialist ist, kommt es früher oder später zu Schädigungen, z. B. in so einer, in der du jetzt gerade drin steckst, nämlich allein gelassen zu werden.

Eine Möglichkeit wäre, sich um eine zeitnahe Aufnahme in einer dafür spezialisierten Klinik zu bemühen, vielleicht kann der derzeitige Therapeut das forcieren.

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caduta
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Beitrag So., 14.08.2022, 11:23

Für mich klingt es so als hätte dein Therapeut erkannt, dass er wirklich an seine (ganz persönlichen) Grenzen gekommen ist. Das muss gar nicht so viel mit dir als Person zu tun haben. Er sagt ja selbst, dass er nie schwer traumatisierte Patienten aufnehmen wollte. Und für mich klingt das nicht so als würde er dich persönlich ablehnen, sondern eher als hätte er jetzt erkannt, dass ihm die notwendige Erfahrung fehlt um dir zu helfen. Und er will dir die Chance geben die richtige Hilfe für dich zu finden.

So schwierig es für dich ist, wirst du das wohl akzeptieren müssen. Und vielleicht hat er ja recht und du findest jemanden, der mehr Erfahrung hat und dir besser helfen kann? Vielleicht kannst du es ja irgendwo ein bisschen auch als Chance für etwas Neues sehen?

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chrysokoll
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Beitrag So., 14.08.2022, 11:38

herostrikesback hat geschrieben: So., 14.08.2022, 10:55
Ursprünglich war geplant, dass noch weitere Stunden beantragt werden, die ich auch über die Opferentschädigung (bin anerkannt) oder den Fond bezahlt bekomme
wenn du jetzt in einer akuten Krise bist, dann wäre vielleicht ein Klinikaufenthalt erst einmal sinnvoll und stabilisierend.

Ich kann wirklich sehr gut verstehen wie sehr dich das Verhalten deines Therapeuten kränkt und frustriert
Aber vielleicht kannst du ein wenig aus der Distanz sehen: Er sieht sich nicht weiter in der Lage dir zu helfen und es ist sehr fair wenn er das sagt.
Kann er dir helfen einen passenden Therapeuten zu finden?

Es ist sicherlich schwierig, aber nicht unmöglich eine Traumatherpie zu finden. Und die fachlichen Unterschiede sind gravierend, ich hätte das früher auch nicht gedacht. Ich habe als Diagnose auch kPtbs und partielle DIS.

Zudem ist es nach fünf Jahren sowieso sinnvoll zu wechseln, ein neuer Therapeut bringt da sehr viel an Möglichkeiten, anderer Herangehensweise, Veränderung, auch wenn das erstmal schwierig ist.

Du hast ja den großen Vorteil dass Fond und / oder Opferentschädigung zahlen, damit kannst du auch zu Therapeuten gehen die zwar Approbation und traumaspezifische Qualifikation haben, aber keine Kassenzulassung. Das sollte leichter zu finden sein

Ich merke wirklich erst seit ich eine spezifische Traumatherapie mache was noch an Veränderungen möglich ist!

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Gespensterkind
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Beitrag So., 14.08.2022, 13:48

Vielleicht hätte Dein Therapeut schon früher darauf kommen müssen, dass er für komplexe Traumatisierungen nicht die richtige Anlaufstelle ist. Aber zumindest sagt er es jetzt. Und das ist auch richtig. Er lässt Dich nicht im Stich. Aber er hat nicht die richtige Ausbildung um Dir zu helfen.
Du könntest vielleicht mit ihm besprechen, was er Dir rät, bzw. ob er Dir jemanden empfehlen kann.

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herostrikesback
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Beitrag So., 14.08.2022, 14:00

alatan hat geschrieben: So., 14.08.2022, 11:05 Das ist schlimm.
Was nützt dir ein Therapeut, der mit der Behandlung völlig überfordert ist? Für die Behandlung komplex Traumatisierter braucht es eine spezielle langwierige Fortbildung. Das wäre ungefähr so, als würde man zum Hausarzt gehen und die Behandlung eines malignen Tumors verlangen. Wenn jemand nicht Spezialist ist, kommt es früher oder später zu Schädigungen, z. B. in so einer, in der du jetzt gerade drin steckst, nämlich allein gelassen zu werden.

Eine Möglichkeit wäre, sich um eine zeitnahe Aufnahme in einer dafür spezialisierten Klinik zu bemühen, vielleicht kann der derzeitige Therapeut das forcieren.
Danke für deine Antwort.

Klinik ist schwer. Die letzte Traumaklinik hat mich abgelehnt, weil ich zu eingeschränkt bin. Die setzen eine Alltagsstabilität und Selbstregulation bzw. selbständige Regulierung von Dissoziationen, Flashbacks usw. voraus.

Ich müsste nach einer Suchen, wo man genau das lernen kann.
Zuletzt geändert von herostrikesback am So., 14.08.2022, 14:37, insgesamt 1-mal geändert.

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herostrikesback
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Beitrag So., 14.08.2022, 14:36

caduta hat geschrieben: So., 14.08.2022, 11:23 Für mich klingt es so als hätte dein Therapeut erkannt, dass er wirklich an seine (ganz persönlichen) Grenzen gekommen ist. Das muss gar nicht so viel mit dir als Person zu tun haben...

Danke für deine ehrliche Meinung.

Du hast ja Recht, aber mein Problem ist, das was anderes geplant war und er mich ja noch gefragt hatte, was ich denn brauche und möchte, nur um mich dann von seiner Meinung zu überzeugen.
Ich habe gesagt, dass ich wegen der schweren Krise noch weitere Stunden beantragt haben möchte, in denen ich dann parallel nach einem geeigneten Experten suchen kann und die wir nutzen können, um mich zu stabilisieren.

Ich habe noch nie bei einem Therapeuten geweint, auch nicht bei ihm, und war kurz davor in Tränen auszubrechen und trotzdem war ihm das scheißegal. Sonst wünschte er sich Emotionen und wenn er kurz davor ist, diese zu bekommen, werde ich abserviert.

Wieso fragt er mich noch, was ich will und dann bestimmt er, wie es weiter gehen soll.
Dieses Bevormunden mag ich gar nicht. Immer muss ich das brave Mädchen spielen und wenn ich einmal versuche für mich einzustehen, wird hartnäckig versucht, mich von meinen Bedürfnissen weg zu dirigieren.

Ich habe ihm eine Lösung angeboten, mit der ich klar komme und mich gut fühle und er entscheidet sich für seine Lösung, die mich so sehr schmerzt, dass mein Freund Angst hat, dass ich mir was antue.

Vom Verstand her weiß ich, dass er mir immer helfen wollte und will. Er ist ein sehr netter und auch guter Therapeut, außer dass er null Ahnung hat, wie man mit schwer traumatisierten Menschen umgeht und er sich den schlechtesten Moment herausgesucht hat, mich an einen Experten zu verweisen, der höchstwahrscheinlich auch schwer zu finden ist.

Ich steh mitten im Inferno und hinterfrage nun natürlich alles und tue ihm bestimmt in vieler Hinsicht Unrecht.

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herostrikesback
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Beitrag So., 14.08.2022, 14:56

chrysokoll hat geschrieben: So., 14.08.2022, 11:38
herostrikesback hat geschrieben: So., 14.08.2022, 10:55
Ursprünglich war geplant, dass noch weitere Stunden beantragt werden, die ich auch über die Opferentschädigung (bin anerkannt) oder den Fond bezahlt bekomme

Danke für dein Feedback.

Ich kann das halt nicht, wenn ich mich mal jemanden anvertraut habe, einfach so wechseln.

Ich bin ja immer sehr treu und loyal.

Klinik wird schwer, weil mich viele ablehnen wegen meiner Einschränkungen und die Akutkliniken gehen für mich nicht. Da wurde ich oft wie Dreck behandelt und zu Dingen gezwungen, die ich nicht kann, nur um dann einen Anschiss zu bekommen. Die sind oft so trauma-unsensibel eingestellt. Da ist eine Re-Traumatisierung zu wahrscheinlich.

In der letzten Akutklinik hat mich der Oberarzt in der Visite sogar angeschrien, ich solle endlich Gefühle zulassen. Als ob das so einfach geht, wenn der Körper abgespalten ist. Ich konnte das noch nie und dann soll ich das auf Knopfdruck können.

Ich habe auch noch eine partielle DIS. Aber noch nicht die richtigen Diagnoseschlüssel, weil es die ja erst seit diesem Jahr im ICD 11 gibt. Aktuell habe ich die Diagnose Andauernde Persönlichkeitsänderung nach extrem Belastung.

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herostrikesback
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Beitrag So., 14.08.2022, 15:08

Gespensterkind hat geschrieben: So., 14.08.2022, 13:48 Vielleicht hätte Dein Therapeut schon früher darauf kommen müssen...

Danke für die Antwort. Er meinte, dass er sich mal umhört. Aber das hilft mir aktuell halt nicht weiter,
wenn ich mitten in einer Krise stecke.
Und gerade für so emotionale Krisen ist er ausgebildet.

Er hat mir mal gesagt, dass er noch nie für einen Patienten/eine Patientin zusätzliche Stunden außerhalb der Richtlinientherapie beantragt hat. Ich wäre dann die erste. Vielleicht ist das ja auch ein Problem für ihn.

Keine Ahnung. Mich macht das ganz verrückt, nicht die Wahrheit zu kennen.

Aber mir zu sagen, er möchte nicht, dass ich denke, dass ich ihm unwichtig bin und er mir nur helfen will, mich aber dann den Höllenschlund runter werfen, ist für mich zu Widersprüchlich. Ich habe ihm eine trauma-sensiblere Lösung angeboten, die er wegdiskutiert hat, weil mein Leid ihm scheißegal ist.

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lisbeth
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Beitrag So., 14.08.2022, 15:12

Ich glaub dir sofort, dass das sehr schwierig für dich ist gerade.

Aber gleichzeitig stellt sich mir die Frage, was dir ein Therapeut nützt, der fachlich nicht die nötigen Kompetenzen hat, um dich zu behandeln? Ziel der Therapie kann ja nicht sein, dass er für immer und ewig an deiner Seite ist, damit du dich irgendwie halbwegs stabil fühlen kannst. Insofern finde ich seine Entscheidung, die Therapie so nicht weiter zu führen, verantwortungsvoll und langfristig auch in deinem Sinne, auch wenn sich das für dich hart anhören mag. Ich sehe übrigens nicht, dass er dich im Stich lässt. Er ist weiter ansprechbar für dich, und würde dich vermutlich unterstützen bis du eine neue Anlaufstelle gefunden hast. Er ist auch nicht für dich verantwortlich, du allein bist für dich selbst und deine weitere Entwicklung verantwortlich, das liegt allein in deiner Hand, wie es weiter geht. Das Timing ist sicherlich blöd,vielleicht ist ihm aber durch die aktuelle Krise auch klar geworden, dass er fachlich immer mehr ins Schwimmen gerät, und damit würde er dir auch (ungewollt) Schaden zufügen.

Was ich mich frage: Was hast du dir denn in den 5 Jahren bei ihm erarbeitet, im Hinblick auf emotionale Selbstregulierung und Alltagsstabilität? Hat er dich da auch mal herausgefordert? Oder ging es allein darum, dass du dir über den Kontakt zu ihm die Regulierung "besorgt" hast, die du brauchtest und so auch für dich keine Notwendigkeit da war, mal etwas Neues zu probieren und deine Komfortzone zu verlassen? Das deutest du hier ja auch irgendwie an, finde ich:
herostrikesback hat geschrieben: So., 14.08.2022, 10:55 und trotzdem habe ich meinen Selbstwert auf diesen einen Menschen (Therapeuten) gerichtet, obwohl es viele Menschen gibt, die mich toll finden und mögen. Ich hab ja generell das Problem, dass ich meinen Selbstwert vom Außen bzw. oft von Männern abhängig mache.
Ich weiß selbst (aus eigener Erfahrung) dass Selbstregulation zu lernen ein langwieriger und schwieriger Prozess ist. Aber ich weiß auch, es ist möglich. Dafür braucht es aber zum einen ein therapeutisches Gegenüber, das sich damit auskennt, das auch keine Angst davor hat, dich mal herauszufordern und dich nicht aus falsch verstandener Fürsorge nur mit Samthandschuhen anfasst. Und es braucht auf der eigenen Seite ziemlich viel Entschlossenheit, diesen Weg auch zu gehen, denn er ist mit ziemlich viel Hinfallen und wieder Aufstehen und nochmal Hinfallen verbunden.

Welche Ziele hattest du für die Therapie? Bist du denen in den 5 Jahren irgendwie näher gekommen? Oder fandest du es eigentlich ganz ok, dass er dein "Beschützer" war und für emotionale Co-Regulierung zur Verfügung stand, aber sich darüber hinaus bei dir nicht viel voranbewegt hat?

Für mich liest sich das so, als wärt ihr auch ganz schön miteinander verstrickt gewesen, irgendwie musst du ja etwas in ihm "angesprochen" haben, dass er dafür auch so bereitwillig seine eigenen Grenzen aufgegeben hat, zB dass er ursprünglich nie mit komplex traumatisierten Patienten arbeiten wollte. Dass Therapeuten solche Grenzen haben, passiert übrigens nicht nur aus Bequemlichkeit, sondern genau deswegen, weil sie vielleicht merken, dass diese Problematik bei den Patienten bei ihnen selbst Mechanismen aktivieren und sie dann anfangen, die professionelle Therapeuten-Rolle zu verlassen. Dass du dann auch immer an ihn als deinen "Beschützer" appelliert hast, hat es da für ihn sicherlich auch nicht einfacher gemacht, seine Rolle in eurem Gefüge mit dem nötigen Abstand zu betrachten.

Meine Empfehlung wäre: Sprich mit ihm, welche anderen Anlaufstellen er dir empfehlen kann. Ich denke auch, dass du mit der Kostenübernahme durch Fonds bzw. OEG mehr Auswahl haben solltest als "normale" Kassenpatienten. Ich würde mit einem neuen Therapeuten auch schauen, dass du dir ein Unterstützungsnetzwerk aufbaust, so dass nicht mehr alles an einer Person des Therapeuten hängt. Und ich würde dir auch empfehlen, dich mit nonverbalen Therapiemethoden (z.B. Kunst/Körper/Musiktherapie) auseinander zu setzen und zu schauen, ob da was für dich passen könnte (zusätzlich zur Gesprächstherapie bei einem Therapeuten, der für Traumatherapie wirklich qualifiziert ist). Wir erfahren unsere Emotionen vor allem über unsere Körper und demzufolge geht auch ganz viel emotionale Regulierung über den Körper und wenn du das in einer Therapie haptisch erfahren kannst ist das auch nochmal was anderes als wenn man nur darüber redet.

Und: Ich würde es an deiner Stelle auch nochmal mit Klinik versuchen, telefoniere sämtliche Kliniken ab, die irgendwie in Frage kommen. Ich würde aus meiner Klinikerfahrung heraus sagen, dass mindestens die Hälfte aller Patienten nicht in der Lage war, sich gut zu regulieren oder Hilfe von außen brauchte, um aus Dissoziationen wieder herauszufinden (ich selbst mit eingeschlossen), das allein ist jetzt erstmal nichts ungewöhnliches. Möglicherweise kann dein Therapeut dich auch in der Hinsicht unterstützen, dass er als Behandler dort mal mit dem Aufnahmteam spricht und klärt, was im Rahmen eines Klinikaufenthaltes erwartet wird und möglich ist?

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Gespensterkind
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Beitrag So., 14.08.2022, 15:16

Er merkt, dass er das nicht kann und das eine Grenze für ihn ist. Er kommuniziert dies auch so. Wenn er so weitermachen würde, dann würde er Dir vielleicht schaden, weil er Dir nicht gerecht werden kann mit dem was Du brauchst.
Das bedeutet nicht, dass Du ihm egal bist, aber er fühlt sich verantwortlich dafür, Dich nicht falsch zu behandeln.
Wenn es Dir so schlecht geht, dass Du gerade in so einer schweren Krise Dich befindest, dass Du jetzt sofort Hilfe brauchst, dann ist vielleicht eine ambulante Behandlung gerade sowieso nicht ausreichend. Egal bei welchem Therapeuten.
Ambulante Therapie erfordert ein Mindestmaß an Stabilität.

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lisbeth
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Beitrag So., 14.08.2022, 15:19

herostrikesback hat geschrieben: So., 14.08.2022, 14:36 ch habe noch nie bei einem Therapeuten geweint, auch nicht bei ihm, und war kurz davor in Tränen auszubrechen und trotzdem war ihm das scheißegal. Sonst wünschte er sich Emotionen und wenn er kurz davor ist, diese zu bekommen, werde ich abserviert.

Wieso fragt er mich noch, was ich will und dann bestimmt er, wie es weiter gehen soll.
Dieses Bevormunden mag ich gar nicht. Immer muss ich das brave Mädchen spielen und wenn ich einmal versuche für mich einzustehen, wird hartnäckig versucht, mich von meinen Bedürfnissen weg zu dirigieren.
Auf mich wirkt das eher trotzig und manipulativ und nicht so, als ob du (erwachsen) für dich und deine Bedürfnisse einstehst. Denn das beinhaltet immer auch Respekt für die Grenzen deines Gegenübers. Die sind dir aber anscheinend völlig egal (aber alle sollen bitte deine Grenzen beachten und berücksichtigen - finde den Fehler....).
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peppermint patty
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Beitrag So., 14.08.2022, 15:53

Ich musste gerade ziemlich schlucken, wie hart du mit dem Therapeuten ins Gericht gehst und wie fordernd du (für mich) hier rüberkommst.
Da bemüht sich ein Therapeut entgegen seinen eigenen Vorstellungen, Wünschen, Grenzen und Qualifikationen 5 Jahre um dich und du interpretierst seine Grenzen „als im Stich“ gelassen werden. Für mich wirkt es so, als würde auf den Therapeuten unheimlich viel Druck von dir ausgeübt. Grenzen sind aber, wie du jetzt leider schmerzhaft erfährst sinnvoll, denn sie beugen idR Leid vor. Beabsichtigt war dies von ihm sicher nicht.
Die Alternative wäre gewesen, dass er dich damals nicht als Patientin aufgenommen hätte. Wäre dir das lieber gewesen?
Ich denke auch wie einige andere User hier, dass in einer Krise eine Klinik der bessere Ort ist, um sich zu stabilisieren. Ich selbst war schon öfters, und werde noch öfters wegen derselben Problematik wie du, in Kliniken sein, und habe dort durchaus gute Erfahrungen sammeln können.
Ein bisschen denke ich auch, wie man in den Wald hineinruft, so schallt es auch hinaus. Das heißt die eigene Einstellung, Motivation und Haltung ist mEn ein wichtiger Indikator für den Erfolg in Therapien - auch bezogen auf Kliniken.
Und ich frage mich auch, was du dir in den 14 Jahren Therapie erarbeitet hast - weil eine dauerhafte Stabilisierung durch Therapeuten ist doch sicher nicht dein Ziel.

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Candykills
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Beitrag So., 14.08.2022, 16:03

Ich sehe das auch so, dass du dich nach einer Klinik - erstmal Psychiatrie - umsehen solltest, wenn du dich gerade in einer heftigen Krise befindest und alleine nicht klarkommst.
Und dort kannst du dich dann erstmal wieder stabilisieren und zeitgleich schon mal nach passenden Therapeuten schauen, so dass du vielleicht nach der Entlassung nicht mehr so lange auf einen Platz warten musst.
Ich kann verstehen, dass die Situation gerade sehr schmerzlich für dich ist, aber in meinen Augen tut er nur das einzig Richtige, wenn er dich an jemanden verweist, der dir vielleicht besser helfen kann, weil es seine Kompetenz einfach überschreitet. Das hat nichts damit zu tun, dass er dich fallen lässt.
Wahrscheinlich wäre NIE der passende Zeitpunkt dafür dich woanders hinzuschicken und deshalb macht er es jetzt, weil in einem halben Jahr würdest du wahrscheinlich argumentieren, dass du dich doch gerade erst gefangen und stabilisiert hast und er dich dann so unapassend fallen lässt. Es gibt für sowas selten den richtigen Zeitpunkt.
In so einer Situation hilft meiner Erfahrung nach die Wunden zu lecken und dann die nächstmögliche Hilfe zu suchen.
Du erkennst ja im Grunde auch schon, dass du dich jetzt selbst in die Opferrolle begibst. Aber das ist halt alles andere als eine lösungsorientierte Strategie, aber eine in die man als traumatisierter Mensch gerne rutscht, wenn es zu einer Zurückweisung oder re-Traumatisierung oder ähnlichem kommt.

Tu' dir selbst den Gefallen und nutze das Equipment, was dir in den vielen Jahren Therapie gegeben wurde und suche dir Hilfe in der jetzigen Situation, anstatt deine ganze Energie dafür zu verwenden in alte Muster zu verfallen.
Ich bin wie einer, der blindlings sucht, nicht wissend wonach noch wo er es finden könnte. (Pessoa)

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herostrikesback
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Beitrag So., 14.08.2022, 16:07

lisbeth hat geschrieben: So., 14.08.2022, 15:12 Ich glaub dir sofort, dass das sehr schwierig für dich ist gerade.

Danke dir für deine ehrliche und ausführliche Antwort.

Also das mit dem Beschützer bzw. diesen Übertragungsgefühlen hat er nicht gewusst, dass habe ich ihm erst vor ein paar Tagen gesagt. Nach außen hin, sieht man mir absolut nichts an. Ich wirke meistens sehr selbstbewusst und auch mein Therapeut findet diesen Anteil sehr gut, was er mir mal gesagt hat.
Der hat das bestimmt nicht gewusst, dass mein Selbstwert an ihm klebt und wenn, warum hat er es dann nie thematisiert?

Aber ich habe das öfters auch bei anderen Therapeuten in der Akutklink gehabt, dass ich in denen so einen Beschützerinstinkt oder manchmal auch was anderes geweckt habe. Das wurde mir sogar schon mehrmals gesagt. Auch die Sachbearbeiterin vom sozial- psychiatrischen Dienst hat das gesagt.

Ja, ich habe mir über den Kontakt zu ihm Regulierung besorgt, weil ich trauma-therapeutisch noch nie versorgt wurde und ich dann halt meine eigenen Strategien habe.

Mein Therapeut wollte mich einfach auffangen und ich habe mich ja umgeschaut. Aber die lehnen mich alle ab, solange ich so eingeschränkt bin. Aber diese schwere chronische Dissoziation kann ich nun mal nicht alleine auflösen. Wie soll das gehen. Ich habe sogar die Traumaambulanzen kontaktiert, die ich über das OEG sofort bezahlt bekommen hätte, aber die wollen nicht für mich zuständig sein. Immer heißt es, mein Fall wäre selten und komplex und irgendwie werde ich immer nur abgelehnt.
Die Sachbearbeiterin des Versorgungsamtes hat sich bei mir sogar entschuldigt, weil Sie mir falsche Infos gegeben hat wegen der Traumaambulanzen. Ich kann das schon gar nicht mehr hören, wie speziell angeblich alles bei mir ist.
Oft denke ich, es liegt daran, dass mich niemand für voll nimmt, weil ich nach Außen hin ganz anders rüberkomme.

Ja genau, diesen körperzentrierten Ansatz benötige ich. Und als Unterstützung hatte ich die Ergotherapie nur das dies leider nach hinten los ging.

Also mein Therapeut ist schon sehr professionell. Mag sein, dass er bei mir mehr getan hat, als er wollte, aber ich denke nicht, dass da eine Verstrickung war und ich in ihm was angesprochen habe. Wenn ich nicht gemerkt habe, dass auch er verstrickt ist, dann kann ich Menschen echt nicht einschätzen.

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