Erkenne mich selbst nicht wieder…

Haben Sie bereits Erfahrungen mit Psychotherapie (von der es ja eine Vielzahl von Methoden gibt) gesammelt? Dieses Forum dient zum Austausch über die diversen Psychotherapieformen sowie Ihre Erfahrungen und Erlebnisse in der Therapie.
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alterego90
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Erkenne mich selbst nicht wieder…

Beitrag Mo., 27.06.2022, 18:16

Hey,

Ich muss mir mal wieder was von der Seele schreiben. Seit knapp über einem Jahr bin ich nun in Therapie und ich erkenne mich einfach nicht mehr wieder… ich war früher taff, schlagfertig, lustig… oft war ich sogar die Entertainerin in Gruppen. Ich weiß zwar auch, dass das u.a. mit einer der Gründe war, warum ich überhaupt in Therapie bin (Gefühl nicht mein wahres Ich zeigen zu können) aber im Moment hab ich das Gefühl, das komplette Gegenteil zu sein und dass die Therapie alles schlimmer macht. Ich bin unsicher, achte extrem auf die Reaktionen anderer, bin sehr sensibel und fühle mich insgesamt unfassbar einsam… hab das Gefühl, keine richtigen Freunde zu haben und dass sich generell niemand für mich interessiert. Dabei war ich immer offen und sehr beliebt. Leide gerade auch extrem unter meinem Singledasein (bin 31 und hab langsam das Gefühl, das wird nichts mehr), gleichzeitig kann ich gerade sowieso niemanden an mich ranlassen geschweige denn Energie fürs Dating aufbringen.

Kennt das jemand? Die meisten berichten ja eher davon, selbstbewusster geworden zu sein. Bei mir ist es gerade eher andersrum… überlege sogar, die Therapie abzubrechen, weil ich diese Veränderung zu heftig finde und Angst habe, dass das jetzt so bleibt.

LG alterego

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Philosophia
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Beitrag Mo., 27.06.2022, 18:51

Na ja, vielleicht erkennst du dich jetzt aber erst mal richtig - wenn du schreibst, dass das vor der Therapie auch nicht du warst?
Es ist nicht ungewöhnlich, dass eine Therapie einen sehr ins Wanken bringen kann. War bei mir auch so - aber ich habe die Therapie auch gemacht, weil es mir extrem schlecht ging. Insofern war die Wahrheit für mich eher sehr heilsam und ich fühl mich jetzt tatsächlich selbstbewusster - war aber ein langer Weg - hat über zehn Jahre gedauert und ich bin noch nicht fertig.
"Das einzig Wichtige im Leben sind die Spuren der Liebe, die wir hinterlassen, wenn wir gehen." - Albert Schweitzer

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münchnerkindl
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Beitrag Mo., 27.06.2022, 19:11

Was ist das für eine Therapie (Verfahren), was macht ihr in der Therapie, wie behandelt dich der Therapeut?

Und weswegen hast du die Therapie angefangen?

Was glaubst du denn dass dein "wahres Ich" sein könnte?

Eine "immer lustig" Fassade ist ja genauso eine Fassade wie ein "ich bin unfähig, tauge nichts". Eine Fassade gegen eine andere auszutauschen, hm, nicht gerade effektiv...

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Candykills
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Beitrag Mo., 27.06.2022, 19:23

Ich finde das immer schwierig mit „wahres Ich“. Ich denke nicht, dass es ein „falsches“ Ich ist, wenn man nicht überall raus lässt, dass man vielleicht nicht immer fröhlich ist, dass man auch sehr sensible Seiten hat.

Ich glaube viel mehr, dass du durch die Therapie eine weiterer Seite an dir entdeckst, von der du vielleicht vorher eine Ahnung hattest, aber dir nicht 100 % bewusst warst.

Ich glaube ein Ziel könnte es zu sein eben auch diese, aber auch alle anderen Seiten, an sich zu akzeptieren und als Teil der ganzen Persönlichkeit zu verstehen, ohne zu bewerten.
Ich bin wie einer, der blindlings sucht, nicht wissend wonach noch wo er es finden könnte. (Pessoa)

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alterego90
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Beitrag Mo., 27.06.2022, 19:27

Es ist eine tiefenpsychologisch fundierte Therapie.

Angefangen hab ich mit der Therapie, weil ich immer wieder unter depressiven Phasen gelitten habe. Dazu Gefühle von Einsamkeit und Probleme, Traurigkeit zeigen zu können. Außerdem bin ich in einer dysfunktionalen Familie aufgewachsen, meine Mutter ist narzisstisch, mein Vater steht mehr oder weniger unter ihrer Pantoffel. Meine beiden Geschwister und ich haben inzwischen alle den Kontakt abgebrochen. Hab schon sehr lange unter der familiären Situation gelitten und der Kontaktabbruch war dann auch die Initialzündung für die Therapie.

Mein Therapeut ist sehr ehrlich, in den richtigen Momenten einfühlsam und gibt mir Zuversicht. Ich zweifle eigentlich nicht an ihm, sondern glaube eher, dass ich ihm teilweise auch nicht so wirklich zeige, wie es mir geht… zu Beginn der Therapie konnte ich zum Beispiel besser vor ihm weinen und konnte mich besser öffnen. Desto besser wir uns kennen, desto mehr versuche ich stark zu sein… eigentlich ein Muster, das sich durch mein Leben zieht.

Von „unfähig, tauge nichts“ hab ich nichts geschrieben. Es sind eher Gefühle von tiefer Einsamkeit und des Nicht-Verbundenseins mit anderen.

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münchnerkindl
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Beitrag Mo., 27.06.2022, 19:31

alterego90 hat geschrieben: Mo., 27.06.2022, 19:27
Von „unfähig, tauge nichts“ hab ich nichts geschrieben. Es sind eher Gefühle von tiefer Einsamkeit und des Nicht-Verbundenseins mit anderen.

Du schreibst von einer narzisstischen Mutter. Kann es sein dass das Gefühle sind die du auch als Kind durch den Umgang mit deiner Mutter schon hattest, die du dann immer weggeschoben hast wenn sie sich gezeigt haben, und die jetzt wieder vermehrt hochkommen weil du dich mit diesen Zeiten beschäftigst?

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Philosophia
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Beitrag Mo., 27.06.2022, 19:35

@ alterego90: Vielleicht liegt es daran, dass dein Therapeut dir mittlerweile näher kommt? Vielleicht hast du Angst vor Nähe und kannst dich deswegen nicht mehr so gut zeigen? Vielleicht hast du Nähe aufgrund deiner dysfunktionalen Familie als gefährlich abgespeichert oder keine gute Nähe kennengelernt bislang?
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alterego90
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Beitrag Mo., 27.06.2022, 19:42

münchnerkindl hat geschrieben: Mo., 27.06.2022, 19:31
alterego90 hat geschrieben: Mo., 27.06.2022, 19:27
Von „unfähig, tauge nichts“ hab ich nichts geschrieben. Es sind eher Gefühle von tiefer Einsamkeit und des Nicht-Verbundenseins mit anderen.

Du schreibst von einer narzisstischen Mutter. Kann es sein dass das Gefühle sind die du auch als Kind durch den Umgang mit deiner Mutter schon hattest, die du dann immer weggeschoben hast wenn sie sich gezeigt haben, und die jetzt wieder vermehrt hochkommen weil du dich mit diesen Zeiten beschäftigst?
Ich glaube auch, dass es verdrängte Gefühle sind. Es ist allerdings nicht so, dass wir in der Therapie nur in der Vergangenheit herumstochern. Die Familiengeschichte wurde zwar auf jeden Fall schon stark beleuchtet, aber der Fokus ist eher im Jetzt mit Schwerpunkt auf meinen Beziehungen. Thema aktuell ist vorallem ein Freundeskreis, in dem ich mich oft unverstanden fühle, weil ich das Gefühl habe, dass ich mich dort nicht so richtig zeigen kann wie ich bin. Mein Therapeut hat mal angedeutet, dass ich in dem Bereich gerade eine offene Wunde habe und das Erlebte in der Kindheit wiederhole. Ich hab auch zurzeit das Gefühl, einfühlsamere Menschen in meinem Leben zu brauchen - nur neue Freundschaften entstehen eben nicht von heute auf morgen…

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alterego90
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Beitrag Mo., 27.06.2022, 19:45

Philosophia hat geschrieben: Mo., 27.06.2022, 19:35 @ alterego90: Vielleicht liegt es daran, dass dein Therapeut dir mittlerweile näher kommt? Vielleicht hast du Angst vor Nähe und kannst dich deswegen nicht mehr so gut zeigen? Vielleicht hast du Nähe aufgrund deiner dysfunktionalen Familie als gefährlich abgespeichert oder keine gute Nähe kennengelernt bislang?
Auch das kann gut möglich sein. Zu Beginn der Therapie hat mein Therapeut sogar mal angedeutet, dass ich wohl Angst vor Nähe habe. Aber wie durchbricht man das? Dafür müsste ich ja vermutlich diese Nähe mal zulassen, mich so emotional zeigen, was mir eben so extrem schwerfällt.

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Philosophia
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Beitrag Mo., 27.06.2022, 20:03

Vermutlich wirst du dafür viel Zeit brauchen - dass dir das so schwerfällt, hat doch seinen Grund
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münchnerkindl
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Beitrag Mo., 27.06.2022, 20:03

alterego90 hat geschrieben: Mo., 27.06.2022, 19:42Thema aktuell ist vorallem ein Freundeskreis, in dem ich mich oft unverstanden fühle, weil ich das Gefühl habe, dass ich mich dort nicht so richtig zeigen kann wie ich bin. Mein Therapeut hat mal angedeutet, dass ich in dem Bereich gerade eine offene Wunde habe und das Erlebte in der Kindheit wiederhole. Ich hab auch zurzeit das Gefühl, einfühlsamere Menschen in meinem Leben zu brauchen - nur neue Freundschaften entstehen eben nicht von heute auf morgen…


Hast du es probiert bei diesen Freunden mal ganz ohne Fassade du selbst zu sein? Hast du damit schlechte Erfahrungen gemacht weil sie zB wenn du mal niedergeschlagen warst, über Probleme geredet hast und nicht der lustige Unterhalter warst mit Unverständnis oder Ablehnung reagiert haben?

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alterego90
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Beitrag Mo., 27.06.2022, 20:12

münchnerkindl hat geschrieben: Mo., 27.06.2022, 20:03
alterego90 hat geschrieben: Mo., 27.06.2022, 19:42Thema aktuell ist vorallem ein Freundeskreis, in dem ich mich oft unverstanden fühle, weil ich das Gefühl habe, dass ich mich dort nicht so richtig zeigen kann wie ich bin.................


Hast du es probiert bei diesen Freunden mal ganz ohne Fassade du selbst zu sein? ............
Ich schaff es eben nicht richtig, ganz ohne Fassade ich selbst zu sein - ich bin auf jeden Fall nicht mehr ständig so fröhlich und witzig wie ich es zuvor war. Aber natürlich auch nicht dauerhaft niedergeschlagen. So richtig traurig zeigen kann ich mich aber nicht. Ich hab schon das ein oder andere Mal nach Hilfe gefragt, wenn es mir schlecht ging - dann hab ich auch Hilfe bekommen, aber dann eher neutral über meine Probleme gesprochen (also nicht geweint oder so). Mit Unverständnis oder Ablehnung wurde nicht reagiert, aber vom Gefühl her eher mit Überforderung. Wenn eine in der Gruppe bspw. Liebeskummer hat sind alle zur Stelle, helfen mit Zuspruch etc. Bei meinen Problemen heißt es immer „Du kannst dich jederzeit melden wenn du was brauchst“ aber so richtig nachgefragt und darauf eingegangen wird nicht - wohl eben, weil meine Probleme für meine Freunde nicht nachvollziehbar sind.
Zuletzt geändert von Pauline am Di., 28.06.2022, 04:53, insgesamt 1-mal geändert.
Grund: Komplettzitate sind zu vermeiden. Bitte an die Netiquette halten.

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Philosophia
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Beitrag Mo., 27.06.2022, 20:18

Ich kann das sehr nachvollziehen, was du schreibst, alterego90... ich war früher auch die Fröhliche... aber ich brauchte die Fröhichkeit in einer Horrorpsychofamilie... jetzt muss ich nicht mehr fröhlich sein... aber ich darf, wenn ich das möchte...
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chrysokoll
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Beitrag Mo., 27.06.2022, 21:15

alterego90 hat geschrieben: Mo., 27.06.2022, 19:42 Ich hab auch zurzeit das Gefühl, einfühlsamere Menschen in meinem Leben zu brauchen - nur neue Freundschaften entstehen eben nicht von heute auf morgen…
Du musst ja vielleicht nicht komplett neue Freundschaften aufbauen.
Gibt es unter den Freunden und auch Bekannten die du hast niemand bei dem du dir ein ganz klein wenig mehr Nähe vorstellen könntest? Bei dem vielleicht durchaus Empathie vorhanden wäre?
Das muss und kann und sollte nicht in großen Schritten passieren. Aber es muss von dir ausgehen. Vielleicht kannst du mal ausprobieren dich in einem kleinen Detail zu öffnen. Zu sagen wie es dir geht. Um Hilfe bitten. Jemand anrufen wenn du dich traurig oder einsam fühlst, das auch benennen.
Du kommst da nur weiter wenn du selber die Schritte gehst - und das können ganz kleine Schritte sein !

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