Therapeutin redet mich mit „Liebe Frau..“ an

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StillesMeer
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Therapeutin redet mich mit „Liebe Frau..“ an

Beitrag Mi., 22.06.2022, 12:49

Es ist vielleicht komisch, dass ich eigenes Thema zu einer Anrede aufmache, aber seit einiger Zeit redet mich meine Therapeutin beim Empfang an der Praxistür oder beim Begleiten in/ Verabschieden aus dem Sprechzimmer mit „Liebe Frau..“ an. Ich empfinde dies als sehr ungewöhnlich, aber nicht unangenehm. Wie würdet ihr das deuten? Was mich stutzen lässt, ist die Tatsache, dass ich in Ihren Augen dann doch irgendwie wie ein hilfloses, zu betüddelndes Wesen wirken muss (bin 42). Ich persönlich käme aus diesem Grunde nicht auf die Idee, eine gestandene Frau in einer geschäftlichen Beziehung so anzureden.Mein leiser Zweifel: Nimmt sie mich noch wirklich ernst?

Bin sehr verwirrt. Zu Recht?

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Candykills
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Beitrag Mi., 22.06.2022, 12:56

Find ich ganz normal.
Werde sogar von Uni-Profs mit „Lieber Herr“ in Emails zum Beispiel angesprochen.
Aber wenn es dich stört, sag ihr doch, wie es bei dir ankommt.
Ich selbst habe es auch als Mann nie als Abwertung empfunden.
Ich bin wie einer, der blindlings sucht, nicht wissend wonach noch wo er es finden könnte. (Pessoa)

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Sydney-b
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Beitrag Mi., 22.06.2022, 13:16

Ich würde mich über so eine Anrede freuen.
Warum kommst du auf die Idee, dass dich jemand nicht ernst nimmt, wenn du freundlich angesprochen wirst?
Weil: unangenehm ist dir diese Anrede ja nicht.

Man darf auch einfach mal was Schönes annehmen und muss es nicht gleich zerdenken.

Natürlich kannst du sie auch darauf ansprechen, es kann aber sein, dass sie dich in Zukunft nicht mehr mit: "Liebe Frau" ...anredet.

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Lilien
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Beitrag Mi., 22.06.2022, 13:26

Hallo StillesMeer,

in der virtuellen Kommunikation verwende ich sehr häufig "Liebe/r Frau/Herr..." und zwar immer dann, wenn mir die Person nicht gänzlich fremd, aber auch nicht allzu vertraut ist, also ich sie als Privatperson nicht kenne, aber wir uns vielleicht schon ein paar Mal schriftlich miteinander ausgetauscht haben. Also für mich ist das etwas zwischen "Sehr geehrte Frau Lieschen Müller" und "Hey Lieschen...".

In der gesprochenen Kommunikation würde ich das sogar eher schon als positives Zeichen des Miteinanders deuten. Wenn Du Dich dadurch aber abgewertet fühlst bzw. etwas Negatives damit verbindest, dann sprich es wirklich einfach an. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Deine Vermutung da wirklich zutrifft, aber sollte sie zutreffen, dann wäre es ja genau richtig, sich als erwachsene Person zu positionieren und darum zu bitten, es zukünftig bei "Frau XY" zu belassen.

Alles Liebe!

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peppermint patty
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Beitrag Mi., 22.06.2022, 13:32

Ich bin bis jetzt gerade im Schriftverkehr immer von jeder Therapeutin oder Beraterin mit „Liebe Frau … „ angesprochen oder angeschrieben worden. Das scheint in diesem Kontext Alltag zu sein. Am Anfang hat mich das auch ein wenig verwundert.
Das hat also nichts mit klein machen oder so zu tun. Ich deute es eher als jemanden etwas vertrauensvoll und wertschätzend zu begegnen. Dieses etwas vertraute Anreden kann aber mEn ein wenig verunsichern. Vielleicht erscheint dieses „Liebe/r Herr/Frau …“ auch eher im Kontext von ungleicher Augenhöhe - ist aber ganz sicher nicht abwertend oder geringschätzig gemeint.

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Winni
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Beitrag Mi., 22.06.2022, 13:55

StillesMeer hat geschrieben: Mi., 22.06.2022, 12:49 … beim Empfang an der Praxistür oder beim Begleiten in/ Verabschieden aus dem Sprechzimmer mit „Liebe Frau..“ an. … Was mich stutzen lässt, ist die Tatsache, dass ich in Ihren Augen dann doch irgendwie wie ein hilfloses, zu betüddelndes Wesen wirken muss (bin 42).
Hallo Stilles Meer,
ich wäre in gleicher Lage auch etwas irritiert. Es geht ja nicht - wenn ich Dich richtig verstehe - um schriftliche Kommunikation, sondern um face to face. Ich würde es auf alle Fälle ansprechen - dass es Dich irritiert und vor allem Dein Gefühl von Abwertung.

Es könnte sein, dass Du Dich andernorts auch manchmal abgewertet fühlst. Da ist das Thema in der Therapie vielleicht ganz spannend.
"An Ärger festhalten ist wie wenn Du an einem Stück
Kohle festhältst mit der Absicht, es nach jemandem zu werfen -
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candle.
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Beitrag Mi., 22.06.2022, 14:06

StillesMeer hat geschrieben: Mi., 22.06.2022, 12:49 Wie würdet ihr das deuten?
Ich denke ich würde da gar nichts reindeuten und finde das normal.

LG candle
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StillesMeer
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Beitrag Mi., 22.06.2022, 15:55

peppermint patty hat geschrieben: Mi., 22.06.2022, 13:32
Dieses etwas vertraute Anreden kann aber mEn ein wenig verunsichern. Vielleicht erscheint dieses „Liebe/r Herr/Frau …“ auch eher im Kontext von ungleicher Augenhöhe - ist aber ganz sicher nicht abwertend oder geringschätzig gemeint.
Ja, du triffst es. Sicherlich ist es nicht böse gemeint, aber man muss es sich eben mal umgekehrt vorstellen: Ich hätte damit angefangen und komme zur Tür rein oder bitte um etwas mit „Liebe Frau..“.


Wichtig: Es geht hier um mündliche Kommunikation.
Therapeutin ist ca. 20 Jahre älter als ich.

Schriftlich schreibt sie fast auch immer „Liebe..“, aber da ist es heute durchaus salonfähig. Persönlich wäre es mir schriftlich aber ebenfalls zu intim.
Ich habe seit 6 Jahren zB eine enge Arbeitskollegin, mit der ich auch schon ausgelassen auf einer Betriebsfeier war, mit der ich eng zusammenarbeite. Wir tauschen auch Nachrichten über Outlook aus, aber sie ist bisher immer bei unserer Anrede „Hallo“ geblieben und bei „Gruß“ am Ende. Einmal war ich mutig und habe (dieses Jahr, weil wir uns nun so lang kennen) mal „Liebe Grüße“ statt „Viele Grüße“ gewählt, aber sie blieb trotzdem bei „Gruß“. Seitdem bin ich noch vorsichtiger mit Anreden und Grüßen. „Liebe Grüße“ in einer geschäftlichen Beziehung/ Dienstleistungsbeziehung (wie gegenüber der Therapeutin) sind für mich daher ein No-Go, wenn ich nun weiß, dass es nicht mal die gute Kollegin, mit der ich auf Du bin, akteptiert.


Ich finde es sogar gefährlich, wenn einem emotionale / persönliche Nähe (ist für mich notwendig für ein „Liebe“) vorgegaukelt wird, wo tatsächlich gar keine ist. Und mir persönlich würde es tatsächlich auch sehr weh tun, da es meinem Glaubenssatz entsprechen würde, dass ich keiner Wertschätzung und Liebe wert bin. Vielleicht bevorzuge ich auch deshalb die etwas distanzierteren Anreden.

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Sydney-b
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Beitrag Mi., 22.06.2022, 16:25

Woher weißt du, dass:"Liebe Grüße " von deiner Kollegin als No-Go angesehen wird?

Es besteht nämlich die Möglichkeit, dass diese deine Abschiedsgrüße gar nicht so bewusst aufgenommen hat.
Sie also nicht registriert hat, ob da nun "Viele" oder "Liebe" stand.
Außerdem benutzen einige Leute einfach die Worte aus der Texterkennung.
Geht flotter...aber man muss sich nicht unbedingt Gedanken darüber machen.

Wenn du nun in Gedanken mehrmals: "Liebe Frau Therapeutin" sagen würdest, was würde in dir passieren?
(Wenn du das mal ausprobieren möchtest, ist aber nur eine Idee)

Wenn du aber so überhaupt nicht damit zurechtkommst: Sprich es an!
Deine Therapeutin hat sicherlich kein Problem damit, dich in Zukunft nur noch mit: "Frau X" anzusprechen.

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MerleX
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Beitrag Mi., 22.06.2022, 16:34

StillesMeer hat geschrieben: Mi., 22.06.2022, 15:55Ich finde es sogar gefährlich, wenn einem emotionale / persönliche Nähe (ist für mich notwendig für ein „Liebe“) vorgegaukelt wird, wo tatsächlich gar keine ist.
Das finde ich jetzt echt interessant, wie du das siehst. Für mich selbst käme im therapeutischen Kontext keine andere Anrede in Frage als „Liebe Frau…“ und „Liebe Grüße“ in einer Email

Ich finde, in einer Therapie entsteht sehr wohl sowohl eine emotionale, als auch eine persönliche Nähe. Das ist selbstverständlich keine Beziehungsnähe. Es gibt doch ganz unterschiedliche Arten von Beziehungen und auch Nähe.

Eine Therapie ohne emotionale Nähe? Wie soll das gehen? Der Therapeutin von meinen schwachen, dunklen, verletzten Anteilen erzählen ohne eine gefühlte Nähe? Das könnte ich mir gar nicht vorstellen.
Auch wenn sich die Therapeutin selbst bedeckt hält mit eigenen Informationen (und irgendwann wieder aus deinem Leben verschwinden wird, wie es die therapeutische Situation nun mal vorsieht), so schwingt sie doch emotional mit dir mit und öffnet sich dir.

Wenn das mal keine emotionale Nähe ist, was denn dann?

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StillesMeer
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Beitrag Mi., 22.06.2022, 17:43

Vielleicht bin ich so verwirrt, weil ich von meinem eigenen Umfeld nie so angeredet werde. Ich bin es nicht gewohnt und kann mich innerlich nicht darauf einlassen. Irgendwie tut es auch weh, weil ich denke, sie ahnt gar nicht, was sie damit anrichtet. Ich möchte keine Nähe -nicht mal über das vielleicht wohl gemeinte „Liebe“ - entstehen lassen, weil sie in absehbarer Zeit wieder aus meinem Leben verschwindet, mich vergisst... .. und dann ist wieder niemand da, der mich auch nur einen Hauch von Wohlwollen und Zugewandtsein spüren lässt.
Ich lebe sozial sehr isoliert. Hatte noch nie enge Freundschaften. Meine Sozialkontakte bestehen aus Arbeitskollegen und meinem Vermieter, der mit im Haus wohnt und mit dem ich ab und an ein paar Worte wechsle.Zu meiner Familie habe ich keinen Kontakt mehr.

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MerleX
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Beitrag Mi., 22.06.2022, 17:48

StillesMeer hat geschrieben: Mi., 22.06.2022, 17:43 Irgendwie tut es auch weh, weil ich denke, sie ahnt gar nicht, was sie damit anrichtet. Ich möchte keine Nähe -nicht mal über das vielleicht wohl gemeinte „Liebe“ - entstehen lassen, weil sie in absehbarer Zeit wieder aus meinem Leben verschwindet, mich vergisst... .. und dann ist wieder niemand da, der mich auch nur einen Hauch von Wohlwollen und Zugewandtsein spüren lässt.
Wenn das so ist, dann würde ich dir raten, nicht nur vielleicht, sondern auf jeden Fall und ganz zentral mit diesem Thema in die Therapie einzusteigen. Ich halte das für sehr wichtig, dass du das mitteilst und deine Therapeutin das weiß.

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StillesMeer
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Beitrag Mi., 22.06.2022, 17:50

MerleX hat geschrieben: Mi., 22.06.2022, 17:48
StillesMeer hat geschrieben: Mi., 22.06.2022, 17:43 Irgendwie tut es auch weh, weil ich denke, sie ahnt gar nicht, was sie damit anrichtet. Ich möchte keine Nähe -nicht mal über das vielleicht wohl gemeinte „Liebe“ - entstehen lassen, weil sie in absehbarer Zeit wieder aus meinem Leben verschwindet, mich vergisst... .. und dann ist wieder niemand da, der mich auch nur einen Hauch von Wohlwollen und Zugewandtsein spüren lässt.
Wenn das so ist, dann würde ich dir raten, nicht nur vielleicht, sondern auf jeden Fall und ganz zentral mit diesem Thema in die Therapie einzusteigen. Ich halte das für sehr wichtig, dass du das mitteilst und deine Therapeutin das weiß.

Sinnvoll wäre es, aber ich traue mich nicht aus Angst, es könnte sie verletzen.

Und so, wie sie es gerade macht, verletzt es mich.

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Sydney-b
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Beitrag Mi., 22.06.2022, 18:07

Warum sollte es deine Therapeutin verletzen?

Aber es ist ganz klar ein sehr wichtiges Thema für dich in der Therapie.
Du kannst dir selber einen großen Gefallen tun und dieses Thema ansprechen.
Ich glaube, du wirst sehr überrascht sein....

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StillesMeer
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Beitrag Mi., 22.06.2022, 18:15

Ich traue mich nicht. Dies wäre zu viel Selbstoffenbarung von meiner Seite und das halte ich nicht aus.

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