Übertragung oder begründetes Misstrauen?

Haben Sie bereits Erfahrungen mit Psychotherapie (von der es ja eine Vielzahl von Methoden gibt) gesammelt? Dieses Forum dient zum Austausch über die diversen Psychotherapieformen sowie Ihre Erfahrungen und Erlebnisse in der Therapie.
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Übertragung oder begründetes Misstrauen?

Beitrag So., 08.08.2021, 21:50

Hallo,
ich bin seit vielen Jahren in Therapie und habe immer wieder mit sehr großem Misstrauen zu kämpfen.
Im Moment bekomme ich da einfach keine Realität rein, kann gar nicht mehr sehen, ob ich wirklich die Beine in die Hand nehmen sollte, oder ob ich aus meiner Geschichte heraus ungerechtfertigte Ängste entwickele.
Oder eine Mischung aus Beidem?

Ich kann mich auf jeden Fall nicht mehr selbst beruhigen, der Druck wird immer größer und ich rutsche wieder in meine alten Symptommuster zurück.
Mit der Therapeutin darüber zu sprechen, habe ich mehrmals versucht. Aber irgendwie macht das alles nur schlimmer. Jedes Wort von ihr treibt mein Misstrauen weiter an.


Ich weiß (so sicher, wie man sich da eben sein kann) dass ein Teil meiner Misstrauensanfälle, die ich über die Jahre hatte, nicht im Verhalten meiner Thera begründet war sondern "meins" war und sie da höchstens ungeschickt agiert hat.

Ich weiß auch, dass ich Anteile/ Strukturen habe, die mit harten Gegenmaßnahmen reagieren, wenn ich es wage bestimmte Dinge zu erzählen oder manchmal auch nur zu denken.
Beliebteste Gegenmaßnahme ist dabei so viel Misstrauen in Personen um mich herum zu streuen, dass ich mich "freiwillig" isoliere oder sonst wie dafür zu sorgen, dass Beziehungen (zumindest innerlich) abbrechen.
Und ich habe gerade viel preisgegeben, bin sehr stark an alte Sachen herangekommen.
Genau deshalb brauche ich die Beziehung zu meiner Therapeutin gerade sehr und ich leide wie ein Hund, weil ich gleichzeitig das Gefühl habe, dass sie mir nichts Gutes will und ich das unbedingt beenden muss.
Das spricht ja alles für eine Übertragung.

Aber, es gibt auch ein paar Dinge in der Therapie, bei denen hier einige vermutlich den Kopf schütteln und "Lauf!" rufen würden.
Schon alleine, dass ich schon so viele Jahre bei ihr bin oder dass sie sagt, dass ich so lange bleiben kann, wie ich will.

Der jetzige Absturz ist dadurch zustande gekommen, dass ich plötzlich das Gefühl bekommen habe, dass ihre Wärme, ihre vermeintliche Zuneigung doch nur gespielt ist.
Das war längere Zeit gar nicht so, ich habe mich dadurch gehalten gefühlt, konnte mich besser öffnen und hatte auch das ehrliche Gefühl, dass sie mich wirklich mag.
Und jetzt ist da nur noch Misstrauen.
Das Gefühl, dass sie mich natürlich nicht oder kaum mag, ich bin ja nur ein Job. Und auch das Gefühl, dass sie mir da bewusst etwas vor gemacht hat um mich zu manipulieren und um meine Abhängigkeit zu befeuern.

Gleichzeitig ist etwas erneut akut geworden, eine organisatorische Sache, in die sie mich meiner Meinung nach reingedrängt hat und die vor allem für sie gut ist. Und ich hatte nicht den Mut was zu sagen. Habe ich immer noch nicht. Weil ich nicht glaube, dass anders Therapie bei ihr möglich ist und ich das aber brauche (wenn ich nicht gerade abbrechen will, haha).

Hat jemand irgendwelche Tipps, wie ich feststellen kann, ob es wirklich besser wäre abzubrechen? Ob ich hier real ausgenutzt werde, ob sie wirklich kalt oder inkompetent ist?

Oder vielleicht Adressen bei denen man mal eine professionelle Zweitmeinung einholen kann?

Kennt das jemand und wenn ja, wie ist das bei euch weiter-/ausgegangen?

Ist übrigens eine tiefenpsychologische Therapie.

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saffiatou
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Beitrag So., 08.08.2021, 22:06

Hallo NeverEndingStory,

Dein Text hätte von mir kommen können. Auch ich vertraue meiner thera nur ganz wenig. Es reicht, wenn sie ein Wort verwendet und ich „drehe durch“ und stelle alles in Frage. Das Misstrauen wir dann jedes Mal unendlich viel größer, als es so schon ist. Sie triggert mich oft und ich sehe dann meine Mutter vor mir und das ist fatal. (Ebenfalls TfP)

Ich habe letzte Woche bei einer anderen thera eine therapeutische Sprechstunde gehabt und das Problem anzugehen. Sozusagen eine supervision für Patienten. Das war ganz gut. Ich habe ihr meine Probleme mit der thera erklärt, aber keine Namen genannt. fand das hilfreich, weil sie mich bei manchen Dingen bestärkt hat und dann meinte Konflikte sind ok und manchmal auch hilfreich, so lange man sie gemeinsam lösen kann.

Du kannst ja auch in laufender thera therapeutische Sprechstunde bei anderen Therapeuten nehmen ( bis drei je Therapeut).
Viel Glück!
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MisterZett
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Beitrag Mo., 09.08.2021, 09:20

Hallo, liebe NeverEndingStory!


Dein Nick spricht es ja schon aus, dein Gefühl und deine Situation, was einfach nicht enden will. Habe vielen Dank für deinen Mut, das alles hier im Forum so offen ausgesprochen zu haben!

NeverEndingStory hat geschrieben: So., 08.08.2021, 21:50 ich ... habe immer wieder mit sehr großem Misstrauen zu kämpfen.
Ein Pendeln zwischen Misstrauen und Vertrauen, aber ohne triftigen Grund dafür zu haben, will die Seele regelrecht zerreißen. Aber ein triftiger Grund ist ja auch nicht immer gleich zu erkennen.

'Das Leben ist ein Spiel', heißt es. So unbefangen, wie Kinder sich ihrem Spiel hingeben, so unbefangen kann es der Erwachsene mit dem Leben tun, nur mit dem Unterschied, der Erwachsene ist sich dem Spiel bewusst und es fragt sich, was er daraus macht. Er kann mit anderen so spielen, dass er bewusst heuchelt, sie belügt und seinen Spaß daran hat oder er steht offen und ehrlich dem Leben und den Menschen entgegen. Letzteres ist nicht als Spaß zu nennen, sondern vielmehr Würde.

Das kleine Kind schenkt jedem Menschen unbefangen sein ganzes Vertrauen, das aber missbraucht werden kann, doch anders ist es beim Erwachsenen. Begegne ich einem Menschen in irgendeiner Situation, einem Fremden vielleicht, so habe ich keinen Grund, ihm zu vertrauen noch ihm zu misstrauen. Ich nehme dafür die Mitte ein, die Neutralität. Aus dieser heraus betrachte und beobachte ich, frage nach, antworte oder schweige. Scheint sich ein Grund des Misstrauens zu ergeben, so kann es auf einem Irrtum beruhen. Man kann es würdevoll und diplomatisch ansprechen und auch mit seinen eigenen Mängeln eventuell den Versuch anbieten, gemeinsam eine Lösung zu finden, je nach dem die Reaktionen sind. - Es ergibt sich so ein gewisses Spiel auf der höheren Ebene der Bewusstheit.


Liebe Grüße von
MisterZett
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Beitrag Mo., 09.08.2021, 13:00

Hallo Saffiatou,
das klingt wirklich gut. Wie bist du denn da ran gegangen? Hast du einfach durchtelefoniert? Gleich am Telefon gesagt, dass es dir um eine „Supervision für PatientInnen“ geht?
Und ist sie auch tiefenpsychologische/ analytische Thera?
Und hast du deiner Therapeutin dann davon erzählt?

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Beitrag Mo., 09.08.2021, 13:16

Hallo MisterZett,
ja, sich neutral die Situation angucken, beobachten und dann interpretieren bzw. nachfragen. Wenn ich nicht gerade völlig im Stressmodus bin, schaffe ich das auch. Aber auch dann bleibt es ja Interpretation. Und die fällt bei mir leider sehr unterschiedlich aus.

Und um bei deinem Bild zu bleiben. Das Problem entsteht ja eigentlich dann, wenn das Kind sehr früh lernt, dass Vertrauen zu haben keine gesunde Option ist. Und wenn diese Annahme durch vielfaches Prüfen immer wieder bestärkt wurde.
Und wenn diese Kind gleichzeitig gelernt hat, an manchen Stellen das Überprüfen ganz abzustellen, einfach blind zu folgen (nicht zu vertrauen) und noch nichtmal ungehorsam zu fühlen.
Dann steht man als Erwachsene halt da und weiß nicht, ob das jetzt eine Situation ist, in der man vertrauen könnte oder nicht. Auch nicht mit viel Abstand.
Und so geht es mir gerade. :kopfschuettel:
Wie bekommt man da (vermeintliche) Neutralität hin, wenn der Körper im Überlebenskampfmodus ist?

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saffiatou
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Beitrag Mo., 09.08.2021, 13:40

Ich habe nur einen Therapeuten angerufen und um einen Termin für eine therapeutische Sprechstunde gebeten, den müssen die Therapeuten ja zeitnah vergeben. Diese fragte mich dann, warum ich den Termin haben möchte und da habe ich kurz erklärt, dass ich Probleme in der laufenden Therapie habe und mal jemanden von außen einen Blick darauf werfen lassen möchte, brauche eine Beratung. Sie meinte das wäre kein Problem, da ich ja die Sprechstunden jederzeit nehmen kann.

Ja, auch die „Supervisorin“ ist tfp, ich würde sowieso nie zu einer VT gehen.

Meine thera hat noch Urlaub ich werde ihr das sicher erzählen, wahrscheinlich nicht sofort.
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Beitrag Mo., 09.08.2021, 23:35

falls du magst, könntest du auch mal ein paar Beispiele erzählen, was so Situationen waren, wo du ihr misstraut hast.
Du umschreibst das sehr vorsichtig.
Grundsätzlich finde ich Aussenmeinungen sehr hilfreich.
Ich persönlich finde es auch sehr hilfreich, wenn einem der Therapeut erlaubt, Aufnahmen von den Stunden zu machen.
Dann kann man sich diese zu Hause in Ruhe anhören, wenn man nicht "im Überlebensmodus" ist und seine eigene Wahrnehmung überprüfen.

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MisterZett
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Beitrag Di., 10.08.2021, 08:42

NeverEndingStory hat geschrieben: Mo., 09.08.2021, 13:16 Wie bekommt man da (vermeintliche) Neutralität hin, wenn der Körper im Überlebenskampfmodus ist?
Was man sich über die vielen Jahre antrainiert hat, lässt sich so einfach natürlich nicht umtrainieren. Es bedarf einer Arbeit an sich selbst, wozu der Alltag mit seinen Situationen stets zur Übung einlädt.
Der Weise äußert sich vorsichtig, der Narr mit Bestimmtheit über das kommende Wetter.
Wilhelm Busch

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Beitrag Di., 10.08.2021, 19:46

Ungestümes Pferd hat geschrieben: Mo., 09.08.2021, 23:35 falls du magst, könntest du auch mal ein paar Beispiele erzählen, was so Situationen waren, wo du ihr misstraut hast.
Du umschreibst das sehr vorsichtig.
Ja, ich bin da auch vorsichtig, weil ich nicht sicher bin, wie ich extreme Meinungen (in beide Richtungen) gerade verarbeiten kann.
Und die kommen hier ja immer.
Vielleicht per PN an jemanden, den es interessiert?

@MisterZett
Ja eben, wie man an diesem Thread hier sieht, tue ich genau das. ;-)

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Ungestümes Pferd
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Beitrag Di., 10.08.2021, 20:23

NeverEndingStory hat geschrieben: Di., 10.08.2021, 19:46 Ja, ich bin da auch vorsichtig, weil ich nicht sicher bin, wie ich extreme Meinungen (in beide Richtungen) gerade verarbeiten kann.
Und die kommen hier ja immer.
Vielleicht per PN an jemanden, den es interessiert?
ja, finde ich auch gut, dass du auf dich achtest und nur das preisgibst, was für dich stimmig ist.
Du kannst mir gern Beispiele per PN schicken und ich melde dir in den nächsten Tagen zurück, was mein Eindruck ist.
Und behandle deine PN natürlich vertraulich bzw. lösche sie danach.

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Beitrag Di., 10.08.2021, 21:22

Danke, Ungestümes Pferd,
du hast eine PN.

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MisterZett
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Beitrag Do., 12.08.2021, 08:58

NeverEndingStory hat geschrieben: Di., 10.08.2021, 19:46 @MisterZett
Ja eben, wie man an diesem Thread hier sieht, tue ich genau das. ;-)
Huch! :staun: Klasse! :)
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Beitrag Sa., 14.08.2021, 08:42

Hallo NeverEndingStory,

ich habe dir gerade auf deine PN geantwortet.
Finde, das Thema, kann ich meinem Therapeuten vertrauen, echt sehr wichtig.

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