Kann über Mangel in der Kindheit nicht trauern - Therapeutin versteht es nicht

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Tristezza
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Kann über Mangel in der Kindheit nicht trauern - Therapeutin versteht es nicht

Beitrag Mo., 17.07.2017, 18:54

Ich habe meiner Thera in der letzten Stunde gesagt, dass ich nicht darüber traurig sein kann, dass ich als kleines Kind von meinen Eltern nicht gesehen wurde. Sie schwieg dazu weitgehend, heute sprach ich sie nochmal darauf an, und sie schwieg wieder. Ich meinte, es wirke auf mich, als habe sie etwas zu sagen, könne aber nicht. So wie es mir in der Therapie schon oft gegangen ist. Sie: Das geht in die richtige Richtung. Sie fühle sich vielleicht selbst wie ein verstummtes Mädchen. Und später: Sie könne nichts sagen, weil sie mich in diesem Punkt nicht verstehe, also dass ich nicht über den Mangel in meiner Kindheit traurig sei, dass ich meine Mutter sehr früh schon eher wie eine Freundin betrachtet und mir "einfach" andere "Mütter" gesucht habe. Es hat mich traurig gemacht, von meiner Thera da überhaupt nicht verstanden zu werden, und auch sie spürte eine Traurigkeit.

Wie geht es euch in Bezug auf eure Vergangenheit? Trauert ihr darüber oder spürt ihr eine Distanz zu dem Vergangenen, weil ihr vor allem darauf schaut, wie es euch heute geht, was ihr in den aktuellen Beziehungen erlebt, auch an Kompensation des früheren Mangels?

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Marilen
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Beitrag Mo., 17.07.2017, 18:58

bevor ich trauern konnte musste ich erstmal illusionen, imaginäres und idealisierungen aufgeben, erst dann war die anerkennung des mangels möglich und damit auch ein leben mit dem mangel, der sowieso durch nichts kompensiert werden kann, da konstitutiv.
Rabbi Nachman lehrt uns etwas Bahnbrechendes. Wenn es schwer wird, bleibt dir nur noch eines: Sei glücklich und freue dich.

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Montag
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Beitrag Mo., 17.07.2017, 19:13

Hallo Tristezza,

Ich verstehe Dich sehr gut. Ich konnte über meine Kindheit Jahrzehnte lang nicht trauern, war völlig emotionslos. Konnte nicht darüber weinen, wie hart, ungerecht und lieblos meine Eltern mit mir umgingen. Sie haben mich zwar nur psychisch misshandelt, aber das war schlimm genug.

Meine Therapeutin erklärte mir, das ich mir einen Panzer zugelegt habe im Lauf der Kindheit. Weil wenn ich Gefühle, gar Traurigkeit zeigte, wurde nur noch mehr mit mir geschimpft, wurde ich beleidigt und verspottet. Vielleicht hast Du Dir ja auch einen Panzer zugelegt aus Schutz? Den gilt es jetzt behutsam aufzulösen. EHrlich gesagt versteh ich da Deine Therapeutin nicht.

Erst als ich mehr und mehr reden konnte über meine Kindheit kamen auch die Gefühle durch, die Traurigkeit, das Weinen.
Hab Geduld mit Dir. Das geht nicht von heut auf morgen. Trauern kann man nicht auf Befehl. Egal, was Deine Therapeutin sagt.
Herzliche Grüße Montag


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Tristezza
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Beitrag Mo., 17.07.2017, 19:15

@ marilen: Das ist eine These "der sowieso durch nichts kompensiert werden kann, da konstitutiv", die ich nach meinen Erfahrungen nicht teilen kann.

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Marilen
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Beitrag Mo., 17.07.2017, 19:18

tristezza, aber woher dann dein leiden wenn du es kompensieren kannst?
Zuletzt geändert von Marilen am Mo., 17.07.2017, 19:20, insgesamt 1-mal geändert.
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Tristezza
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Beitrag Mo., 17.07.2017, 19:19

@ Montag: Danke. Bei mir habe ich den Eindruck, dass der Mangel so früh war, dass ich keine Erinnerungen an ihn haben kann und deshalb auch nicht traurig bin wie über ein "greifbareres" Geschehen. Das hab ich so meiner Therapeutin gesagt, sie meinte auch, rational könnte ich das ja gut erklären, aber das lange nicht zum Verstehen ...


Marilen
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Beitrag Mo., 17.07.2017, 19:20

und wodurch/womit kompensierst du?
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Jenny Doe
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Beitrag Mo., 17.07.2017, 19:22

Hallo Tristezza
also dass ich nicht über den Mangel in meiner Kindheit traurig sei, dass ich meine Mutter sehr früh schon eher wie eine Freundin betrachtet und mir "einfach" andere "Mütter" gesucht habe.
Gibt es denn für dich etwas worüber du trauern musst / solltest? Klingt für mich so als hättest Du als Kind trotzdem bekommen was Du brauchtest und suchtest?

Ich befinde mich in einer ähnlichen Situation, jedoch fühle ich mich von meiner Therapeutin verstanden. Meine Therapeutin sagt mir nicht was ich fühlen sollte, sondern fragt mich was ich fühle, wie es mir heute damit geht. Meine Antwort lautet "Gut". Ich hatte zwar keine leibliche Mutter, aber ich hatte eine Ersatzmutter. Mehr noch, eine Ersatzfamilie, die sich um alles gekümmert hat, von Kleidung für mich angefangen bis zum Mittagsessen, das ich zu Hause nicht bekam.
Lerne aus der Vergangenheit, aber mache sie nicht zu deinem Leben. Wut festhalten ist wie Gift trinken und darauf warten, dass der Andere stirbt. Das Gegenstück zum äußeren Lärm ist der innere Lärm des Denkens.

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Tristezza
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Beitrag Mo., 17.07.2017, 19:22

Marilen, ich leide ja gerade nicht darunter (unter der Vergangenheit) und mein Leiden am jetzigen Leben hat sich deutlich abgeschwächt dadurch, dass ich viel bekomme und bekommen habe an Einfühlung, Gesehen-Werden, Zuwendung, "Liebe".

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Montag
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Beitrag Mo., 17.07.2017, 19:25

Hallo Tristezza,

ah ok, jetzt kann ich es besser nachvollziehen. Danke
Herzliche Grüße Montag


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Tristezza
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Beitrag Mo., 17.07.2017, 19:26

Hallo Jenny, es muss einen großen Mangel gegeben haben, das kann anhand meiner Symptomatik rekonstruiert werden, und eine Ersatzmutter hatte ich nicht in meiner Kindheit. Meine Therapeutin sagt nicht, dass ich trauern "soll" - "sollen" gehört sozusagen nicht zu ihrem Wortschatz in der Therapie - sondern sie versteht mich einfach nicht. Vielleicht hatte sie noch keine Patientin mit einem ähnlichen "Problem" und hat selbst sehr intensiv über ihren persönlichen Mangel getrauert.


Jenny Doe
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Beitrag Mo., 17.07.2017, 19:31

Hallo Tristezza,

mal eine andere Frage. Du bist ja auch schon etwas älter, etwa so alt wie ich.
Wie war es in der Vergangenheit? Hast Du noch nie getrauert? Hast du dich irgendwann in den Jahren nach Deiner Kindheit mal mit Deiner Kindheit beschäftigt? Hast Du schon mal Therapie gemacht, in der Kindheit und Verarbeitung Thema war? Ich frage, weil es auch möglich ist, dass Du Deine Kindheit bereits verarbeitet hast?
Lerne aus der Vergangenheit, aber mache sie nicht zu deinem Leben. Wut festhalten ist wie Gift trinken und darauf warten, dass der Andere stirbt. Das Gegenstück zum äußeren Lärm ist der innere Lärm des Denkens.


Marilen
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Beitrag Mo., 17.07.2017, 19:31

das ist auch gut, dass du das bekommst aber wenn es dabei stehen bleibt, bleibt es eben stehen. hat für mich etwas vermeidendes. mir war das zu wenig denn genau das hat mir verunmöglicht den mangel anzuerkennen. es ist ein leben in illusionen, im imaginären. kann man manchen ist nur die frage was man möchte. ohne "futter" meiner analytikerin hätte ich es nicht ausgehalten, ich habe das auch gebraucht, die zuwendung aber eine richtige besserung kam erst als ich es sein lassen konnte meine analytikerin mit idealen und illusionen aufzuladen.
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Tristezza
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Beitrag Mo., 17.07.2017, 19:38

Jenny Doe hat geschrieben: Mo., 17.07.2017, 19:31 Wie war es in der Vergangenheit? Hast Du noch nie getrauert? Hast du dich irgendwann in den Jahren nach Deiner Kindheit mal mit Deiner Kindheit beschäftigt? Hast Du schon mal Therapie gemacht, in der Kindheit und Verarbeitung Thema war? Ich frage, weil es auch möglich ist, dass Du Deine Kindheit bereits verarbeitet hast?
Ja, Jenny, ich habe mich schon vor der Analyse in anderen Therapien mit meiner Kindheit beschäftigt. Ich war erstaunt, als die erste Thera von "emotionalem Missbrauch" sprach - widersprach das doch dem Idealbild, das ich bis dahin von meiner Mutter gehabt hatte - aber war nicht wirklich traurig darüber. Im Gegenteil: Ich habe mich und das "Loch" in mir dadurch endlich verstanden, hatte quasi eine Entschuldigung dafür, dass ich so war wie ich war. Vielleicht überwiegt diese "Erleichterung" einfach die Trauer?

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Tristezza
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Beitrag Mo., 17.07.2017, 19:42

Marilen hat geschrieben: Mo., 17.07.2017, 19:31 aber eine richtige besserung kam erst als ich es sein lassen konnte meine analytikerin mit idealen und illusionen aufzuladen.
Ich weiß nicht, ob ich sie mit Idealen und Illusionen auflade. Ich weiß ja, dass sie in der Therapie eine gewisse Rolle einnimmt, die nur eine Rolle in ihrem Leben ist. Als ich mal meinte, ich kenne Sie ja gar nicht richtig, sagte sie, doch, sie kennen mich, wie ich hier in der Beziehung mit Ihnen bin. Also so unrealistisch scheint meine Wahrnehmung und unsere Beziehung nicht zu sein.

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