Was braucht's für eine Änderung?

Haben Sie bereits Erfahrungen mit Psychotherapie (von der es ja eine Vielzahl von Methoden gibt) gesammelt? Dieses Forum dient zum Austausch über die diversen Psychotherapieformen sowie Ihre Erfahrungen und Erlebnisse in der Therapie.
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isabe
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Was braucht's für eine Änderung?

Beitrag So., 05.06.2016, 12:53

Angeregt durch einen anderen Faden, würde ich gerne die Frage diskutieren, was es braucht, um als psychisch Kranker eine Veränderung zuzulassen und aktiv herbeizuführen.

Einige Menschen schaffen das sicher gut ohne Unterstützung eines Therapeuten, zum Beispiel, indem sie Ratgeberliteratur lesen oder Selbsthilfegruppen besuchen.

Andere machen eine Therapie, und auch von denen gelingt es nicht allen quasi automatisch, ihren Zustand zu verbessern. Gesetzt den Fall, man gerät an einen kompetenten Therapeuten, der seine Grenzen kennt und der die passende Methode anbietet, und angenommen, es gelingt, eine Beziehung herzustellen - was braucht es noch, damit am Ende der Therapie eine deutliche Verbesserung des Befindens erreicht wird?

Was braucht es beim Patienten selbst? Was passiert, wenn er nicht über die nötigen Ressourcen verfügt, die es ihm ermöglichen, das Ziel, gesund zu werden, aktiv und zügig erreichen zu WOLLEN? Woran fehlt es diesen Patienten genau? Wenn es "nur" die Tatsache wäre, dass ihm die Vorstellung davon fehlt, WIE ein gutes Leben aussehen könnte, dann müsste es doch möglich sein, ihm dies innerhalb des Stundenkontingents zu zeigen ("Sie könnten vielleicht dies oder jenes tun?"). Warum scheint es einem Teil der Patienten nicht möglich zu sein, die zweifellos vorhandenen Angebote des Therapeuten an Beziehung und an Coaching umzusetzen in etwas Eigenes?

Meine eigene Erfahrung ist, dass eine Veränderung überhaupt nur dann möglich ist, wenn in der Therapie die Beziehung zu sich selbst hergestellt wird. Das gilt natürlich nicht für die, die diese Beziehung bereits verinnerlicht haben ("ich weiß, wer ich bin und was ich will und was mir guttut"). Müsste es in einer solchen Therapie also nicht darum gehen, den Patienten selbst zu erforschen, und ist es für diese Patienten nicht kontraproduktiv, wenn man sie mit Beziehung ("ich mag Sie und ich arbeite sehr gerne mit Ihnen") "füttert"? Anders kann ich mir nicht erklären, wieso es Patienten gibt, denen es nach Ausschöpfen des Kontingents schlechter geht als vorher und die geradezu Panik haben vor dem Therapieende. Ich kann mir das nur so vorstellen, dass diese Patienten zu viel vom Falschen bekommen haben und zu wenig vom Richtigen.

Ohne die Arbeit der Therapeuten bewerten zu wollen, frage ich mich, ob es nicht möglich wäre, dieses Problem zu beheben oder zu reduzieren, indem man die Indikation genauer prüft und noch gründlicher als bisher schaut, was der Patient WIRKLICH braucht. Manchmal habe ich den Eindruck, der Therapeut löst das Problem, indem er auf Quantität anstatt auf Qualität setzt ("wir fangen erst mal an, und dann haben wir drei Jahre Zeit, und dann können wir immer noch gucken"). Dass ein Patient auf dieses Beziehungsangebot scheinbar positiv reagiert, indem er starke Zuneigung für den Anderen entwickelt, während die Zuneigung für sich selbst auf der Strecke bleibt, wundert nicht.

Ich verstehe nicht, wieso die Stärkung und Entwicklung des Patienten selbst weniger wichtig sein soll als die Zuneigung zum Therapeuten? Wieso liegt der Fokus so häufig auf der Person des Therapeuten und nicht auf der des Patienten? Kann Therapie so funktionieren? Ist Regression überhaupt noch zeitgemäß, wenn dies bedeutet, dass zwar Bedürfnisse geweckt werden, dass aber nicht geprüft wird, ob der Patient in der Lage ist, es auszuhalten, dass diese Bedürfnisse nicht erfüllt werden? Ist das so schwer, die Ressourcen der Patienten zu überprüfen, BEVOR es zu spät ist?

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mio
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Beitrag So., 05.06.2016, 13:02

isabe hat geschrieben:Ich verstehe nicht, wieso die Stärkung und Entwicklung des Patienten selbst weniger wichtig sein soll als die Zuneigung zum Therapeuten? Wieso liegt der Fokus so häufig auf der Person des Therapeuten und nicht auf der des Patienten? Kann Therapie so funktionieren? Ist Regression überhaupt noch zeitgemäß, wenn dies bedeutet, dass zwar Bedürfnisse geweckt werden, dass aber nicht geprüft wird, ob der Patient in der Lage ist, es auszuhalten, dass diese Bedürfnisse nicht erfüllt werden? Ist das so schwer, die Ressourcen der Patienten zu überprüfen, BEVOR es zu spät ist?
Unter Umständen weil dem Patienten die Bereitschaft dazu sich selbst stärken und entwickeln zu wollen fehlt. Das dürfte eine der ganz großen Schwierigkeiten bei Frühstörungen sein, da häufig die anderen für das eigene Wohlbefinden und Leben verantwortlich gemacht werden um "Schuld und Scham" zu vermeiden. Das verrückte ist, dass da wirklich so unlogisch gedacht wird und es scheinbar sehr schwer ist aus diesem Denken auszusteigen solange man da noch drinsteckt.

Was anderes dürften "Retraumatisierungen" sein, denn da gelingt dieses "Denken" an sich schon, aber in der Therapie werden "alte Situationen" reaktiviert und so verschlechtert sich der Zustand anstatt sich zu verbessern.


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isabe
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Beitrag So., 05.06.2016, 13:20

Aber die Frage ist, wie diese Bereitschaft des Patienten gefördert werden kann, sich selbst entwickeln zu wollen.

Wenn ich als Therapeut feststelle, dass der Patient dazu nicht in der Lage ist, wieso behandle ich ihn weiter in derselben Richtung, die im Grunde ja nur so tut, als stärke sie den Patienten? Tatsächlich erreicht eine solche Behandlung das Gegenteil, nämlich das Zementieren der Abhängigkeit und der Wünsche nach Zuneigung und Versorgtwerden.

Ich muss doch als Therapeut feststellen, dass der Patient sich gegen eine Entwicklung wehrt oder dass ihm etwas anderes fehlt, diese Entwicklung zuzulassen.


mio
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Beitrag So., 05.06.2016, 13:31

isabe hat geschrieben:Aber die Frage ist, wie diese Bereitschaft des Patienten gefördert werden kann, sich selbst entwickeln zu wollen.
Ja, aber ich glaube genau da setzt diese "Beziehungsintensivierung" an die dann zu einer gewissen Abhängigkeit führt.

Ohne diese "Abhängigkeit" würden viele Patienten wahrscheinlich einfach beim kleinsten Widerstand die Therapie abbrechen und Widerstand meint da halt "Abwehrmechanismen". Der Patient muss sich sozusagen ausreichend "sicher" fühlen, um überhaupt da ran gehen zu können. Beziehe ich meine Sicherheit jetzt in erster Linie aus der "belastbaren Beziehung" im Sinne von "ich darf auch mal angriffig werden oder nicht mitarbeiten und schaffe es dennoch nicht die Beziehung zu zerstören" dann muss man da wohl erst mal "drüber weg" kommen um überhaupt richtig arbeiten zu können.

Ich glaube das hat echt viel mit dieser Vermischung von Verantwortung/Schuld/Scham im Inneren zu tun, diese Gefühle müssen sehr stark abgewehrt werden, weil sie einst sehr bedrohlich waren und wenn nur das Gefühl "bedingungslosen Angenommenseins" Sicherheit vermittelt, dann kommt man da glaube ich nicht dran vorbei. Aber es birgt halt auch eine Gefahr, die wahrscheinlich nicht immer komplett steuerbar ist und wenn die Abhängigkeit dann größer ist als der Wille zur Autonomieentwicklung dann wird es schwierig.

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isabe
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Beitrag So., 05.06.2016, 13:40

Aber bei mir selbst war das ähnlich, und auch ich brauchte das Gefühl, bedingungslos angenommen zu werden. Aber ist es nicht möglich, das zu vermitteln, indem man gleichzeitig auf die Selbständigkeit und die Ressourcen des Patienten setzt? Wie kann es überhaupt dazu kommen, dass einem schwer gestörten Patienten eingeredet wird, er sei bedürftig, wenn doch schon vorher klar ist, dass sich an dieser Bedürftigkeit absolut gar nichts ändert, nur weil sie erkannt wird? Warum sagt man dem Patienten sinngemäß, dass er ein kleines schutzloses Kindchen ist, anstatt ihm zu sagen, dass er erwachsen ist und TROTZDEM Zuneigung und Fürsorge bekommen kann, aber eben nicht im chronischen Zustand der Abhängigkeit? Denn auf diese Weise lernt der Patient doch nur: "Solange ich hilflos bleibe, werde ich geliebt". So KANN sich doch gar nichts ändern.

Es ist wirklich eher eine Frage als eine Kritik, denn ich verstehe es tatsächlich nicht.


Widow
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Beitrag So., 05.06.2016, 13:43

Liebe isabe, vermutlich hast Du Dein Bild von mir im Kopf gehabt, als Du diesen Thread eröffnet hast.

1. Der Hintercouchler, auf dessen Couch ich ab und an liege, hat keineswegs das getan, was Du unterstellst:
isabe hat geschrieben:indem er auf Quantität anstatt auf Qualität setzt ("wir fangen erst mal an, und dann haben wir drei Jahre Zeit, und dann können wir immer noch gucken")
;
2. er hat auch nie getan und gesagt, was Du ebenfalls unterstellst:
isabe hat geschrieben: ist es für diese Patienten nicht kontraproduktiv, wenn man sie mit Beziehung ("ich mag Sie und ich arbeite sehr gerne mit Ihnen") "füttert"?
;
3. woher speist sich eigentlich Deine Ansicht, dass die Stundenkontingente ein sinnvoller Maßstab für Therapielängen sind? Dass es sich dabei um ein willkürliches Konstrukt handelt, weißt Du? Und Du wirst auch wissen, dass rund 80-90% aller Therapien beendet werden, ohne auch nur ansatzweise das Höchstkontingent erreicht zu haben?
isabe hat geschrieben: was braucht es noch, damit am Ende der Therapie eine deutliche Verbesserung des Befindens erreicht wird?
;
4. warum gehst Du davon aus, dass jeder Mensch der Auffassung sein muss, heil&gesund werden zu wollen? Ich z.B. weiß, dass ich dergleichen nicht verdient habe und ich weiß aus Erfahrung, dass, wenn ich mich so fühle, anderen daraus massivster Schaden erwächst (einer von mehreren Gründen, weshalb ich keine engen Beziehungen mehr zulasse); und ich denke, dass das eigentlich für die gesamte Gattung "Mensch" gilt, die in meiner Augen das grauenvollste evolutionäre Phänomen ist.

Deine Selbstoptimierungsmentalität ist mainstream, ich weiß.
Doch ich lasse mir meinen Pessimismus, meine Negativität und meine Erfahrungen nicht nehmen (letztere besagen übrigens schlicht: Es kann kein gutes Leben geben, nicht für solche wie mich. Ich habe mir knapp 14 Jahre lang eingebildet, dass das möglich sei, doch das Krepieren meines Liebsten hat mich gelehrt, dass das eine Illusion ist).

5.Mir ist durch Deinen Beitrag gerade aufgefallen, dass es nur einer einzigen Sache bedürfte, damit ich die Analyse beendet: Der Hintercouchler müsste nur in die Rolle des Coaches schlüpfen . Ich werde ihm das vorschlagen, wenn ich selbst keinen anderen Weg mehr sehe.

PS: "Hilflos" fühle ich mich übrigens in keinster Weise, ebensowenig "geliebt" - und das ist auch gut so!
Zuletzt geändert von Widow am So., 05.06.2016, 13:47, insgesamt 1-mal geändert.


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isabe
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Beitrag So., 05.06.2016, 13:47

Oh, liebe widow, ich habe wirklich nicht an dich gedacht dabei, sondern an jemand anders, genau genommen an zwei andere Menschen. Das ist nur eine zufällige zeitliche Überschneidung.

Ich habe an zwei Menschen gedacht, die am Ende ihrer Therapie sagen: "Ich bin jetzt so verzweifelt, dass mein Leben vorbei ist". Ich bin wirklich kein hoffnungsloser Optimist, aber ein bisschen mehr Erfolg würde ich schon jedem Patienten wünschen.
Zuletzt geändert von isabe am So., 05.06.2016, 13:49, insgesamt 1-mal geändert.


Widow
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Beitrag So., 05.06.2016, 13:48

Na, da hab ich mich ja mal wieder trefflich zum Affen gemacht !


mio
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Beitrag So., 05.06.2016, 13:52

isabe hat geschrieben:Es ist wirklich eher eine Frage als eine Kritik, denn ich verstehe es tatsächlich nicht.
Ich weiss, ich verstehe es auch nur schwer. Aber ich glaube es "funktioniert" so einfach nicht. Der Patient muss überhaupt erst mal verstehen, dass er selbst verantwortlich ist für das was schiefläuft in seinem Leben aber eben nicht im Sinne einer "Schuld" für das, was ihm im Leben, als Kind, widerfahren ist. Und genau da hakt es wohl dann.

Ich habe jahrelang mit einer Freundin über die Vorteile von Eigenverantwortung diskutiert, bei völligen Kleinigkeiten. Ihre ganz klare und starre Haltung war: Ich will keine Verantwortung übernehmen. Die anderen sind verantwortlich...

Da kannst Du echt schwer was verändern, so keine Veränderungsbereitschaft da ist. Und um überhaupt erst mal an den Punkt zu kommen, dass jemand der in erster Linie seine Hilflosigkeit sieht sich überhaupt dahingehend "öffnet" dass das so "absolut" nicht stimmt musst Du halt erst mal die Hilflosigkeit anerkennen. Im Besten Falle gelingt dann darüber eine Verantwortungsübernahme und es entsteht die Bereitschaft auch die eigenen Fähigkeiten einzusetzen.

Solange jemand auf dem Standpunkt steht: Ich kann nix, ich bin nix etc. ist es schwierig denjenigen von seinen Fähigkeiten zu überzeugen. Das hat mit "rationalem" Denken nur wenig zu tun, das greift da nicht. Du kannst niemandem von seinen Stärken überzeugen, der sich weigert, diese zu sehen.


Speechless
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Beitrag So., 05.06.2016, 14:07

Ich finde deinen Schreibstift verurteilend, so als ob jede Therapie falsch laufen würde, bei der die bewilligten Stunden nicht ausreichen und nein: mich betrifft das nicht. Es liegt eben am individuellen Menschen und an den Schäden, die er im Leben genommen hat, nicht jeder Patient ist exakt nach 45 h oder je nach Therapieform geheilt und das ist auch ok so.
Bei mir wird das Kontingent wohl reichen, aber auch nur mit einer Verlängerung.

Was du alles von Therapeuten erwartest, hat meine längst geliefert und zwar seit Monaten. Ich bin aber trotzdem nicht gesund und ich kann dir auch sagen warum: wenn man schon am Boden angelangt ist und das Leben immer noch weiter draufhaut in Form von Krankheiten, Unfällen, schlimme Jobsituation etc. braucht die Therapie zum Bsp auch mal viel Zeit sich mit sowas zu beschäftigen und man muss erst ausreichend stabil werden, um gewisse Themen anzusprechen und bearbeiten zu können.

Ich habe meiner Therapeutin erst nach 30 h überhaupt vom Missbrauch erzählen können, weil ich erst eine Beziehung zu ihr haben musste, wo ich wusste: mir passiert bei ihr nichts, ich kann ihr vertrauen.

Ich kann zum Bsp für verschiedenste Arten von Traumatisierungen sprechen und sagen: je früher und länger desto mehr Zeit braucht das zu heilen. Wer über Jahrzehnte schlecht behandelt wurde hat normalerweise nicht nach einem Jahr alle tiefsitzenden Verletzungen überwunden und ist bereit, sich vollends gesund in neue Beziehungen zu stürzen und blickt komplett hoffnungsvoll in die Zukunft.

Ich möchte mich übrigens gerne selbst stärken und entwickeln, aber habe das nach 39h noch nicht abschließend geschafft.

Ich gehe mal davon aus, dass die meisten schon eine deutliche Besserung ihrer Beschwerden durch die Therapie haben. Aber es kommt eben auch auf das Maß an. Wenn man den Anspruch hat, nach der Therapie ständig zufrieden zu sein, würde ich sagen bei mir ist die Therapie gescheitert. Mir ging es aber bislang erstmal nur ums Überleben und Aushalten von den vielen negativen Dingen, die mir im letzten Jahr passiert sind. Das habe ich erreicht.

Und ich bin zum Bsp durch den Kontakt mit der Therapeutin viel mehr in Beziehung zu mir selbst und viel mehr in Kontakt mit mir; dafür war die Beziehung aber Voraussetzung.

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stern
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Beitrag So., 05.06.2016, 14:07

isabe hat geschrieben:Wenn es "nur" die Tatsache wäre, dass ihm die Vorstellung davon fehlt, WIE ein gutes Leben aussehen könnte, dann müsste es doch möglich sein, ihm dies innerhalb des Stundenkontingents zu zeigen ("Sie könnten vielleicht dies oder jenes tun?").
Noch nicht alles gelesen. Aber NUR das ALLEINE reicht eher nicht aus... aber ich wüsste tatsächlich nicht, wie man etwas aufgeben kann ohne dass etwas "gesünderes" in Aussicht ist. Wenn man meinetwegen von einer Essstörung in eine Zwangsstörung rutscht, mag das zwar auch eine Änderung sein, aber nicht wirklich eine Besserung. Besserung wäre, wenn an die Stelle der Essstörung dann etwas Neues tritt (das nicht wieder pathologisch ist). Wenn man davon keine Vorstellung hat, glaube ich, dass Änderung wirklich schwer ist.
Liebe Grüße
stern 🌈💫
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isabe
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Beitrag So., 05.06.2016, 14:13

Mio:
Aber wenn der Therapeut das merkt, dass Aufmunterung und Anerkennung nur dazu führen, dass der Patient in seiner Hilflosigkeit gestärkt wird, weil er nur in jenen Momenten der Hilflosigkeit Zuwendung erfährt, dann müsste doch die Therapie anders gesteuert werden oder beendet werden?

Ich glaube, es ist ein Unterschied, ob "nur" keine Verbesserung eintritt oder ob sich der Zustand verschlechtert, und zwar chronisch, also über Wochen oder länger. Und wenn es im Falle einer Stagnation immer noch möglich ist, den Patienten als erwachsenen Gesprächspartner zu erleben, mit dem gemeinsam der Verlauf reflektiert werden kann und dann unter Umständen mal etwas Neues ausprobiert werden kann, ohne dass der Patient "austickt", dann ist das sicher auch ein gutes Zeichen. Wenn aber jede Regung des Therapeuten in Richtung Eigenständigkeit, sei es bei ihm selbst, sei es beim Patienten, mit Wut und Abwertung bedacht wird, warum wird das so lange geduldet, dass sich regelrechte Teufelskreisläufe ergeben, die den Therapeuten in die Ohnmacht treiben und die dazu führen, dass sich am Ende nur noch die Frage stellt, wer den erlösenden Schritt des Abbruchs einleitet?


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isabe
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Beitrag So., 05.06.2016, 14:17

Speechless:
Ich glaube, wir schreiben über unterschiedliche Dinge. Mir geht's hier nicht um die Frage nach der Therapiedauer, auch wenn die nicht vollkommen losgelöst ist vom Abschluss. Meinetwegen können Therapien Jahre oder Jahrzehnte dauern. Ich bedauere nur, wenn es den Patienten unter der Therapie so schlecht geht, dass sie in der Abhängigkeit gefangen sind. Abhängigkeit und Therapiedauer hängen ja nicht immer zusammen. Es gibt bestimmt Patienten, die zehn Jahre zum Therapeuten gehen, ohne dass sie so schwer abhängig waren oder sind, dass ein Leben ohne Therapeuten als wertlos gesehen wird. Nur Letzteres finde ich beklagenswert.


mio
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Beitrag So., 05.06.2016, 14:20

stern hat geschrieben:Besserung wäre, wenn an die Stelle der Essstörung dann etwas Neues tritt (das nicht wieder pathologisch ist). Wenn man davon keine Vorstellung hat, glaube ich, dass Änderung wirklich schwer ist.
Oder zu verstehen, was über die Essstörung unbewusst "erreicht" werden soll und wird. Jede "Störung" hat ja auch eine "Funktion" - meist die der "Stabilisierung des Selbst" würde ich mal sagen.

Wenn ich nun also unbewusst versuche über eine Essstörung "Kontrolle" zu bekommen und diese "Kontrolle" dann in Zwangshandlungen umwandle, dann verschiebt es das wie Du sagst nur. Ich muss mich also mit dem unbewussten Kontrollbedürfnis auseinandersetzen und es bearbeiten. Bzw. lernen, wie ich dieses Gefühl der Kontrolle auf gesündere Art erreichen kann. Und Kontrolle hat auch immer was mit einem guten Zugang zu den eigenen Bedürfnissen und Gefühlen zu tun. Je "klarer" ich da bin, desto "kontrollierter" kann ich mich für mich einsetzen und desto weniger werde ich "zwanghaft" irgendwas "unbewusstes" kontrollieren müssen.


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isabe
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Beitrag So., 05.06.2016, 14:21

Stern:
Aber wie kann die Vorstellung von einem besseren Leben entwickelt werden? Von einem Leben, das ohne die Anwesenheit des Therapeutens spannend ist? Meine Vermutung ist, dass das nur gelingt, wenn die Regression begrenzt bleibt. Oder aber der Patient verfügt schon vorher über ein einigermaßen intaktes Selbstbild. Und begrenzte Regression ist vielleicht eher dann möglich, wenn auch die Therapiedauer begrenzt ist? Oder ist das ein Widerspruch?

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