Indiskrete Fragen zur Sexualität zulässig?

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seestern1968
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Indiskrete Fragen zur Sexualität zulässig?

Beitrag Sa., 19.09.2015, 13:00

Hallo Ihr,

nach langem Suchen habe ich jetzt einen Therapeuten gefunden, bei dem ich nun probatorische Sitzungen habe. Zuerst machte der Psychologe auf mich einen sehr vertrauenserweckenden Eindruck, aber nun habe ich eine Art Fragebogen als Hausaufgabe mitbekommen, der sich in erster Linie auf meine Sexualität bezieht. Und das, obwohl ich mich zumindest in diesem Lebensbereich immer als glücklich und zufrieden bezeichnen konnte.

Ich bin wegen ganz anderer Probleme in Behandlung. Vor allem deshalb, weil ich kurz hintereinander den Tod meines Vaters und den Suizid meines Lebensgefährten verkraften musste. Mir sind diese Fragen echt zu intim und ich sehe keinerlei Verbindung zu meiner Trauer und meinen Problemen. Kann ich diese Hausaufgabe ablehnen? Oder ist es üblich, beim Start einer Therapie nicht nur nach Eltern und Geschwistern, sondern auch detailliert zu seinem "ersten Mal" und seinen sexuellen Vorlieben befragt zu werden?

Für Einschätzungen Eurerseits wäre ich sehr dankbar.
Seestern

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Unfrei
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Beitrag Sa., 19.09.2015, 13:09

Hallo Seestern!

Ich habe unterschiedliche Therapieformen hinter mir und Hausaufgaben können schon mal sein, aber was du da beschreibst, klingt merkwürdig für mich. Vor allem, wenn es so fern deiner jetzigen Thematik ist.....und dann gleich zu Beginn Fragen zur Sexualität.....
Vorlieben? Detailliertes zum "Ersten Mal"? Beantworten würde ich die Fragen auf KEINEN Fall. Und ein Therapeut, der SO anfängt wäre mir erstmal sehr suspekt.
Darf ich fragen, welche Form der Therapie Du da anstrebst??
Magst du die Fragen zur Sexualität hier mal reinschreiben? ?



Mein Beileid zu deinen Verlusten.
Ich wünsche dir viel Kraft für deinen Weg!
Lg,
Unfrei


leberblümchen
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Beitrag Sa., 19.09.2015, 13:11

Das gehört zur Anamnese. Wobei es da Therapeuten gibt, die sensibel vorgehen und solche, die direkt sind. Du denkst, es hat nichts zu tun mit deinem Problem, aber trotzdem fragen viele Therapeuten alle möglichen Themen durch. So als ob dich ein Arzt fragt, ob du mal eine OP hattest - wenn du eigentlich nur wegen Kopfschmerzen zu ihm gehst.

Mein jetziger Therapeut hat gar nichts in die Richtung gefragt; der erste deutete erst mal an, dass er bestimmte Punkte klären möchte mit mir, und einer dieser Punkte war, wie er es nannte, "die Liebe". Das sagte er mit einem Lächeln, und ich konnte damals natürlich noch nicht so offen sein wie später. Dadurch, dass er es so offen angedeutet hat, fühlte ich mich nicht bedrängt. Zum "ersten Mal" kann man ja viel sagen: das Alter, zum Beispiel. Vielleicht ist es nicht uninteressant, ob du mit 14 oder mit 24 zum ersten Mal Verkehr hattest. Wie detailliert ist denn die Frage? Bei den sexuellen Vorlieben ist es ähnlich: Für Tiefenpsychologen ist die sexuelle Orientierung nun mal spannend. Kannst du nicht selbst entscheiden, wie sehr du dabei ins Detail gehen magst?

Der Satz "ich bin glücklich und will daher dazu nichts sagen" dürfte jedenfalls erst recht sein Interesse wecken...

Wenn du dich damit nicht wohl fühlst, solltest du ihm das so sagen. Das ist völlig legitim.

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stern
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Beitrag Sa., 19.09.2015, 13:26

Fragen zur Sexualität sind üblich. Stationär wurde das (wie alles andere aber auch) noch viel umfangreicher erfragt. Hier überlegte dann sogar ich, ob mir das nicht etwas zu intim ist und ich das ausspare. Das steht dir jederzeit frei, das nicht zu beantworten - insbes. wenn du sagst, Sexualität ist sowieso nicht mein Thema. Was ich aber trotz allem ungewöhnlich finde: Die Frage nach den Vorlieben... denn was soll das zur Sache tun. Relevant wäre das aus meiner Sicht höchstens, wenn es sich hierbei um hochgradig ungewöhnliche Vorlieben oder Sexualstörungen handelt bzw. man seine Sexualität nicht leben kann. Ich würde die Vorlieben weglassen oder unverfänglich beantworten, z.B. heterosexuell orientiert oder homosexuell (halt je nachdem) , aber keine sexuellen Techniken o.ä. - außer das wäre etwas, was du als relevant für deine Therapie ansehen würdest. Aber was kein Problem ist, würde ich auch nicht problematisieren. In meinem Bogen sind auch Fragen zur Sexualität, aber relativ allgemein. Ich meine, das gehört tatsächlich zur Erhebung dazu.
Liebe Grüße
stern 🌈💫
»Je größer der Haufen,
umso mehr Fliegen sitzen drauf
«

(alte Weisheit)

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leberblümchen
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Beitrag Sa., 19.09.2015, 13:37

Ich bin nicht sicher, ob nicht in diesem frühen Erfragen sogar eine Chance liegt: Ich glaube, man muss sich nichts vormachen: Solange die Sexualität nicht explizit thematisiert wird, geht "man" davon aus, das Gegenüber sei heterosexuell. Das heißt nicht, dass ich persönlich das nur so mache; dazu gibt es zig Untersuchungen, dass Heterosexualität und Reproduktion das "Normale", Nicht-Markierte sind. Irgendwann stellt sich für jeden, der von der Heteronormativität abweicht, die Frage, ob, wann und wie er sich dem Gegenüber öffnen kann. Viele Menschen leiden unter dem ständigen Gefühl, etwas zu verheimlichen, ohne DASS sie dies absichtlich tun - es fragt sie halt nie jemand, weil eben Heterosexualität quasi als "gegeben" vorausgesetzt wird.

Insofern finde ich es tatsächlich gut, wenn jemand - zumal in diesem Kontext - danach fragt. Es könnte ansonsten sein, dass der Patient monate- oder jahrelang darüber grübelt, ob er dem Therapeuten sein "Geheimnis" anvertrauen kann - und auch hier müssen wir uns nichts vormachen: Viele, sehr viele Probleme, die wir haben, hängen mit unserer Sexualität zusammen - weil diese eben kulturell geprägt ist von Verboten und Tabus, an die wir uns irgendwie anpassen müssen, um nicht ausgeschlossen zu werden. Oft sind diese Mechanismen unbewusst, sodass es gut sein kann, wenn sie zumindest mal auf den Tisch gepackt werden.

Wenn der Patient erst mal eine Beziehung zum Therapeuten hat, kann es sehr belastend sein - ich spreche aus Erfahrung -, ein Tabuthema irgendwann mal auszusprechen. Wenn jemand den Mut findet, dies sofort offen zu sagen, könnte das erleichternd sein. Wenn es für dich kein Thema ist, kannst du das auch so sagen, und dann sollte er es auch akzeptieren. Du MUSST nichts sagen, was du nicht sagen willst.


Vincent
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Beitrag Sa., 19.09.2015, 13:39

seestern1968 hat geschrieben:aber nun habe ich eine Art Fragebogen als Hausaufgabe mitbekommen, der sich in erster Linie auf meine Sexualität bezieht. Und das, obwohl ich mich zumindest in diesem Lebensbereich immer als glücklich und zufrieden bezeichnen konnte.
Ich halte (gelebte) Sexualität für den Indikator (in Bezug auf unbewusstes 'seelisches' Leiden) schlechthin. Durch sie kommt vieles andere zum Ausdruck. Möglicherweise auch die Art und Weise deines Trauerns.

Wenn es dir schon unangenehm ist, mit solchen Fragen konfrontiert zu sein, und du darüber nachdenkst, ob du sie überhaupt beantworten willst, zeigt das meiner Meinung nach z. B. schon recht deutlich, dass das Thema für dich sehr schambesetzt ist.

Unter anderem 'Grenzen deiner Scham' mag dein Therapeut durch diesen Anamnese-Bogen 'ermitteln' wollen.
"Eigentlich bin ich ganz anders, aber ich komme so selten dazu." (Horvàth)

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münchnerkindl
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Beitrag Sa., 19.09.2015, 13:40

Ich würde den Therapeuten ganz direkt auf den Fragebogen ansprechen, incl, dass du die Fragen in ihrer Detailiertheit als ziemlich unangemessen und grenzüberschreitend empfindest, gerade in Anbetracht dessen, dass ihr noch garkeine tragfähigte therapeutische Beziehung habt und du aufgrund von Trauerfällen die Therapie benötigst, nicht aufgrund von Sexualstörungen.

Ich persönlich würde es ablehnen, mich einem Menschen den ich nicht kenne gegenüber über solche Dinge zu äussern. Und ich empfinde es als ziemlich fragwürdig, einen mir fremden Menschen nach solchen Details zu auszufragen.

Bei mir hinterlässt so ein intensives Interesse durch einen mir noch völlig fremden Therapeuten doch einen schlechten Beigeschmack.

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münchnerkindl
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Beiträge: 9740

Beitrag Sa., 19.09.2015, 13:43

Vincent hat geschrieben: Unter anderem 'Grenzen deiner Scham' mag dein Therapeut durch diesen Anamnese-Bogen 'ermitteln' wollen.

Es hat nichts mit unangemessener Scham zu tun, wenn man mit einem wildfremden Menschen nicht über die Details des Sexlebens kommunizieren will. Es ist komplett legitim und gesund, darüber mit fremden Menschen nicht sprechen zu wollen.

Und wenn man mit Sexualität ein Problem hat ist dieses bei einem Therapeuten des eigenen Geschlechts besser aufgehoben.


montagne
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Beitrag Sa., 19.09.2015, 13:44

Hi seestern,
meine persönliche Meinung ist, ich finde das mehr als nur seltsam, wenn du NICHT Sexualprobleme als Therapiegrund angegeben hast und er kein Sexualtherapeut ist. Und selbst dann, so gleich zu Beginnd er Therapie.
Ich persönlich würde die Fragen nicht beantworten und mich von so einem Therapeuten nicht behandeln lassen. Selbst wenn das für seinen Therapieansatz zu diesem Zeitpunkt der Therapie so wichtig ist, sollte doch der Klient und seine Grenzen immer wichtiger sein, als die Methode. Und es geht auch nicht darum, ist meine Meinung, was den Therapeuten interessiert und was er spannend findet, sondern was die Klientin interessiert zu erzählen, was sie auf dem Herzen hat, wo sie sich erstmal entlasten will, was sie mitbringt. Damit arbeitet dann die Therapeutin.
Dann wird eine gute Therapeutin sicher lenkend eingreifen, wenn sie denkt, dass die Klientin ausweicht, aber so dosiert, dass die Klientin es als hilfreich empfindet und nicht als grenzüberschreitend. Und wenn die Klientin dann an einem Punkt sagt: Darüber rede ich nicht. Dann ist das eben so. Umentscheiden kann man sich als Klientin jeder Zeit. Muss aber auch nicht.

Ich glaube auch nicht, dass man zwingend in einer Therapie über seine Sexualität reden muss. Wer es möchte und für wen es hilfreich ist, klar. Ich denke zwar auch, dass sich in der Sexualität und auch der sexuellen Phantasie viel ausdrückt, Ressourcen, wie auch Probleme. Aber die drücken sich in anderen Lebensbereichen ebenso aus, da es wenn man auf den Grund geht ja die gleichen Ressourcen und Probleme sind. Und so kann man auch andere Lebensbereiche exemplarisch besprechen und Lösungen dort exemplarisch erkennen, neues und altes spüren. das überträgt sichd ann (automatisch), denke ich auf andere Lebenesbereiche, auch auf die Sexualität, bzw. Körperlichkeit.
Zuletzt geändert von montagne am Sa., 19.09.2015, 13:53, insgesamt 1-mal geändert.
amor fati


leberblümchen
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Beitrag Sa., 19.09.2015, 13:47

Und wenn man mit Sexualität ein Problem hat ist dieses bei einem Therapeuten des eigenen Geschlechts besser aufgehoben.
Ich habe ein Problem mit meiner Sexualität und könnte NIEMALS mit einer Frau darüber reden - was Teil des Problems ist, natürlich. Frauen sind für mich in dieser Hinsicht sehr problematisch, aufgrund schlechter Erfahrungen. Man kann das also nicht pauschalisieren.

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candle.
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Beitrag Sa., 19.09.2015, 13:53

Hallo seestern1968!
seestern1968 hat geschrieben: aber nun habe ich eine Art Fragebogen als Hausaufgabe mitbekommen, der sich in erster Linie auf meine Sexualität bezieht.
Was sind es denn für Fragen?

Fragen zur Libido sind durchaus normal, weil das bei einer Depression eine Rolle spielt. Klar ist das auch unangenehm aber normal.

Ich möchte mich hier also auf keine Seite schlagen, weil ich deinen Fragebogen nicht kenne.

VG candle
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Carpincha
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Beitrag Sa., 19.09.2015, 13:58

Ich empfinde es ebenfalls als sehr seltsam. Ein Fragebogen hauptsächlich zur Sexualität, obwohl dein Problem nicht in diesem Bereich liegt? Für mich klingt das stark danach, dass der Therapeut da etwas einseitig interessiert ist...

In meinen ambulanten Therapien, und das waren ein paar, bin ich zu keinem Zeitpunkt über meine Sexualität ausgefragt worden. Lediglich eine Therapeutin hat mich einmal allgemein gefragt, ob ich auf dem Gebiet Probleme habe und dies, nachdem ich verneint habe, nicht weiter thematisiert.


montagne
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weiblich/female, 99
Beiträge: 4600

Beitrag Sa., 19.09.2015, 13:59

Nachtrag @seestern:
Ich würde an deiner Stelle den Fragebogen mal genau ansehen. Sofern es ein offizielles Diagnoseinstrument ist, wird irgendwo kleingedruckt das Copyright, bzw. die Autoren und Name des Instruments stehen, sowie der Verlag. Insgesamt sieht dass dann auch meist recht professionell gelayoutet aus, auch die älteren Fragebögen.
Sieht dein Fragebogen so aus? Wenn ja, würde mich echt mal interessieren wie dieser Fragebogen heißt. Bzw. kannst du dann ja mal googeln was genau er messen soll und wann er eingesetzt wird.

Oder sieht es eher aus, wie mit Word selbst erstellt?
amor fati


leberblümchen
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Beitrag Sa., 19.09.2015, 14:00

Ich denke auch, dass es genau auf die Fragen ankommt: Wenn im Thread-Titel schon steht "indiskrete Fragen", dann könnte es sein, dass vom Patienten JEDE Frage zum Thema Sexualität als indiskret empfunden wird. Und irgendwie finde ich dieses Wort im Zusammenhang mit einer - potenziellen - therapeutischen Beziehung unangemessen: Letztlich dringt der immer irgendwie in die Privat- oder Intimsphäre des Patienten ein, nur kann man das natürlich auf verschiedene Arten tun.

Aber anzunehmen, der Therapeut würde die eigene Komfortzone nicht berühren, ist eine Illusion, die langfristig nicht helfen wird. Nicht zuletzt: Die Kasse zahlt ja bei Störungen mit Krankheitswert; es muss und wird also um mehr gehen als ausschließlich um die Trauerarbeit. Und dieses "mehr" zu finden, so noch nicht bekannt, ist die Aufgabe von Therapeut und Patient.

Wenn das Vertrauen (noch) nicht gegeben ist, ist das wirklich total in Ordnung, nur würde ich halt nicht dem Therapeuten deswegen unterstellen, er sei irgendwie indiskret.

Es sei denn, natürlich, er fragt so was wie: "Was ist ihre bevorzugte Reizwäsche?" o.ä. Das gehört sicher NICHT in die Anamnese.


leberblümchen
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Beitrag Sa., 19.09.2015, 14:06

Unsensibel finde ich z.B., dass er dich das fragt, wo du gerade (?) deinen Partner verloren hast. Da irritiert mich weniger die Direktheit als die mangelnde Sensibilität.

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