eigene (Scham)grenzen überschreiten - wie?

Haben Sie bereits Erfahrungen mit Psychotherapie (von der es ja eine Vielzahl von Methoden gibt) gesammelt? Dieses Forum dient zum Austausch über die diversen Psychotherapieformen sowie Ihre Erfahrungen und Erlebnisse in der Therapie.
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lia17
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eigene (Scham)grenzen überschreiten - wie?

Beitrag Mo., 25.02.2013, 17:13

Hallo Ihr Lieben,

ich brauche nun doch auch mal Eure Erfahrungen oder auch Meinungen.
Ich bin seit 9 Monaten in einer Verhaltenstherapie wegen Panikattacken. Auslöser oder besser Hintergrund meiner Angsterkrankung ist massive Gewalterfahrung durch meinen Vater, Scheidung meiner Eltern, einer Mutter, der ich bis heute egal bin und sexueller Missbrauc durch den "lieben" Onkel.
Ich bin der absolute Kontrollfreak, kann mich anderen Menschen gegenüber nur schwer öffnen, stehe nicht gerne im Mittelpunkt, habe immer Angst abgelehnt zu werden, wenn ich Menschen zu nahe an mich ranlasse.

Jetzt in meiner Therapie mache ich Fortschritte, mir geht es auch schon wieder sehr viel besser. Doch da ich jetzt eigentlich erst so richtig Vertrauen zu meiner Thera gefasst habe, kann ich auch jetzt erst richtig an die "schwierigen" Themen ran. Aber: hier stosse ich an meine Grenzen. Ich komme mir jedesmal in der Sitzung vor, als wäre ich in Watte gepackt, fühle echt gar nichts, kann nicht weinen, kann nicht wütend sein oder mich generell entspannen. Ich komme einfach nicht an meine Gefühle ran!

Gibt es den sowas? Was mache ich falsch. Dadurch komme ich einfach nicht weiter! Ich sitze da und erzähle wie so`n Roboter über schlimme Dinge und bin total kopfgesteuert. Ich habe so`ne Angst unglaubwürdig dadurch zu sein.

Kann mir jemand sagen, ob es ihm genauso geht oder ging bzw. wie man das überwinden kann? Ich finde das auch so anstrengend. Es ist als ob sich eine Mauer schon vor der Therapiesitzung in mir aufbaut und ich diese kein bischen verrücken kann.

Bin so enttäuscht von mir, weil wenn die Sitzung vorbei ist, und ich im Auto sitze und auf dem Heimweg bin, bricht alles aus mir raus. Danke schon mal!

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Marzipanschnute
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Beitrag Mo., 25.02.2013, 17:51

Hm, also, die unumgängliche Frage, hast du das mal mit deinem/deiner Thera besprochen? Also, diese Unfähigkeit dich fallen zu lassen? Denke, dass es gerade in der VT die Möglichkeit gibt, dich vorher etwas zu erden und dann erst mit der Stunde loszulegen.

Vielleicht hilft es dir auch deine Gedanken und Gefühle mal aufzuschreiben und das dann mit in die Stunde zu bringen, das könnte ein Einstieg sein und vielleicht kommt dann ja auch was von den Gefühlen mit hoch.

Aber ich kenne das von mir selbst auch gut. Unter der Woche ist bei mir teilweise die Hölle los, es geht mir schlecht und ich weiß nicht weiter und wenn ich dann in die Therapiestunde fahre, ist auf einmal alles wie eingefroren... das einzige was ich dann noch empfinden kann, wenn ich denn was fühle, ist Wut und die bringt mich auch nicht besonders weiter.

Aber vielleicht zeigt dir das ja auch einfach nur, dass du noch nicht so weit bist und irgendwann klappt es dann...

Ich wünsche dir auf jeden Fall ganz viel Kraft!
“Das Schöne an der Zeit ist, das sie ohne Hilfestellung vergeht und sich nicht an dem stört, was in ihr geschieht.” Juli Zeh


montagne
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Beitrag Mo., 25.02.2013, 17:59

Ja ich kenne das sehr gut lia und denke auch, man sollte dran arbeiten.
Ich frage dich aber: Schamgrenzen überschreiten? Reißt du dir in der Öffentlichkeit die Kleider vom Leib? Ich denke nicht. Scham ist auch dazu da sich zu schützen. Es ist eine Grenze! Absolut richtig. Und gerade, wenn du Missbrauchs- und Gewalterfahrungen hast, also Grenzüberschreitungen erlebt hast, finde ich es fraglich, ob es richtig wäre diese Grenzen zu überschreiten.
Diese Scham wird sich verändern, so meine Erfahrung. Sie selbst zum Thema zu machen, für sich und in der Therapie ist an sich schon erhellend und heilsam. Und dann geht auch mehr, wnen auch nicht von heute auf morgen.
amor fati

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lia17
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Beitrag Mo., 25.02.2013, 18:10

Hallo,

ich bin so froh, dass es nicht nur mir so geht. Ich dachte ernsthaft, ich stelle mich zu blöd an.

Ich habe das schon mehrmals mit meiner Thera besprochen und sie fragt dann immer ganz vorsichtig und lieb, wo ich denn Traurigkeit und Wut etc. spüre, wenn ich Gefühle spüre. Ich spüre sie meist nur im Bauch, wenn ich alleine bin. Vor anderen Menschen geht es eigentlich gar nicht.

Sie probiert mit mir jetzt Stabilisationsübungen und ich hoffe ich komme dadurch an meine Gefühle ran. Mal sehen

Ich finde es aber frustrierend , weil ich mich gerne mal so zeigen möchte, wie ich wirklich bin und diesen geschützen Rahmen nutzen möchte, um mich auszuprobieren und komme da einfach nicht weiter. Wahrscheinlich ist aber auch mein Druck so hoch, weil ich nur noch 10 Sitzungen habe.

Es ist so krass, ich erzähle da schlimme Sachen, wo ich, wenn ich allein bin nur heule und wütend werden kann ohne Probleme und bei ihr Sitze ich stocksteif und kühl. Ich kapiere es nicht?

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montagne
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Beitrag Mo., 25.02.2013, 18:13

Aber wird sie nicht verlängern?
Ich würde mal sagen, was du beschreibst wird wohl einigen Klienten so gehen. Ich sage nicht, dass jeder sich so anstellen muss wie ich, bei mir sind es ganz andere Dimensionen als nur paar Monate. Aber auch das ist wohl nicht so ganz ungewöhnlich, das Klienten sehr, sehr lange brauchen.
amor fati

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Wandelröschen
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Beitrag Mo., 25.02.2013, 18:33

lia17 hat geschrieben: Ich sitze da und erzähle wie so`n Roboter über schlimme Dinge und bin total kopfgesteuert. Ich habe so`ne Angst unglaubwürdig dadurch zu sein.
Das war zu 100% lange auch bei mir so.
Als ich irgendwann erzählen konnte, ging lange erst mal nicht, und dann auch erstmal nur bruchstückhaft, war das total emotionslos, wie wenn ich erzählte, dass irgendwo in China ein Sack Reis umkippt. Hatte ja alles scheinbar irgendwie nichts mit mir zu tun – und meiner Thera und meinem Thera fiel dabei die Kinnlade runter.

Du schreibst, du hast nur noch 10 Std. Wie viele hattest du denn schon insgesamt? Ist Verlängerung noch möglich? Was für eine Therapie machst du?
Gruß
Wandelröschen

Wann, wenn nicht jetzt. Wo, wenn nicht hier. Wer, wenn nicht ich.

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Emoticoala
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Beitrag Mo., 25.02.2013, 18:44

Aus meiner Therapieerfahrung weiß ich, dass es auch Mut kostet, dem Anderen gegenüber Gefühle zum Ausdruck zu bringen, die im sozialen Kontext als schwierig angesehen werden, also Wut, Trauer, Neid, Eifersucht und starke Scham.

Aber genau dafür ist die Psychotherapie da, diese Gefühle an sich zu entdecken und mit ihnen im sozialen Miteinander Schritt für Schritt klarzukommen.

Es ist natürlich auch sehr wichtig, dem Therapeuten zuzutrauen, dass er seinem Patienten diese Gefühle so zurückspiegelt, dass dieser nicht von ihnen völlig überschwemmt wird.

Ich habe aber die Entdeckung gemacht, dass gerade die Gefühlserlebnisse, die für einen selbst besonders schwierig, unangenehm oder fremdartig sind, auf Dauer viele Erkenntnis und Erleichterung mitsichbringen.

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stern
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Beitrag Mo., 25.02.2013, 19:27

lia17 hat geschrieben:Wahrscheinlich ist aber auch mein Druck so hoch, weil ich nur noch 10 Sitzungen habe.
Wie sieht es in Sachen Verlängerung aus? Zeit-Druck im Nacken macht es mMn nicht leichter... Gefühle lassen sich jedenfalls nicht dadurch erzwingen, dass die Zeit drängt. Eher dürfte dann gegenteiliges passieren, dass der Schutz umso mehr aufrecht erhalten wird... denn es macht ja wenig Sinn, ein Fass aufzureißen, und wenn es offen ist heißt es: Tut mir leid, ihre Therapie ist nun beendet. Insofern würde ich erstmal schauen, den zeitlichen Rahmen zu klären... und dann evtl. mal das Schamgefühl ansehen, dass zudem verhindert, dass du dich anvertrauen kannst.
Zuletzt geändert von stern am Mo., 25.02.2013, 20:03, insgesamt 1-mal geändert.
Liebe Grüße
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lia17
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Beitrag Mo., 25.02.2013, 19:55

...dickes Danke an Euch alle.

Ich mache eine VT und habe heute meine 35 Sitzung gehabt. 45 wurden mir bis jetzt genehmigt durch die KK. Verlängerung ist, glaube ich, möglich.

Ich werde mal sehen, vielleicht helfen mir ja die Stabilitätsübungen wirklich, wenn ich es packe mich dort so weit zu entspannen und damit den Kopf auszuschalten.

Ich finde es nur unglaublich, dass ich als Person, diesen Selbstschutz (Mauer) merke und es nicht schaffe, diese abzulegen auch wenn ich es noch so sehr möchte. Die Psyche macht das echt wunderbar, oder?!

Hallo stern,
was meinst Du mit "Schamgefühl näher anschauen?"

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stern
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Beitrag Mo., 25.02.2013, 21:32

Na ja, es scheint ja manches zu geben, was evtl. im Weg steht, dass du an schwierige Themen rankommst, u.a. Scham (vgl. Threadtitel). Mir hat es schon manchmal geholfen, wenn ich vorgelagert erstmal Scham angesprochen habe (bevor man die schwierigen Themen angeht). So kann man mitunter manches abtragen, was im Weg steht. So eine Schutzmauer kann ja an vielem liegen... und je mehr zusammenkommt, desto schwerer ist es wohl, sich zu offenbaren.
Liebe Grüße
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Traurige Seele
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Beitrag Mo., 25.02.2013, 22:22

Das war bei mir auch lange Zeit so. Ich hatte 60 Stunden VT und wurde darin gut stabilisiert. Leider konnte ich mich in dieser Zeit nur recht oberflächlich öffnen. Mein Kopf hat dicht gemacht so bald es zu schmerzhaft wurde.

Jetzt hatte ich 1 1/2 Jahre keine Therapie und jetzt bricht alles über mir zusammen und meine Thera betreut mich jetzt bis die 2 Jahres Sperre rum ist mit Notfallterminen weiter. Erst jetzt habe ich es geschafft ihr alles mitzuteilen trotz der riesen großen Schamgefühlen.

Lass Dir soviel Zeit wie Du brauchst, es wird der Moment kommen in dem Du genug Vertrauen hast Dich zu öffnen. Und ich denke auf jeden Fall dass Du noch Verlängerung bekommst.

LG TS
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LiiZii
neu an Bo(a)rd!
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Beitrag Mo., 03.03.2014, 13:09

Ich finde es normal, dass du keine Gefühle hast während dem Erzählen, weil ich denke du erzählst was dir geschehen ist und beschreibst es einfach. Die gefühle sind aber nicht immer da, wenn man was erzählt, vorallem nicht wenn man darauf schon innerlich vorbereitet ist, dass man es jemandem erzählt. Gefühle kommen ganz plötzlich, wenn die Gedanken an das Vergangene auftauchen, dann hat man nicht immer jemanden zur Stelle, der mit einem das bespricht. Und wenn man es bespricht, geht es einen besser, aber eben in einer Therapie ist man schon innerlich drauf vorbereitet und von daher hat man auch keine Gefühle. Bei mir im Therapie ist es auch so dass mir dann keine Gefühle hochkommen und es wirkt so, als ob es mir ganz gut gehen würde. Aber ich machs dann so, dass wenn es mir schlecht geht, dann schreibe ich meine Gedanken auf (die ziemlich deprimiert wirken meistens) und werde es dann meiner therapeutin vorlesen. Du kannst es ja mal auch so versuchen

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