Aus Angst ständiges Wegstoßen des Therapeuten

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Pullover
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Beitrag Sa., 14.04.2012, 16:30

Hallo an alle!

Ich habe hier meinen Thread wieder ausgegraben, da ich mich die letzten Tage sehr an damals zurückerinnere und möchte hier meine Geschichte vervollständigen.

Kurz zur Erinnerung: Wie der Titel bereits verrät, habe ich mich ständig gegen meinen Therapeuten aufgelehnt. Stunden nicht eingehalten, oft abgesagt, ihn provoziert und kaum einmal aufgemacht und nur geblockt. Zugleich hatte ich ihn gern, wünschte mir seine Aufmerksamkeit und Nähe, aber hatte viel zu viel Angst davor.
Nach einer erneuten Eskalation, gab's eine ganz heftige Auseinandersetzung mit ihm. Woraufhin viele UserInnen hier mir von diesem Therapeuten abgeraten haben. Ich habe selbst oft mit dem Gedanken gespielt und war mir wirklich (auf vielen Ebenen) nicht sicher, ob er kompetent genug und der Richtige für mich ist.


Dieser Streit bzw. diese Eskalation zwischen dem Therapeuten und mir, war ABSOLUT HEILSAM für unsere Beziehung und einer der wichtigsten Erfahrungen, die ich bisher machen durfte.
Die Zeit danach war sicherlich nicht leicht. Ich hatte viele Zweifel und quälte mich mit seiner plötzlich distanzierten Haltung.
Ich bin letztlich noch immer bei ihm. Unsere Gesprächs- und Beziehungsebene ist nun völlig anders. Durch diesen Beziehungscrash damals, konnten wir einiges über Bord werfen und nochmals vieles neu aufbauen.
Es hat sich wirklich neu AUFGEBAUT. Wir näherten uns nochmals völlig neu an. Die dazu erforderliche beginnende Distanz war wirklich hart, aber sie hat uns so viel ermöglicht!

Er geht mit mir nun ganz anders um. Weit weniger einengend, viel raumgebender und vorsichtiger. Er hat zu Beginn unserer Therapie sehr viel Nähe angeboten (nicht körperlich!), mit der ich nicht umgehen konnte und die zu viel Abwehrhaltung meinerseits führte. Er hat jetzt wirklich ein ganz tolles Mittelmaß gefunden. Er bleibt sehr zurückhaltend und schafft es dennoch, mir zu zeigen, dass er da ist.
Ich lerne mich zu öffnen und fange an, wirklich auch seine Worte anzunehmen und darüber nachzudenken. Ich lerne möglicherweise zum ersten Mal eine Beziehung zu halten.
Ich wehre mich manchmal noch immer. Wir streiten auch manchmal, aber gemäßigt und kurzweilig. Aber durch diesen heftigen Crash damals, traue ich mir jetzt viel eher gleich zu sagen, wenn mir etwas missfällt, zu eng wird oder ich wieder beginne alles am liebsten umwerfen zu wollen. Ich schaffe es mit diesen Gefühlen zu ihm zu gehen und sie offen genug anzusprechen. Und wir diskutieren das aus. Wir haben auch bildlich viel daran gearbeitet, in dem ich mir in Momenten der Enge vorstelle ihn wegzustoßen und wir haben geklärt, dass er das gut ertragen kann.
Ich habe es auch geschafft zu lernen, darüber nachzudenken, welche konkreten Verhaltensweisen mich an ihm stören und welche ich mir bei ihm wünschen würde. Ich habe gelernt diese Wünsche auch auszusprechen und darf erfahren, dass er sich darum unglaublich bemüht und er dennoch darin authentisch bleibt.

Ich möchte damit keinen Freifahrtsschein für alle Therapeuten ausstellen, wenn sie mal etwas aus der verständnisvollen/emphatischen Rolle fallen. Ich kann nur sagen, dass es für mich - so hart es auch war - eine ganz wertvolle Erfahrung war und letztlich unsere therapeutische Beziehung gerettet hat!

Es lohnt sich die Konfrontation zu suchen! Ich wüsste nicht, wie sehr mir das noch nachhängen würde, wenn ich damals gekränkt und voller Zweifel alles abgebrochen hätte.

Es war mir wichtig das noch loszuwerden.
Pullover
Zuletzt geändert von Pullover am Sa., 14.04.2012, 16:34, insgesamt 1-mal geändert.

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**AufdemWeg**
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Beitrag Sa., 14.04.2012, 16:33

Hallo Pullover,

danke, dass du das mit uns hier teilst - regt mich persönlich sehr zum Nachdenken an...
und weiterhin alles Gute für dich

LG ADW
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candle.
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Beitrag Sa., 14.04.2012, 16:38

Pullover, das finde ich super, dass du diese positive Erfahrung hier mitteilst! Das ist wirklich ein Lehrthread!

candle
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Pullover
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Beitrag Sa., 14.04.2012, 17:55

Danke.. mir war das jetzt auch wichtig.

Mein Therapeut meinte damals, als ich ihm ähnliches rückgemeldet habe: "Das ist nicht passiert, weil er so weise wäre, sondern weil wir das ausgehandelt haben."

Ich finde meinen Therapeuten wirklich nicht perfekt. Noch immer nicht. Aber gerade das macht ihn vielleicht für mich "perfekt".
Immer wieder kommt mir mal der Gedanke: Kann er das wirklich bringen "als Therapeut"? Ist das "therapeutisch kompetent" genug?
Ich weiß nicht was wirklich "therapeutisch" ist (abgesehen von den Rahmenbedingungen). Ich weiß auch nicht, wie viel man sich von einem Therapeuten erwarten darf.
Ich für mich habe aus der ganzen Geschichte gelernt, dass ich mir von meinem Therapeuten grundsätzlich mal nur erwarten kann, dass er für einen Austausch bereit ist. Es ist m.E. aber vermessen zu glauben, dass Therapeuten immer das Richtige und Passende zu sagen / zu tun haben. Ich kann mir eine Besserung schwieriger Situationen nur erwarten, wenn ich es ihm auch mitteile. Mit Händen, mit Füßen, mit Mails, Schluchzend, Stammelnd, Zitternd, Schwitzend oder auch mal mit einem Wutausbruch - völlig egal! Aber ich muss es ihm sagen. Und wenn er sich darauf einlässt, mich mit meinen (manchmal komischen) Mitteilungsversuchen auch akzeptiert, dann kann ein Aushandeln und Zueinanderfinden auch funktionieren.
Er ist ganz oft Therapeut. Manchmal aber auch nur Mensch - darin ist er nicht perfekt. Aber ich glaub, in diesen Phasen lerne ich besonders viel was das Thema "Beziehung" betrifft. Und wir reden vor allem darüber, weil ich mir das auch traue. Und ich merke, wie dankbar er das annimmt, wenn ich dazu den Mut finde.

So. Lehrstunde beendet. Ich werde mir das hoffentlich selbst auch manchmal lesen, sollte ich mal wieder vergessen....

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carö
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Beitrag Sa., 14.04.2012, 18:02

hallo pullover,

du beschreibst das wirklich sehr eindrücklich. ich denke auch, dass solche krisen auch eine große chance sein können, wirklich in kontakt zu kommen. wenn, wie du es so treffend auch schreibst, beide bereit sind zum austausch. dazu gehört auch, sich mitzuteilen, egal wie ... und ja, fehler zu machen gehört zum menschsein dazu... damit konstruktiv umzugehen ist die kunst. ich glaube gerade aus den sog. "fehlern" kann man am meisten lernen.

LG
Es ist krass, was man erreichen kann, wenn man sich traut. (Aya Jaff)

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Beitrag Sa., 14.04.2012, 18:15

Ja absolut. Und trotzdem: dass er damals laut wurde und unfreundlich wurde, war ein Fehler. Das möchte ich gar nicht schön reden und muss trotzdem nicht im Widerspruch zu oben geschriebenen stehen.

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