Führe ich mich nur auf?

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münchnerkindl
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Beitrag So., 18.08.2024, 22:47

Pantoffeltierchen hat geschrieben: So., 18.08.2024, 21:32 Ich habe vor dem Sommer meine Therapie bzgl. des Themas Mobbing vorerst abgeschlossen gehabt und gehofft es wieder wegpacken zu können. Mein Thera meinte, sollte es in 5 -10 Jahren doch Thema werden, kann ich mich ja da noch immer melden. Ich denke es hat ihm auch Angst gemacht, dass ich wieder alte Symptome gespürt habe (mich hat es auch geängstigt) und er wollte nichts riskieren wenn wir nicht wissen, ob es überhaupt Thema wird. Aber seither ist das Thema Mobbing und Therapie ständig in meinem Kopf. Ich habe jetzt bei einem Traumatherapeut mal angefragt, Ende des Monats habe ich erstgespräch. Die Erfahrung lehrt mich, dass es sehr wahrscheinlich ist, dass er nicht passt, aber vielleicht habe ich ja Glück. Nur: was mache ich dann? Es ist ja nach wie vor so, dass wenn ich in die Bearbeitung gehe, die Gefahr, dass ich alte Symptome hochhole und nicht klar komme da ist. Ich komme im Alltag dzt gut klar. Nur ist das Thema momentan in meinem Kopf dauernd präsent.

Ich denke in der letzten Therapie hat die mentale Beschäftigung mit dem ollen Kram aus der Jugend dich retraumatisiert.

Das war keine gute Idee und hatte genau den gegenteiligen Effekt als geplant.

Ich habe aus purem wissen wollen meinen Vater neulich mal nach Details aus meiner sehr frühen Kindheit und der Beziehung meiner Eltern damals gefragt. Wir haben nur eine viertelstunde oder so drüber geredet und er hat Sachen berichtet. Danach ging es mir tagelang schlecht. War aber nach ein paar Tagen auch wieder gegessen. Das Thema hätte das Potential dass ich mich damit richtig, richtig in eine Krise reinreite. Ich werde das Thema nicht wieder aufmachen. Es ist vergangen, ich lebe heute und wenn die Auswirkungen von damals heute Einfluss auf mein Leben haben dann werde ich die hier und heute mit Gegenmitteln angehen. Ich brauche diesen alten Sumpf nicht mehr. Wenn ich in irgendeinen alten Kram mental reingehe dann reisse ich das nur kurz an, und dann sorge ich für mich und dann verfliegen die Gefühle von damals auch zeitnah wieder. Tiefergehend als so werde ich mich damit nicht mehr befassen weil es einfach keinerlei Nutzen hat.

Und was ich dir auch raten würde, integriere diese "Kindanteile" und "Jugendanteile" etc die du da am laufen hast. So lange du dich künstlich in verschiedene Anteile aufspaltest kann das nicht heilen, weil die Heilung liegt in der Integration aller möglicher Bedürfnisse und Regungen in eins.

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münchnerkindl
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Beitrag So., 18.08.2024, 22:53

Pantoffeltierchen hat geschrieben: So., 18.08.2024, 21:37 Naja, laut den Kriterien muss es eine Gefahr für Leib und Leben gegeben haben - die gab es ja nicht. Ich habe aber in meiner abschlusstunde gefragt und er meinte er würde es daran festmachen, dass es sehr sehr wenig braucht um mich zu triggern und dass er es für ein Trauma hält 🤷‍♀️

Traumatisierung macht man nicht daran fest was objektiv vorgefallen ist sondern daran welche Folgeerscheinungen die Person danach längerfristig entwickelt.

Weil das ist ja individuell. Es gibt keine Masseinheit für "Schlimmheit" ab wann ein Ereignis traumatisierend ist.

Und ganz klar kann längeranhaltendes Schulmobbing oder auch sonstiges Mobbing dem man sich nicht entziehen kann eine Traumafolestörung auslösen.

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münchnerkindl
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Beitrag Mo., 19.08.2024, 09:05

Pantoffeltierchen hat geschrieben: So., 18.08.2024, 21:37 Naja, laut den Kriterien muss es eine Gefahr für Leib und Leben gegeben haben - die gab es ja nicht.

Mobbing funktioniert wie jede komplexe Traumatisierung nach dem "steter Tropfen höhlt den Stein" Prinzip. Bei der komplexen Traumatisierung ist jedes einzelne übergriffige Ereignis nicht drastisch genug um eine Traumafolgestörung auszulösen.

Der traumatisierende Effekt beruht darauf dass du mit diesen Angriffen so über einen langen Zeitraum bombardiert und zermürbt wirst dass du dich nie mehr sicher fühlen kannst und dass dein ganzes soziales Leben zerstört wird.

Ausserdem sind soziale Schikanen für ein obligat in einem Sozialverband lebendes Lebenwesen wie den Menschen sehr wohl existenzbedrohend. Weil, in früheren Jahrhunderten war der soziale Auschluss aus der Gruppe in der Tat tödlich. Wer in einem Stamm Jäger und Sammler ausgeschlossen wurde war alleine auf sich gestellt ziemlich sicher zum Tod verurteilt. Deswegen hat Anerkennung im sozialen Umfeld für uns Menschen so einen extrem hohen Stellenwert. Weil unsere Vorfahren dutzende Millionen Jahre nur als Gruppe überlebensfähig waren. Und das gilt umso mehr für nicht voll ausgewachsene Exemplare. Deswegen fühlt sich fortdauernde soziale Exklusion in authentischer Weise lebensbedrohlich an.

Und wir Menschen brauchen den positiven sozialen Kontext ja sogar zur korrekten Gehirnentwicklung.

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Takli
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Beitrag Mo., 19.08.2024, 10:10

münchnerkindl hat geschrieben: Mo., 19.08.2024, 09:05 Ausserdem sind soziale Schikanen für ein obligat in einem Sozialverband lebendes Lebenwesen wie den Menschen sehr wohl existenzbedrohend. Weil, in früheren Jahrhunderten war der soziale Auschluss aus der Gruppe in der Tat tödlich. Wer in einem Stamm Jäger und Sammler ausgeschlossen wurde war alleine auf sich gestellt ziemlich sicher zum Tod verurteilt. Deswegen hat Anerkennung im sozialen Umfeld für uns Menschen so einen extrem hohen Stellenwert. Weil unsere Vorfahren dutzende Millionen Jahre nur als Gruppe überlebensfähig waren. Und das gilt umso mehr für nicht voll ausgewachsene Exemplare. Deswegen fühlt sich fortdauernde soziale Exklusion in authentischer Weise lebensbedrohlich an.
So sehe ich das auch. Und wenn vorher schon Unsicherheiten in der Bindung zu Bezugspersonen bestand, auf die man existenziell angewiesen war, dann dürften solche Erfahrungen schnell weiter traumatisieren.

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münchnerkindl
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Beitrag Mo., 19.08.2024, 10:48

Takli hat geschrieben: Mo., 19.08.2024, 10:10Und wenn vorher schon Unsicherheiten in der Bindung zu Bezugspersonen bestand, auf die man existenziell angewiesen war, dann dürften solche Erfahrungen schnell weiter traumatisieren.


Soziale Traumatisierungen sind immer akkumulativ. Auch bei Beziehungsgewalt ist man ja nicht traumatisiert wenn man ein paar Vorfälle erlebt und sich dann trennt. Das entsteht wenn man in der Situation jahrelang verharrt, dem ausgeliefert ist und es nicht schafft sich zu trennen.

Das Problem bei Schule ist ja, du MUSST da hingehen und dich dem aussetzen wenn die Mobber auch dort sind.

Und klar, je weniger Resilienz man aus seinem Elternhaus mitbringt umso anfälliger ist man für weitere soziale Traumatisierungen. Wobei langanhaltendes Schulmobbing so wie ich es verstehe selbst für Kinder aus einem intakten und unterstüztenden Elternhaus traumatisch wirken kann.

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Pantoffeltierchen
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Beitrag Mo., 19.08.2024, 16:40

Hallo Münchnerkindl und Takli!

Vielen herzlichen Dank für eure Antworten! Danke, dass ihr euch mit meinem Thema auseinandergesetzt habt ❤️

Retraumatisiert, hm, es hat sich einfach aufgedrängt. Ich habe immer schon Jugendliche gemieden, wenn ich mehrere Jugendliche auf einmal auf der Straße gesehen habe hat es mir schon Angst gemacht, aber ich hatte keinen engeren Kontakt. Jetzt wird es im familiären Umfeld bald Kinder in entsprechenden Alter geben. Ich hatte ein anderes (peripher verwandtes) aktuelles Thema in der Therapie und da ist dann das mobbingthema aufgepoppt und plötzlich waren die Bilder heroben und ich war irgendwie darin gefangen. Ab da ist es irgendwie nicht wirklich weggegangen. Die Beschäftigung damit hat es primär nicht besser gemacht sondern schlechter, aber ist das nicht eh normal? 🤷‍♀️

Aber danke münchnerkindl für deine ausführliche Antwort!!

Und danke für die Wahrnehmung als Trauma, klingt blöd und vielleicht irgendwie als wollte ich mich wichtig machen, aber ich fühle mich damit wahrgenommen. Danke ❤️
Wer einen Fehler findet, darf ihn behalten.

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