Übertragungsliebe mit sexueller Anspannung

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Anna-Luisa
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Beitrag Di., 22.12.2020, 11:26

Naylanu hat geschrieben: Di., 22.12.2020, 11:12 Die damalige Therapeutin stellte mir die unglaubliche Frage ob es mir gefallen hätte....
Die Frage ist vermutlich zum falschen Zeitpunkt bzw. zusammenhanglos gestellt worden. Aber unglaublich finde ich sie nicht.

Denn so manche Opfer von sexuellen Übergriffen schämen sich, weil ihnen diese auch gefallen haben. Was nicht das Geringste an der Schuld des Täters ändert. Und auch nichts daran, dass Übergriffe Übergriffe sind, die durch wirklich nichts zu entschuldigen sind.
Fordere viel von dir selbst und erwarte wenig von den anderen. So wird dir Ärger erspart bleiben.
(Konfuzius)

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Forums-Gruftie
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Beitrag Di., 22.12.2020, 12:11

Ich denke, das ist sehr blöd gelaufen... du hast das vermutlich als erneuten Übergriff gewertet, oder? Das heißt aber auch, dass die damalige therapeutische Beziehung womöglich noch nicht soweit war, du gar nicht das nötige Vertrauen in diese Therapieperson hattest. Aber gerade das sollte auch in einer Therapie durchaus aufgearbeitet werden, wenn es dich damals so enorm instabilisiert hat. Ich persönlich bin schon dafür, dass man im Hier und Jetzt Probleme bearbeitet, weil es nun mal in der Regel die sind, die einen in Therapie führen - aber eine so verstrickte Geschichte, wie du sie erlebt hast, finde ich, sollte aufgearbeitet werden - gerade wenn du bei dem Thema sogar total instabil werden kannst.

Aber das musst du vor allem für dich selbst entscheiden. Wichtig scheint mir nur, dass du für dich weißt: Du bestimmst, worüber ihr redet, und lässt dir da nicht von der Therapeutin die Themen vorgeben. Ich denke nämlich, dass gerade in einer Situation, wo du dir selbst Redeverbot auferlegt hast, um die Familie zu schützen, es total kontraproduktiv ist, wenn dein Therapeutin so ein Thema jetzt mal eben für beendet erklärt. Aber du musst natürlich selbst wissen, ob du es weiterhin besprechen möchtest oder ob es nicht zentral ist. Das kannst nur du wissen. Aber in vielleicht einfach vorauseilendem Gehorsam solltest du es nicht unter den Tisch fallen lassen. Das hast du nämlich eigentlich schon mal gemacht...
Ich hab an Gestern nicht gedacht und nicht an Morgen
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Und für einen Augenblick leb ich im Jetzt

von: Keine Zähne im Maul aber La Paloma pfeifen

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Naylanu
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Beitrag Di., 22.12.2020, 13:00

Na ja, würde meine Therapeutin mir die gleiche Frage heute stellen, würde ich vermutlich anders damit umgehen, eben weil ich in diese Therapeutin wesentlich mehr Vertrauen habe und weil ich tatsächlich auch anders darüber denke.
Ich glaube, es ist nicht nur Scham, die einen überkommt wenn man sich selbst eingestehen muss, auch schöne Gefühle dabei erlebt zu haben, sondern eben auch der krampfhafte Wille so ein Eingeständnis von sich weisen zu wollen, Ekel vor sich selbst und die Angst verrückt und pervers zu sein. All diese Gefühle wurden von meiner alten Therapeutin massiv verstärkt indem sie es so offen angesprochen und danach nicht weiter thematisiert hat.

Natürlich finde ich es auch wichtig im Hier und Jetzt zu bleiben. Allerdings glaube ich nicht, dass aktuelle Probleme bearbeitet werden können ohne Vergangenes aufzuarbeiten. Meistens bedingt das Eine ja das Andere.
Mir kam bei meiner Übertragung nun noch in den Sinn, dass die sexuelle Anspannung auch daher rühren könnte, dass ich Menschen versuche sexuell an mich zu binden weil ich glaube, dass mein Ich-Sein einfach nicht dafür ausreicht um von einem Menschen geliebt zu werden.
Das würde im Zusammenhang mit dem Missbrauch stehen, da dieser insofern kontrovers war, als, dass mein Opa mich abgöttisch geliebt und auch extrem gefördert hat, er war immer an meinen Gedanken und Gefühlen interessiert und hielt mich für etwas Besonderes. Ein ganz schönes Gefühls-Wirr-Warr und nicht leicht aufzudröseln...

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Montana
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Beitrag Di., 22.12.2020, 16:45

Mir scheint das ein guter Ansatz. Du wiederholst das, was du kennst, weil nur das dir in einer beängstigenden Situation ein Gefühl der Kontrolle erlaubt. Menschliche Nähe ist beängstigend, denn sie macht verletzlich. In einer Konstellation mit so großem Machtgefälle erst recht. Ich habe auch schon Dinge getan, die ich nicht wollte (nichts sexuelles, aber es gibt ja viele Möglichkeiten darüber hinaus), weil ich dachte, ich muss sowieso und kann dann durch eigene Initiative wenigstens Zeit und Ort bestimmen und muss nicht passiv warten, bis eine Katastrophe über mich hereinbricht.
Ich finde die Frage, ob es einem gefallen hat, übrigens extrem deplatziert. Und zwar immer. Ich verstehe, dass es wichtig ist, bei ambivalenten Gefühlen ganz klar über die Schuldfrage zu sprechen. Aber dazu muss ganz klar sein, WIE die Frage gemeint ist und es muss auch sichergestellt sein, dass das nicht so stehen bleibt ohne weitere Klärung. Denn es ist bei weitem nicht immer so, dass diese Frage wirklich mit guter Absicht gestellt wird. Ich kenne aus einer Selbsthilfegruppe Frauen, die ganz ernsthaft damit konfrontiert wurden, zum Missbrauch gehörten ja schließlich eindeutige Signale des missbrauchten Kindes, das dieses all das selbst wolle. Und bei wiederholtem Missbrauch durch mehrere Personen sei ja quasi bewiesen, dass "der Fehler" beim Kind lag. Von daher: solche Therapeuten gab und gibt es immer noch.

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Naylanu
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Beitrag Di., 22.12.2020, 21:00

Montana hat geschrieben: Di., 22.12.2020, 16:45 Mir scheint das ein guter Ansatz. Du wiederholst das, was du kennst, weil nur das dir in einer beängstigenden Situation ein Gefühl der Kontrolle erlaubt. Menschliche Nähe ist beängstigend, denn sie macht verletzlich. In einer Konstellation mit so großem Machtgefälle erst recht. Ich habe auch schon Dinge getan, die ich nicht wollte (nichts sexuelles, aber es gibt ja viele Möglichkeiten darüber hinaus), weil ich dachte, ich muss sowieso und kann dann durch eigene Initiative wenigstens Zeit und Ort bestimmen und muss nicht passiv warten, bis eine Katastrophe über mich hereinbricht.
Ja, genauso kenne ich es. Ich kontrolliere das "Unvermeidbare" lieber selbst als wenn es wieder jemand anderes für mich übernimmt.
Hinzu kommt aber noch, dass Sex und alles was dazu gehört, quasi eine Gegenleistung meinerseits dafür ist, dass ich das bekomme, was ich brauche bzw. glaube zu brauchen. Und im direkten Bezug zu meiner Therapeutin sieht es einfach so aus, dass sich sofort diese Bereitschaft einstellt, eine Gegenleistung zu erbringen, dafür, dass sie mir Wärme, Verständnis, Vertrauen und Wertschätzung entgegen bringt. Ziemlich schräg irgendwie :roll:

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Naylanu
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Beitrag Di., 22.12.2020, 21:05

Montana hat geschrieben: Di., 22.12.2020, 16:45
Ich finde die Frage, ob es einem gefallen hat, übrigens extrem deplatziert. Und zwar immer. Ich verstehe, dass es wichtig ist, bei ambivalenten Gefühlen ganz klar über die Schuldfrage zu sprechen. Aber dazu muss ganz klar sein, WIE die Frage gemeint ist und es muss auch sichergestellt sein, dass das nicht so stehen bleibt ohne weitere Klärung. Denn es ist bei weitem nicht immer so, dass diese Frage wirklich mit guter Absicht gestellt wird. Ich kenne aus einer Selbsthilfegruppe Frauen, die ganz ernsthaft damit konfrontiert wurden, zum Missbrauch gehörten ja schließlich eindeutige Signale des missbrauchten Kindes, das dieses all das selbst wolle. Und bei wiederholtem Missbrauch durch mehrere Personen sei ja quasi bewiesen, dass "der Fehler" beim Kind lag. Von daher: solche Therapeuten gab und gibt es immer noch.
Ich denke, dass es eben ein extrem empfindliches Thema ist, das sicher nicht unberücksichtigt bleiben sollte um den Betroffenen all diese Gefühle von Hass, Scham und Ekel vielleicht auch nehmen bzw. diese verarbeiten und aufarbeiten zu können. Allerdings sieht man auch in meinem Fall, dass ein verantwortungsloser Umgang damit erhebliche Nebenwirkungen mit sich bringen kann.
Ich bin überzeugt davon, dass es viele Therapeuten gibt, die nicht sensibel genug damit umgehen.

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Lilien
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Beitrag Di., 22.12.2020, 21:31

Naylanu,

kann es sein, dass Du das Gefühl hast, Sex sei alles, was Du zu bieten hättest bzw. dass Du generell zu einer "Gegenleistung" verpflichtet seist? Wenn Dir jemand Wärme, Vertrauen und Wertschätzung entgegenbringt, dann tut er das aus freien Stücken, das kann ja nicht einfach so forciert werden. Und es ist keine "Leistung", einen anderen Menschen wertschätzend zu behandeln, die "entlohnt" werden müsste.

Ich selbst z.B. fühle mich oft nicht liebenswert, deshalb habe ich auch das Gefühl, Zuwendung nicht zu verdienen und versuche ebenfalls sofort "Gegenleistungen" dafür zu erbringen. In meinem Fall sind das z.B. oft Geschenke. Vielleicht gibt es bei Dir da ein ähnliches gedankliches Muster?

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Naylanu
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Beitrag Di., 22.12.2020, 22:38

Ich glaube, das Gefühl nicht mehr zu bieten zu haben, ist nicht ganz der richtige Ausdruck. Viel mehr ist es wie ein Zwang.
Ein Beispiel veranschaulicht das vielleicht etwas...
Mit meinem ersten Freund war ich 7 Jahre zusammen. Die Beziehung hatte sicher sehr schöne Seiten, war aber auch geprägt von Gewalt, Sex unter viel Zwang und Druck und Entwertung. Er war zudem auch 10 Jahre älter als ich.
Danach war ich nur noch mit Frauen zusammen und bin bis heute dabei geblieben. Meine erste Freundin war meine absolute große Liebe, eine Seelenverwandschaft und etwas, was ich bis heute nie wieder erlebt habe. Leider war sie Borderlinerin und somit ging die Beziehung unter großen Qualen auch unter. Diese enorme Herausforderung war für mich mit 24 Jahren nicht zu bewältigen. Ich brach für 10 Jahre den Kontakt ab weil sie mich sonst ins Grab gebracht hätte.
Nun haben wir tatsächlich seit einigen Monaten wieder Kontakt und es kam wie es kommen musste. Es ist als hätte es diese 10 Jahre zwischen uns nicht gegeben und auf ihrer Seite sind wieder die gleichen Gefühle wie damals.
Sie berührt mich...immernoch. Sie ist so respektvoll, warm und wertschätzend mir gegenüber. Ich weiß aber auch, dass es sie sehr quält, dass ich mich gegen jegliche Berührungen oder Sex wehre.
Das löst in mir ein Zwanggefühl aus. Ich fühle mich als müsste ich es machen. Eben als Gegenleistung oder aber auch Dank weil sie gut zu mir ist. Zur Zeit kann ich das noch ganz gut kontrollieren aber für wie lange ich das aushalten kann steht auf einem anderen Blatt Papier.

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Montana
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Beitrag Di., 22.12.2020, 22:47

Ich kenne solche Automatismen von mir auch. Gib, sonst wird genommen. Komm dem zuvor, sonst wird es nur schlimmer. Der Druck wird immer größer und die Angst auch. Bei meinem Ex war Sex die Bezahlung für die Beziehung. Aber ich war immer am untersten Limit, immer im Bereich der "Schuld", er immer unzufrieden. Und es war schwierig, dass immer wieder unaushaltbare Situationen entstanden. Wie ich heute weiß aufgrund von Dissoziationen. Damals wusste ich nicht, was passierte und warum.

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Naylanu
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Beitrag Di., 22.12.2020, 22:57

Montana hat geschrieben: Di., 22.12.2020, 22:47 Ich kenne solche Automatismen von mir auch. Gib, sonst wird genommen. Komm dem zuvor, sonst wird es nur schlimmer. Der Druck wird immer größer und die Angst auch. Bei meinem Ex war Sex die Bezahlung für die Beziehung. Aber ich war immer am untersten Limit, immer im Bereich der "Schuld", er immer unzufrieden. Und es war schwierig, dass immer wieder unaushaltbare Situationen entstanden. Wie ich heute weiß aufgrund von Dissoziationen. Damals wusste ich nicht, was passierte und warum.
Genau so ist es. Und dieser Druck ist für mich kaum aushaltbar. Ich komme besser damit klar die Bedürfnisse der anderen zu erfüllen, Augen zu und durch, als diesen Druck auszuhalten, beschimpft, erpresst und emotional niedergemacht zu werden. Und über die Jahre ist es für mich auch so normal geworden, dass ich es echt schaffe das regelmäßig auszuhalten bzw. durchzuführen. Frauen sind da nämlich teilweise auch nicht soooo viel anders....

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chrysokoll
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Beitrag Di., 22.12.2020, 23:00

natürlich sind Frauen da nicht anders, warum auch.

Ich denke es wäre wichtig dass du dich nun erst einmal um dich kümmerst.
Und nur um dich.
Und keine Beziehung eingehst, vor allem auch nicht die schwierige alte Beziehung wieder aufleben lässt.

Hast du mal darüber nachgedacht eine Traumatherapie zu machen?

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Naylanu
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Beitrag Mi., 23.12.2020, 10:49

Sexuelle Forderungen oder gar Gewalt werden ja zumeist eher auf Seiten des männlichen Geschlechts vermutet.
Aber es scheint Teil meines Musters zu sein, immer wieder an Menschen mit diesem Potential zu geraten.
Allerdings war ich vor einigen Jahren mit einer unheimlich lieben und respektvollen Frau zusammen, der es mehr als nur fern lag mich zu verletzen oder in irgendeiner Weise Zwang auszuüben. Das klingt schön, war aber für mich nicht auszuhalten...

Nun habe ich wirklich vor erst einmal allein zu bleiben und habe auch der alten Liebe Grenzen gesetzt, worauf ich sehr stolz bin weil das vor ein paar Wochen noch undenkbar gewesen wäre.

Hmmm, nee ich glaube, an eine Traumatherapie traue ich mich nicht so richtig heran. Mir reicht die Tiefenpsychologische, ehrlich gesagt, schon ^^

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Lilien
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Beitrag Mi., 23.12.2020, 12:28

Also für mich liest sich das teilweise aber auch so, ich bin natürlich auch keine Psychologin/Expertin, nur jemand, der solche Gefühle in zumindest ähnlicher Ausprägung kennt - als hättest Du das Gefühl, es einfach nicht verdient zu haben, geliebt und gut behandelt zu werden. Dann hält man natürlich auch an der wenigen Zuneigung fest, selbst, wenn es keine echte ist, die man von anderen in Form von kleinen "Bröckchen" serviert bekommt, auch dann, wenn sie aus toxischen Beziehungen stammt. Denn wenig Zuneigung ist immer noch besser als gar keine!

Das hat auch viel mit Wertschätzung sich selbst gegenüber zu tun. Je weniger ich mich selbst wertschätze, desto schlechter lasse ich mich von anderen auch behandeln und kann mich abgrenzen.

Du hast es vielleicht auch nie als "Selbstverständlichkeit" erlebt, dass man Dich einfach für das liebt, was Du bist, nämlich Du selbst! Du kannst Dich ja mal fragen, ob es nicht schon häufiger Situationen in Deinem Leben gab (Kindheit etc.) in der Du Dir Zuwendung und Liebe hast "erarbeiten" müssen, weil sie eben nicht einfach so geflossen ist. Und dass Du immer wieder ganz viel von Dir geben musst, auch, wenn es Dich selbst an Deine Grenzen bringt, dass es allein in Deiner Verantwortung liegt, ob man Dich gut und respektvoll behandelt oder nicht. Also quasi immer nur Du die einzige Quelle bist, die eine Beziehung zu einem anderen Menschen nährt.

Und dann ist da ja vielleicht auch diese innere Zerrissenheit (Ambivalenz) in Dir, dass Du auf der einen Seite Dir nichts sehnlicher wünscht, als Liebe, Wärme und Geborgenheit zu spüren, wenn sie Dir dann aber gegeben wird, Du sie nicht ertragen und Dich noch weniger langfristig darauf einlassen kannst, vielleicht auch aus tiefer Angst, sie dann ja doch wieder zu verlieren.

Was das Grenzen setzen anbelangt, da finde ich auch, dass Du sehr stolz auf Dich sein darfst! Das ist ist eine große Hürde, die man oft nicht so leicht überwinden kann.

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Naylanu
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Beitrag Mi., 23.12.2020, 15:00

Liebe Lilien,
während ich deine Worte so gelesen habe, hat sich in mir ganz schön was getan. Denn im Grunde trifft das mehr als nur gut zu.
In meiner Familie musste sich die Liebe schon verdient werden. Nicht bei meiner Mutter. Aber die war/ist mit meiner Schwester beschäftigt. Meine Schwester ist ein gutes Jahr älter, brauchte aber von Kindheit an bei allem viel mehr Unterstützung als ich. Das wurde im Laufe der Jahre natürlich immer massiver sodass für mich meist einfach weder Zeit noch Kraft vorhanden war. Das ist bis heute so. Ich merke auch immer wieder, dass ich für meine Mutter eine Belastung bin, die sie nicht tragen kann, weil alle Kraft für meine Schwester draufgeht. Ich weiß, dass sie mich liebt aber manchmal hätte ich sie vielleicht auch gebraucht...
Bei meinem Vater gab es nur Liebe wenn man etwas geleistet hat oder, und das ist noch viel wichtiger, ihn angehimmelt und nicht widersprochen hat. Er ist ein Narzisst wie aus dem Bilderbuch, hat meine Schwester und mich geschlagen und emotional misshandelt. Wir haben aber beide mittlerweile den Kontakt zu ihm abgebrochen.

Ehrlich gesagt weiß ich manchmal nicht einmal, wie es sich so anfühlt, wenn man einfach als Mensch geliebt wird...
Und, ehrlich gesagt, ist es bei mir auch so, dass ich gar kein Gefühl mehr für Erniedrigungen, Gewalt o.ä. habe. Das prallt einfach so ab und ich fühle dabei absolut nichts.

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Lilien
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Beitrag Sa., 26.12.2020, 18:07

Hallo Naylanu,

gibt es denn die Möglichkeit für Dich, das im Therapiegespräch, gerade in Bezug auf die schrecklichen Erlebnisse durch Deinen Vater, zu besprechen? Ich finde, das klingt so, als könnte das zumindest *ein* Ansatzpunkt sein! Und natürlich ist es genauso schlimm, als Kind vor einem anderen Geschwisterkind ständig zurückstecken zu müssen.

Selbst, wenn es von den Eltern nicht so beabsichtigt war, entsteht doch indirekt das Gefühl, einen weniger bedeutenden Platz in der Familie zu haben, als ihn dann beispielsweise die Schwester vermeintlich(!) hatte. Das muss ja so tatsächlich nicht der Realität entsprochen haben, aber es wird durch dieses Gefühl irgendwann zu einer eigenen Wahrheit, die man immer mit in andere Beziehungen trägt.

Vielleicht kannst Du es (mithilfe der Therapeutin) für Dich so annehmen, dass nicht DU die Belastung für Deine Mutter bist oder warst, sondern einfach die Gesamtsituation, die es erforderte, dass Deine Mutter sich intensiv um Deine Schwester kümmern musste und vielleicht keine Ressourcen mehr für ihre übrigen Kinder hatte bzw. nicht wusste, wie sie die hätte besser verteilen können. Nicht DU warst das Problem, sondern der Umstand, in dem ihr euch da als Familie befunden habt.

So wie es klingt, konnte Deine Mutter wohl auch auf wenig Unterstützung vom Vater hoffen? Aber, das ist jetzt von meiner Seite natürlich etwas vorgegriffen...

Ich wüsste, für mich würde sich daraus eine sehr interessante Therapiestunde ergeben - mein Therapeut hilft mir da oft sehr gut in Richtung Selbstreflexion und darin, bestimmte Zusammenhänge zu erkennen. Ich kann mir vorstellen, dass Deine Therapeutin Dir auf eine ähnliche Art und Weise helfen könnte, unabhängig von diesen Gefühlen, die Du gerade für sie empfindest.
Ehrlich gesagt weiß ich manchmal nicht einmal, wie es sich so anfühlt, wenn man einfach als Mensch geliebt wird...
Und, ehrlich gesagt, ist es bei mir auch so, dass ich gar kein Gefühl mehr für Erniedrigungen, Gewalt o.ä. habe. Das prallt einfach so ab und ich fühle dabei absolut nichts.
So, wie ich Dein letztes Posting verstanden habe, bist Du in dieser Welt der Gewalt gegen Deine Psyche und Deinen Körper aufgewachsen. Du hast es nie anders kennengelernt, das war Deine Normalität, schrecklicherweise! Selbstverständlich "stumpft" man da mit der Zeit ab.

Aber, da Du in Therapie bist, versuchst Du diesen Kreis jetzt zu durchbrechen und Du hast es ja schon in Teilen geschafft, indem Du Dich von zumindest einer Person hast abgrenzen können, die Dich schlecht behandelt hat.

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