Hey_jude,
dein Post spricht mich an, weil ich nun mittlerweile mit beidem Erfahrung habe.
Ich war längere Zeit bei einem Analytiker, der sich auch sehr zurück gehalten hat mit Feedback/Wertungen/Einschätzung zu meiner eigener Wahrnehmung usw. Im nachhinein kann ich darin durchaus einen Sinn erkennen, weil eben alles aus mir selbst entstanden ist/ entstehen musste. Diese Fragen nach Desinteresse, Zuvielsein, Sympathie, Ablehnung, die im Laufe der Zeit mal mehr oder weniger subtil im Raum standen, hat er mir nie beantwortet und überließ das vollends meiner eigenen Interpretation. Das war in manchen Punkten auch gut so, weil ich im Verlauf der Therapie sicherer über die Antwort wurde.
Dennoch löste es auch oft ein Gefühl von Verunsicherung und Alleinsein aus. Wir haben mehrmals darüber gesprochen, aber es war seine grundsätzliche Haltung an der ich auch nichts ändern hätte können. Als immer tiefergehende Themen auftauchten für mich, die auch mit viel Scham- und Schuldgefühlen verbunden waren und ganz sicher auch mit einer eher verqueren Eigenwahrnehmung ging das dann nicht mehr dort für mich. Weil ich meinte eine gewisse emotionale Resonanz zu brauchen und mir vor allem eben auch bewusst war, dass es eine eklatante Lücke zwischen Fremd- und Selbstwahrnehmung klafft. Ich war bei bestimmten Themenkomplexen schon auf externes Feedback angewiesen und da hat die Methode "selbst irgendwann die Erkenntnis haben" nicht funktioniert und ich habe die Therapie unter anderem deshalb bei diesem Therapeuten abgebrochen.
Nach einer längeren Suchphase, in der auch ganz klar die Erkenntnis stand, dass das schon auch wesentlich von der Person des Therapeuten abhing und nicht von der analytischen Therapieform an sich, bin ich nun bei einer Therapeutin die anders arbeitet. Sie gibt mir häufiger ein Feedback, auch zu nonverbalen Signalen und ist transparent in ihren Empfindungen und Einschätzungen. Könnte also alles gut sein
Aber es wurde schnell deutlich, dass auch das problematisch sein kann, weil die gewonnenen Erkenntnisse dann oft kein Ergebnis eines längeren Denkprozesses sind, sondern mitunter eben nur das Ende einer kurzen Konversation. In manchen Dingen ist das hilfreich, vor allem wenn wir unsere Wahrnehmung für bestimmte Konflikte abgleichen können oder sie mich auf unbewusst ablaufendes Verhalten hinweist (Körperhaltung usw.). Wenn es jedoch um die Einschätzung von ihr zu tiefergehenden Themen geht, ist mir das oft zu viel oder zu schnell. Ich bin innerlich noch nicht soweit anzuerkennen, dass ich mich nicht für xyz schämen müsste (nur ein Beispiel) und es löst dann lediglich Widerspruch aus, wenn sie das so klar in den Raum stellt. Auch nur leicht tendenziös urteilende Aussagen ihrerseits zu meinen Eltern gehen gar nicht. Sie darf das nicht sagen, obwohl wir beide wissen, dass es so ist wie sie es sagt. Ich sehe da ganz deutlich den Knackpunkt, dass es nicht reicht etwas auf verbaler und rationaler Ebene zu wissen. Und es reicht auch nicht, wenn sie sagt, dass sie xyz betroffen macht (auch nur ein Beispiel). Das muss in mir wachsen und ich muss es selbst fühlen, erst dann wird es vielleicht ankommen und sich verändern.
Was ich sagen will: ich wünsche mir manchmal schon den Analytiker zurück, der mich mehr in Ruhe gelassen hat und so auch nicht tempomäßig an mir vorbei ziehen konnte. Aber ich glaube auch, dass die deutliche Positionierung der Therapeutin irgendwo in mir Wurzeln schlägt und auch ihr Feedback zu dem was zwischen uns passiert zu meiner weiteren Entwicklung beiträgt. Eine Mischung wäre gut
Etwas was sich jedoch immer als extrem wertvoll herausgestellt hat, ist über genau diese Dinge mit dem jeweiligen Therapeuten zu sprechen. Weil mir auch nur darüber klar wurde, was ich eigentlich will und brauche und erwarte. Niemals hätte ich nach dem Therapieende mit dem Analytiker gedacht, dass mir die Zugewandtheit und Offenheit der Therapeutin so sehr zu schaffen macht, wo es doch genau das war, was ich meinte bei ihm so zu vermissen.
Nun kann ich dir nicht empfehlen erst einmal eine Runde bei einem anderen Therapeuten zu schauen, wie sich ein anderer Stil anfühlt, um eventuell zu erkennen, dass auch trotz der Zurückhaltung ein bei-dir-sein möglich ist.
Aber was ganz sicher so ist, dass ein aus-dem-Fenster-schauen kein Zeichen von grundsätzlichem Desinteresse ist und ein Grund, um aufzuhören über die ganz tiefergehenden Themen zu sprechen. Da fehlt vielleicht wirklich erstmal noch ein Gespräch über eure Kommunikation und deine Erwartungen/ Wünsche/ Interpretationen usw. Kann sein, dass deine Therapeutin dir darauf auch keine konstruktiven Antworten geben kann oder will, aber du gewinnst für dich mehr Sicherheit in deinem Anliegen.
Für mich stand dann eben nach einigen dieser Gespräche ganz klar fest, diese fehlende Transparenz und emotionale Resonanz ist bei vielem akzeptabel und vielleicht auch nützlich, aber es gibt für mich einige wenige Themen bei denen das nicht funktioniert. Doch das war das Ergebnis einer recht lang andauernden Auseinandersetzung und Konfrontation mit dem Therapeuten und hat nicht nur in mir selbst an Bedeutung gewonnen.
Ich wünsche dir also den Mut deine Eindrücke genauer zu hinterfragen und da mehr in die Offensive zu gehen.
Viele Grüße
Haithabu