Wie nah darf Therapeut einem kommen?

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stern
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Beitrag Mi., 12.10.2011, 13:46

... So ist die Anwendung körperlicher Handlungsinterventionen laut einer Veröffentlichung in der Zeitschrift „PiD Psychotherapie im Dialog“ [siehe Nachweis/Quelle unten] heute nicht mehr umstritten. Die Einführung der körperlichen Ebene in die therapeutische Beziehung hat bei allen Schwierigkeiten einen ganz entscheidenden Zugewinn. Oft sind in den nichtsprachlichen Anteilen die stärksten Affekte gebunden. Für Tiefenanalytiker, die noch nie berührt haben, gilt als einfachste Berührung das Halten einer Hand. Der therapeutische Umgang mit dem Körper setzt spezielle Fortbildung voraus. Aber auch eine ganze Reihe anderer Körpertherapien vermittelt nützliche Kompetenzen. Sie vermitteln Umgangsformen der Berührung oder auch nur der Beobachtung der feineren oder auch gröberen Körpergesten und -zeichen, die die Brücke zu einer hilfreichen Berührung bilden können. Die Berührung hat neben dem Halt-Geben noch einen weiteren Effekt: Der Patient spürt, dass sein Therapeut ein Mensch aus Fleisch und Blut ist, eine Erfahrung, die manche Patienten in der verbalen Analyse auf schmerzliche Weise vermissen. Es gibt heutzutage eine Reihe psychotherapeutischer Verfahren in Einzel- oder Gruppensitzungen, die mit einem mehr oder weniger direkten Einbezug des Körpers arbeiten. Körperliche Berührung ist hier fester Bestandteil der Behandlung.

Körperliche Berührung in der Psychoanalyse. Dr. phil. Dipl-Psych. Jörg M. Scharff, Kronberg/Taunus
Körperpsychotherapie und die therapeutische Beziehung. Dr. Tilmann Moser, Freiburg.
PiD Psychotherapie im Dialog 2006; 7; Nr. 2; S. 133-139; S. 140-143.
(Presseinformation des Thieme-Verlages Juli 2006

edit: Link vergessen: http://www.dr-mueck.de/Wissenschaftsinf ... ontakt.htm
Heißt nicht, dass es nicht auch schwarze Schafe gibt... aber auch, dass nicht jede Berührung von einem schwarzen Schaf oder unprofessionell arbeitenden Therapeuten ausgehen muss... selbst in der PA nicht (die im allgemeinen als ein recht abstinentes Verfahren gilt), auf die sich der Artikel bezieht.

Ich denke, wichtig ist, sich da auch auf sein Bauchgefühl zu verlassen. Und die Beschriebene Bindung von Affekten verdeutlich vielleicht auch, dass es nicht (wie hier im Thread ja auch teils unterstellt wurde) nicht um "aufgeilen" oder "ahhh und ohhhhh, wie toll ist das denn" geht... sondern mitunter auch ziemlich schmerzhaft sein kann (gibt aber auch weitere Gründe, die den Einbezug des Körpers sinnvoll erscheinen lassen können... aber sicher nicht minder Gründe, es besser zu unterlassen. Denke viele Theras haben vielleicht auch Hemmungen, weil sie Bedenken haben, dass es falsch verstanden werden könnte, keine Ahnung, aber Vermutung. Insofern teile ich nun auch nicht ganz, dass es unumstritten ist... sondern man liest dazu durchaus auch ambivalente, seriöse Meinungen).

Gibt sicher noch einiges mehr dazu... lässt sich bei Bedarf aber bestimmt selbst recherchieren.
Zuletzt geändert von stern am Mi., 12.10.2011, 14:00, insgesamt 1-mal geändert.
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münchnerkindl
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Beitrag Mi., 12.10.2011, 13:55

stern hat geschrieben: Ich denke, wichtig ist, sich da auch auf sein Bauchgefühl zu verlassen..
Kann sich jemand der in Beziehungsdingen zB ernsthaft gestört ist auf das eigene Bauchgefühl verlassen was die Gesundheit von Nähe und Distanz zu anderen Menschen angeht?

Es gibt Leute die eine gesunde Nähe als den absoluten Horror empfinden. Es gibt Leute die in selbstzerstörerischer Form Nähe suchen die Misbrauch ist.

Es gibt genug Leute die hier kein "gesundes" Bauchgefühl haben.


Und aus diesem Grund MUSS ein Psychotherapeut mit allem was gerade körperliche Nähe angeht zurückhaltend sein. Die Therapie und die mit dem Therapeuten verbrachte Zeit MUSS ein Raum der Sicherheit sein.

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lamedia
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Beitrag Mi., 12.10.2011, 14:06

Hallo stern -

oben bei dir wird aus einer Internetseite zitiert, die wiederum einen Artikel aus der PiD zitiert, der wiederum zwei Veröffentlichungen zitiert Eine der Veröffentlichungen trägt explizit den Titel "Körperpsychotherapie". Die andere spricht von "körperlicher Berührung" - im Artikel ist dann von Händchenhalten die Rede.

Verantwortungsvoller Umgang bei der Einbeziehung des Körpers in die Therapie würde die vorhergehende Aufklärung der Klienten durch den Therapeuten über diese Verfahren, das Einverständnis des Klienten und das gegenseitige Sich-Verständigen über die Grenzen der Berührung, z.B. auch Stopp-Zeichen usw. nötig machen. Auch die Thematisierung sexueller Gefühle, die bei Berührung entstehen können, bzw. die durch Berührung ausgedrückt werden können, würde in die vorherige Aufklärung gehören. Ich finde also, dass Aufklärung über die Methode bei einem so heiklen Thema das A und O ist. Wenn alles gegenseitig abgesprochen ist - und wenn die Grenze des Sexuellen v.a. durch den Therapeuten nicht überschritten wird (außer es ist eine explizite Sex-Therapie), dann ist es ok. Alles andere - ich weiß nicht. Menschlich. Aber ist es gut?
Viele Grüße - lamedia

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stern
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Beitrag Mi., 12.10.2011, 14:38

münchnerkindl hat geschrieben:Die Therapie und die mit dem Therapeuten verbrachte Zeit MUSS ein Raum der Sicherheit sein.
Ja, in dem Punkt vollkommene Zustimmung... für meine Teil, werde ich bei Körperkontakt (was nun auch nicht jede Sitzung der Fall ist, abgesehen vom Handgeben zu Begrüßung/Verabschiedung) auch jedes Mal gefragt, ob xy o.k. ist... somit nehme ich auch insofern ein großes Gefühl der Sicherheit und auch Kontrolle war (denn ich könnte es zurückweisen). Daher schrieb ich auch bereits, es ist gut und wichtig ist, wenn der Thera auch jedes Mal fragt, ob xy (z.B. Hand halten) o.k. sei.

Sehe es aber auch so: Muss man in JEDER Therapie auf evtl. Vorzüge verzichten, weil es bei manchen P. nicht angebracht sein kann (dem natürlich auch Beachtung zu schenken ist, weswegen ich auch schrieb, es gibt sicher auch viele Gründe, die individuell gesehen, dagegen sprechen könnte). Und ja, honeywell selbst hat ambivalente Gefühle, die sie ja auch ansprechen will, wenn ich das richtig verstanden habe... und was ja auch gut ist.

Mich stört schlichtweg, wenn jedem Körperkontakt gleich das Siegel "das ist unprofessionell" augedrückt wird, mit der ultimativen Empfehlung: Wechsele sofort den Therapeut... ohne Bedacht, was DAS für Konsequenzen haben kann, wenn man jemanden die Rolle der in der Therapie sexuell missbrauchten oder Therapiegeschädigten drängt (die mit ihrem Thera Petting hat, usw., vgl *Dannie... ich hab vielmehr einen anderen Text gelesen). Vielleicht absolut vermeidbar, wenn man das in einem persönlichen, klärenden Gespräch besprechen kann. Und sicher gibt es das eine oder andere schwarze Schaf, wie ebenfalls angedeutet... aber ist das ein Grund für prophylaktische größtmöglichste Sterilität in JEDER Therapie, nur weil leider auch das eine oder andere schwarze Schaf gibt (ich meine, missbrauchen kann man alles... soll man trotzdem alles gleich ganz verbieten, was potentiell missbraucht werden kann... da müsste man viel verbieten).
Es gibt Leute die eine gesunde Nähe als den absoluten Horror empfinden. Es gibt Leute die in selbstzerstörerischer Form Nähe suchen die Misbrauch ist.
Zweifelohne... aber das sehe ich gerade eher als Beleg dafür, dass der Einbezug des Körpers auch hier großen Nutzen bringen kann ... zumindest geschlossen aus meinen stat. Erfahrungen, wo ich auch "reine Körpertherapien" hatte. Jedenfalls habe ich auch noch einige Übungen in Erinnerungen, in den es unter anderem konkret um Nähe-Distanz-Dinger ging... und auch um die Sensibilisierung der Wahrnehmung dafür. Ich hatte es in einer Gruppe (mit anderen Patienten, mit denen ich Übungen machte, aber auch rotierend mit div. Theras selbst)... aber manche Patienten erhielten die Körpertherapie auch in reiner Einzeltherapie (also nur sie und ein Thera).

Wichtig ist natürlich, dass man darauf vertrauen kann, dass nichts missbräuchlich verwendet wird (z.B. zur Befriedigung einer Bedürfnisse des Therapeuten, zur sexuellen Annäherung)... und solche seriösen Theras gibt es auch. Wenn man so argumentiert wie du (oder *Dannie), müsste man dann ja auch Körpertherapien gleich mitverbieten, um größtmögliche Zurückhaltung zu erreichen, weil ja xy passieren könnte. Natürlich gab es einzelne Patienten, für die passte es individuell nicht (aus den verschiedensten Gründen heraus). Für den musste nach Alternativen gesehen werden (z.B. in Einzelfällen Einzeltherapie, etc. pp.)... aber dass das konkrete Vorgehen in dieser Form der Körpertherapie (auch hier gibt es Unterschiede) für manche nicht passt, macht's ja nicht für alle unnützlich. Ja, in dem jetzt von mir beschrieben geht es um reine Körpertherapie... aber genauso gibt es therapeutische Richtungen oder Arbeitsweisen von Theras, die Körperkontakt oder körpertherapeutische Elemente einschließen können, ohne dass das unseriös sein muss. Muss halt für Patienten und Thera passen... und natürlich sollte der Patient kontrollieren können und dürfen, was er zulassen mag und was nicht... also ich plädiere weiß Gott nicht für überstülpen oder "Sicherheit" verlieren.
Liebe Grüße
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münchnerkindl
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Beitrag Mi., 12.10.2011, 14:43

stern hat geschrieben:
Wichtig ist natürlich, dass man darauf vertrauen kann, dass nichts missbräuchlich verwendet wird (z.B. zur Befriedigung einer Bedürfnisse des Therapeuten, zur sexuellen Annäherung)... und solche seriösen Theras gibt es auch. Wenn man so argumentiert wie du (oder *Dannie), müsste man dann ja auch Körpertherapien gleich mitverbieten, um größtmögliche Zurückhaltung zu erreichen, weil ja xy passieren könnte.
Aber ist 20 minütiges Umarmen ausserhalb der Sitzung incl Küsschen eine Körpertherapie?

Ganz ehrlich unter einer Körpertherapie stelle ich mir was anderes vor als einfach "plattes" Umarmen. Und da gehört für mich genau wie bei Kunsttherapie etc genauso auch das Gespräch über das Erlebte dazu.

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candle.
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Beitrag Mi., 12.10.2011, 17:22

Hallo honeywell!

Ich betrachte die Situation schon so, dass sie absolut nicht in ein therapeutischen Verhältnis gehört. Nun unterliegt es natürlich allein deiner Bewertung, aber ich denke, du solltest unbedingt diese Therapie abbrechen.

Viele Grüße!
candle
Now I know how the bunny runs! Bild

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Adriana
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Beitrag Mi., 12.10.2011, 17:43

münchnerkindl hat geschrieben:
stern hat geschrieben:
Wichtig ist natürlich, dass man darauf vertrauen kann, dass nichts missbräuchlich verwendet wird (z.B. zur Befriedigung einer Bedürfnisse des Therapeuten, zur sexuellen Annäherung)... und solche seriösen Theras gibt es auch. Wenn man so argumentiert wie du (oder *Dannie), müsste man dann ja auch Körpertherapien gleich mitverbieten, um größtmögliche Zurückhaltung zu erreichen, weil ja xy passieren könnte.
Aber ist 20 minütiges Umarmen ausserhalb der Sitzung incl Küsschen eine Körpertherapie?

Ganz ehrlich unter einer Körpertherapie stelle ich mir was anderes vor als einfach "plattes" Umarmen. Und da gehört für mich genau wie bei Kunsttherapie etc genauso auch das Gespräch über das Erlebte dazu.
Der Therapeut hat selbst gesagt, dass er unprofessionell handelt!

Honeywell, warum wechselst du nicht zu einem Therapeuten, der professionell mit dir arbeitet? Nur ein solcher wird dir wirklich helfen können.

Wenn du deinen jetzigen Therapeuten so toll findest und er dich, könnt ihr ja privat in Kontakt bleiben, seine Privatnummer hast du ja.

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*Dannie
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Beitrag Mi., 12.10.2011, 19:20

Wer sich mit den Mechanismen befassen möchte kann sich hier ein wenig einlesen:

http://www.arbor-verlag.de/files/9783924195816.pdf

Dannie

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Adriana
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Beitrag Mi., 12.10.2011, 23:45

Dannie, sehr interessante Lektüre, sehr eindrucksvoll beschrieben, was sich da abspielt.

Wenn ich lese, wie schwer, aber (meist) erfolgreich, manche Männer in ihrer Therapeutenrolle gegen den Wunsch nach sexuellem Kontakt mit Patientinnen ankämpfen, macht mich die Leichtfertigkeit und Fahrlässigkeit von Honeywells Thera noch wütender.

Andererseits irritiert mich, dass das Lesen bei mir doch so viel Verständnis hervorruft für diejenigen, die diesen inneren Kampf verlieren. Immerhin verstehe ich nun besser, was sich zwischen mir und meinem ehem. Therapeuten abgespielt hat und ich bin ihm umso dankbarer, dass er den inneren Kampf nicht verloren hat, den er zweifelsohne ausgefochten hat. Schade, dass das Buch bei Amazon gerade nicht verfügbar ist.

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Beitrag Do., 13.10.2011, 20:54

Thread auf Wunsch der Thread-Eröffnerin geschlossen.

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