Unverbundenheit in Gesprächen

Fragen und Erfahrungsaustausch zu Persönlichkeitsstörungen und Schizophrenie, Bipolaren Störungen ('Manisch-Depressives Krankheitsbild'), Wahrnehmungsstörungen wie zB. Dissoziationen, MPS, Grenzbereichen wie Borderline, etc.
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Sintje
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Unverbundenheit in Gesprächen

Beitrag So., 16.08.2020, 12:50

Hallo,

kennt jem. folgendes Erleben? Gehört das zu Dissoziation, bin ich einfach zu eingebildet um mich auf die Themen anderer Menschen einzulassen oder was ist das? Oder geht es den Anderen auch so, und sie stören sich bloß nicht dran..

Ich fühle mich in Gesprächen sehr oft, als würde ich auf einer völlig anderen Ebene stehen, teilweise als ob ich von oben oder weit weg auf die Situation schaue und mich und die Anderen betrachte. Dabei fehlt jede emotionale Verbindung zu den Leuten.
Oft ist es dabei so, als sei ich ein Therapeut o.ä., dessen einzige Aufgabe es ist, die Situation zu analysieren und den Leuten durch entspr. Antworten positive Gefühle zu erzeugen. Ich habe in dem Moment kein Interesse an der Person, nicht mal bei meinem Partner.

LG Sintje

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lisbeth
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Beitrag So., 16.08.2020, 13:49

Ich kenne das was du da beschreibst, oder sowas ähnliches.

Und ich glaub, die Ursachen sind ziemlich vielschichtig:

- Dissoziation ist sicher ein Element, und zwar (in meinem Fall) so eine Art dissoziativer Dauerzustand, der zwar eher mild war, aber dauerhaft. Dadurch war/bin ich mit mir nicht gut in Kontakt und dadurch ist es dann auch schwierig, mit dem anderen in Kontakt zu kommen. Kontakt in dem Sinne, dass das was vom anderen kommt in dir Resonanz auslöst, du das wahrnimmst und ihm etwas zurückmeldest. Wenn ich gar nicht merke, was da gerade in mir passiert, dann bin ich im wahrsten Sinne des Wortes "nicht bei der Sache" und dann kann ich auch nichts zurückspiegeln. Das ganze Gesprächsgeschehen hat dann nach meinem Empfinden sehr "mechanische" Züge, ich bin aber innerlich ziemlich unbeteiligt. Ich behalte dann auch ganz wenig vom Gesagten, weil es einfach so durchrauscht.

- ich finde Kontakt schwierig, aus unterschiedlichsten Gründen, was hier zu weit führen würde. Kontakt macht mir Angst und das kann sich - je nach Situation - bis zur Panik steigern. Und die Dauer-Dissoziation war/ist meine Strategie, um das was der Kontakt (ich mit mir selbst und auch mit den anderen) bei mir auslöst, auf ein Maß runterzukürzen, das für mich erträglich war. In dem Ausmaß, wie ich angefangen habe, mich mit den Gründen dafür auseinanderzusetzen wurde das mit dem Dissoziationszustand besser bzw. weniger notwendig.

- Bei mir kommt dann noch sowas wie Hochsensibilität und Reizüberflutung dazu. Dass mir ganz schnell alles zu viel wird. Auch wenn jemand anders auf mich einredet. Und wenn das "kippt", dann kann ich mich auch mal von jetzt auf gleich innerlich aus einem Gespräch ausklinken. Was beim Gegenüber nicht besonders gut ankommt. Oder ich "fake" weiter das Gespräch, bin innerlich aber überhaupt nicht mehr dabei. Möglicherweise gibt es auch Elemente einer (eher atypischen) ADS, das ist aber nur Vermutung und nie offziell diagnostiziert worden.

- Ich empfinde das für mich als eine Art Kontakt/Bindungsstörung. Ich hab das, was da bei mir passiert, viel besser verstanden, als ich angefangen hatte, Texte zur Bindungstheorie und zu sogenannten "strukturellen Defiziten" zu lesen. Was ich auch hilfreich fand war "Wie wir werden wer wir sind" von Joachim Bauer. Der geht da eher neurowissenschaftlich ran und erklärt sehr anschaulich und nachvollziehbar, wie notwendig und elementar Resonanz ist bei unserer Selbstwerdung. Und grade bei den Bindungsstörungen ist ja Resonanz genau das, woran es gefehlt hat, aus welchen Gründen auch immer...

- Was hilft mir/hat mir geholfen? Eine Therapeutin, die ihr Augenmerk ganz klar auf die therapeutische Beziehung legt und das was zwischen uns auf der Beziehungsebene passiert auch immer wieder zum Thema macht (bzw. ich mache es zum Thema). Die sich von meinen Filmen und Übertragungen nicht bedroht fühlt oder das persönlich nimmt, sondern ziemlich klar und unerschrocken ihre Stellung hält. Nonverbale Therapieformen, die mir eine andere Form des Erlebens (jenseits des Kopfes und dem Rationalen) ermöglicht haben und mir so erst ermöglicht haben, mich in meiner emotionalen Welt in einem geschützen Raum selbst zu erleben.

Und ja, da kann sich was bewegen. Recht viel sogar. Aber es ist auch anstrengend, kostet viel Mühe, und braucht einfach viel Zeit...
When hope is not pinned wriggling onto a shiny image or expectation, it sometimes floats forth and opens.
― Anne Lamott

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Malia
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Beitrag So., 16.08.2020, 15:53

Ich habe in dem Moment kein Interesse an der Person, nicht mal bei meinem Partner.
Ich bin auch nicht "dabei", wenn mich nicht interessiert, was geredet wird.
Fühlt sich an, wie eine andere (höhere?) Ebene.
Wenn es jemand ist, der wichtig für mich ist, sage ich, dass ich gerade nicht zuhöre oder ich finde zu meiner Konzentration zurück.
Bei einem gewissen Stande der Selbsterkenntnis und bei sonstigen für die Beobachtung günstigen Begleitumständen wird es regelmäßig geschehen müssen, dass man sich abscheulich findet.
Franz Kafka

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Pianolullaby
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Beitrag So., 16.08.2020, 18:55

Meine Freunde von mir, kennen das nicht anders, ich habe eine DIS und bin nie voll dabei.
Das ist bei mir normal, also nimm es an.
Träume nicht Dein Leben, lebe Deinen Traum

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Sintje
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Beitrag So., 16.08.2020, 21:11

Danke für eure Beiträge und persönlichen Erfahrungen.

@Lisbeth: Die Überlegung mit dem fehlenden Kontakt zu mir selbst finde ich sehr interesant. Ich werde in der Situation mal nachspüren, ob das bei mir zutrifft.
Angst vor bzw im Kontakt spielt auch eine große Rolle bei mir. Vielleicht WILL ich mich gar mich verbunden fühlen.
Danke auch für die weiteren Ideen.

@Malia: Meinem Partner sage ich das auch. Und ich versuche gerade auch. anderen Menschen gegenüber ehrlich zu sagen, was los ist. Aber das hat auch schon zu Ablehnung und Distanz geführt leider.

@Pianolullaby: Es klingt so, dass du dich damit abgefunden hast. Ich möchte für mich erst verstehen, was mit mir passiert, bevor ich es annehme.

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Sadako
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Beitrag So., 16.08.2020, 21:26

@Sintje

Geht sicherlich in Richtung Dissoziation...
Mir drängt sich gerade folgender Gedanke auf: Wenn du dich so unverbunden fühlst, kann es sein, dass du dich damit vor den Schmerzen schützt, die in engeren Beziehungen zwangsläufig entstehen. Oder ist Nähe eigentlich nicht aushaltbar?
Es ist sicherlich interessant zu schauen, warum du in solchen Situationen aussteigst, solche Muster haben ja immer einen Hintergrund....

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Blume1973
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Beitrag Mo., 17.08.2020, 04:17

Hallo Sintje!

Ich hätte da auch eine Idee dazu, nämlich dass es eine Art Selbstschutz ist, wenn man mit sich selbst gerade genug zu tun hat.
So würde ich das bei mir selbst analysieren.

Ich kenne das nämlich auch von mir.
Jahre lang habe ich für andere immer ein Ohr gehabt und mich emotional sehr, sehr eingebracht. Irgendwann war ich dermaßen überlastet und überfordert, dass ich es dann (unbeabsichtigt) auch so machte, wie du es beschreibst.

Ich finde das sehr energieraubend und belastend, sich in andere einzuführen und das auf so eine intensive Art. Würde ich dem keinen Riegel versetzen, würde ich mir vorkommen wie ein Luftballon, den man aufblast und aufblast und immer weiter, bis keine Luft mehr hinein passt, und er platzt.

Da hat sich ein Selbstschutz entwickelt, der dann nichts mehr in mich hinein lässt, es sei denn, ich erlaube es mir.

Ich habe bemerkt, es wäre ein Ende nie, wenn ich das nicht könnte. Im Prinzip kommt jeder mit seinen Problemen an mit der Zeit, weil ja jeder Probleme hat. Kein Leben rennt zu 100 Prozent rund. Der Nachbar, der Kollege, die Freundin, die Familie, der Partner, die Kinder und und und. Am Ende natürlich wir selbst.

Wenn man da nicht beginnt, innerlich auf Abstand zu gehen, dann wird es sowas von zuviel.

Lg Blume
Die einzigen wirklichen Feinde des Menschen, sind seine negativen Gedanken.

Albert Einstein

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Pianolullaby
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Beitrag Mo., 17.08.2020, 21:07

Sintje hat geschrieben: So., 16.08.2020, 21:11
@Pianolullaby: Es klingt so, dass du dich damit abgefunden hast. Ich möchte für mich erst verstehen, was mit mir passiert, bevor ich es annehme.
Ja, aber weil ich weiss, was bei mir da passiert, und was da abgeht.
Träume nicht Dein Leben, lebe Deinen Traum

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Beitrag Mi., 19.08.2020, 07:12

Sintje hat geschrieben: So., 16.08.2020, 12:50 Ich fühle mich in Gesprächen sehr oft, als würde ich auf einer völlig anderen Ebene stehen, teilweise als ob ich von oben oder weit weg auf die Situation schaue und mich und die Anderen betrachte. Dabei fehlt jede emotionale Verbindung zu den Leuten.
Dieses "von oben auf die Situation schauen" oder "neben sich stehen" klingt nach klassischer Dissoziation.
Ich kenne das auch, dieses von aussen die Situation analysieren. Das kann entweder automatisch passieren und so eine Art Dauerzustand sein - oder, wenn man dazwischen auch mal "wieder runterkommt" passieren, wenn der Gesprächspartner oder die Situation "unangenehm" ist, z.B. man ist in einem Konflikt mit jemandem, die Person wirkt auf einen irgendwie unangenehm oder gefährlich oder man hat irgendeinen Stress mit der Situation, dass man sich dann auf diese Art "ausklinkt". Der Vorteil ist, dass einen die Sachen dann nicht wirklich berühren, und das ist auch gleichzeitig auch der Nachteil, dass einen nichts berührt, man keine Verbindung hat, keine Gefühle spürt - das war ja der ursprüngliche Sinn der Dissoziation, als man damit angefangen hat.

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Sintje
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Beitrag Do., 20.08.2020, 06:32

"Das kann entweder automatisch passieren und so eine Art Dauerzustand sein - oder, wenn man dazwischen auch mal "wieder runterkommt" passieren, wenn der Gesprächspartner oder die Situation "unangenehm" ist, z.B. man ist in einem Konflikt mit jemandem, die Person wirkt auf einen irgendwie unangenehm oder gefährlich oder man hat irgendeinen Stress mit der Situation, dass man sich dann auf diese Art "ausklinkt"."

Ich kenne es auch, dass ich mich "ganz normal" mit jemandem unterhalte. Ja, wahrscheinlich bin ich in den anderen Situationen dann gestresst. Soziale Situationen sind eh schwierig für mich.

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Beitrag Do., 20.08.2020, 16:23

Sintje hat geschrieben: Do., 20.08.2020, 06:32 Ich kenne es auch, dass ich mich "ganz normal" mit jemandem unterhalte. Ja, wahrscheinlich bin ich in den anderen Situationen dann gestresst. Soziale Situationen sind eh schwierig für mich.
das kann gut sein. Häufig fällt es mir erst "nach" der Situation auf, dass ich grad ein bisschen "weg" war.
Du kannst ja mal drauf achten, in welchen Situationen dir das auffällt, dass du dich vermehrt so fühlst.
Und wann du es angenehm findest und wann unangnehm.

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Scars
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Beitrag Do., 20.08.2020, 16:41

Denke das ist aber auch vom Gegenüber abhängig, nicht nur von den eigenen Fähigkeiten. Um mit jemandem in Kontakt kommen zu können, muss der andere auch emotional erreichbar sein und da irgendwie lebendig bei der Sache.

Vielleicht könntest du auch mal deine Gesprächspartner fragen, wie sie dich in dem Moment empfinden. Bei mir ist es in der Regel so, das ich noch lange sage, hoch ja, alles paletti, dabei bin ich schon meilenweit hinterm Mond (noch weiter als sonst, ich würde sagen, dass ich wahrscheinlich normalerweise auch schon nicht bei der Sache bin), was die anderen längst mitbekommen haben und dann auch sagen können, ob sie jetzt z.B. das Gefühl hatten, dass mich das stresst, ärgert o.ä. Das merke ich selbst nicht.
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Miss_Understood
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Beitrag Mo., 24.08.2020, 16:08

Blume1973 hat geschrieben: Mo., 17.08.2020, 04:17 Ich finde das sehr energieraubend und belastend, sich in andere einzuführen und das auf so eine intensive Art.
Und wie dein Verschreiber das ganze nochmal verstärkt! 🎈😀🙃😉

... zum Thema: Ich erlebe das gerade bei meinem ... nennen wir ihn der Einfachheit halber mal „Freund“.

Ich habe inzwischen die Theorie, dass das bei ihm zumindest mit Asperger Tendenzen zu tun haben könnte.
Könnte das bei dir ein Thema sein?

ICH als Gesprächsgegenüber spüre da eben auch - KEINE Verbindung. Das kommt immer mehr zum Tragen, je mehr Zeit wir miteinander verbringen.
ch-ch-ch-chaaaaaaange

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Blume1973
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Beitrag Di., 25.08.2020, 05:24

Und wie dein Verschreiber das ganze nochmal verstärkt
Ja, liebe Miss, solche "Verschreiber" können sehr witzig sein. ;)
Die einzigen wirklichen Feinde des Menschen, sind seine negativen Gedanken.

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Beitrag Di., 25.08.2020, 10:29

Blume1973 hat geschrieben: Mo., 17.08.2020, 04:17 Ich finde das sehr energieraubend und belastend, sich in andere einzuführen und das auf so eine intensive Art.
Gott, das ist sooo lustig. Danke @miss_understood fürs Entdecken :->

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