Identitätsstörung (ohne 'Dis')

Fragen und Erfahrungsaustausch zu Persönlichkeitsstörungen und Schizophrenie, Bipolaren Störungen ('Manisch-Depressives Krankheitsbild'), Wahrnehmungsstörungen wie zB. Dissoziationen, MPS, Grenzbereichen wie Borderline, etc.
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SoundOfSilence
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Beitrag Mo., 04.01.2016, 23:32

Das mit dem "Reich der Möglichkeiten" kenne ich natürlich auch, aus der Philosophie als Reich der Ideen - und auch aus der "Spieltheorie" als Raum der Möglichkeiten, dem gegenüber die Notwendigkeiten stehen... Eben die "Notwendigkeit" sich in der Latzhose auch in Gr. 48 wohl zu fühlen, wenn Gr. 34 nicht passt.

Ich glaube, die Mischung macht es aus: Welche "Unwägbarkeiten" sind ok, weil sie Freiheiten (in Form von Möglichkeiten) versprechen/sichern, und welche "Begrenztheit" ist ok, weil sie Sicherheit bietet darüber wer man ist (in Form von Notwendigem - in einem weiten Sinne) - oder anders gesagt: ist das, was bleibt und das, was sich verändert für das Individuum stimmig. Oder fühlt man sich "haltlos" innerlich? Oder eben gefangen.

Wenn ich so darüber nachdenke finde ich das besonders am Beispiel "Auswandern" gut zu erkennen: Es reizt das Abenteuer - und natürlich auch der Gedanke, sich woanders leichter "neu" definieren zu können, weil man sich zwar immer selbst mitnimmt - aber eben nicht die anderen, die einen schon Jahre zu kennen glauben und für jede Veränderung sofort eine Rechtfertigung brauchen. Aber es schmerzt der Abschied und die Unsicherheit - auch die Unsicherheit, was die eigenen Fähigkeiten angeht (wird es reichen?). Und hier finde ich eben doch wieder AUCH die Frage nach der Identität: Was SIND eigentlich meine Fähigkeiten? (Denn ob sie wahrscheinlich reichen oder wahrscheinlich NICHT reichen lässt sich ja erst dann beantworten. Und auch die Frage, was einem die alte Heimat bedeutet, die lässt sich ja erst beantworten, wenn man weiß "als wer man in ihr steht").

So sehr also das Tun und alle Entscheidungen, die man treffen muss, die Identität "ergeben" oder "bilden" - so sehr muss aber etwas auch schon "da" sein. Sonst gibt es gar keine Entscheidung...

Aber es gibt da noch einen Gedanken, der mir heute beim Lesen kam: Vieles muss man "mal probieren" - und anderes muss man nicht mehr versuchen, da weiß man sozusagen vorher, a priori, dass es "nichts für einen selber ist" - jedenfalls wenn man ein Bild von sich selber hat, das einigermaßen konstant ist. Nur, was macht man, wenn man das eben NICHT weiß OHNE die Erfahrung gemacht zu haben? Man KANN ja gar nicht alles erfahren. Auswandern macht man nicht mal eben so... Und wer nach Skandinavien auswandert kann nicht "gleichzeitig" nach Australien auswandern etc. - wenn man aber auf einen Erfahrungsschatz angewiesen ist, der ausreichend groß ist, um seine Identität zukünftig auch (ab und an mal) a priori zu kennen - und gleichzeitig sich nicht entscheiden kann, weil man es eigentlich erst a posteriori kann (und eben Angst hat, eine falsche Entscheidung zu treffen) - Wie kommt man aus der Zwickmühle heraus?

Und ich sehe für jemanden, der dieses Identitätsgefühl nicht hat (vielleicht WEIL die Eltern es nicht vermittelt haben, vielleicht WEIL etwas die Identität nachhaltig erschüttert hat - oder am Ende gar beides), eben kaum die Chance, das durch "geliebt werden" nachzuholen. Das mag ja für ein Kind funktionieren, dass die Liebe und Sicherheit der Eltern es dazu anhält, die notwendige "Anzahl" an Erfahrungen zu sammeln, sich abgrenzen zu lernen ohne die Liebe zu verlieren, um insgesamt mit einem positiven Selbst-Gefühl ausgestattet durchs Leben zu gehen. Aber ein Erwachsener, der dieses feste Selbst-Gefühl gar nicht hat, der wird doch, wann immer er geliebt wird (wenn er das überhaupt wird und auch bemerkt) sofort denken "ist ja schön und gut, aber das bin ich ja eigentlich gar nicht, du liebst ja nur einen Teil von mir/eine Illusion von mir etc. Oder irre ich mich da?
Ich glaube es kann sich nur über die Erfahrungen, die Erfahrungsbereitschaft etwas am Selbst-Gefühl, an der Identität ändern. Liebe ist schön - aber ich glaube da kann sie gar nicht "wirken". Könnte sogar stören (weil sie ablenkt davon, man selber sein zu wollen - und hinlenkt zu einem geliebt werden wollen...


Es bleibt also echt die Frage, Leberblümchen, was VERBINDEST du mit Latzhosen - und wie könntest du damit sonst noch Erfahrungen sammeln? Aber auch: inwiefern / für wen ist in deinen Augen ein Mensch "liebenswert", der der typische Latzhosenträger ist?
Mit deiner Antwort, dass Latzhosen "asexuell" sind, tue ich mich schwer - weil du selber zugleich eigentlich schriebst, dass sie es nicht sind. Latzhosen sind männlich. Weil sie Frauen - zumal "weiblichen" Frauen (mit ordentlich Holz......) eher nicht gut stehen (und sich auch doof anfühlen wenn sie am Busen spannen). Meinst du denn wirklich asexuell oder "Unisex" oder eigentlich doch männlich? Oder vielleicht noch viel mehr "jungenhaft"?
Da würde mir jetzt spontan einfallen, mal nach anderen (nein, nicht Kleidungsstücken!) Dingen zu suchen, die das für dich ausdrücken. Vorzugsweise vielleicht Tätigkeiten - etwas, dass man MACHEN und ERFAHREN/ERLEBEN kann vielleicht?


Ist jetzt hoffentlich nicht zu crazy...... Aber irgendwie kann ich mir dich (nur vom Forum her) eher vorstellen, wie du im Keller Fliesen legst oder Kautabak kaust oder einen Grill in den Garten baust (sorry - sind jetzt alles MEINE Assoziationen zu männlich. Lässt auch tief blicken, fürchte ich) - als wenn du "deine Jacke auf den Boden schleuderst" - und auch das würde bestimmt einen Effekt haben.
Hello darkness, my old friend...

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leberblümchen
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Beitrag Di., 05.01.2016, 12:55

lamedia, die praktischen Fragen finde ich gar nicht so schlimm; obwohl ich ständig alles gedanklich auseinandernehme, bin ich doch irgendwie auch praktisch, stelle ich gerade fest. Also, ähnlich wie montagne gesagt hat: Wenn ich erst mal angefangen habe, dann läuft es und dann laufe ich auch zu Fuß über die Alpen, wenn's sein muss. Es ist vielleicht so, dass die Seite, die nach außen gewandt ist, funktioniert und die, die nach innen gewandt ist, vielleicht ein bisschen zu aktiv ist.

SoundofSilence, doch ich meine wirklich "asexuell" und nicht unisex (obwohl das vielleicht auch fast dasselbe ist). Ich mag zwar gerne Herrenpullis und klobige Schuhe, aber ich würde mir nie so einen "Gesamtlook" anziehen, mit dem ich wahlweise als Mann oder als Frau durchgehen könnte. Kann ich auch gerade nicht beschreiben. Ich mag z.B. alle möglichen Arten von Halstüchern oder Schmuck (auch wenn ich den nicht so oft trage). Ich meine "asexuell", weil es den Körper so ein bisschen ignoriert als wandelnder Erotikshop oder so. Mich interessiert nicht die Frage, ob ich schön bin, sondern ich will... ja, eben als asexuell wahrgenommen werden (was, leider, nicht mal den Tatsachen entspricht). Aber wg. der Latzhosen: Wie du sagst: Es passt nicht um jeden Preis, und ich möchte nicht rumlaufen wie ein "Adult Baby" (und auch nicht so wahrgenommen werden). Und dann ist eben die Frage: "Bin ich jetzt ein verhinderter Latzhosenträger? Und warum ist das so wichtig?" (im Alltag denke ich natürlich nicht über die Dinger nach; ich verstehe das hier mehr als Symbol). Vielleicht bin ich da auch einfach nur zu radikal und gebe gleich alles auf, nur weil mir ein bestimmtes Kleidungsstück nicht steht.
Man KANN ja gar nicht alles erfahren. Auswandern macht man nicht mal eben so... Und wer nach Skandinavien auswandert kann nicht "gleichzeitig" nach Australien auswandern
Ja, und das ist mein Problem: dass ich nicht weiß, ob ich nach Skandinavien oder Australien gehöre (letzteres sowieso eher nicht).
"ist ja schön und gut, aber das bin ich ja eigentlich gar nicht, du liebst ja nur einen Teil von mir/eine Illusion von mir etc. Oder irre ich mich da?
In Bezug auf die Zuwendung habe ich das Gefühl eher nicht, also wenn ich wirklich annehme, jemand hat Gefühle, dann merke ich das auch. Ich denke nur immer, ich werde unter- oder überschätzt; dass mich die Leute nie richtig einschätzen, was meine Fähigkeiten betrifft. Ich weiß auch nicht, woran das liegt. Ich denke wirklich, dass es kaum jemanden gibt, der mich in dieser Hinsicht richtig beurteilt. Und ich kann das dann auch schlecht einschätzen.


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leberblümchen
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Beitrag Di., 05.01.2016, 13:05

...und ich lasse mich zwar gerne "begrillen", würde aber niemals selbst freiwillig irgendwas in die Hand nehmen, was nach Handwerkeln aussieht - immerhin da entspreche ich also dem weiblichen Klischee

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SoundOfSilence
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Beitrag Di., 05.01.2016, 13:45

...Schade - ich such noch handwerklich begabte Menschen, die sich mal so richtig austoben müssen...

Übrigens: Für mich persönlich verbinden sich zwei Bilder mit Latzhosen. Einmal ist es eine kindliche Kleidung. Und dann denke ich an das Bild einer Künstlerin, dass ich mal sah: sie in Latzhosen, einen Träger runter, nix drunter außer blauem Bustier, und locker eine weiße Bluse drüber (offen). Sah ziemlich, ziemlich sexy aus, zumal mit ihrem blondem Haar. Dabei sah sie völlig in sich versunken aus, wie sie da stand mit einem großen Pinsel in der Hand - ihre Wirkung schien sie nicht zu kümmern. Nur ihr Werk. Aber das war natürlich auch eine Jeans. Nicht so eine Blaumannlatzhose. Wobei - je mehr ich drüber nachdenke, umso mehr denke ich, die Kleidung ist egal - die Ausstrahlung mancher Menschen ist asexuell (oder eben auch nicht), egal was Sie tragen.... Aber die unterschiedlichen Assoziationen dazu in der UMWELT sind vielleicht Teil deines Problems? Weil du gar nicht so gesehen werden kannst wie du dich selber dann sehen willst und doch deshalb auch nicht gut "getroffen" findest?
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black-soul
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Beitrag Mi., 06.01.2016, 04:37

Hallo leberblümchen,

Zu aller erst einmal: Ich habe keine DIS. Dennoch kann ich das was du beschreibst recht gut nachvollziehen. Ich will dir einmal beschreiben wie das mit der Identität bei mir so ist, vielleicht findest du darin ja einige Anhaltspunkte die dir eventuell auf deiner Suche nach dir selbst weiterhelfen

Also, ein klares Bild von mir selbst habe ich nicht. Wenn mich jemand Fragen würde "wer bist du?" könnte ich nur antworten "viele". Ich sehe mich eher wie eine Chamäleon, wie jemand der genau das ist, was sein Umfeld von Ihm erwartet. Bin auch eher ruhig und zurückhaltend. Solange bis ich mein Umfeld einschätzen kann. Erst dann kann ich eine "Persönlichkeit" entwickeln, welche sich dann aber vollkommen in Ihre Umgebung einpasst.
Ein Freund sagte einmal: "Woran merkt man das black-soul betrunken ist? Er sagt seine Meinung".
Wenn ich jemanden Treffe den ich nicht kenne, dann habe ich erstmal das Gefühl niemand zu sein. Alles was bisher war ist auf einen Schlag verschwunden. Ich bin Leer. Und egal was ich dann sage, es fühlt sich immer an als wäre das nicht ICH.

Ok, genug von mir, nun zu dir

Du schreibst z.B.:
Ich hab z.B. in meiner Herkunftsfamilie die Erfahrung gemacht, dass man etwas in mir haben wollte, was ich nicht war.
oder
Ich habe Angst, es geht etwas von mir verloren, wenn ich etwas tue.
oder
Vielleicht ist es doch eher eine große Angst davor, etwas Eigenes zu entwickeln?
Und auch sonst, spielt Angst immer eine große Rolle, so wie ich das aus deinen Beiträgen herauslesen konnte.
Vielleicht steckt da ja wirklich der Kern deiner Probleme. Vielleicht kommt diese Leere und diese Unsicherheit in deiner Identität genau daher, dass du Angst davor hast überhaupt jemand zu sein. Weil, wie du im ersten Zitat ja bereits gesagt hast, jemand Anders in dir etwas haben wollte was du gar nicht warst, und du dich damals schon verstellen musstest um den Ansprüchen deiner Umgebung gerecht zu werden.
Das könnte eine Ursache sein weshalb du selbst jetzt noch Zuspruch und Bestätigung brauchst um dich sicher zu fühlen (und ich übrigens auch, deshalb passe ich mich ständig an. Einfach aus Angst davor ausgeschlossen zu werden weil ich anders bin).

Ich hoffe ich konnte dir einige neue Denkanstöße geben, die dir vielleicht erstmal helfen den Ursachen auf den Grund zu kommen. Ich persönlich habe nämlich die Erfahrung gemacht, dass wenn man erstmal weiß warum man so ist wie man ist, es einem wesentlich leichter fällt etwas an sich zu verändern.

Grüße,
black-soul

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