Beim Essen Bewusstsein abschalten

Bulimie, Anorexie, Adipositas, EDNOS (mehr zur Unterscheidung finden Sie in meinen themenbezogenen Artikeln im Archiv, darüber hinaus finden Sie auf der Website auch Selbsttests zum Thema)
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Chancen
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Beitrag Do., 06.08.2015, 08:27

Guten Morgen, Bergkristall!
Bergkristall hat geschrieben:Soll ich der Essstörung dankbar sein? Soll ich sie verfluchen? Sie ist beides. Fluch und Segen.
Einer Essstörung kann man so dankbar sein wie (manche Formen von) Epilepsie, Depression, Zwangsstörung, Panikattacken, Schwindelanfällen, Kopfschmerzen/Migräne, Bauchkrämpfen, etc.

Sie retten einen vor dem, was man für schlimmer hält. Was früher schlimmer war! (Aber heute nicht mehr ist).

Sie dienen als Barometer für den aktuellen Zustand. Sie sagen dir, wenn etwas schlimmer oder besser wird und geben dir Hinweise auf deine Gefühlswelt, wo du in der Stresssituation blind für bist.

Sie sind (wenn man sie richtig nutzen/deuten kann) ein wertvoller Hinweis.
Bergkristall hat geschrieben:meine Kindheitshölle, in der ich für alles und alle geschuftet habe. Mich gibt es dann nicht mehr. Ich wurde damals so lange geschlagen, bis kein Widerstand mehr in mir drin war ("ich schlag dich tot"), das hat funktioniert.
Wenn man so früh gelernt hat, dass man schuften muss um überleben zu dürfen (und "geliebt" zu werden), dann kann man davon ausgehen, dass dieses tiefe Gefühl das ganze Leben lang aktuell bleibt.

Man denkt und fühlt, dass man kein Recht hat, auf Entspannung und auf ein "Nein".

Man denkt, man dürfe nur so existieren. Helfen, arbeiten, fleissig sein.

Nein sagen ist schlecht. Ausruhen ist schlecht. Sich selbst Gutes tun ist schlecht. Man selbst ist schlecht und unwürdig.

Wenn man das so beigebracht bekommen hat, dann wird der erste Impuls wahrscheinlich für immer in diese Richtung ausschlagen. Das Basis-Gefühl (Default Modus) wird dann immer sein: "Ich muss... ich muss... ich muss..."

Und da kann dann dein therapieerfahrenes Erwachsenen-Ich über den Kopf eingreifen und sagen: "Halt! Ich weiß, dass ich durch meine Kinderheitserfahrungen immer denke und fühle, dass ich muss. Ich weiß, dass ich mich bis zum Kaputtsein überfordere, weil ich denke, dass ich sonst keine Lebens- und Liebesberechtigung habe - ABER! Ich weiß (zumindest dem Kopf nach), dass das nicht stimmt. Denn so wie jeder andere Mensch auch, habe ich das Recht auf mich selbst. Ich muss gar nichts. Ich habe das Recht bei MIR zu sein und mir Gutes zu tun. Ich darf mir selbst soviel Gutes tun, wie ich Anderen Gutes tue und wenn ich will, sogar noch mehr!

Ich habe die gleichen Rechte wie die Menschen, die ich liebe. Ich habe die gleichen Rechte auf Entspannung, auf Nein-Sagen, auf eigene Entscheidungen, auf Gutes, auf Liebevolles, auf Zeit und Ruhe und auf mich selbst!

Kennst du dieses Buch? Ich kann es dir nur ans Herz legen:

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Bergkristall hat geschrieben:Kann eine Angst vor dem Essen haben? Ja, sie kann.
Natürlich kann sie! Und es ist ein gesunder Anteil in dir, der dich vor deiner Kompensations-Strategie Angst haben lässt, weil er spürt, dass es für dich nicht DER Weg zur Gesundung ist. Dieser Anteil in dir spürt, dass es (nicht mehr) DEIN Weg zur Besserung ist.

Wenn du lernen könntest, besser zu dir selbst zu sein (im Leben, im Alltag), dann wird Essen nicht mehr diesen allesumfassenden Stellenwert haben.

Wenn mich ein Freund um was bittet und ich keine Kraft habe, aber "ja" sage, dann brauche ich nachher (um dieses "Ja" zu verkraften) eine Schokolade-Tafel.
Wenn ich "nein, es tut mir leid, ich kann nicht" sage, dann ist's gut, wenn ich nachher bloß Suppe mit Kartoffeln esse und vielleicht ein Stück Kuchen.

Wenn ich mit Essen meine Entscheidungen des Tages erträglich machen muss, dann bleibt mir jeden Tag nichts Anderes übrig als zu essen und zu stopfen.

Es ist das Kind in mir, dass fühlt: "es gibt keinen Ausweg und deshalb versuche ich erst gar nicht, mich zu wehren bzw. einen Ausweg zu suchen. Alles was ich tun kann, ist mich zu betäuben. Gebt mir den Kuchen, damit ich den Schmerz mit einem anderen Schmerz, der viel erträglicher ist, wegmachen kann"
Bergkristall hat geschrieben:Zwar hat mich die Therapie wiederbelebt, aber in ganz schlimmen Stresssituationen bin ich dann wieder dieses Kind.
In ganz schlimmen Stresssituationen sind wir alle wieder dieses Kind.

Und deshalb wäre es so wichtig, dass der Erwachsene in weiser Voraussicht das Kind schützt, indem er es nicht soweit kommen lässt, dass die Stresssituation ganz schlimm wird.


Fortsetzung folgt...

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Chancen
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Beitrag Do., 06.08.2015, 08:31

Teil II

Stell es dir so vor. Auf einer Stressskala von 0-100, wobei 0 für vollkommen entspannt/müde/schläfrig steht und 100 für Katastrophe-Kind-Stress-Modus, der nicht mehr auszuhalten ist -

Tagtäglich bewegen wir uns, wenn wir entspannt sind, sagen wir bei 15-20. Bei leichtem Stress steigt das Ganze schnell auf 30-35. Bei 40-50 sind wir schon sehr geladen/nervös/angespannt/unruhig.

Spätestens hier sollten wir eingreifen. Denn: wenn der Pegel erst mal auf 70-75 ist, dann KÖNNEN wir nicht mehr eingreifen. Dann ist die Schwelle überschritten. Der Körper übernimmt dann. Es folgt meist die Kindheits-Bewältigungsstrategie und/oder die Katastrophe und es geht bis 80-90 rauf. Es folgt das, was wir bereits kennen und hassen: Fress-Flashs, Selbstverletzung, Panikattacken, etc...

Da haben wir keine Chance mehr, einzugreifen.

Deshalb ist es so wichtig schon bei 40-50 spätestens einzugreifen, sodass es gar nicht erst bis 60-70 hinaufgeht. Denn dort sind wir nicht mehr Herr im eigenen Haus, sondern unseren tiefen Mustern vollkommen ausgeliefert.

Ich habe früher auch immer bis 70 gewartet, weil ich es bei 40 nicht wahrhaben wollte, dass es so schlimm ist. Ich dachte, ach, das vergeht wieder. Ich dachte: hoffentlich wird es nicht schlimmer.
Aber ich habe nichts dagegen getan. Ich habe bloß abgewartet. Und es ging automatisch im Selbstläufermodus immer hinauf, bis es unkontrollierbar wurde.

Seit ich weiß, dass das der Lauf der Dinge ist und ich schon bei 40 eingreifen muss, um die 70-80-90 abzufangen, ist alles besser handlebar geworden.

Jetzt habe ich wenigstens eine Chance.

Wenn die Schwelle erst mal überschritten ist, ist man absolut chancenlos (im entsprechenden Moment).

Deshalb ist es so wichtig, dein Erwachsenes-Ich auf die kleine Bergkristall aufpassen zu lassen, solange sie das Sagen hat.

Denn die kleine Bergkristall kann nicht anders als den Schmerz so wegmachen, wie sie es gelernt hat, in ihrem verzweifelten Überlebenskampf.

Doch zum großen Glück ist sie heute nicht mehr allein, sondern hat eine erwachsene Beschützerin.


Chancen

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Bergkristall
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Beitrag Do., 06.08.2015, 10:23

Wow, Chancen, Du hast Dich mit diesem Thema wirklich auseinandergesetzt. Ich merke, dass es keine leeren Worte sondern gelebte, schmerzhafte Erfahrungen sind.

Und ich danke Dir, denn Du schreibst genau dahin, wo ich derzeit stehe. Halb panisches Kind, halb erwachsene Frau (der das etwas peinlich ist).

Danke
Bergkristall

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