Binge Eating als Folge von Trauma?

Bulimie, Anorexie, Adipositas, EDNOS (mehr zur Unterscheidung finden Sie in meinen themenbezogenen Artikeln im Archiv, darüber hinaus finden Sie auf der Website auch Selbsttests zum Thema)
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StillesMeer
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Binge Eating als Folge von Trauma?

Beitrag Mo., 08.08.2022, 18:34

Hallo Ihr!

Ich habe eine diagnostizierte Posttraumatische Belastungsstörung seit einigen Jahren und bin auch schon das zweite Jahr in psychotherapeutischer Behandlung (Vt).

Begleitend zu der PTBS haben sich bei mir über die Jahre immer schlimmer werdende Essanfälle oder besser schon -phasen eingeschlichen. Diese entstanden ursächlich während ich in einer Situation von Beziehungsgewalt/ häuslicher Gewalt lebte. Die Essanfälle dienten für mich dazu, keine eigene Wut nach außen dringen zu lassen und weiterhin für mein Kind „sorgen“ zu können, während der Täter mich attackierte. Ich habe meine Wut quasi heruntergeschluckt damit.

Leider hat sich die Essstörung im Laufe der Jahre (ich bin fast drei Jahre raus aus der häuslichen Gewalt) verselbstständigt und ich habe mittlerweile den Impuls bei jeder Art längerer Anspannung, mir etwas reinstopfen zu müssen. Mittlerweile halte ich mich auch während der Arbeitszeit heimlich in unserem Pausenraum auf, wo immer für die Allgemeinheit Reste vom Frühstück, dem Kantinenessen oder Süßigkeiten, die als Dankeschön überreicht wurden, offen für jedermann herumstehen. Ich komme mir manchmal schon vor wie ein Tier auf der Suche nach Beute und schäme mich zutiefst und habe panische Angst davor, dass Kollegen es bald herausbekommen könnten.

Zuhause ist es so, dass ich an vielen Tagen ununterbrochen esse nur mal mit Unterbrechungen von 10 Minuten.

Ursprünglich war ich immer schlank, ich hatte als junge Frau bis Ende 30 (als ich in der Gewaltsituation lebte) eine schöne Figur und einen BMI von 20-21. Das ohne jede Esstörung oder Diäten. Heute mit 42 habe ich einen BMi von knapp 30. Zwischendurch war ich mit meinem Gewicht immer mal wieder knapp auf mein Ausgangsgewicht runter (übrigens auch ohne Diät, sondern in Phasen von massivem Stress und existentieller Angst), aber wenn das Leben wieder ruhiger wurde, kamen auch die Essanfälle wieder - meist eben bei alltäglichen Anspannungszuständen, die mich emotional getriggert haben.
Ich esse dann bis über die Schmerzgrenze. Mein Magen leert sich teils über eine Woche nicht mehr vollständig, weil permanent Nahrung nachgeschoben wird (auch nachts!). Entsprechend habe ich ständig Magenprobleme und leide unter Völlegefühl.

Wer ist oder kennt Betroffene von Binge-Eating, die auch eher untypisch erst im Erwachsenenalter diese Störung entwickelt haben? Und davon abgesehen: Wer würde von sich auch bejahen, dass die Essstörung aus der Bewältigung von traumatischen Zuständen entstand? Ich lese bisher sehr wenig darüber. Bei Binge-Eating geht man eher klassisch davon aus, dass die Störung nicht ganz unerheblich durch falsche Essensgewohnheiten und Diäten in der Kindheit entsteht.

Ich habe meiner Traumatherapeutin von den Essanfällen berichtet und sie sagte nur kurz: Es ist nicht untypisch, dass über das Essen die Emotionen reguliert werden. Sie schien das nur als sehr beiläufiges Problem wahrzunehmen und ging abgesehen von diesem Satz nie wieder darauf ein, obwohl ihr nicht entgangen sein sollte, dass ich seit Therapiebeginn im vergangenen Jahr 20 kg zugenommen habe. Meine Frage: Ist es normal, dass man sich in einer Traumatherapie nur auf das Trauma fokussiert und was an Bewältigungsstrategien mit dran hängen, einfach so unter den Tisch fallen lässt? Wenn ich mich stattdessen selbst verletzen oder mit Alkohol betäuben würde, würde man dies doch auch nicht so stehen lassen.
Was meint ihr?
Ein Problem kann vielleicht sein, dass ich noch nicht als richtig fettleibig wahrgenommen werde. Wie durch ein Wunder hat sich das Übergewicht immer noch recht gleichmäßig verteilt und frautypisch eher an Hüften und Oberschenkeln. Das macht es vielleicht auch für Außenstehende schwer das Ganze als „krank“ einzustufen.

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R.L.Fellner
Psychotherapeut
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Beitrag Mo., 08.08.2022, 21:31

Liebe StillesMeer,

Essstörungen sind tatsächlich gar nicht selten eine der Folgestörungen nach traumatischen Erfahrungen. Was an sich auch gar nicht so verwunderlich ist, wenn man die Perspektive "Selbstbild / Selbstakzeptanz" anlegt. Nebenbei ist Essen auch eine prima Methode, Spannung loszuwerden und sich bei Bedarf gute Gefühle zu verschaffen... ;-)

Ihr letzter Absatz löst gemischte Gefühle bei mir aus: prinzipiell hat ihre Therapeutin sicherlich recht, allerdings scheint ihr die Tragweite Ihres Umgangs mit dem Essen, die Gewichtszunahme in diesem Ausmaß, und ihre starke innere Beschäftigung mit diesem Thema entweder ganz entgangen zu sein oder sie diese unterschätzen. Oder vielleicht kann sie selbst mit diesem Thema nicht so viel anfangen? Sie sehen das meiner Ansicht nach völlig korrekt: die "Nebeneffekte" des Traumas sollten definitiv berücksichtigt werden, und sind gute, weitere Ansatzpunkte für die therapeutische Bewältigungsarbeit an sich.
Ich möchte Sie daher ermutigen, Ihre Gedanken Ihrer Therapeutin gegenüber und mit dem nötigen Nachdruck klar anzusprechen. Ich bin optimistisch, dass es ihr danach besser gelingen kann, sie auch in diesem Bereich besser zu unterstützen.

Freundliche Grüße und alles Gute!
R.L.Fellner

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Sydney-b
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Beitrag Di., 09.08.2022, 23:15

Warum sprichst du das Thema selbst nicht mehr an?
Es könnte möglich sein, dass ihr überhaupt nicht klar ist, welche Dimensionen deine Essstörung in der Zwischenzeit erreicht hat.
Du hast ja erwähnt, dass man die Zunahme bei dir nicht so deutlich sehen kann.
Wäre es dir möglich, ihr detaillierter (so wie hier) zu erzählen, wie schlecht es dir damit geht und du in der Zwischenzeit gesundheitliche Probleme deshalb hast?
Dass es Tage gibt, an denen du quasi ununterbrochen am Essen bist?

Ich denke, es täte dir gut, wenn du von alleine nochmals auf das Thema zu sprechen kommst.
Viel Erfolg dabei!

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Sinarellas
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Beitrag Mi., 10.08.2022, 07:31

Ich würde genau den text nehmen den du geschrieben hast, ihn ausdrucken und ihr zum Lesen geben.
..:..

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lisbeth
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Beitrag Mi., 10.08.2022, 08:04

Hallo StillesMeer,
StillesMeer hat geschrieben: Mo., 08.08.2022, 18:34 Ich habe meiner Traumatherapeutin von den Essanfällen berichtet und sie sagte nur kurz: Es ist nicht untypisch, dass über das Essen die Emotionen reguliert werden. Sie schien das nur als sehr beiläufiges Problem wahrzunehmen und ging abgesehen von diesem Satz nie wieder darauf ein, obwohl ihr nicht entgangen sein sollte, dass ich seit Therapiebeginn im vergangenen Jahr 20 kg zugenommen habe.
Du bist hier beim Mutmaßen und setzt deine eigenen Annahmen, was die Therapeutin denken oder meinen oder finden mag, als zutreffend voraus. Ob das tatsächlich so ist, solltest du im Realitätscheck, also im direkten Gespräch mit der Therapeutin klären.

Grundsätzlich finde ich ihre Anmerkung dazu zutreffend - Esstörungen (und da ist es meist ziemlich egal ob Binge-Eating oder Anorexie) sind oftmals "Krücken" mit denen die Betroffenen versuchen, Gefühlszustände zu regulieren. Ich glaube, dass sie sich schon darüber im Klaren ist, dass das kein beiläufiges Problem ist. Wieso schließt du das aus ihrer Bermerkung? Du sagst ja selbst, dass du bei jeder Form von innerer Anspannung den Impuls hast zu essen. Also regulierst du dich damit, oder?

Interessanter finde ich, warum du dich von der Therapeutin nicht wahrgenommen fühlst mit deinem Problem, obwohl ihre Feststellung sich mit dem deckt, was du hier ja auch schreibst? Man könnte ja auch sagen: Sie hat dein Problem anerkannt und damit den Raum geöffnet, um das weiter besprechen zu können, aber du nimmst dieses Angebot nicht wahr.

Es ist deine Aufgabe, in der Therapie die Themen auf den Tisch zu bringen, über die du sprechen willst. Das wird die Therapeutin dir nicht abnehmen. Wenn du dein Essverhalten und die Gründe dafür innerhalb der Therapie genauer beleuchten willst, wer oder was hindert dich daran?

Ich schließe mich den anderen an: Mach du es zum Thema. Wer sonst sollte das übernehmen?
When hope is not pinned wriggling onto a shiny image or expectation, it sometimes floats forth and opens.
― Anne Lamott

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