Essen bestimmt mein Leben

Bulimie, Anorexie, Adipositas, EDNOS (mehr zur Unterscheidung finden Sie in meinen themenbezogenen Artikeln im Archiv, darüber hinaus finden Sie auf der Website auch Selbsttests zum Thema)
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sidsi18
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Essen bestimmt mein Leben

Beitrag Fr., 18.05.2018, 16:11

Ich glaube, es hat angefangen als ich 13 Jahre alt war. Obwohl ich rückblickend weiß, dass ich damals schlank war, habe ich mich immer als zu dick empfunden. Ich kann mich nicht an einen Moment in meinem Leben erinnern, an dem ich mich wohl in meiner Haut gefühlt habe. Es kommt mir vor, als würde ich ständig beobachtet und auf Grund meines Aussehens verurteilt.

Mit 15 Jahren habe ich meine erste Diät versucht. Ich verstand das Prinzip des Abnehmens nicht und stürzte mich bei jeder neuen Diät wieder in den Wahnsinn des Kalorienzählens, Hungerns und Fressens. Ich bestellte massenweise Sportnahrung, probierte es mit Eiweißshakes und anderen sogenannten Wundermitteln, aber nichts konnte ich dauerhaft durchhalten, sodass sich mein Selbsthass nur noch verschlimmerte und ich immer weiter zunahm. Zwar war ich am Anfang jedes Diätversuchs wahnsinnig motiviert, doch die Enttäuschung am Ende verschlimmerte jedes Mal mein Essverhalten.
Zu diesem Zeitpunkt aß ich immer regelmäßiger heimlich. Ich habe Zeiträume eingeplant, in denen ich ungestört zu Hause bin, um beispielsweise ganze Gläser Nutella zu löffeln. Wenn meine Eltern spontan das Haus verließen, stürzte ich mich regelrecht in die Küche und verschlang, was ich finden konnte. Jedoch achtete ich stets darauf, dass die gegessenen Mengen nie zu auffällig war, schließlich wollte ich nicht, dass meine Eltern von diesem Verhalten etwas mitbekamen. Mir war in diesen Situationen bewusst, dass das, was ich da tat, nicht richtig war, aber mir fielen immer die passenden Ausreden und Erklärungen ein, sodass ich die Vernunft verdrängte und weitermachte.

Bevor ich volljährig würde, hatte ich den ersten Zusammenbruch vor meiner Mutter. Ich habe häufig geweint, wenn ich alleine war, meistens nachts in meinem Zimmer. Eines Nachmittags hatte ich darüber nachgedacht, mich körperlich zu verletzen. Dieser Gedanke kam mir nur dieses eine Mal und anstatt die Schere in meiner Hand zu benutzen, kauerte ich mich auf den Boden und heulte. Meine Mutter kam von der Arbeit und fand mich so vor. Sichtlich überfordert mit der Situation versuchte sie mit mir zu reden, mir zu helfen, mich zu verstehen, aber ich machte dicht und erzählte ihr, dass ich erbrochen hätte, um Essen wieder loszuwerden. Ihr Bulimie zu erklären war so viel leichter, als ihr zu vermitteln, dass ich unter Binge Eating leide, zumal mir selbst damals noch nicht klar war, dass diese Fressanfälle eine Art Essstörung sind. Also log ich meine Mutter an. Ich konnte nicht gestehen, wie unwohl ich mich fühlte und glaubte durch diese dramatische Erklärung eher Unterstützung bekommen. So entstand der erste Dialog über Essen mit meinen Eltern. Beide gaben sich Mühe, mir beim Kochen und Planen zu helfen, jedoch hatte ich ununterbrochen das Gefühl, nicht richtig ernstgenommen zu werden. Als würde es sich nur um eine Phase handeln, die ich mir einbilde und die bald wieder verschwinde.

Es war mir nicht möglich, mein Essverhalten zu ändern, ich bin in meinem Körper gefangen.
Ich bemühe mich nach Außen eine starke und selbstbewusste Fassade zu halten, schließlich schäme ich mich dafür, dass ich keine Kontrolle über mein Essverhalten habe. Es ist einfacher, anderen zu helfen und zu unterstützen, wenn man vorgibt, selbst überhaupt keine Schwierigkeiten zu haben. Niemand möchte gerne schwach da stehen und ich habe Angst vor den Reaktionen anderer. Ich möchte nicht bemitleidet oder verurteilt werden.

Essen bestimmt mein Leben. Jeden Tag denke ich an Essen - an was ich essen könnte, was ich gegessen habe, was ich wünschte, nicht gegessen zu haben und was ich wünschte, essen zu können. Kalorien schwirren in meinem Kopf, es ist ein Kreislauf, aus dem ich nicht ausbrechen kann. Mir ist es unangenehm in Gesellschaft zu essen, weil ich mir in diesen Momenten ganz besonders meiner Essstörung bewusst bin und ich andere Menschen beneide, die sorglos essen zu sich nehmen.
Das letzte Jahr habe ich gehofft, dass mir Reisen und Eigenständigkeit dabei helfen würden, ein normaleres Leben zu führen, aber es hat einfach nur zu einer weiteren Erkenntnis geführt: ich kann niemandes Liebe zulassen, geschweige denn jemand anderes lieben, wenn ich mich selbst nicht liebe oder zumindest akzeptiere.
Sie sagen Erkenntnis sei der erste Schritt zur Besserung, aber ich bin mir seit 3 Jahren darüber im Klaren, dass ich unter Binge Eating leide und es hat sich nichts gebessert. Ich will weg von Fressattacken und Hungerphasen. Ich verstehe heute, wie Abnehmen funktioniert, jedoch tue ich bewusst nicht das richtige, um diesen Prozess in die Wege zu leiten. Wenn ich abgelenkt bin und eine gute Zeit habe oder anderer Menschen Probleme sehe, dann stelle ich mich selbst in Frage und zweifle daran, ob ich eigentlich wirklich ein Problem habe. Denn wenn es mich wirklich so sehr stört, warum habe ich dann nicht die Kraft, etwas zu ändern? Ich fühle mich wie von zwei Extremen gesteuert und stelle mir andauernd vor, wie schön mein Leben doch sein könnte, wenn ich normal wäre.

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lemon
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Beitrag So., 20.05.2018, 12:57

Hallo sidsi,

ich kann mir gut vorstellen wie du leidest, ich hatte früher auch eine Essstörung Magersucht/Bulimie.

Ich rate dir eine Therapie zu machen, das alsbald anzugehen, denn die Wartezeiten sind oft lange. Sprich doch mit deinem Hausarzt darüber, der kann dir eine Überweisung zum Therapeuten ausstellen.

Ich selbst war früher zweimal für je 8 Wochen zur psychosomatischen Reha, mir hat das sehr gut geholfen.

Evtl. gibt es in deiner Stadt eine Selbsthilfegruppe.

Fürs erste würde ich dir raten, fang an Sport zu treiben. Schön langsam und dann trainiere dich höher. Sport gibt dir die Möglichkeit dich zu spüren, es ist eine gesunde Betätigung, dient Körper, Herz, Kreislauf und vor allem auch deiner Psyche.
Auch wenn du das vielleicht jetzt nicht glaubst, doch es ist wirklich so, Sport ist das beste was du für dich tun kannst, ein guter Weg für einen guten Start zum Gesunden.

Alles Gute wünscht dir lemon
[center]Das, was wir Menschen am meisten brauchen,
ist ein Mensch, der uns dazu bringt,
das zu tun, wozu wir fähig sind.[/center]

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Malia
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Beitrag So., 20.05.2018, 17:14

Sie sagen Erkenntnis sei der erste Schritt zur Besserung, aber ich bin mir seit 3 Jahren darüber im Klaren, dass ich unter Binge Eating leide und es hat sich nichts gebessert.
Da hast du eventuell was falsch verstanden:
Erkenntnis ist ein erster Schritt und danach müssen andere folgen und damit wird es dann besser.
Das Essproblem ist Symptom eines Problems, nicht das eigentliche Problem selbst.
Es zeigt dir auf, dass du etwas in deinem Leben anders haben möchtest.
Bei einem gewissen Stande der Selbsterkenntnis und bei sonstigen für die Beobachtung günstigen Begleitumständen wird es regelmäßig geschehen müssen, dass man sich abscheulich findet.
Franz Kafka

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