Angst nach Horrorfilmen

Fragen und Erfahrungsaustausch zu Phobien, Zwängen, Panikattacken und verwandten Beschwerden.
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Rezna
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Beitrag Mo., 20.08.2012, 20:17

Fakt ist doch, dass man sich solche Filme FREWILLIG anschaut. Zumindest glaube ich nicht, dass jemand "Clockwork Orange"-Mäßig gezwungen wird, sich grausliche Sachen ausehen. Und genau das ist der wesentliche Punkt: Der Betrachter begibt sich bewusst und kontrolliert in eine Situation, von der er weiß, dass sie erstens nach rund eineinhalb Stunden vorüber ist, und zweitens, ihm nie wirklich Schaden zufügt. Er hat die Kontrolle darüber, den Film jederzeit abzudrehen, wegzusehen, sich die Ohren zuzuhalten, den Raum zu verlassen oder sich an eine geliebte Person zu klammern. Er ist NICHT ausgeliefert.

Das ist ein wichtiger Aspekt den man beachten sollte. Heutzutage kommt kaum mehr ein Mensch im realen Leben mit der physischen Grausamkeit in Kontakt. Eher so ist es, dass jeder Schrecken hinter Hygene, Sauberkeit und Political Korrektnes versteckt wird. Früher wussten schon Kinder, was ein Tier durchmacht, bis sie ein "Wurstbrot" essen können. Sie waren beim töten der Tiere dabei, haben mitunter geholfen, die Arme bis zu den Schultern in Eingeweiden und voll Blut. Heute kann ein Mensch sein ganzes Leben unmengen an Fleisch vertilgen, ohne auch nur einen Tropfen Blut sehen zu müssen: Das Grauen hinter Mauern versteckt, hinter bunten, niedlichen Werbebotschaften von über grüne Wiesen hoppelten Ferkelchen die sprechen können... Und das erlebte Grauen ist auf einer anderen Ebene zu finden, nicht sichtbar, und das macht auch Hilflos.

Auch mich entlasten Horrorfilme. Ich muss sie nicht immer sehen, aber es gibt Momente, und das sind tatsächlich solche, in denen ich aufgeladen, wütend, ja rachsüchtig bin, frustriert und so weiter, in denen ich solche Filme sehe, und Genugtuung empfinde. Ich bin sogar Vegetariern (war einige Jahre Veganerin) und hab schon ein moralisches Problem, eine Gelse zu erschlagen... aber solche Filme geben mir was. Auch, weil ich weiß, dass sie nicht echt sind. Unter anderem finde ich auch spannend, wie die Effekte ein- und umgesetzt wurden - was wirklich schon rein technisch was für sich hat (zumindest wenn man sich dafür interessiert).

Es ist noch nicht so lange her, das habe ich einen Film über einen Amokläufer gesehen, und empfand eine tiefe Befriedigung, als er "endlich" auszuckte und damit diesen Druck abbaute, auch all die "Bösen" dafür zahlen ließ. Nach so einem Film habe ich nicht den Wunsch, selber Amokzulaufen. Immerhin ist dort neben diesem Gefühl: Jeah, nur raus damit, auch eben der damit einhergehende Schrecken gezeigt. Man selber ist ja nicht im Affekt, man beobachtet - und denkt. (Zumindest gehe ich aus, dass viele Menschen denken können, und Filme durchaus reflektiert wahrnehmen können). Ich fühle mich nach einem solchen Film "satt".

Was angesprochen wird, mit dem Lachen bei Splatter... also das ist nicht Besorgniserregend, da denjenigen die da Lachen aber SOWAS von bewusst ist, dass es nur ein Film ist, dass es Spezialeffekte sind. Die Filme sind ja auch absichtlich schlecht gehalten, sie sind eine Persiflage. Wer nicht in der Lage ist, das zu erkennen, sollte sich wirklich fern halten davon. Und wer denkt, Leute die das ansehen halten das für echt und lachen über echtes Leid, sollte mal fragen, welches Menchenbild er hat. Zwischen einem real stattfindenden Trauma an echten Menschen, mit spür und riechbarem Schrecken - und ein paar roten Pixel und Soundeffekten, gibt es einen gewaltigen Unterschied.

Wenn ich den älteren Genertationen zuhörte, meine ich, sind solche Filme harmlos. Zwar erröteten sie beim Anblick eines bleichen Knöchels, aber ebenso hielten sie das Kind in der Küche fest, während ihm bei vollem bewusstsein die Mandeln rausgeschnitten wurden und überall das Blut nur so spritzte. Ich glaub, an so ein Erlebnis kommt kein Splatter heran.
»Nimm niemals Böswilligkeit an, wenn Dummheit hinreichend ist.« [Hanlon's Razor]
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Stacheldraht
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Beitrag Mo., 20.08.2012, 21:09

Wichtig ist doch nur eine Unterscheidung: Fiktion und Realität. Fiktive Geschichten mögen spannend sein und unterhalten, wenn sie ans Herz gehen drückt man ein Tränchen raus, aber schnell sind sie vergessen. Ganz egal, ob es sich um eine Komödie, einen Horrorfilm, eine Liebesschnulze oder was auch immer gehandelt hat. Wichtiger sind die echten Filme. Die, in denen man vielleicht nur weinende Hinterbliebene sieht oder einen menschenleeren Ort. Aber man weiß, dies ist real, hier haben wirklich Menschen gelitten. DAS ist für mich viel schwieriger zu ertragen als jeder Horrorfilm. Beim Film weiß ich, dass niemand gelitten hat. Nein, die Leute wurden dafür bezahlt in lustigen Kostümen mit viel Ketchup im Gesicht rumzulaufen. Aber die Leute in den Nachrichten? Die bezahlt dafür keiner und das rote im Gesicht ist kein Blut. DAS ist der echte Horror und den fürchte ich wirklich.
Aber doch nicht irgendwelche lustigen Trickeffekte.
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Rezna
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Beitrag Di., 21.08.2012, 00:06

Richtig,.
Mir ist eingefallen: In manchen Filmen werden Filme aus der Realität hieingeschnipselt. Etwa bei 28 days Later. Ich fand diese paar Minuten am Anfang, diese "echten" Filme aus dem echten Leben weit schrecklicher als alles was in dem gesamten Film abgelaufen ist. In den ersten Minuten diese echten Szenen aus echten Dokumentationen und Nachrichten, waren der blanke Horror, brachten mich zum Weinen. Die Geschichte, die Fiktion aus der der Rest bestand, in seinen brutalen Ausprägungen - waren nicht im Ansatz so berührend...

Und noch jede eingehende Nachrichtensendung hat mich mehr traumatisiert als irgendein noch so heftiger Film. Wenn man was verbieten möchte, um Menschen zu schonen - dann wäre das Berichterstattung. Da aber wären wir (wie bei der Filmzensur übrigends) bei der Manipulation...

Generell was, das mich bei dieser Forderung erschreckt hat. Wie kann man allen ernstes, in unserer Zeit, der Vergangenheit auf die Idee kommen Filme zu verbieten? Sie sind wie Bücher eine Kultur - und Bücher verbieten ist auch so ein Ding. Und in dem Moment, wo man Bücher voll Gewalttätigkeit würde verbieten wollen, könnte man mit dem Verbrennen der Bibel und Co sofort beginnen. Sie sind die Steilvorlage für so ziemlich jeden kranken Horror.
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Rainer-JGS
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Beitrag Di., 21.08.2012, 00:15

Arta hat geschrieben: Generell was, das mich bei dieser Forderung erschreckt hat. Wie kann man allen ernstes, in unserer Zeit, der Vergangenheit auf die Idee kommen Filme zu verbieten? Sie sind wie Bücher eine Kultur - und Bücher verbieten ist auch so ein Ding. Und in dem Moment, wo man Bücher voll Gewalttätigkeit würde verbieten wollen, könnte man mit dem Verbrennen der Bibel und Co sofort beginnen. Sie sind die Steilvorlage für so ziemlich jeden kranken Horror.
Rausch- und andere körperliche Gifte sind doch auch streng verboten und das deutsche Arzenei- und Lebensmittelrecht ist sogar das strengste der Welt!

Warum sollte man also nicht auch eindeutige Seelengifte, wie häßliche Aggression, Gewalt, Porno, Nazitum usw. verbieten und nicht nur Kinder und Jugendliche schützen?

Obwohl der Jugendschutz in Deuchtschland auch schon weitgehend ausgehölt ist und für mich sind z.B. Filme ab 16 und manchmal sogar schon 12 Jahren reines Seelengift!
Liebe Grüße vom Rainer-JGS,
der immer gerne das aufhebt, was ihm der liebe Gott vor die Haustüre legt.

Wegen der besseren Lesbarkeit und aus Liebe zur deutschen Sprache benütze ich gerne die traditionelle Rechtschreibung und das generische Maskulinum.

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Passat
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Beitrag Di., 21.08.2012, 00:17

@W.Rainer-JGS.de
Frieden, wie du ihn gerne hättest, findest du vielleicht auf dem Mars.
"Alles entsteht durch den Konflikt" (Heraklit)

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Rezna
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Beitrag Di., 21.08.2012, 00:32

W.Rainer-JGS.de hat geschrieben: reines Seelengift!
Ach herrje!

Ernsthaft: ich lebe lieber in einer Gesellschaft, die lernt, mündig zu sein, weil sie Freiheiten hat.
Ich finde, dass die Menschheit durch ihren Sicherheitswahn in Vorschriften und Gesetzen eh schon verblödet. Denn damit nimmt man Menschen die Verantwortung.
Schränkt man die Freiheit eines Menschen ein, dann fragt er sich nicht mehr, ob eine Sache gut oder schlecht für ihn ist, und wie er damit umgehen kann, sondern, wie er in Beziehung zu den Vorschriften steht.

Dann denken die Leute eben lieber darüber nach, wie sie Geschwindigkeitbegrenzungen übertreten können, darüber wie bescheuert die Vorschriften sind und wie deppert die Polizei. Darüber, um was es aber geht, darüber denken sie nicht mehr nach. Die Verantwortung für das eigene Handeln wurde ihnen abgenommen. Sie werden zu Kindern, die versuchen, Regeln zu brechen.

Mir wird schlichtweg schlecht, wenn Menschen Kontrolle, Zensur, Überwachung... befürworten und rechtfertigen.

Da gab es, ich weiß nicht mehr wo das war, dieser Fall:
In einem Ort konnte die Feuerwehr temporär nicht aktiv sein. Weil das Gebäude umgebaut wurde oder dergleichen. Jedenfalls war der Ort für eine gewisse Zeit ohne Schutz durch die Feuerwehr, und die Leute wussten das. Es gab weit weniger Brände. Weil die Leute mehr Verantwortung übernommen haben. Sie waren sich der Konsequenzen ihrer Handlungen eher bewusst, und dass sie da nicht einer "eh schnell raus haut".

Und meine Beobachtung war noch immer: Nimm den Menschen Dinge weg, stelle Verbote auf - und sie übernehmen nicht mehr für diese Taten verantwortung, sehen nicht mehr die Gefahren um die es geht, sondern befinden sich in Rebellion, stehen einem Feind gegenüber. Und auch Kinder handeln meist viel verantwortungsvoller und reifer, wenn man ihnen MEHR macht, MEHR Freiheit und Entscheidungsgewalt gibt, als weniger.
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yamaha1234
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Beitrag Di., 21.08.2012, 00:53

W.Rainer-JGS.de hat geschrieben:
Warum sollte man also nicht auch eindeutige Seelengifte, wie häßliche Aggression, Gewalt, Porno, Nazitum usw. verbieten und nicht nur Kinder und Jugendliche schützen?
Hi Rainer,

ich glaube Menschen fühlen sich von Verboten grundsätzlich unterdrückt, in ihrer freien Entfaltung beschränkt usw. usf. zumindest von den Verboten, die für sie keinen Sinn ergeben.
Meiner Meinung nach erreicht man mit Verboten gar nichts, sie sind kontraproduktiv, weil immer wieder Wege gesucht werden diese "Verbote" zu umgehen. Ich glaube der Mensch lässt sich einfach nicht gerne etwas verbieten, und das ist in seiner Natur so angelegt. Da du katholisch bist, kennst Du doch auch das Verbot das Gott Eva gegeben hat, also diesen einen Apfel nicht zu essen, und kaum war das Verbot da, schwups biss sie hinein......

Ich bin absolut deiner Meinung, wenn du all diese Dinge (Porno, Horror, etc.) unter dem Begriff Seelengifte zusammen fasst. Aber ich denke die einzige Möglichkeit wirklich etwas zu verändern ist selbst ein anderes Leben zu wählen. Selbst keine Pornos, Horrorfilme etc. zu schauen, achtsam mit sich selbst, seinen Kindern und seinen Lieben, den Menschen allgemein umzugehen. Aber auch da Stellung und Position zu beziehen wo es angebracht ist, und nicht wegzuschauen, wenn mal wieder Gewalt etc. glorifiziert wird. Das Gespräch die Diskussion und den Austausch suchen, aufklären. Ich glaube darüber erreicht man die Menschen mehr, als über Verbote.

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Nico
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Beitrag Di., 21.08.2012, 06:37

W.Rainer-JGS.de hat geschrieben:
Dieser lieblose und verächtliche Betrag spricht Bände über den Schreiber und zeigt auf welch niedrigem geistig-seelischem Nivau manchen Menschen sich bewegen!
Ach Rainer, wenn dem tatsächlich so wäre, würde ich ja das ideale Opfer für deine Scharlatanereien abgeben und wäre sozusagen Teil deiner Zukunftsvorsorge.
Da dem aber nicht so ist, musst du natürlich deine ach so katholischen Giftpfeile abschießen....
Nicht das schwarze Schaf ist anders, sondern die weißen Schafe sind alle gleich ;)


Themis
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Beitrag Di., 21.08.2012, 08:40

Hässliche Agression verbieten? WRJGS, was meinst du damit? Wie kommst du auf das Adjektiv?

Ich hätte sehr gerne auf den wöchentlichen sonntäglichen Anblick des leidenden oder schon toten Jesus am Kreuz verzichtet. Eine Stunde lang auf das Symbol der gerechten (?!?) Kirche blicken, den Gefolterten anstarren und in mein Hirn getrichtert bekommen "der ist wegen dir gestorben" - verzichtbar.
Die Grenze von Realität und Fiktion verschwimmt und bewirkt so Einiges im Gehirn eines Kindes, welches sich verzweifelt wünscht, doch den armen Mann, der da hängt wie eine Sau beim Ausbluten, abzunehmen. Was für ein Symbol!!

Der Anblick von bei lebendigem Leib durch den Fleischwolf gedrehten männlichen Kücken ist unerträglich, stellt leider die Realität dar. Nur ein Beispiel von vielen.

Mir sind Horrorfilme zu sehr ein Abbild dieser Realität, die Vorlagen sind zu grauenhaft, als dass ich mir einen davon auch nur ansatzweise ansehen würde. Mir reicht die Realität.

Ich verstehe den Zugang von Eremit und Stacheldraht, ähnlich verhält es sich ja mit Märchen: Je brutaler die Bösen am Ende bestraft werden, umso befreiender wirkt es. Wo ich bei Rache und Gerechtigkeit angekommen wäre - das wird hier an anderer Stelle diskutiert.
Ich bin nicht meine Geschichte

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