Chronische Depression seit 5 Jahren, Luft geht mir aus

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sandrin
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Beitrag Mi., 14.02.2018, 08:25

Ich würde gerne diesen Thread reaktivieren, in der Hoffnung, einen Austausch zwischen Leuten entstehen zu lassen, die ebenfalls an chronischen Depressionen leiden. Bei mir ist das schon jahrelang der Fall, und leider nicht nur auf einem leicheren Niveau, sondern richtig heftig, so dass ich manchmal echt nicht weiß, woher die Kraft kommen soll, den Alltag irgendwie zu bestehen. Ich glaube einfach, dass chronische Depressionen nochmal eine besondere Situation darstellen. Diejenigen, die auch darunter leiden, werden wissen, was ich meine, weil alles einfach so unendlich aussichtslos aussieht.

Broken Wings, du schriebst ja 2014 schon, dass du auch betroffen bist. Wie geht es dir inzwischen damit? Hat sich etwas getan? Ich habe immer den Eindruck, das Einzige, was ich tun kann, ist, mein Leben dem Zustand irgendwie anzupassen. Echt grausam manchmal...

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Broken Wing
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Beitrag Mi., 14.02.2018, 09:16

Hallo Sandrin!

So ist es. Damit kann ich mittlerweile recht gut leben.
Ich habe mehr als ein Jahrzehnt in Depressionen verbracht und gedacht, es würde vergehen, wenn ich einen Partner/Job usw. hätte. Nicht nur, dass ich eigentlich die Kraft für diese Dinge nicht hatte, sie stellten sich am Ende doch nicht als der Messias heraus. Zudem bin ich weit hinter dem zurückgeblieben, was ich hätte erreichen können und hinter meinen gesteckten Zielen sowieso. Der Grund dafür dürfte wohl gewesen sein, dass ich eigentlich immer mit dem Suizid-Ausgang geliebäugelt hatte und daher das Leben halbherzig angegangen bin. Es ist ein Irrtum zu glauben, die Todesoption würde zu mehr Leben verhelfen, weil man ja immer gehen könne. Damit wird dem Gehirn suggeriert, dass alles OK sei.
Heute habe ich gelegentlich noch Todessehnsucht, aber ich halte mich an mein Versprechen, es nie wieder zu probieren und in solchen Phasen Dinge zu tun, die von den meisten als angenehm empfunden werden, auch wenn ich das in dem Moment nicht tue. Es wirkt trotzdem.
Beginne den Tag mit einem Lächeln, dann hast du es hinter dir. [Nico Semsrott]

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sandrin
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Beitrag Mi., 14.02.2018, 09:30

Danke für deine offenen Worte! Es ist halt so unglaublich kräftezehrend, wenn man das Gefühl hat, man sieht kein Land mehr. Suizidgedanken habe ich im Grunde nicht, aber die Option, ich könne gehen, wenn ich es nicht mehr aushalte, die beruhigt mich ehrlich gesagt schon.

Ich würde so gerne einen guten Umgang mit der Krankheit erlernen, weiß aber nicht, ob dazu nicht auch gehört, erst einmal zu kapitulieren und einzusehen, dass das nichts mehr wird. Und diese Erkenntnis ist schon grausam und auch so endgültig.

Vielleicht hilft ja wirklich der Vergleich mit anderen chronischen Krankheiten, die man auch ins Leben integrieren muss. Aber ich finde, man fühlt sich mit keiner Krankheit so einsam und unverstanden wie dieser. Das macht es nochmal schwerer.

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Broken Wing
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Beitrag Mi., 14.02.2018, 10:26

Hallo Sandrin!

Das ist genau das Fatale an Suizidgedanken: Sie fühlen sich gut an, sind es aber nicht. Auch wenn ich es bewusst nicht so wahrgenommen hatte sondern meinte, durch die erleichterung, mich exekutieren zu können, hätte ich mehr Kraft im Leben erlangt, waren mir die Dinge im Leben irgendwie gleichgültiger geworden. Dadurch bekommt die Depression freie Hand.

Bei mir war das markanteste Symptom ein vollkommener Selbsthass. Kein Wunder. Ich bin ein Mensch, der gerne neues ausprobiert und etwas erreicht, aber in der depressiven Phase mit mehr oder weniger schweren akuten Schüben war das nicht möglich.

Trotzdem finde ich, dass schwere Depressionen auch eine Schutzfunktion haben, mit sehr unangenehmen Nebenwirkungen. Gefährlich wurde es eigentlich, wenn es mir gut ging, was die Suizidvorbereitung betrifft. Mir half es tatsächlich einigermaßen die Sprache zu finden, zu verstehen und wirklich zu fühlen, nicht schuld, faul u.ä. zu sein, was man sich halt den lieben langen Tag ständig vorhält.
Vielleicht ist sie doch nicht die gefürchtete Krankheit zum Tode, ihr vielfach gemeinsamer Auftritt könnte auch in einer Schutzfunktion begründet sein.

Was das Erkennen betrifft: Das Ende einer Sache ist meistens der Anfang einer anderen. Aber diese Erkenntnisse sollte man nicht allein und in einer depressiven Phase im Bett erlangen. Und ja, es ist fürchterlich. Ich weiß ja nicht, wie schwer es bei dir ist, aber bei mir war es jedenfalls so, dass ich mich schämte, wieder rauszugehen. Alle Welt bemerkte nun, wie blöd und hinterher ich war.

Jedenfalls ist das, was wir haben, definitiv nicht die Variante, die als "Volkskrankheit" verharmlost wird.
Beginne den Tag mit einem Lächeln, dann hast du es hinter dir. [Nico Semsrott]

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sandrin
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Beitrag Mi., 14.02.2018, 10:40

Hm... Ich überlege gerade, Selbsthass spüre ich eigentlich gar nicht so sehr, eher massive Verbitterung, Widerwillen, mich überhaupt mit meiner Umgebung auseinanderzusetzen, weil ich den Eindruck habe, ich bin sowieso ein Alien, als hätte ich mit meiner Umwelt gar nichts mehr gemein. Ich bin es so leid, mich immer rechtfertigen und erklären zu müssen, ich habe das Gefühl, dass keiner wirklich eine Ahnung hat, was los ist. Ich fühle mich wie Pawlows Hund, der sich einfach hinlegt und sagt, das bringt eh alles nichts mehr. Den ganzen lieben langen Tag rede ich mir gut zu, versuche, mich wenigstens ein wenig aus dem Loch herauszuziehen, mich zu aktivieren, mir vor Augen zu halten, dass wohl die Wenigsten in meiner Lage so funktionieren würden wie ich (zumindest sagt man mir das immer so).

Aber trotzdem komme ich jetzt langsam an einen Punkt, wo ich mich frage: Was soll das eigentlich alles? Jedes Wort ist vergebens, jede Erklärung. Und das, was von außen kommt, ist doch auch nur Pseudoverständnis. Ich habe wirklich gar nicht das Gefühl, dass es etwas bringt, überhaupt mit irgendjemandem darüber zu reden. Und das macht es nochmals schwieriger, weil das ein fürchterlicher Punkt ist, an dem ich da angekommen bin.

Wenn ich immer lese, Depressionen seien gut behandelbar, dann kommt mir echt das (verbitterte) Lachen aus. Ich weiß ja nicht, was diejenigen haben, bei denen das so einfach geht, ich habe definitiv was anderes. Seufz....

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