Depression als Kind?

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Kaonashi
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Beitrag Do., 17.10.2019, 19:16

Claude hat geschrieben: Do., 17.10.2019, 11:08 Ich bin weder Kinderpsychotherapeut noch Kinderpsychiater, noch irgendetwas ähnliches, aber ich bin immer davor ausgegangen, dass Kinder die "depressiv" sind, einfach nur traurig sind. Wenn ich Menschen höre, die die Vermutung aufstellen sie seien schon als Kind depressiv gewesen, denke ich immer bei mir, dass es damals vermutlich einfach nur einen Faktor in ihrem Leben gab, dass sie so unglücklich machte. So wie Philosophia es geschrieben hat.
Aber das ist nur meine Vermutung.
Ich habe mich auch oft gefragt, weil ich so eine Phase in der Kindheit hatte, wo ich an Suizid dachte und auch schlecht schlafen konnte, ob das eine richtige Depression war, oder ob es nur eine schwierige Zeit war. Ich war damals 11 oder 12 Jahre alt, und 3 Jahre davor hatte sich meine Großmutter erhängt, von daher könnte es sein, dass ich mit dem Thema dadurch in Kontakt gekommen bin, und als es mir dann selbst schlecht ging, gingen auch meine Gedanken in die Richtung.
Es gibt auch Kinder, die tatsächlich versuchen, sich umzubringen, das habe ich nicht.
Ich habe auch mit niemandem darüber gesprochen und konnte es offenbar gut verbergen.

Ich denke, dadurch, dass ich fast 30 Jahre unbehandelt depressiv war, hat sich das so chronifiziert, dass ich irgendwie nicht mehr rauskomme.
Kann ich nicht einschätzen. Mir geht es derzeit relativ gut, ich hatte aber auch zwischen den depressiven Phasen schon immer gute Zeiten, auch ohne Behandlung.
Was ich hilfreich finde:
- einen kleinen Helferkreis haben, um nicht alleine mit allen Problemen dazustehen
- Vertrauen haben, dass sich Lösungen finden werden für auftretende Probleme (das ist am schwierigsten)
- keine festgefahrenen Vorstellungen davon haben, wie Dinge angeblich sein müssen; zu seinen Bedürfnissen stehen, auch wenn andere die Nase darüber rümpfen
- Sich nicht von anderen hetzen und unter Druck setzen lassen
- Dafür sorgen, dass Zeit und Raum für schöne Dinge ist

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cinikus
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Beitrag Do., 17.10.2019, 19:36

Kaonashi hat geschrieben: Do., 17.10.2019, 19:16 - Sich nicht von anderen hetzen und unter Druck setzen lassen
Hier bin ich selbst mein größter Feind. Jeder sagt mir, ich solle loslassen, den Druck rausnehmen, alles würde schon besser werden. Doch ich setze mich extremst unter Druck, weil ich dieses Depressivsein einfach nicht mehr dulden will. Weil ich kräftig und aktiv und erfolgreich sein will, statt dieser schwarzmalerische Jammerlappen. Ich ekle mich an und will da lieber gestern raus als morgen. Für den Druck brauche ich niemanden.
Kaonashi hat geschrieben: Do., 17.10.2019, 19:16 - Dafür sorgen, dass Zeit und Raum für schöne Dinge ist
Das halte ich gerade in Depressiven Episoden für das Schwerste überhaupt. Weil ich da eben keinerlei Empfindung für Schönes oder Gutes habe. Da ist ALLES schlecht und immer schlecht gewesen, und alles Gute habe ich mir immer nur eingeredet. Es ist also praktisch unmöglich, mir in dieser Zeit irgendwie schöne Dinge zu gönnen. Aber ich kann mich ablenken vom destruktiven Denken. Das nimmt manchmal schon zwänglerische Züge an. Vor allem unterwegs sage ich manchmal "lalala" um meine negativen Gedanken zu übertönen. Alles, was dann geht, ist Unterbrechung und Ablenkung. Ironischerweise sind das aber beides Dinge, die mir als negative Eigenschaften, als faul und feige beigebracht wurden. Ein fataler Teufelskreis. Ich versuche, mich abzulenken, aber die Ablenkung fördert mein negatives Selbstbild. Nur ... in einer gewissen Tiefe ist ein negatives Selbsbild immer noch um Welten besser, als die destuktive Denkweise der Depression. Weil lieber sich selbst hassen, als suizidal sein. Echt bescheuert.

Ach ja. Ich hatte mit 12 Jahren Phasen, in denen mein Gesicht vollkommen taub war. Wie ein eingeschlafenes Körperteil. Als ich das Jahre später meiner Therapeutin erzählte, meinte sie, das wären starke Anzeichen dafür, dass ich depressiv war. Zumal ich in diesen Zuständen einfach nur dasaß und mich weder körperlich noch gedanklich vorwärts oder rückwärts bewegen konnte. Es war eine komplette Lähmung meines Lebens, meiner Gefühle, meiner Gedanken. Ich saß da und starrte an die Wand. Das waren schlimmere Zustände als jene, in denen ich Heulkrämpfe hatte oder pagodenwackelnd um meine Fassung rang. Also echt, hinterher gesehen frage ich mich, was sich meine Eltern bei meinem Verhalten wohl gedacht haben. Okay, sie haben mich dafür gehasst. Weil es sie überfordert hat. WENN Hilfe kam, dann immer nur durch Nachbarn, die zufällig was mitbekommen haben.
Auch der Anblick des Schlechten kann eine Schulung für das Gute sein! Niccolò Tommaseo

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Kaonashi
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Beitrag Do., 17.10.2019, 20:11

cinikus hat geschrieben: Do., 17.10.2019, 19:36Jeder sagt mir, ich solle loslassen, den Druck rausnehmen, alles würde schon besser werden. Doch ich setze mich extremst unter Druck, weil ich dieses Depressivsein einfach nicht mehr dulden will. Weil ich kräftig und aktiv und erfolgreich sein will, statt dieser schwarzmalerische Jammerlappen. Ich ekle mich an und will da lieber gestern raus als morgen. Für den Druck brauche ich niemanden.
Bei mir bezieht sich das auf Druck durch andere bei Dingen, die ich machen soll, nicht in Bezug auf eine Depression.
Es hängt mit meiner anerzogenen Haltung zusammen, es jedem recht machen zu wollen, das hat dann z.B. zur Folge, dass ich mir bei der Arbeit Termine reinquetsche, für die ich eigentlich weder Zeit noch Nerven habe, nur weil ich denke, ich muss das für die anderen tun. Ich habe da angefangen, mir Freiräume zu schaffen. Ich arbeite jetzt eh nur noch 3 Tage in der Woche, und ich belege nur zwei Tage davon mit Terminen, den anderen Tag halte ich frei, egal wie ungeschickt das für andere ist. Erstaunlicherweise findet sich fast immer eine andere Lösung, wenn man sagt, dass etwas nicht geht.
Ich lasse mich auch nicht mehr so leicht im Straßenverkehr hetzen von großen SUVs oder Daimler etc., sondern die sollen schön geduldig sein, ich brauche so lang, wie ich brauche. Die meisten hängen einem sowieso nur aus Prinzip an der Stoßstange, nicht weil man wirklich zu langsam wäre.
Und viele weitere solcher Dinge.

Bei mir ist gut, dass ich im Großen und Ganzen eine positive Haltung zu mir selbst habe. Zwar nicht immer, aber immer öfter. Ich hatte Probleme mit selbstverletzendem Verhalten, die sind fast weg jetzt. Manchmal ist noch ein Impuls da, aber ich habe schon lange nichts mehr gemacht.
Wenn ich manchmal denke, ich bin doch die blödeste Kuh, die rumläuft, dann geht das vorbei.
Das halte ich gerade in Depressiven Episoden für das Schwerste überhaupt. Weil ich da eben keinerlei Empfindung für Schönes oder Gutes habe. Da ist ALLES schlecht und immer schlecht gewesen, und alles Gute habe ich mir immer nur eingeredet
.

Ja, dann ist es schwer in so einer Phase.
Da ist jeder anders. Vielleicht geht es über eine Routine, zumindest klappt das bei mir manchmal. Ich fange an, etwas jede Woche am gleichen Tag zu machen. Zum Beispiel einen Spaziergang, oder ein Buch lesen, oder Musik hören. Alles Dinge, die für mich normalerweise schön sind. Dann im Lauf der Zeit fange ich an, mich darauf zu freuen. Und dann habe ich eine schöne Sache.
Das geht aber eben auch nur, wenn man Zeit und Muße dafür hat, und das war für mich früher auch ein Problem. Ich hatte Zeit zu arbeiten, Zeit für Hausarbeit und Zeit, es anderen recht zu machen, aber für mehr war dann keine Energie mehr da.

Ach ja. Ich hatte mit 12 Jahren Phasen, in denen mein Gesicht vollkommen taub war. Wie ein eingeschlafenes Körperteil. Als ich das Jahre später meiner Therapeutin erzählte, meinte sie, das wären starke Anzeichen dafür, dass ich depressiv war. Zumal ich in diesen Zuständen einfach nur dasaß und mich weder körperlich noch gedanklich vorwärts oder rückwärts bewegen konnte. Es war eine komplette Lähmung meines Lebens, meiner Gefühle, meiner Gedanken. Ich saß da und starrte an die Wand. Das waren schlimmere Zustände als jene, in denen ich Heulkrämpfe hatte oder pagodenwackelnd um meine Fassung rang. Also echt, hinterher gesehen frage ich mich, was sich meine Eltern bei meinem Verhalten wohl gedacht haben. Okay, sie haben mich dafür gehasst. Weil es sie überfordert hat. WENN Hilfe kam, dann immer nur durch Nachbarn, die zufällig was mitbekommen haben.
Kenne ich so nicht. Meine Mutter hat nur mal gemeint, ich soll nicht so vor mich hinstarren, das sei nicht normal, aber ich war in dem Moment gar nicht speziell traurig, ich war nur nachdenklich. Die Momente, wo es mir wirklich schlecht ging, hat niemand mitbekommen. Aber Gefühle waren damals etwas, was ich gar nicht so richtig erfassen konnte, und darüber reden wäre nicht möglich gewesen, weil da zu viele Zwischenschritte nötig gewesen wären (erstmal erfassen, was ich fühle, mir klar werden, dass ich darüber reden könnte und mit wem, dann den passenden Zeitpunkt finden und es in Worte fassen - so weit kam ich im Denken gar nicht). Das Problem bei mir war vielleicht auch, dass es in meinem Leben gar nichts gab, was meine Gefühle hätte erklären können, dann hätte es ja auch niemand verstanden. Heute im Rückblick verstehe ich, was los war, aber damals hätte ich es nicht erklären können.

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RoboCat
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Beitrag Fr., 18.10.2019, 12:03

Spannendes Thema! Ich bin überzeugt davon als Kind bereits depressiv gewesen zu sein. Wie hier schon jemand schrieb, Depressionen sind sicher nicht altersgebunden.

Seit ich 6 oder 7 Jahre alt war habe ich massive (ein)schlafprobleme. Das hat sich bis heute eigentlich auch so gehalten. Also es ist jetzt nicht jede Nacht so, aber schon überwiegend.

Was hier schon jemand schrieb, Angst vor Monstern und Co., das kenne ich auch von mir als Kind! Ich hatte richtiggehend Panik, als mein Opa verstarb, den ich allerdings kaum kannte. Ich bildete mit ein, dass sein Geist mich nun verfolgen würde und mir böses will.

Auch war ich immer traurig, ich erinnere mich das sogar fremde Leute mich fragten, ob ich denn nicht lächeln möchte, es sei so schön heute etc. Das kam mehrfach vor.

Irgendwann so mit 10 habe ich auch ziemlich das Interesse an Hobbys verloren. In der Schule war ich ziemlich schlecht, wurde gemobbt. Im späteren Leben habe ich einen IQ test gemacht, dessen Ergebnis absolut nicht zu meinen Noten von damals passte.

Ich gehe davon aus, dass die Depression mich für immer begleiten wird. Ich habe eine Therapie gemacht, mit der es besser wurde. Ich gehe mit vielen Dingen anders um, habe gelernt, dass ich auch Bedürfnisse habe und das ok ist. Derzeit mache ich gute Erfahrungen mit hochdosiertem Johanniskraut, das mich vor dem "Zergehen in negativen Gedanken" bewahrt. Es ist kein wundermittel, doch ich bin sehr dankbar dafür!

Ich schätze dass jeder der schon früh an dieser Erkrankung gelitten hat als Erwachsener seinen Weg gehen muss. Es gibt kein patentrezept. Viele arbeiten bewusst keine 5 Tage die Woche, um sich nicht zu überfordern. So halte ich es auch, nachdem ich vor ca 5 Jahren einen totalen Zusammenbruch hatte, jobtechnisch. Die Basis dafür wurde in der frühen Kindheit gelegt, davon bin ich überzeugt.

Ich bin allein mit meiner Mutter aufgewachsen ab dem 5 Lebensjahr. Sie hatte es immer schwer Gefühle zu zeigen. Mein Vater ist Alkoholiker und ich habe ihn erst vor 3 Jahren zum ersten Mal wieder getroffen. Wir stehen sporadisch in Kontakt, doch er ist sehr anstrengend. Ich denke er wäre in meiner Kindheit keine große Hilfe gewesen. Auch mit meiner mum ist das Verhältnis seit meiner Therapie ganz ok. Ich habe gelernt, dass sie auch Opfer ihrer Umstände ist und im Bereich des ihr möglichen immer alles für mich getan hat. Das reichte eben nicht und das ist auch für sie bitter, denn ich habe, wie so oft in Therapien, sie mit meinem ganzen elend irgendwann konfrontiert.

Ich wünsche allen frühbetroffenen alles Gute! Tut was euch in irgendeiner Weise glücklich macht, wenn ihr schon so vieles als Kind entbehren musstet.

LG robocat.
:axt:

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Federball
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Beitrag Fr., 18.10.2019, 12:12

cinikus hat geschrieben: Do., 17.10.2019, 19:36 Also echt, hinterher gesehen frage ich mich, was sich meine Eltern bei meinem Verhalten wohl gedacht haben. Okay, sie haben mich dafür gehasst. Weil es sie überfordert hat. WENN Hilfe kam, dann immer nur durch Nachbarn, die zufällig was mitbekommen haben.
Ja, genau so war es auch bei mir. Das erste mal als ich mich überhaupt fragte ob was nicht stimmt, war als Nachbarn mal fragten was denn los sei, wieso ich so bedrückt wäre. Ich fragte mich nur? Was? Das ist nicht normal? Bzw. auffällig? Es vergingen aber immer noch Jahre bis ich einen Namen dafür hatte.

Die Eltern haben wirklich 0 mitbekommen.

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candle.
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Beitrag Fr., 18.10.2019, 12:21

Federball hat geschrieben: Fr., 18.10.2019, 12:12 Die Eltern haben wirklich 0 mitbekommen.
Oder wollten nicht?

Ich finde es schon schade, dass sich so wenige hier offenbar erinnern können warum sie waren wie sie waren. Ich kann mich leider ziemlich gut erinnern. Ich wurde als Kind auch von außen als still und ernst wahrgenommen, weil es bei uns so wahr wie es war. Das Problem war eben, dass ich mich niemanden anvertrauen konnte. Und ohne Familie blühte ich dann doch überall auf, so würde ich dann nicht an eine Depression denken, sondern an ein (akutes) reaktives Verhalten was ja von Kind zu Kind sehr unterschiedlich ausfällt.

Bei Kindern fehlt eben noch das was man als erwachsener Mensch kann: Reflektieren, bewußt handeln und ggf. die Flucht oder Trennung antreten. Als Kind hast du da nicht wirklich eine Chance als abhängiger Mensch.

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Kaonashi
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Beitrag Fr., 18.10.2019, 12:37

RoboCat hat geschrieben: Fr., 18.10.2019, 12:03Was hier schon jemand schrieb, Angst vor Monstern und Co., das kenne ich auch von mir als Kind! Ich hatte richtiggehend Panik, als mein Opa verstarb, den ich allerdings kaum kannte. Ich bildete mit ein, dass sein Geist mich nun verfolgen würde und mir böses will.
Das war bei mir auch so. Als meine Oma starb habe ich mir eine Zeit lang danach immer vorgestellt, sie würde mir als Geist erscheinen und hatte dann Angst. Meine Oma kannte ich auch nicht so gut, wir waren nur ab und zu zu Besuch bei ihr. Sie war aber eigentlich nett. Doch Geister sind halt unheimlich. Generell war Angst in meiner Kindheit auch das Hauptthema, mehr als Depression, würde ich sagen.
Ich konnte da so sehr mitfühlen bei dem Film The 6th sense, als der Junge sagt, er will keine Angst mehr haben. Genauso habe ich mich als Kind auch gefühlt.

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