Auf der russischen Raumstation Saljut 7 trat der erste dokumentierte Fall von sog. “Raumkoller” auf: 1985 mußte dort ein Auftrag abgebrochen werden, da sich zwei Astronauten ohne besondere Gründe derart zerstritten, dass ihre Arbeit darunter litt und schließlich der Kommandant kein Interesse mehr an seinen Aufgaben zeige und nur noch stundenlang in den Weltraum starrte.
Um für kommende Unternehmungen wie z.B. den bemannten Flug zum Mars gewappnet zu sein, lässt die NASA deshalb im Rahmen des 1,74-Millionen-Dollar-Projekts Virtual Space Station unter Leitung des Harvard-Psychologen James Cartreine einen virtuellen Therapeuten entwickeln, der den Astronauten bei psychischen Problemen beiseite stehen soll. Dies ist deshalb nötig, weil die langen Latenzzeiten bei Funkverbindungen zur Erde von bis zu 40 Minuten ein therapeutisches Gespräch massiv erschweren würden.
Kern des Programms sind Bild- und Tonaufnahmen des menschlichen Therapeuten Mark Hegel, welcher die Astronauten durch eine problemlösungsorientierte Depressionstherapie führen soll.
Mit seinem virtuellen Abbild werden erst Gründe für die Depression identifiziert und anschließend anhand der Informationen, die der Astronaut auf Anfrage eingibt, Lösungsvorschläge gemacht. Durch interaktive Rollenspiele sollen die Astronauten außerdem neue Strategien zur Konfliktbewältigung lernen können. Darüber hinaus steht ihnen im Rahmen des Programms auch psychologische Fachliteratur zur Verfügung.
[..] Je nach Verlauf der aktuellen Tests des Programms könnte es sich auch als nützlich für den Einsatz auf der Erde erweisen, indem es beispielsweise Therapiestunden für immobile ältere Menschen auf dem Land bereitstellt, an deren Wohnorten es kein Breitband-Internet gibt. Auch könnten mit der Software Menschen erreicht werden, die zwar Behandlungsbedarf haben, denen aber der Besuch eines Therapeuten zu peinlich, zu teuer oder zu umständlich ist.
Um solche Hemmschwellen zu senken, wurde auch bei der Konzeption des Programms einiges unternommen: Es soll im Weltraum auf einem Laptop laufen, der nur einem einzigen Astronauten in relativer Abgeschiedenheit zur Verfügung steht. Auch bei der Begriffswahl wurde darauf geachtet, dass möglichst kein Raumfahrer von einer Inanspruchnahme abgeschreckt wird: Aus “Problemen” wurden so “Herausforderungen” und “Pannen”, die wie mechanische Störungen behoben werden können.
(Quelle: Telepolis)
Kommentar R.L.Fellner:
Bei derartigen Berichten denken wir sofort an das 1966 veröffentlichte Programm “Eliza” des heuer verstorbenen Computerwissenschaftlers Joseph Weizenbaum (und Star Trek-Fans wohl an den virtuellen Raumschiff-“Hausarzt” Lewis Zimmerman). Die bei den meisten Psychotherapie-Methoden neutrale und eher zurückhaltende sprachliche Kommunikationsebene läßt sich ja im Grunde verhältnismäßig einfach nachprogrammieren, und “Eliza” verzeichnete recht erstaunliche Erfolge. Ob derartige Konzepte auch für die Alltagsanwendung taugen, sei dahingestellt – vielleicht ist die Punzierung des Programms als “Stimmungs-Reparaturmaschine” ja sogar die einzige Chance, daß sie die Raumfahrer nicht gleich bei der ersten Gelegenheit in den Raummüll befördern – sobald sie nämlich über kurz oder lang den Anspruch stellen würden, von einem “menschlich” reagierenden Programm auch menschliche Reaktionen zu erwarten. Mit herkömmlicher Therapie noch am ehesten vergleichbare Erfolge erzielte nämlich auch “Eliza” nur dann, wenn die betr. Klienten nicht wußten, dass es sich beim Antwortenden um ein Computerprogramm handelte.